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Dreimal stand Anke Martiny im Zentrum politischer Veränderung: 1972 war sie eine von 15 weiblichen SPD-Bundestagsabgeordneten der Ära Brandt/Schmidt; 1989, im Jahr des Mauerfalls, wurde sie Berliner Kultursenatorin im von Frauen dominierten rot-grünen Momper-Senat; 1992 kam sie als Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung nach Tel Aviv und erlebte die Wahl von Yitzhak Rabin zum Ministerpräsidenten und die Vorbereitungen und Folgen des Osloer Friedensabkommens. Die heute 75-Jährige blickt in diesem Buch auf ihr politisches Leben zurück, von den frühen prägenden Erfahrungen im bürgerlichen Milieu…mehr

Produktbeschreibung
Dreimal stand Anke Martiny im Zentrum politischer Veränderung: 1972 war sie eine von 15 weiblichen SPD-Bundestagsabgeordneten der Ära Brandt/Schmidt; 1989, im Jahr des Mauerfalls, wurde sie Berliner Kultursenatorin im von Frauen dominierten rot-grünen Momper-Senat; 1992 kam sie als Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung nach Tel Aviv und erlebte die Wahl von Yitzhak Rabin zum Ministerpräsidenten und die Vorbereitungen und Folgen des Osloer Friedensabkommens. Die heute 75-Jährige blickt in diesem Buch auf ihr politisches Leben zurück, von den frühen prägenden Erfahrungen im bürgerlichen Milieu in der Nachkriegszeit bis zu ihrer heutigen ehrenamtlichen Tätigkeit bei Transparency International.

Der spannende Lebensbericht einer Frau, die nie - auch in ihrer eigenen Partei - ein klares Wort scheute, die sich beherzt für die Sache der Frau einsetzte, drei Kinder großzog und noch immer leidenschaftlich für die Demokratie eintritt - also 'jederzeit als voller Mensch lebt'.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2015

