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Mit seiner Zeitschrift "Der Arzt" setzte Johann August Unzer dem Aufklärungsjournalismus in Deutschland ein Glanzlicht auf. Der Erfolg der Wochenschrift war ohne Beispiel. Ein weitgehend Unbekannter, der in Altona praktizierende Mediziner und Journalautor Johann August Unzer (1727-1799) alias "Der Arzt" wurde über Nacht zu dem Arzt seiner Zeit. Er war in Deutschland, später auch in einigen Teilen Europas die wohl am häufigsten konsultierte Autorität in Gesundheitsfragen. Zugleich hielten ihn viele Zeitgenossen für einen der bedeutendsten Satiriker deutscher Sprache. "Der treffliche, in unsern…mehr

Produktbeschreibung
Mit seiner Zeitschrift "Der Arzt" setzte Johann August Unzer dem Aufklärungsjournalismus in Deutschland ein Glanzlicht auf. Der Erfolg der Wochenschrift war ohne Beispiel. Ein weitgehend Unbekannter, der in Altona praktizierende Mediziner und Journalautor Johann August Unzer (1727-1799) alias "Der Arzt" wurde über Nacht zu dem Arzt seiner Zeit. Er war in Deutschland, später auch in einigen Teilen Europas die wohl am häufigsten konsultierte Autorität in Gesundheitsfragen. Zugleich hielten ihn viele Zeitgenossen für einen der bedeutendsten Satiriker deutscher Sprache. "Der treffliche, in unsern Zeiten zu wenig erwähnte Unzer" (Jean Paul) erfährt durch die erste eingehende Untersuchung seines Meisterwerks eine seit langem fällige Würdigung. Am 2. April 1999 jährt sich Unzers Todedstag zum 200. Mal.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2000

Bei ihm wurde Dickleibigkeit zu Freudenfett
Johann August Unzer lehrte seine Leser leben: Matthias Reiber porträtiert den aufgeklärten Publizisten

Dass die Macht der Presse enorm ist, hat man nicht erst in den letzten Dezennien erkannt. Seit es periodische Druckwerke gibt, beeinflussen sie Denken und Handeln der Menschen. Einer der Frühen, die über mehrere Jahre eine einflussreiche Zeitschrift herausgaben, war Johann August Unzer.

Unzer wurde 1727 in Halle an der Saale geboren, zu einer Zeit, als der in seinen letzten Zügen liegende Absolutismus und die mit ihm groß gewordene Metaphysik von den aufklärerischen Bestrebungen eines erstarkenden Bürgertums zunehmend attackiert wurden. Im sittenstrengen, von Rationalismus und Pietismus geprägten Halle erlebte Unzer, wie einzelne Persönlichkeiten, namentlich die Professoren Georg Friedrich Meier und Johann Gottlob Krüger, die starre Kruste metaphysischer Worthülsen aufbrachen und durch naturwissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse ersetzten. Zugleich wurde die Sprache der Wissenschaft verständlich: Latein wurde zunehmend durch Deutsch ersetzt.

In dieser Zeit der Umwälzung absolvierte Johann August Unzer sein Medizinstudium, beendete es 1749 mit der Promotion, verließ Halle und zog mit seiner Ehefrau Johanna Charlotte ins damals dänische Altona. In diesem Zentrum der Aufklärungsbewegung, unter "der sanftesten Regierung des gnädigsten Monarchen von der Welt" (Unzer), praktizierte er als Arzt, baute zugleich einen Handel mit Arzneiwaren auf und publizierte nebenher philosophisch-medizinische Schriften. Es war die Zeit der moralischen Wochenschriften, einem aus England stammenden Genre ("The Spectator"), das die neue Klasse des wirtschaftlich und politisch erstarkenden und bildungsbeflissenen Bürgertums mit Unterricht und Aufklärung bediente. 1753 begann Unzer selbst, eine solche Zeitschrift herauszugeben: die "Gesellschaftlichen Erzählungen für die Liebhaber der Naturlehre, der Haushaltungs-Wissenschaft, der Arzney-Kunst und der Sitten". Dieses Projekt verfolgte er zwei Jahre, gab anschließend den "Physikalischen und ökonomischen Patriot" heraus und begann 1759 mit dem Werk, das ihn berühmt machte: der medizinischen Wochenschrift "Der Arzt".

Dessen bemerkenswerter Erfolg rührte vor allem aus zwei Umständen: dem Interesse des Publikums an populärmedizinischen Themen und der glücklichen Hand des Schriftstellers Unzer, dem es gelang, in seiner kurzweiligen, von sanftem Humor geprägten Schreibweise den Ton zu treffen, der den Leser berührte. Unzer wollte sein Publikum mit naturwissenschaftlichem Grundwissen versorgen, ihm eine auf Erkenntnissen aufbauende umfassende Menschenkunde vermitteln und es ihm so ermöglichen, sich eine Lebensordnung einzurichten, die ihm nicht nur nützlich sei, sondern auch dem damals angestrebten Ideal der individuellen und gesellschaftlichen Glückseligkeit nahe komme.

