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Der Dichter Stefan George und sein Gelehrten- und Künstlerzirkel als Herausforderung für die Wissenschaften des frühen 20. Jahrhunderts.»Von mir aus führt kein Weg zur Wissenschaft.« Stefan Georges Diktum scheint keinen Zweifel an der wissenschaftsfernen Haltung von Dichter und Kreis zu lassen. Gleichwohl sieht sich das gesamte zeitgenössische Geistesleben durch den Gelehrten- und Künstlerzirkel, dem u. a. der Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf, der Historiker Ernst H. Kantorowicz und der Ökonom Edgar Salin angehörten, herausgefordert. Der Band konzentriert sich auf die…mehr

Produktbeschreibung
Der Dichter Stefan George und sein Gelehrten- und Künstlerzirkel als Herausforderung für die Wissenschaften des frühen 20. Jahrhunderts.»Von mir aus führt kein Weg zur Wissenschaft.« Stefan Georges Diktum scheint keinen Zweifel an der wissenschaftsfernen Haltung von Dichter und Kreis zu lassen. Gleichwohl sieht sich das gesamte zeitgenössische Geistesleben durch den Gelehrten- und Künstlerzirkel, dem u. a. der Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf, der Historiker Ernst H. Kantorowicz und der Ökonom Edgar Salin angehörten, herausgefordert. Der Band konzentriert sich auf die Geschichtsbilder des Kreises. Der interdisziplinäre Zuschnitt trägt dabei den vielgestaltigen künstlerischen, poetischen und wissenschaftlichen Begabungen im Kreis Rechnung. Aus unterschiedlicher Perspektive nähern sich Historiker und Kunsthistoriker, Literatur- und Wirtschaftswissenschaftler den Geschichtsbildern. Sie fragen nach deren geisteswissenschaftlichen Traditionen und methodischen Grundlagen, beschreiben aber auch Modellierung und Rezeption. Inhalt:Barbara Schlieben, Olaf Schneider und Kerstin Schulmeyer: Geschichtsbilder im George-Kreis: Wege zur WissenschaftOtto Gerhard Oexle: Georg Simmels Philosophie der Geschichte, der Gesellschaft und der KulturUlrich Muhlack: Mittelalter und Humanismus - Eine EpochengrenzeOliver Ramonat: Demokratie und Wissenschaft bei Friedrich Gundolf und Ernst KantorowiczUlrich Raulff: »In unterirdischer Verborgenheit«. Das geheime Deutschland - Mythogenese und Myzel. Skizzen zu einer Ideen- und BildergeschichteGundula Grebner: »Italisches« bei Ernst Kantorowicz: Zur Selbstdeutung einer GenerationUte Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. Ein VersuchSebastian Schütze: Ein Gotiker im Georgekreis: Melchior Lechter und die Erneuerung der Kunst aus dem Geist des MittelaltersWolfgang Christina Schneider: »Heilige und Helden des Mittelalters«. Die geschichtliche »Schau« Wolframs von den Steinen unter dem Zeichen Stefan GeorgesBertram Schefold: Edgar Salins Deutung der »Civitas Dei«Johannes Fried: Zwischen »Geheimem Deutschland« und »geheimer Akademie der Arbeit«. Der Wirtschaftswissenschaftler Arthur SalzKlaus Reichert: Gundolfs Geschichtsschreibung als LebenswissenschaftMichael Thimann: Mythische Gestalt - magischer Name - historische Person. Friedrich Gundolfs Bibliothek zum Nachleben Julius Caesars und die TraditionsforschungStephan Schlak: Der motorisierte Percy Gothein. Anmerkungen zu einem bewegten Fall im George-KreisOlaf B. Rader: »Gemina persona«. Über die politischen, ästhetischen und rezeptionsgeschichtlichen Körper des Ernst H. KantorowiczUlrich Raulff: Die amerikanischen Freunde: Erich von Kahler, Ernst Kantorowicz und Ernst MorwitzEckhart Grünewald: Das Reich und das »wahre Deutschland«. Die Bedeutung Stefan Georges für Heinrich Prinz zu Löwenstein (1906-1984), den Organisator der »Deutschen Akademie der Künste und Wissenschaften im Exil«
Autorenporträt
sind am Historischen Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main als Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte beschäftigt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.07.2004