„Die Frauen san hintre“
Die Lebenserinnerungen der tapferen SPD-Politikerin Anke Martiny, die Feminismus nicht so sehr postulierte, sondern praktizierte
Eigentlich hatte sie nur einen Leserbrief geschrieben. Dann aber waren die Redakteure der Zeit von diesem Brief der bis dahin unbekannten Göttinger Musikstudentin so begeistert, dass sie ihn unter dem Titel „Durchschnittsprofessor“ abdruckten. Es war die freche und deutliche Antwort auf den Germanisten Walter Killy, der sich über den „Durchschnittsstudenten“ ausgelassen hatte. Professor Killy ließ Anke Martiny – so hieß die Musikstudentin – daraufhin in seine Sprechstunde kommen. Er eröffnete das Gespräch mit einem Blick auf den Ring an ihrer linken Hand und dem Satz: „Sie sind doch schon verlobt, warum studieren Sie eigentlich noch?“
  Ja, so was mussten Frauen sich damals anhören. Nach dem überraschend hohen Wahlsieg von Willy Brandt im Jahr 1972 zog Anke Martiny von ihrem eher aussichtslosen Listenplatz als einzige weibliche SPD-Abgeordnete aus Bayern in den Bundestag, dessen Frauenanteil damals nur bei 5,8 Prozent lag. Ausführliche Artikel erschienen über diese mutige 33-Jährige, die drei kleine Kinder hatte und trotzdem in der Politik mitmischen wollte. Vom Saaldiener des Bonner Bundestages wurde sie gefragt: „Sind Sie die Frau, wo der Mann jetzt kocht?“
  Und Ende der 80er-Jahre, als die Bundestagsabgeordnete Martiny mit einer Flasche Schnaps unter dem Arm zum 50. Geburtstag eines Feuerwehrhauptmanns in ihrem bayerischen Wahlkreis gratulieren wollte, wurde sie in die Küche geschickt mit dem Satz: „Die Frauen san hintre.“
  Man muss Anke Martinys politische Lebenserinnerungen allen geschichtsvergessenen Pro-Quote-Feministinnen, nein, eigentlich allen Frauen und an Frauengeschichte Interessierten heiß empfehlen. Ein gut erzählter Geschichtskurs, eine hochpolitische Biografie. Auch die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann oder die SPD-Ministerinnen Nahles und Schwesig sollten mal reinschauen, damit sie nicht vergessen, auf wessen Schultern sie stehen; und auch nicht, dass es noch nie eine politisch wirklich mächtige Frau in der deutschen Sozialdemokratie gegeben hat. Oder nicht lange. Als die Männer Clara Zetkin demontiert hatten, ging sie 1917 zu den Kommunisten.
  Anke Martiny schreibt sehr berührend über die Scham, mit der die Töchter der verbitterten Kriegsheimkehrer aufgewachsen sind, sehr ehrlich über ihre große Liebe und Lebensenttäuschung Peter Glotz, und sehr deutlich über den aussichtslosen Kampf der Frauen in der SPD.
  Schon mit 14 Jahren war sie Feministin. Den ewigen Poesiealbum-Spruch dichtete sie um. Sei wie die stolze Rose: selbstbewusst, kritisch und frei – nicht wie das Veilchen im Moose: bescheiden, verschüchtert und treu.
  Sie wuchs auf mit zwei Brüdern und drei Vettern, ohne Vater, mit einer jungen Mut-ter, die eigentlich Ärztin hatte werden wollen und nun auf dem platten Land in Nie-dersachsen allein sechs Kinder versorgen musste. Dann kam der Vater 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück, verbittert, hart und autoritär. Er schlug die Kinder mit der Peitsche.
  Äußerlich war es ein Leben als höhere Tochter, wie man das damals nannte – seit 1957 in einer Werksvilla am Stadtrand von Wuppertal mit Weinkeller, Pool, Gärtner und Mercedes-Dienstwagen. Martiny studierte in Göttingen und Berlin Musik, Theaterwissenschaft und neuere Germanistik, später Soziologie, übte zwei Stunden am Tag Klavier, ging einmal in der Woche in die Chorprobe und wollte Journalistin werden, Musikkritikerin. Sie promovierte „summa cum laude“, bekam gleichzeitig ihr erstes Kind und schrieb sofort nach der Geburt noch im Krankenhaus ihren Abschlussbericht über das Oberhausener Kurzfilmfestival für das Göttinger Tageblatt.
  Vielleicht hat Anke Martiny beim Schreiben ihres Buches gar nicht gemerkt, wie er-schütternd oft das Wort Scham vorkommt. Scham über die Naziverbrechen, Scham über die Sprachlosigkeit der Elterngeneration, Scham über die Gewalt des Vaters, über eine Abtreibung, darüber, Rabenmutter zu sein (noch so eine typisch deutsche Beschämung), Scham und Trauer darüber, nicht in allen ihren Lebensrollen – Mutter von drei Kindern, Journalistin, Bundestagsabgeordnete – perfekt sein zu können.
  Im Jahr des Mauerfalls wurde sie Berliner Kultursenatorin in Walter Mompers berühmtem Hexenfrühstück-Feminat, um dann von einem Mann abgelöst zu werden mit der Begründung, dass die SPD der wiedervereinigten Stadt nun „mehr Glanz in diesem Amt“ brauche. 1992 bis 1996 leitete sie die Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv und sammelte interessante Erkenntnisse über Gewalt und Hoffnung. Heute, als 75-Jährige, arbeitet sie im Vorstand von Transparency International. Was für ein Frauenleben!
  Leider hat das Buch keinen besonders guten Titel. Davon darf man sich nicht abhalten lassen. Einer Frau wie Anke Martiny verdanken junge Frauen von heute, dass sie es doch schon sehr viel einfacher haben.
EVELYN ROLL
Anke Martiny: „. . . und vor allem muss man jederzeit als voller Mensch leben“. Als Frau in der Politik. Nicolai Verlag, Berlin 2014. 328 Seiten, 24,95 Euro.
Anke Martiny: Als sie 1972 Abgeordnete des Bundestags wurde, lag der Frauenanteil dort bei 5,8 Prozent.
Foto: Marc Beckmann
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Karriere-Feministinnen ahnen gar nicht, wie viel sie Frauen wie Anke Martiny verdanken, meint Evelyn Roll und blickt recht emphatisch auf dieses Politikerinnenleben. Dabei findet Roll überhaupt nicht, dass Martiny eigentlich ein recht komfortables Leben geführt hat - als höhere Tochter, SPD-Politikerin, Berliner Senatorin und Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung -, sondern dass sie als Frau in der Politik sehr viel hat durchstehen und aushalten müssen, vor allem in der SPD, die bis heute keine echte Machtpolitikerin hervorgebracht hat. Wofür Martiny politisch steht, erfahren wir zwar nicht. Der Rezensentin fällt aber auf, wie viel in Martinys Erinnerungen von Scham die Rede ist, über den schlagenden Vater und die Verbrechen der Deutschen zum Beispiel. Schließlich hofft Roll, dass sich niemand von dem etwas unbeholfenen Titel abhalten lässt.

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