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Klaus Bittermann hat ein Faible für Randfiguren. Sehr trocken und nicht ohne Witz beschreibt er kleine Alltagsszenarien aus seinem Viertel, in dem Touristen, Vandalen, Zopfträger, Alteingesessene, Eigenbrötler, Backfische, Rucksack- und Fahrradhelmträger wild durcheinanderlaufen, und das auch noch völlig ohne Plan.

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Produktbeschreibung
Klaus Bittermann hat ein Faible für Randfiguren. Sehr trocken und nicht ohne Witz beschreibt er kleine Alltagsszenarien aus seinem Viertel, in dem Touristen, Vandalen, Zopfträger, Alteingesessene, Eigenbrötler, Backfische, Rucksack- und Fahrradhelmträger wild durcheinanderlaufen, und das auch noch völlig ohne Plan.
Autorenporträt
Klaus Bittermann, Herausgeber von inzwischen über 30 Anthologien und Beiträger für selbige. Schreibt Woche für Woche in der jungen Welt die "Blutgrätsche", die Wahrheit über den Bundesligaspieltag, kolumniert monatlich "Das Whos who peinlicher Personen" und veröffentlicht in der taz "Berliner Szenen", merkwürdige Begebenheiten aus dem Kreuzberger Biotop, nicht zu vergessen den Blog.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2011

11. Letzter Hort des Widerstands

Ehrlich gesagt ist der Titel das Beste: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol" - darin steckt so viel schlecht gelauntes, aufrichtig empörtes Unverständnis gegenüber Leuten, denen Lifestyle über Haltlosigkeit, ein gepflegtes Ambiente über gepflegtes Trinkertum geht, dass man es ganz einfach auch "Humanität" nennen könnte, vielleicht sogar in dem Sinne, den aber Klaus Bittermann kaum gemeint haben dürfte, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird, wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren wird oder so. Und Bittermann ist sogar so ehrlich und gibt gleich auf der zweiten Seite zu, dass die Idee dazu nicht von ihm stammt, sondern von einem Mitglied der RAF - der "Rest-Alkohol-Fraktion", jenem letzten Hort des Widerstands in Berlin-Kreuzberg, wo Bittermann seine Runden dreht und aufschreibt, was ihm auffällt. Es ist eine Menge, aber nicht alles ist mitteilenswert, und vor allem hat nicht jede dieser ein- bis dreiseitigen, alltäglichen Episoden eine Pointe. Genau genommen hat nicht eine einzige eine; es muss sich dabei wohl um ein Stilprinzip handeln: Der Flaneur beendet, den Kragen seines schmuddeligen Mantels hochschlagend, eine Zigarette anzündend oder verächtlich wegwerfend, seine Durchsage an den Leser in dem Bewusstsein, dass das Leben selbst ja auch keine Pointen hat.

Sobald man sich daran gewöhnt hat, beginnt auch dieses Tiamat-Buch Freude zu machen. Im Prinzip funktioniert es wie die Sendung "Dittsche", nur dass Bittermann frei herumläuft und nicht nur auf einen Imbissbudenbesitzer und -besucher einredet. Wenn es auch nicht mehr originell ist, sich unbedingt von den sich für was Besseres haltenden Kreisen abheben zu wollen, die Berlin in den vergangenen zwanzig Jahren umgekrempelt haben, so ist diese spezielle, vorsätzlich anmutende Heruntergekommenheit, die Bittermann ausstellt, diese Instinktsicherheit, mit der er die schäbigsten Lokale anläuft, ausgesprochen herzerwärmend. Sicherlich gibt es aufregendere Bücher in der Edition; aber wenn einer das Recht hat, den Ball auch mal flach zu halten, dann ist es ja wohl deren Verleger.

Edo Reents

Klaus Bittermann: "Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol. Kreuzberger Szenen". Edition Tiamat, 192 Seiten, 14 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011

