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"Wir standen uns nicht nah, obwohl es immer hieß, ich sei ganz der Vater."Das letzte Telefonat zwischen Vater und Sohn löst eine Flut von Erinnerungen aus: In seinem neuen Buch taucht Miljenko Jergovic in die Abgründe seiner eigenen Familie ein und beleuchtet die tragischen Verwicklungen seiner Heimat. Er beschreibt den Lebensweg seines Vaters, eines angesehenen Arztes und Experten für Leukämie, dessen Einsatz für die ländliche Bevölkerung und politische Haltung. Zugleich bezieht er kritisch Stellung zur kroatischen Geschichte und dem Umgang mit der faschistischen Vergangenheit. Ohne Pathos,…mehr

Produktbeschreibung
"Wir standen uns nicht nah, obwohl es immer hieß, ich sei ganz der Vater."Das letzte Telefonat zwischen Vater und Sohn löst eine Flut von Erinnerungen aus: In seinem neuen Buch taucht Miljenko Jergovic in die Abgründe seiner eigenen Familie ein und beleuchtet die tragischen Verwicklungen seiner Heimat. Er beschreibt den Lebensweg seines Vaters, eines angesehenen Arztes und Experten für Leukämie, dessen Einsatz für die ländliche Bevölkerung und politische Haltung. Zugleich bezieht er kritisch Stellung zur kroatischen Geschichte und dem Umgang mit der faschistischen Vergangenheit. Ohne Pathos, mit Witz und einer Portion Sarkasmus schildert Miljenko Jergovic die jugoslawische Lebenswirklichkeit, die das Schicksal seines Vaters bestimmte und damit auch den Sohn prägte. Vater ist das literarische Dokument seiner Familie: Leidenschaftlich und pointiert erzählt er anhand ihrer Lebensstationen von den historischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan und deren Auswirkungen bis heute.
Autorenporträt
Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018.

Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter »Die Tutoren« von Bora Cosic und das Werk von Miljenko Jergovic, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2015