Dialektik der Fußnote
Das Wertvolle mit Ehrfurcht darstellen: Über die geschichtliche „Schau” im George-Kreis
Zu den heute allgemein anerkannten Standards wissenschaftlichen Arbeitens gehören unter anderem Transparenz, Plausibilität und Unvoreingenommenheit. Dies war im Lauf des 20. Jahrhunderts keineswegs immer so, etwa als sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Stimmen der Kritik an einer Wissenschaft äußerten, die unter dem Postulat der Objektivität zu Werteverlust und Orientierungslosigkeit führe. Eine dieser Stimmen war die des Dichters Stefan George (1868 bis 1933), der in existentieller Radikalität die Einheit von Kunst und Leben vertrat.
Eine solche Position im Poetischen hätte wohl kaum jemanden in der akademischen Arena interessiert, hätte George nicht eine Reihe jüngerer Freunde gehabt, die von verschiedenen Lehrstühlen aus oder auf dem Weg dorthin die Gelehrtenszene aufmischten.
Den Angriff startete 1910 das Jahrbuch für die Geistige Bewegung, in dem historische „Schau” gegen Analyse, Mythos gegen Positivismus, „das Ganze” gegen Zergliederung gestellt wurde. Bis Anfang der dreißiger Jahre folgte eine Reihe von Monographien über historische oder geistige „Heroen”, die zum Teil - darunter fallen Friedrich Gundolfs Buch über Goethe oder Ernst Kantorowicz’ Darstellung Kaiser Friedrichs II. - hohe Auflagen und große Resonanz erzielten. Die etablierten Ordinarien, „die Bonzen” im Sprachgebrauch des George-Kreises, anerkannten zähneknirschend die stilistische Höhe der Darstellung, lehnten die Arbeiten aber als unwissenschaftlich ab.
Festgemacht wurde die Kritik an der „Wissenschaftskunst” unter anderem an fehlenden Fußnoten, als ließe sich, so die Entgegnung aus dem George-Kreis, mit diesen „das Wesentliche beweisen”. Tatsächlich ging es um essentiellere Fragen, nämlich um die Grundauffassung der Georgeaner. Diese betrieben monumentalische Geschichtsschreibung im Sinne Nietzsches, indem sie - anders als die „Durchblicker” - nicht kritisch zersetzen, sondern das Wertvolle mit Ehrfurcht vor den Leistungen der Vergangenheit darstellen wollten.
Ziel dieser Historiker als „Hüter der Bildung” war es, menschenformend zu wirken, die „ewigen Werte” zu vermitteln, die in den Heroen und Mythen Gestalt gewonnen hätten. In die derart aufgerichteten Bilder des „Geheimen Deutschland” projizierten die Georgeaner ihre Sehnsucht nach Einheit, Ordnung, Wesen und Substanz - aus heutiger Sicht absurd, aber nicht unzeitgemäß für eine vom Modernisierungsprozess erschütterte Gesellschaft.
Auch wenn sich gemeinsame Merkmale eines Wissenschaftsstils des George-Kreises herausarbeiten lassen, waren die Werke dieser höchst produktiven Gelehrtengruppe keineswegs einheitlich, was auch zu internen Kontroversen führte: so verteidigte Arthur Salz den „werturteilsfreien” Soziologen Max Weber, während Erich von Kahler ihn angriff. Und sogar in einzelnen Biographien kam es zu Wandlungen: nach dem ernüchternden Bruch mit George schrieb Gundolf weniger kultisch, und in der Emigration wurden Kantorowicz’ Arbeiten ergebnisoffener und erkenntnisbescheidener.
Sind diese Probleme, 2002 auf Tagungen in Halle und Frankfurt am Main behandelt und jetzt in einem schön edierten Band nachzulesen, bloße Spiegelfechtereien, Reminiszenzen längst verjährter Fragen? Richtlinienkompetenz ist heute nur ein Fachwort der Verwaltungssprache, und kein Historiker wird mehr Deutungshoheit für den Lebenssinn beanspruchen. Aber die Auseinandersetzung mit Wegen und Irrwegen der „historischen Schau” gehört zu einer Problemgeschichte, der Fragestellungen produktiver sind als überholte Antworten. Die Reflexion über unterschiedliche Arten historischer Darstellung kann zur Selbstvergewisserung der Zunft beitragen - und zur Bestätigung ihrer wissenschaftlichen Standards.
MICHAEL PHILIPP
GESCHICHTSBILDER IM GEORGE-KREIS. Wege zur Wissenschaft. Herausgegeben von Barbara Schlieben, Olaf Schneider und Kerstin Schulmeyer. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 400 Seiten, 40,- Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2004

Anschwellender Forschungsdrang
Ein Band versammelt hochkarätige Studien über die Geschichtsbilder im George-Kreis

Die Forschung über den George-Kreis, in der alten Bundesrepublik eine Art Zonenrandgebiet der Literatur- und Geistesgeschichte, in der DDR eine stillgelegte Zeche, hat sich im letzten Jahrzehnt in eine blühende Landschaft verwandelt. Jahr um Jahr erscheinen umfangreiche und durchweg hochkarätige Untersuchungen, Tagungen und Symposien jagen sich in dichter Folge, und dies längst nicht mehr nur in Deutschland. Woher diese plötzliche Betriebsamkeit rührt, ist alles andere als klar. Denkbar, daß es sich um einen offshoot der Debatte um Botho Strauß' verstörenden Essay "Anschwellender Bocksgesang" von 1993 handelt; denkbar, daß man es mit einer "Wiederkehr des Verdrängten" zu tun hat, wie Olaf B. Rader in einem der Beiträge des vorliegenden Bandes vermutet; denkbar aber auch, ganz schlicht, daß dieses Forschungsfeld gegenwärtig wie nur wenige andere Objekte für die basalen Antriebskräfte nichtorganisierter Wissenschaft bietet: für Neugier und Entdeckerlust. Ein Kreis von einigen Dutzend Personen, in deren Schicksalen sich die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts spiegelt, die darüber hinaus produktiv und manchmal schreibselig bis zum Abwinken waren, das ist eine veritable Goldgrube, die auf Jahre hinaus immer neue Funde verspricht.