Eine Meldestelle im Flugsand errichten
Urgestein trifft Occupy – aber welche Farbe hat Berlin? Klaus Bittermann und David Wagner beobachten die sich rapide wandelnde Hauptstadt
Beschreibungen von Berlin werden schnell zu Kampfschriften ums richtige Leben, und sonderbarerweise wird das anderswo, wo weniger programmatisch gewohnt wird, gar nicht ungern gelesen. Das gute, umwelt- und familienfreundliche Leben im neuen Prenzlauer Berg soll dann als das ganz falsche entlarvt werden: ein neues Biedermeier. Der gleiche Kampf wird längst um Kreuzberg geführt, nur dass dieser Bezirk noch nicht verloren sein soll an Mütter, Kinderwagen, Bioläden und die bösen, bösen Touristen. Doch überall drängen die Zuzügler aus den Provinzen den abgebrühten Einheimischen ihr Spießertum auf. Bloß, dass diese Einheimischen oft genug selbst als Provinzflüchtlinge begonnen hatten, vor allem in Kreuzberg. Berlin bleibt Flugsand, und wird auf Dauer seine zersetzende Kraft bewähren. Warten wir ab, bis der neue Prenzlauer Berg in die Pubertät kommt.
Einstweilen kann man sich die Zeit vertreiben mit zwei Sammlungen von Beobachtungen, die bleiben werden, weil sie den Moment aufbewahren. „Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol“ nennt Klaus Bittermann, der Doyen der Kreuzberger Literatur, seine Sammlung von Glossen. Sie sind so gut wie der Titel. Von seinem Wohnort nahe der Admiralsbrücke aus – sie verbindet SO 36 und Kreuzberg 61, den struppigen und den weniger struppigen Teil des Bezirks und ist neuerdings Stätte berüchtigter, von den Anwohnern erfolglos bekämpfter sommerlicher Biernächte des internationalen Jugendtourismus – beobachtet Bittermann den unaufhaltsamen Wandel seiner Lebenswelt. Seine Sympathie gehört dem Verschwindenden, den dunklen, verrauchten Punkschuppen, wo der Trinker und der Hertha-Fan noch regiert, wo Bommi Baumann Lesungen abhält und Gesundheit nicht der Maßstab aller Dinge ist.
Freilich, längst wachsen auch hier in der Nachbarschaft Salumerien, und selbst Bittermann trinkt zur offensiv genossenen Zigarette gern Latte macchiato. Dabei bewahrt er sich einen stoischen Tonfall in der niederen Frequenz des Hard-boiled-Romans von Raymond Chandler. Szene vom 1. Mai, dem Kiezfeiertag: „Am Ende des Lasters steht ein ganz junger Mensch. Er hält sehr gewissenhaft das Seil, hat rotgrüne Haare und ungefähr zwei Pfund Metall im Gesicht. Er verzieht keine Miene. Mit dem Metall geht das vielleicht auch gar nicht.“ „Da will ich nur Spaghetti essen, fragt mich die Bedienung: ,Geht's Ihnen gut?‘ Eigentlich schon, aber jetzt, wo mich die Frau fragt, geht’s mir auf jeden Fall schon mal ziemlich schlecht.“ Da hilft nur die Flucht in die düstere und ganz zu unrecht so heißende „Milchbar“ in der Manteuffelstraße, „denn hier ist man vor sensiblen Bedienungen sicher“. Schön zu lesen ist das und gar nicht unkomisch, vor allem wenn Bittermann seinen Kiez verlässt und durch eine Unibesetzung spaziert, weil da Toni Negri auftreten soll: Urgestein trifft Occupy.
Feiner, stiller, noch genauer ist der zwanzig Jahre jüngere David Wagner, der einzige deutsche Schüler Nicholson Bakers. Seine in zehn Jahren entstandenen Berlin-Glossen („Welche Farbe hat Berlin?“) übersetzen den Riesenprozess der Berliner Gesellschaftsbildung in ein Mosaik aus Straßenbildern, die man später einmal im Archiv wird nachprüfen können. „Wo Rossmann war, ist nun Kochhaus. Wo der Kleiderladen Meldestelle heißt, war im ersten Stock das Einwohnermeldeamt. Es gab eine Stadtbücherei, ein kleines Stück in die Pappelallee hinein, der Kiosk unter der Hochbahn ist verschwunden.“ Nicht nur, wer sich einst selbst noch in der „Meldestelle“ im DDR-Mief zu registrieren hatte, ist dankbar für solche Kataloge des Verschwindens.
Aber Wagner weiß auch, dass genau hier der DDR-Halbstarken-Film „Berlin – Ecke Schönhauser“ von Wolfgang Kohlhaase spielte, und zwar im Jahr 1957! Und er wirft schon mal den Blick nach vorn in eine ferne Zukunft: Was wird aus all den „Hostels“, wenn es keine Billigflieger mehr gibt? „Was, wenn Berlin eines fernen Tages reich und unsexy sein und es total uncool sein wird, nach Berlin zu kommen? Wird man die Hostels den veränderten demographischen Verhältnissen anpassen und in Altersheime umwandeln können? Die Avantgarde der Pensionisten hat sich die besten Plätze bereits gesichert. Seit Jahr und Tag schon gibt es den Ruhesitz am Zoo, ein Altersheim vom Weinsbergweg und eines am Hackeschen Markt, den Höfen gleich gegenüber.“
Welche Farbe hat Berlin? Ganz viele Farben hat es, und Wagners Aufzählung wird zum poème en prose : „Hell-Elfenbein? Sanssouci-Gelb? Lindgrün? Blau? Ist der berlinblaue Himmel, wenn er denn mal zu sehen ist, nicht die größte gleißende Farbfläche über der Stadt? Oder ist die Himmeltönung doch eher wolkengrau, gedeckt verwaschen? Waschbetongrau? Plattenbaubunt?“
Zwanzig Jahre Geschichte überspannen solche Adjektive: Früher war Berlin braunkohlegrau und bröckelbraun und nun: „In seinen Wohnungen hat Berlin die Honigfarbe von abgezogenen Dielen unter stuckweißen Decken.“ GUSTAV SEIBT
Klaus Bittermann
Möbel zu Hause, aber kein Geld für Alkohol
Kreuzberger Szenen. Edition Thiamat. Berlin 2011, 191 Seiten, 14,00 Euro.
David Wagner
Welche Farbe hat Berlin?
Verbrecher Verlag, Berlin 2011.
215 Seiten, 14,00 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Schön zu lesen, diese kleinen Dinger, freut sich Rezensent Gustav Seibt, so schön wie der Titel. Allerdings haben Klaus Bittermanns Glossen auch archivalischen Wert für ihn. Denn: So wie hier festgehalten, wird Berlin nicht mehr sein, nein, auch Kreuzberg nicht, da macht er sich keine Hoffnungen. Punkschuppen, wie sie Bittermann gern frequentiert, Hertha-Fans - sie müssen der Latte-Fraktion weichen. Das wird auch der stoische Tonfall des Autors nicht hindern. Nur gut, dass Seibt dann noch bei Bittermann nachschlagen kann, wie's einmal war.

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