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"Die Vergangenheit lebt weiter, in den Menschen ebenso wie in den Städten. Ich brauche nur auf diesen Winter zurückzuschauen, um zu erkennen, wie schwer es ist loszulassen." Der Winter, an den sich der junge Samar erinnert, beginnt für ihn mit einer schicksalhaften Begegnung in einem der zahllosen Tempel der heiligen Stadt Benares. Gerade erst aus der Universitätsstadt Allahabad eingetroffen und auf der Suche nach einer Unterkunft, lernt er den alten Musiker Panditji kennen, einen gebrechlichen, liebenswürdigen Mann, der mit einem Strauß verwelkter Ringelblumen zum Gebet gekommen ist. Panditji…mehr

Produktbeschreibung
"Die Vergangenheit lebt weiter, in den Menschen ebenso wie in den Städten. Ich brauche nur auf diesen Winter zurückzuschauen, um zu erkennen, wie schwer es ist loszulassen." Der Winter, an den sich der junge Samar erinnert, beginnt für ihn mit einer schicksalhaften Begegnung in einem der zahllosen Tempel der heiligen Stadt Benares. Gerade erst aus der Universitätsstadt Allahabad eingetroffen und auf der Suche nach einer Unterkunft, lernt er den alten Musiker Panditji kennen, einen gebrechlichen, liebenswürdigen Mann, der mit einem Strauß verwelkter Ringelblumen zum Gebet gekommen ist. Panditji bietet ihm ein winziges Zimmer in seinem Haus direkt an den Ufern des Ganges an. Seinen Vermieter wird Samar nicht mehr allzu oft zu Gesicht bekommen, weil der alte Mann seine Tage im Opiumnebel unter einer dicken Schicht Wolldecken zu verbringen pflegt und nur abends aus seiner Höhle kommt, um ausländischen Studenten Sitarunterricht zu geben, aber dafür ist da Samars Zimmernachbarin, di e Engländerin Miss West, mit der er die Aussicht auf den Fluss, die verschwommenen Kuppeln und Minarette, die halb verfallenen Paläste und die säulengeschmückten Pavillons teilt und die den jungen Mann bald unter ihre Fittiche nimmt. Eigentlich ist Samar nach Benares gekommen, um nach dem Studium den kaum ersehnten, aber unausweichlichen Antritt einer Stelle im Staatsdienst in irgendeiner langweiligen Provinzstadt noch ein wenig hinauszuzögern. Seine Familie gehört der hohen Kaste der Brahmanen an, ist aber verarmt, und so sind Samars Aussichten nach dem Tod der Mutter und dem Rückzug des Vaters in ein Ashram nicht gerade rosig. Seine einzige Leidenschaft gilt der Literatur, vor allem den Romanen von Gustave Flaubert und anderen westlichen Klassikern, doch aus seinem Plan, sich vor allem der Lektüre zu widmen, wird nichts, denn das "richtige" Leben, das der scheue Student bislang nur aus Büchern kannte, treibt in diesen Wintertagen für ihn die ersten Knospen.
Bei einer Party, die Mis s West aus Freude über ein paar Tage klaren Wetters in der ansonsten dunstverhangenen Stadt gibt, lernt Samar ihre jungen Freunde kennen: Anand, einen talentierten Sitarspieler; den Amerikaner Mark, der die Kunst des Ayurveda studiert; seine stupsnasige Freundin Debbie, eine Möchtegern-Buddhistin mit Heimweh; und die schöne Französin Catherine, Anands Freundin - eine schillernde Truppe auf der Suche nach Erleuchtung, bei deren lebhaften Disputen Samar zu Beginn nur stumm dabeisitzen und zuhören kann, aber mehr und mehr zu einem geschätzten Gegenüber wird...
Autorenporträt
Pankaj Mishra, geboren 1969 in Nordindien, lebt in London und am Rand des Himalaya. Er schreibt seit über zehn Jahren regelmäßig für den "New York Review of Books" und für den "New Yorker" über den indischen Subkontinent, über Afghanistan und China. 2014 wurde Pankaj Mishra mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2002

Ein Taugenichts am Ganges
Pankaj Mishras Debütroman reist mit Flaubert durch Indien

