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Produktdetails
  • Verlag: Papyrossa
  • ISBN-13: 9783894384388
  • ISBN-10: 3894384387
  • Artikelnr.: 29931999
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.02.2011

Große Rhetorik
Heinrich Hannovers
wichtigste Strafprozesse
Je älter die Bundesrepublik wird, desto unübersichtlicher wird zwangsläufig ihre Geschichte. Damit steigt die Bedeutung gut gemachter Dokumentationen und gut geschriebener autobiographischer Texte. Beides hat der geradezu unfassbar vielseitige Rechtsanwalt und Kinderbuchautor Heinrich Hannover schon vorgelegt, so etwa seine Lebenserinnerungen „Die Republik vor Gericht“. Nun hat der 85 Jahre alte Autor ein starkes Buch, „Reden vor Gericht“, nachgelegt und eine einzigartige CD dazugegeben: Teile der 17 abgedruckten Plädoyers sind im Originalton mitzuhören.
Dass es eine solche akustische Dokumentation überhaupt gibt, ist erstaunlich. Sind Ton- und Fernsehaufnahmen von Hauptverhandlungen hierzulande nicht aus guten Gründen verboten? Im Prinzip ja, aber Hannover hat sich beizeiten um das Einverständnis der Beteiligten und um das technische Know-how gekümmert. So konnte er einige Plädoyers mitschneiden und „sogar Tonaufnahmen ganzer Hauptverhandlungen machen“. Mit berechtigtem Stolz schreibt Hannover, es habe sich ein „umfangreicher Fundus von Tonaufnahmen und Tonbandnachschriften“ ergeben (beim Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt und im Bremer Stadtarchiv seien sie deponiert).
Hannover hat im Originalton fünf der vielen „politischen Prozesse“ dokumentiert, durch die er selbst Teil der Nachkriegsgeschichte geworden ist. So hat er wider den Zeitgeist in fast aussichtslosen Fällen manchen Freispruch erwirkt – beispielsweise zugunsten eines (schon ausgewiesenen) farbigen Studenten oder des angeblichen Terroristen Karl-Heinz Roth.
Das Grauen der NS-Barbarei und das weitgehende Versagen der Nachkriegsjustiz hat Hannover ebenso penibel wie wortgewaltig dargestellt. Zu den Glanzstücken sein Buchs zählt sein (vergeblicher) Versuch, einen SS-Kapo für die Ermordung des Kommunistenführers Ernst Thälmann im August 1944 im KZ Buchenwald der Bestrafung zuzuführen. Dieser Prozess oder der um die Bezeichnung von Hitler-Generälen als Massenmörder zeigen: Das NS-Unrecht ist eines seiner Lebensthemen.
Hannover, der mit 17 Jahren der NSDAP beitrat, wurde durch die Gräuel des Krieges zum Pazifisten und Sozialisten. Als solcher war er seinen Kontrahenten 41 Jahre lang ein unbequemer, angriffslustiger Gegner. Er verteidigte Kriegsdienstverweigerer, Kommunisten, Rebellen wie Daniel Cohn-Bendit, Richter (wegen Sitzblockaden gegen Raketen) und, innerhalb bestimmter Grenzen, Terroristen wie Ulrike Meinhof – was ihm bittere Erfahrungen bescherte.
Der Alt-Sozialist kommt deutlich zum Vorschein, wenn Hannover den früheren DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow gegen den Vorwurf der Wahlfälschung verteidigt und dabei von der „Vereinnahmung der DDR“ oder der „Abstrafung aller kommunistischen Funktionäre“ spricht. Auch vier nicht politische Prozesse enthält die Sammlung, in zwei Fällen geht es um Sexualverbrechen.
So informiert dieses Potpourri von Plädoyers nicht nur über die Geschichte der Republik, sondern zudem über den Beruf des Strafverteidigers. Der muss zwar „gut reden“ können, vor allem aber muss er präzise arbeiten, wenn er Widersprüche in Zeugenaussagen oder Verfahrensfehler aufdeckt. Es bleibt ein Geheimnis, wie derselbe Mensch schneidende Reden im Gerichtssaal und bezaubernde Kinderbücher mit hohen Auflagen („Das Pferd Huppdiwupp“) schreiben konnte. HELMUT KERSCHER
HEINRICH HANNOVER: Reden vor Gericht. Plädoyers in Text und Ton. Samt einer CD. Papy Rossa Verlag, Köln 2010. 276 Seiten, 22 Euro.
Vor Gericht war Hannover
angriffslustig und unbequem
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dass der Autor bei aller Erfahrung als linker Anwalt in der restaurativen Zeit der BRD in den Jahrzehnten nach '45 trotzdem Menschenfreund geblieben ist, empfindet der Rezensent als ein kleines, erfreuliches Wunder. Liest Peter Henkel die von Heinrich Hannover hier zusammengestellten Fälle von Komplizenschaft, Korpsdenken, hochrichterlicher und sämtlichen Fakten Hohn sprechender Infamie und getricksten und verschleppten Verfahren an den Gerichten nach, wird ihm selbst ganz anders. Hannovers damals gehaltene Plädoyers für Pazifisten und linke Rebellen wie Daniel Cohn-Bendit richten ihn durch ihre kritische Sicht und ihre Menschenfreundlichkeit wieder auf.

© Perlentaucher Medien GmbH