Kein Wasser für den Partisanen
In seinem Buch „Vater“ zeichnet Miljenko Jergović die Geschichte seiner Familie in die politische Landkarte Jugoslawiens ein
Wenn der Vater in Sarajevo stirbt, der Sohn aber in Zagreb lebt, geht das über die üblichen Familiengefühle hinaus. Die politischen Verwicklungen zwischen den Hauptstädten Bosniens und Kroatiens überführen alles ins Öffentliche, ins Staatliche. Und es spielen die Kriege und Positionswechsel des 20. Jahrhunderts mit: das Land „Jugoslawien“, das es nicht mehr gibt und auf das sich niemand mehr beruft.
  Das „Vater“-Buch von Miljenko Jergović, der 1966 in Sarajevo geboren wurde und die Stadt 1993 während der Belagerung verließ, setzt mit dem Tod des Vaters ein. Es erweckt den Eindruck einer Katharsis, des Sich-von-der-Seele-Schreibens. Der Schauplatz dieser Familiengeschichte ist Sarajevo, eine „kleine, enge Stadt, eingezwängt zwischen Bergen“, wo man sich kaum ausweichen kann. Das historische Geschehen scheint in jedem Satz präsent. Im April 1941 verleibt sich der neugegründete „Unabhängige Staat Kroatien“ unter der faschistischen „Ustascha“ Sarajevo und das östliche Bosnien ein, in dem Muslime in der Mehrheit sind. Jergovićs Großmutter Štefanija ist, als nationalistische und verbissen katholische Kroatin, glühende Anhängerin der Ustascha. Zwei ihrer Schwestern sind ihr darin mindestens ebenbürtig und wandern nach dem Sieg der kommunistischen Partisanen gleich nach Argentinien aus.
  Den „verbitterten Katholizismus“ dieses Familienzweigs empfindet Jergović als schmerzliche Hypothek, er sieht sich wider Willen immer noch davon geprägt. Eine Quelle dieser Verbitterung ist, dass die Großmutter Štefanija sich in einen allseits begehrten Lehrer verliebte, sich von ihm ein Kind machen ließ und dann sitzengelassen wurde. Dieses Kind ist Jergovićs Vater.
  Kurz nach der Geburt des Ich-Erzählers Miljenko lässt dieser Vater, und das steigert die Verbitterung ein weiteres Mal, die Mutter ebenfalls allein zurück. Hier liegt der Kern des Buches, das die Abwesenheit des Vaters ständig umkreist. Aber freigelegt wird im Grunde nichts. Der Leser kann das Drama, das in den Monologen des Sohnes immer wieder aufblitzt, nur erahnen. Vater und Sohn trafen sich selten, und dann auf „neutralem“ Gelände, meist in einem Krankenhaus. Der Vater war Arzt.
  Es herrscht eine merkwürdig diffuse, spannungsgeladene Atmosphäre. Der Vater, dessen Tod Anlass für das Schreiben war, taucht über weite Strecken nicht auf. Die Großmutter Štefanija samt ihren Geschwistern hingegen gibt Anlass zu immer neuen Reflexionen über das jugoslawische Vielvölkerreich, über Ressentiments und Verwerfungen. Das Politische und das Private scheinen eng aufeinander bezogen zu sein. Aber wie genau, das entzieht sich letztlich desto mehr, je intensiver einzelne Szenen heraufbeschworen werden.
  In einem Moment verdichtet sich alles: Der Vater, 1928 geboren, bekennt sich nicht zum Kroatentum, sondern geht gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zu den Partisanen. Näheres weiß der Sohn nicht. Als der Vater dann, „halbtot“ und an Typhus erkrankt, von den Partisanen entlassen wird und bei seiner Mutter Zuflucht sucht, kümmert sie sich keineswegs um ihn. Sie verweigert ihm sogar ein Glas Wasser – weil sie ihm nicht verzeiht, dass er der kroatischen Sache untreu geworden ist und sich den Kommunisten angeschlossen hat. Diese archaisch anmutende, schreckliche Familienkonstellation benennt Miljenko Jergović detailliert, aber ohne Mitleid mit dem Vater: „Diese Episode geht mir nicht nahe.“
  Aber alles, was der Sohn konkret vom Vater berichtet, wirkt eigentlich sehr sympathisch: Er ist mit Leib und Seele Arzt, Spezialist für Leukämie, er fährt zu jeder Tages- und Nachtzeit zu Patienten, oft in entlegene Dörfer in der Region von Sarajevo. Und es ist ihm, dem bosnischen Kroaten, völlig unwichtig, dass diese Dörfer von Serben bewohnt werden. Er lässt sich auch nicht bestechen. Im Duktus seines sich erinnernden Sohnes bekommt ein Satz wie „Lebenslang hielt er sich an die Gesetze“ aber einen unangenehmen, abfälligen Unterton.
  Der Sohn stellt den Vater als „Schwächling und Niete“ dar, wirft ihm vor, zu passiv gewesen zu sein, um sich von seiner Ustascha-Mutter loszureißen: „Er war Opportunist, aber er hat niemand aus Opportunitätsgründen geschadet. Außer denen, die ihm am nächsten standen.“ Damit meint er vor allem sich selbst. Denn als Grund, warum der Vater so negativ erscheint, wird genannt: „Er verwehrte mir, jemandes Sohn zu sein.“ Dieses Buch analysiert nicht, es schafft keine Distanz. Es ist der Ausdruck familiärer Krisen und irrationaler Bande.
  Wenn Miljenko Jergović über sich als Baby schreibt, fällt der Satz: „Ich war ganz der Vater“ – und darunter leidet er, ja, er scheint sich mit diesem Buch dieses Leidens geradezu versichern zu wollen. Er schreibt suggestiv und journalistisch, mit eindringlichen Szenen. Schreibt er seinem Vater nach, schreibt er opportunistisch?
  Der Text hat trotz seines Anfangssatzes „Mein Vater ist gestorben“ nichts von der literarischen Dimension des „Fremden“ von Camus („Heute ist Mama gestorben“), sondern eher etwas von einer Autorenkolumne. Die eigene Subjektivität wird zum Dreh- und Angelpunkt privater und politischer Sentenzen, sie wird absolut gesetzt und nicht in Zweifel gezogen. Miljenko Jergovićs Vater verharrte in Sarajevo, trotz des serbischen Beschusses im Balkankrieg Anfang der Neunzigerjahre. Er blieb seinem Ideal der „Gleichheit“ treu, für das er in der Medizin ein entsprechendes Betätigungsfeld gefunden hatte.
  Der Sohn wirft dem Vater aber genau das vor, nämlich dass er in Titos Jugoslawien „passives Parteimitglied“ war. Der Partei habe der Vater „nichts außer Angst und Erniedrigung“ zu verdanken. Man hat unwillkürlich den Eindruck, dass das viel mehr über die Wahrnehmungsweisen des Sohnes aussagt als über den Vater. Über seine eigene Entwicklung reflektiert der Sohn kaum. Miljenko Jergović, der mittlerweile international wohl bekannteste kroatische Schriftsteller, machte, nachdem er Sarajevo verlassen hatte, in Zagreb eine steile Karriere als Journalist, anfangs auch mit heftigen Attacken gegen die Serben. Diese Phase scheint überwunden zu sein, aber man ahnt, wie hier Familiäres und Politisches verquickt sind, wie unaufgelöst die Widersprüche im Raum stehen.
  Die Dinge sind dennoch im Fluss. Jüngst hat Jergović in seiner Heimat ein Erinnerungsbuch über seine Mutter vorgelegt. Das Private braucht, wie das Politische, anscheinend lange Zeit, um entwirrt werden zu können. „Vater“ ist ein Dokument des Übergangs. Vielleicht schreibt der Autor in zehn Jahren anders über diesen Vater.
HELMUT BÖTTIGER
  