Pankaj Mishras bemerkenswerter Debütroman "Benares oder Eine Erziehung des Herzens" ist kein Buch über Benares. Der deutsche Titel ist genauso irreführend wie das Orangerot des Einbandes und das im Klappentext beschworene Trivialszenario vom schüchternen Bücherwurm, der vom Leben eingeholt und von der Liebe erschüttert wird. "Einer der schönsten Romane aus Indien", heißt es dann noch auf der Rückseite, in der Tat, aber anders schön, als es die Aufmachung des Buches nahelegt, die offenbar Schmonzettenleser anlocken soll und dabei riskiert, daß sich alle anderen erschrocken abwenden. "The Romantics", wie Mishras Roman im Original aus gutem Grund heißt, ist ein leises, differenziertes, nachdenklich stimmendes Buch über die Schwierigkeiten indischer Identität im späten zwanzigsten Jahrhundert, über gescheiterte Karrieren und die Fallstricke falsch verstandener Tradition, kurz: ein Roman über jenes Indien, das von der Literatur bisher übergangen wurde.

Samar, der zwanzigjährige Ich-Erzähler, ein Brahmane aus kleinen provinziellen Verhältnissen, kennt weder sich noch sein Land, von der Welt ganz zu schweigen. Mit Benares, der vielleicht einzigen Stadt mit einer ungebrochenen, fast dreitausendjährigen Tradition, verbindet ihn nichts, er kommt nicht um der Stadt willen, sondern um in Ruhe zu lesen, denn Benares ist für ihn wie Allahabad, jene andere heilige Stadt am Ganges, in der er studiert und sich in die abendländische Philosophie geflüchtet hat, ohne viel zu verstehen. Er bezieht ein Zimmer in einem Haus am Fluß und wird von seiner Nachbarin - einer gelungenen Neuauflage von E. M. Forsters Mrs Moore - den jungen Westlern vorgestellt, die in Benares den vermeintlich prämodernen Schauplatz für ein Leben gefunden haben, das Hofmannsthal einst als Präexistenz bezeichnet hat.

Wie Samar sind sie verstrickt in diffuse Wünsche und Sehnsüchte, ihre postbürgerliche Verlorenheit unterscheidet sich kaum von seiner postkolonialen Desorientiertheit. Für ihn verkörpern sie trotz ihres beschränkten geistigen Horizonts die Freiheit, die Welt zu bereisen und in ihrer Vielfalt zu entdecken. Er freundet sich mit ihnen an und bewegt sich, schlafwandlerisch seinen Träumen folgend, zwischen der Welt am Fluß und der Welt des Campus, die ganz in der Nähe ein anderes Indien vorführt: Dort herrschen Gewalt und Hoffnungslosigkeit, die Samar notgedrungen miterlebt, während er seine Tage in der Bibliothek verbringt, vertieft in die Schriften Edmund Wilsons, die ihm den lange vermißten Zugang zur Literatur verschaffen.

Wilson ist für ihn der Mann, der er zu werden hofft: dem geistigen Leben verschrieben, intellektuell produktiv und von einer klaren Weltsicht, die sich durch neue Entdeckungen ständig erweitert. Begeistert liest er dessen Flaubert-Aufsatz, der ihm die "Erziehung des Herzens" erschließt. Er empfiehlt dieses Buch Rajesh, dem ehemaligen Studentenführer, der sich um junge Brahmanen kümmert, ansonsten aber in undurchsichtige Machenschaften verwickelt ist, nach denen Samar nicht zu fragen wagt. Daß er zwar Fragen hat, sie aber niemals stellt und immer wieder erstaunt ist über den Abstand zwischen seiner Vorstellung und den wahren Sachverhalten, ist vielleicht sein verhängnisvollster Charakterzug.

Bei einem Ausflug in den Himalaja wird er für kurze Zeit der Geliebte von Catherine, einer jungen Französin, die mit einem Sitarspieler liiert ist und offenbar alle und niemanden liebt, was ihm erst nach und nach schmerzlich bewußt wird und jene zerstörerische Wirkung auf ihn ausübt, vor der alle Verächter romantischer Liebe warnen. Trotzdem verläßt er Benares erst, als er zu seinem kranken Vater gerufen wird, der mit den neuen Plänen seines Sohnes, in Delhi ein Promotionsstudium zu beginnen, einverstanden ist. Bis zur Aufnahmeprüfung soll er tibetischen Kindern in Dharamsala im Himalaja Englischunterricht geben. Nach ein paar Wochen ziellosen Umherreisens läßt er sich dort nieder, vergißt alle Ambitionen und Pläne und lebt allein. Er distanziert sich von seinem halberwachten Ich und allen Gefühlen, verbannt die Romane und begräbt seine nun als romantisch desavouierten Träume und Hoffnungen, ohne zu merken, daß er der höchst romantischen Vorstellung vom einfachen Leben erlegen ist, für die er einen hohen Preis bezahlt.