"Der Arzt" befasste sich mit allem, was nur im Entferntesten mit einer gesunden Lebensweise zu tun hatte. Abhandlungen von der "Wirkung fettiger Speisen im menschlichen Körper", vom "Triebe zur Fortpflanzung des Geschlechts", vom "Glückwünschen beim Nießen", vom "Gebrauche des Weins in hitzigen Krankheiten": Nichts Menschliches war der Zeitschrift fremd. Auch kannte "Der Arzt" keine Grenzen, wenn es darum ging, bereits Publiziertes seiner Leserschaft zu präsentieren. Den Prinzipien des Eklektizismus folgend, war Unzer - darin durchaus zeittypisch - nicht eben heikel bei der Übernahme fremder Ideen. Seine Gedanken präsentierte Unzer abwechslungsreich in Form kurzer Aufsätze, fingierter Leserbriefe, kleiner humoristischer Theaterstücke, so dass der Leser durch ein Panoptikum des aktuellen Standes der Naturwissenschaften, der Krankheitslehre und der gängigen therapeutischen Möglichkeiten geführt wurde. "Die schwere Kunst, wie man vernünftig fröhlich ist" (Johanna Charlotte Unzer), wurde so etwas wie Unzers Markenzeichen. Er wurde damit einer der berühmtesten Zeitschriftenherausgeber seiner Zeit.

Matthias Reiber hat im Rahmen seiner Dissertation Unzers Leben und Werk rekonstruiert und vor allem den "Arzt" hinsichtlich seines Inhalts, seiner Form und seiner Wirkung untersucht. Dabei ist ein solides Werk mit reichem Zitatenschatz und erschöpfendem Literaturapparat entstanden, das sich trotz seiner ursprünglichen trocken-akademischen Zielsetzung kurzweilig liest. Wie schon Unzer selbst bemüht sich Reiber, auf die sprachliche Eleganz seiner Arbeit mindestens ebenso viel Mühe zu verwenden wie auf den Inhalt. Dabei bleibt Reibers offensichtliche Sympathie für sein Forschungsobjekt nicht unbemerkt. Zufrieden notiert er die wohlwollenden Kritiken bis hin zu Goethe und Jean Paul, und mit spürbarer Erregung berichtet er über jene, die an Unzer nicht gar so viel Gefallen fanden und finden wie er selbst.

ZuUnzers Zeit war es der Altonaer Arzt Johann Friedrich Struensee, der spätere dänische Minister, der in Hamburg eine Schmähschrift veröffentlichte, in der er Unzer wegen der von ihm vertriebenen und im "Arzt" angepriesenen Arzneien angriff. Unzers Reputation war indes so groß, dass er diese Attacke schadlos überstand. In heutiger Zeit ist es der Struensee-Forscher Stefan Winkle, der als Anwalt seines Helden bemüht ist, auf Unzers Weste dunkle Flecken zu entdecken. Reibers sonst so zurückhaltende Diktion gewinnt unversehens an Schärfe, wenn es um die Auseinandersetzung zwischen Struensee und Unzer geht. Wer es bisher nicht gemerkt hat, der spürt spätestens jetzt, dass Reiber auf seinen Unzer nichts kommen lässt.

Aus heutiger Sicht ist Unzers "Arzt" wohl am ehesten vergleichbar mit dem Genre der Fernsehsendungen medizinischen Inhalts, die einem unterschiedlich vorgebildeten, allemal aber interessierten Publikum gelten. So gesehen, ist "Der Arzt" eine der ersten aufklärerischen Publikationen zu medizinischen Themen in einer langen Reihe. Matthias Reiber ist es zu danken, auf den "trefflichen, in unseren Zeiten zu wenig erwähnten Unzer" (Jean Paul) aufmerksam gemacht zu haben. Die Qualität seiner Arbeit, der Sach- und Namensregister gut getan hätten, macht Lust, sich mit den Originalschriften zu beschäftigen. Vielleicht nimmt ein Verleger Reibers Buch zum Anlass für einen Nachdruck. Lesenswert wäre "Der Arzt" auch heute noch allemal, wie die wenigen Auszüge in Reibers Arbeit bezeugen.

GANGOLF SEITZ.

Matthias Reiber: "Anatomie eines Bestsellers". Johann August Unzers Wochenschrift "Der Arzt" (1759-1764). Das 18. Jahrhundert, Supplementa, Band 8. Wallstein Verlag, Göttingen 1999. 439 S., br., 116,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Auf vergnügliche Weise gebildet hat sich Hildegard Elisabeth Keller mit diesem "Präparat" aus dem "Keller der Aufklärungsforschung". Der Autor, "transdisziplinär interessierter Anatom", wie Keller schreibt, seziert sein Objekt literatur-, medizin- und kulturgeschichtlich und fügt noch eine passable Bibliografie hinzu. Dem Leser beschert das nicht nur wissenschaftshistorische Kenntnisse über das 18. Jahrhundert, sondern ebenso das Bild des Arztes Johann August Unzer und seines Periodikums als satirisch-zeitkritisches Gespann. Anlass genug für eine "differenzierte Revision" von Forschungsergebnissen zur "philosophisch imprägnierten Medizin ab der Jahrhundertmitte", findet Keller.

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