Miljenko Jergović: Vater. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2015. 200 S., 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
„Er verwehrte mir,
jemandes Sohn zu sein.“
Miljenko Jergovic.

Foto: Schöffling Verlag/ Miodrag Trajkovic
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Sabine Doering sieht in der Vatergeschichte, die Miljenko Jergovic in seinem Essay erzählt, auch die Geschichte einer Hinwendung zur Literatur. Wie der Autor mit Witz und Präzision die Verquickungen seiner Familiengeschichte mit der komplexen politischen Geschichte Jugoslawiens offenlegt, findet Doering groß. Zumal es Jergovic auch noch gelinge, dem Leser mit kafkaesken Schilderungen vorzugaukeln, hier handle es sich um lauter Absurditäten, während es doch die ernüchternde, bitterernste Wahrheit des Lebens in einer Diktatur ist. Daneben ist das Buch für sie Ausdruck einer tiefen Sohnesliebe. Die Übersetzung durch Brigitte Döbert scheint ihr das nuancenreich abzubilden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2016

Vertreibe dich selbst
Balkan-Geschichtsparabel: Miljenko Jergovic schreibt über seinen Vater

Am Anfang steht der Tod. Einen "Abschiedsessay" hat der bald fünfzig Jahre alte Miljenko Jergovic seinem Vater Dobro gewidmet, der vor wenigen Jahren starb. Zu diesem Zeitpunkt waren Vater und Sohn einander längst fremd geworden. Dobro, ein hingebungsvoller Arzt und berühmter Leukämie-Spezialist, hatte seine Familie früh verlassen; der zweiten Frau seines Vaters begegnete Miljenko Jergovic erstmals bei der Beerdigung.

Seine Mutter hatte den 1966 in Sarajevo geborenen Sohn allein aufgezogen, ganz im Einklang mit dem sozialistischen Gesellschaftsbild, das die Abkehr vom traditionellen Familienmodell als Fortschritt pries. Miljenko hingegen konnte dem politischen Pathos wenig abgewinnen: "Mit kindlicher, selbst von Pol Pot nicht übertroffener Grobheit befand ich, die Scheidung sei ihr nur wichtig, weil sie Vaters und meinen Nachnamen loswerden und alleinernährende Mutter sein wollte."