Einen guten Eindruck von dem, was hier alles zu holen ist, vermittelt der vorliegende Band, der die Beiträge zu einer George gewidmeten Sektion des Deutschen Historikertages 2002 in Halle mit denen zu einem kurz darauf in Frankfurt durchgeführten Symposion über die Mittelalterbilder des George-Kreises vereint. Mitten ins Zentrum führt Ute Oelmann mit einem Versuch über das Mittelalter in der Dichtung Georges, der sich gut mit Sebastian Schützes lesenswerter und großzügig bebilderter Studie über das Werk Melchior Lechters verbindet, der mit seiner buchkünstlerischen Gestaltung den Schriften Georges und seines Kreises zwischen 1897 und 1907 ein dezidiert gotisches Erscheinungsbild verliehen hat. Ebenfalls auf das Zentrum des Kreises bezogen sind die drei Beiträge, die sich mit Friedrich Gundolfs Verständnis von Geschichte und Geschichtswissenschaft sowie seiner einzigartigen Büchersammlung zum Nachleben Julius Cäsars befassen (Oliver Ramonat, Klaus Reichert, Michael Thimann).

Dem thematischen Schwerpunkt entsprechend nehmen die Historiker des Kreises den größten Raum ein. Zu ihnen gehört an erster Stelle Ernst Kantorowicz, der zwar erst spät zum George-Kreis gestoßen ist, mit seiner Monographie über Friedrich II. aber wohl die größte Resonanz gefunden hat; ihm widmen sich Oliver Ramonat, Olaf B. Rader und Ulrich Raulff. Weniger bekannt ist der Baseler Mittelalterforscher Wolfram von den Steinen, mit dem sich Wolfgang Christian Schneider in einer allerdings etwas distanzlosen, den Beitrag von den Steinens zur kulturgeschichtlichen Wende der Geschichtswissenschaft sehr überschätzenden Studie befaßt. Daß die Vorstellungen des Kreises auch auf ein prima facie so weit entferntes Gebiet wie die Wirtschaftsgeschichte auszustrahlen vermochten, zeigen am Beispiel von Edgar Salin und Arthur Salz die Arbeiten von Bertram Schefold und Johannes Fried.

Locker angekoppelt, aber immerhin mit dem Leitthema verbunden, sind weitere Ausführungen von Otto Gerhard Oexle über die Geschichtsphilosophie Georg Simmels, von Ulrich Raulff über die Ideen- und Bildergeschichte des "Geheimen Deutschland" und von Stephan Schlak über das enfant terrible des George-Kreises, Percy Gothein. Die Reflexionen von Ulrich Muhlack über die Epochengrenzen von Mittelalter und Humanismus führen dagegen ein Eigenleben und wirken in diesem Kontext deplaziert. Das ist um so mehr zu bedauern, als es einige empfindliche Lücken gibt, die eine Übersicht über die Geschichtsbilder im George-Kreis nicht unausgefüllt lassen sollte. Zu denken ist hier etwa an Friedrich Wolters, der immerhin 1923 auf einen Lehrstuhl für mittelalterliche und neuere Geschichte in Kiel berufen wurde und rege Aktivitäten zur Schaffung eines deutsch-nationalen Geschichtsbildes entwickelt hat, unter anderem mit der Herausgabe der "Heldensagen der germanischen Frühzeit", der "Stimmen des Rheins" oder des fünfbändigen Lesewerks "Der Deutsche"; an Kurt Breysig, den Verfasser monumentaler, zum Teil erst unlängst wiederaufgelegter Geschichtsdarstellungen, die in vielem Spengler vorwegnahmen; oder an Berthold Vallentin, der den Napoleon-Kult des Kreises begründete. Über die Geschichtsbilder des George-Kreises ist deshalb mit diesem Band vieles, aber noch nicht alles gesagt.

STEFAN BREUER

"Geschichtsbilder im George-Kreis". Wege zur Wissenschaft. Herausgegeben von Barbara Schlieben, Olaf Schneider und Kerstin Schulmeyer. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 400 S., 21 Abb. br., 40,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hochkarätige Studien fand Stefan Breuer in diesem Band zum Geschichtsbild des George-Kreises versammelt, besonders hervor hebt Breuer einen Beitrag von Ulrich Raulff über die Ideen- und Bildergeschichte des "Geheimen Deutschland". Auf der anderen Seite hat Breuer aber auch ein paar "empfindliche Lücken" gefunden, die "eine Übersicht" über die Geschichtsbilder im George-Kreis eigentlich "nicht unausgefüllt lassen sollte". So fehlten etwa Studien zu den Beiträgen, die Friedrich Wolters, Kurt Breysig und Berthold Vallentin zum Geschichtsbild des George-Kreises beigesteuert hätten.

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