Erst sieben Jahre später holt ihn nach und nach die Vergangenheit ein, und er kehrt noch einmal nach Benares zurück. Als er erfährt, daß Rajesh, der aus bitterarmen Verhältnissen kommt, ein halbkrimineller Schuldeneintreiber war, der inzwischen zum Auftragsmörder geworden ist, versteht er plötzlich, warum dessen Lektüre von Flauberts "Erziehung des Herzens" so ganz anders ausfiel. Daß dieser Roman Flauberts, der immer wieder herangezogen wird, um Samars jeweiligen Erkenntnisstand zu markieren, einen Schlüssel für das Indien von 1989 zu liefern vermag, macht ganz nebenbei deutlich, daß die Moderne dort tiefer verwurzelt ist als die westlichen Träumer meinen.

Mishra hat einen negativen Entwicklungsroman über einen naiven Helden geschrieben, der weder zu sich kommt noch richtig zur Welt. Daß er kein neurotischer Sonderfall ist, zeigt sich nicht zuletzt an Rajesh, Samars negativem Spiegel. Als Krimineller steht er am anderen Ende des Spektrums derjenigen, die sich aus der Gesellschaft zurückziehen, weil sie keine Zukunft für sich sehen oder weil es diese Zukunft nicht gibt. Samar, der wie Rajesh aufgrund der indischen Quotenregelung als Brahmane kaum Aussichten auf eine der Macht und Ruhm versprechenden Stellen im öffentlichen Dienst hat, verbaut sich die Alternative einer akademischen Karriere, weil er seiner Passivität erliegt. Anders als seine Eltern, die trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen noch einen gewissen Halt in der hinduistischen Lebensweise fanden, gehört er zu einer Generation, die in einer Art Niemandsland treibt, weil sie aus allen Traditionen herausgefallen ist und auch den Idealismus der Unabhängigkeitsbewegung nicht mehr kennengelernt hat. Seine halbherzigen Versuche, neue Wege zu beschreiten, enden ironischerweise in der allzu frühen Verwirklichung dessen, was der Vater sich immer erträumt hat: Freiheit von allen Bindungen, von allen Pflichten und Verantwortlichkeiten gegenüber anderen.

Ein solches Leben ist von der schwierig zu erreichenden spirituellen Selbstverwirklichung, die in Indien immer Ichtranszendenz gemeint hat, mindestens ebenso weit entfernt wie von abendländischer Introspektion und Individualisierung, für die Mishra plädiert. Es ist jedoch fraglich, ob ein Ich-Erzähler, der so genau zu beobachten in der Lage ist und so stilsicher und klar formuliert - was der deutschen Übersetzung leider kaum anzumerken ist - und der noch dazu nicht nur erzählt, sondern schreibt, um "widersprüchliche Ereignisse und Gefühle miteinander in Verbindung zu bringen", auf die Dauer wirklich in der Stagnation und blinden Unbelehrbarkeit verharren wird, die der Autor ihm zugedacht hat. Weil Samar am Ende des Buches erst siebenundzwanzig ist, ist das letzte Wort über ihn noch nicht gesprochen.

Auch wenn der eindrücklich gleichmütige Ton, der aus dem gesamten Buch spricht, Eindeutigkeit suggeriert, bleibt letztlich offen, ob der Ich-Erzähler seine Erkenntnisse in Zukunft umzusetzen lernt oder nur perpetuiert, was V.S. Naipaul einmal polemisch den alten indischen Defätismus genannt hat: Rückzug, Abwendung von der Welt, Flucht in die "Einfachheit" und ein Zurücksinken in die Vergangenheit.

CLAUDIA WENNER.

Pankaj Mishra: "Benares oder Eine Erziehung des Herzens". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Schaden. Blessing Verlag, München 2001. 283 S., geb., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

In einer Doppelrezension bespricht Gabriele Venzky zwei Bücher indischstämmiger Autoren.
1.) Amitav Ghosh: "