Was im Zitat noch liebenswürdig-naiv anmuten mag, entpuppt sich bald als dominantes Stilmittel: Mit scharfem Witz und kühler analytischer Präzision verdeutlicht Jergovic, wie sehr die Geschichte seiner Familie mit der wechselvollen politischen Geschichte Jugoslawiens verschränkt ist. Es ist nicht das erste Mal, dass Jergovic, dessen Romane in viele Sprachen übersetzt wurden, seine Leser in die komplizierte Geschichte der Balkanstaaten führt. Neu in diesem mitreißenden Essay aber ist die unverhohlen biographische Perspektive und die Schonungslosigkeit, mit der Jergovic die Verstrickungen seiner Familie über Generationen verfolgt. Allein Titos Regime konnte, so die rückblickende Diagnose, die widerstrebenden nationalen und religiösen Kräfte eine Zeitlang in Zaum halten. Immer wieder beschreibt der Erzähler, wie sehr sein Vater bemüht war, alle äußeren Unterschiede zwischen Kroaten, Bosniern und Serben, zwischen Katholiken, Muslimen und Atheisten zu ignorieren und, ganz der moderne Wissenschaftler, allein Unterschiede der Blutgruppe anzuerkennen. Selbst als Dobro schon ein international anerkannter Krebsspezialist war, fuhr er regelmäßig aufs Land, wo er, der Kroate und ein "echter katholischer Atheist", seine serbischen Patienten behandelte. Sie dankten es ihm zuerst mit Schnaps und Schweinehälften. Später, im März 1992, als der beliebte Arzt nach der grotesken Logik des Krieges längst zu den Erzfeinden seiner Patienten gehörte, bekam er anonym den freundschaftlichen Rat: "Geh weg." Nüchtern übersetzt der Erzähler, was tatsächlich gemeint war: "Vertreibe dich selbst, bevor wir dich vertreiben und womöglich umbringen."

Miljenko Jergovic wurde atheistisch erzogen, was er stets als Vorteil empfand: "Wer nicht an Gott glaubt, muss ihn nicht bekämpfen." Zum Problem wurde ihm dieser Hintergrund erst, als es für ihn, einen in Bosnien-Hercegovina geborenen Kroaten, darum ging, seine Staatsbürgerschaft anerkennen zu lassen: "Ungetauft war ich jedenfalls ein bisschen unkroatischer als andere Kroaten." Wäre der Hintergrund nicht so bitterernst, könnte man eine absurde Schilderung im Stile Kafkas genießen: Lange Zeit versuchte Jergovic, seine Anerkennung als kroatischer Staatsbürger ohne den obligaten Taufschein zu bekommen. Doch Kroatien in den Kriegsjahren entpuppte sich, so sein ernüchterndes Fazit, als eine ebensolche Theokratie wie Israel oder Iran, wo "zumindest ein Teil der Bevölkerung das Bürgerrecht ausschließlich über den Glauben an einen vorgeschriebenen Gott bekommen sollte". Ein bosnischer Franziskaner schließlich half dem Erzähler aus seiner atheistischen Notlage und taufte ihn ohne Umschweife.

Durch all diese biographischen, familiengeschichtlichen und politischen Details klingt fast wider Willen eine tiefe Sohnesliebe durch. Die Übersetzerin Brigitte Döbert findet dafür eine nuancenreiche Sprache. Am Ende steht die Einsicht einer geradezu existentiellen Einsamkeit, aus der dem Erzähler allein die Literatur hilft: "Auf der ganzen Welt gibt es keinen lebenden Jergovic, der mit mir verwandt wäre."

SABINE DOERING

Miljenko Jergovic: "Vater".

Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2015. 201 S., geb., 19,95 [Euro].

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»Kompromisslos, differenziert, in alle Richtungen. Ausgestattet mit Witz und Lakonie. (...) Ganz nebenbei ist es süffige Weltliteratur.« 3sat kulturzeit