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Der Briefwechsel zweier außergewöhnlicher Frauen läßt die Geschichte der Psychoanalyse in neuem Licht erscheinen.Der umfangreiche Briefwechsel zwischen Lou Andreas-Salomé und Anna Freud dokumentiert eine außergewöhnliche Freundschaft. Die Psychoanalyse und Sigmund Freud, das Wichtigste in beider Leben, ist darin von zentraler Bedeutung. Die Briefe bilden zusammen mit der Korrespondenz zwischen Freud und den beiden Frauen ein Dreieck, das einmalig in der Geschichte der Psychoanalyse ist.Anna Freud hatte, gerade 26jährig, ihre erste Analyse bei ihrem Vater beendet, und Lou Andreas-Salomé,…mehr

Produktbeschreibung
Der Briefwechsel zweier außergewöhnlicher Frauen läßt die Geschichte der Psychoanalyse in neuem Licht erscheinen.Der umfangreiche Briefwechsel zwischen Lou Andreas-Salomé und Anna Freud dokumentiert eine außergewöhnliche Freundschaft. Die Psychoanalyse und Sigmund Freud, das Wichtigste in beider Leben, ist darin von zentraler Bedeutung. Die Briefe bilden zusammen mit der Korrespondenz zwischen Freud und den beiden Frauen ein Dreieck, das einmalig in der Geschichte der Psychoanalyse ist.Anna Freud hatte, gerade 26jährig, ihre erste Analyse bei ihrem Vater beendet, und Lou Andreas-Salomé, 60jährig, hatte den Höhepunkt ihrer psychoanalytischen Karriere erreicht, als sich die beiden durch Freuds Vermittlung in Wien kennenlernten.Verbindende Elemente in der Korrespondenz zwischen Lou Andreas-Salomé und Anna Freud sind Rilkes Duineser Elegien ebenso wie die Diskussionen zu »Schlagephantasien und Tagträume«. Der ganz persönliche Blick auf die psychoanalytische Bewegung - beispielsweise auf Otto Rank und Max Eitington, auf Helene Deutsch und Melanie Klein, auf Freuds gerade entstehende Schriften und auf Veröffentlichungen anderer Analytiker - läßt die Geschichte der Psychoanalyse in neuem Licht erscheinen. Auch zeitgenössische kulturelle und politische Entwicklungen in Österreich und Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen werden aus der Perspektive beider Frauen erkennbar.
Autorenporträt
Lou Andreas-Salomé (1861-1937), geb. Louise von Salomé, war eine russisch-deutsche Schriftstellerin und Psychoanalytikerin. Sie pflegte Freundschaften und Beziehungen zu namhaften Zeitgenossen wie Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke und Sigmund Freud und war für ihren unkonventionellen Lebensstil bekannt.

Anna Freud, geb. 1895, war eine österreichisch-englische Psychoanalytikerin und Tochter des berühmten Sigmund Freud. Sie war ausgebildete Volksschullehrerin, bevor sie von ihrem Vater in die Psychoanalyse eingewiesen wurde. Sie gilt als Begründerin der Kinderanalyse.

Daria A. Rothe, geb. 1936, lehrte Germanistik an der University of San Diego und der University of Michigan. Sie veröffentlichte neben Beiträgen über Rilke und Kokoschka in literaturwissenschaftlichen Zeitschriften den Titel »Rilke and Russia: a re-evaluation« (1990).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2002

Über einem Abgrund von Tabus
Lou Andreas-Salomé und Anna Freud schreiben einander

Gestiftete Freundschaft ist eine zerbrechliche Pflanze, die zumindest im heutigen, von der freien Wahl bestimmten Klima selten gedeiht. Auch vor achtzig Jahren war das Unternehmen, zwischen einem nonnenhaften jungen Mädchen und einer sinnlichen, lebensdurstigen Sechzigjährigen intime Bande zu knüpfen, ein unwahrscheinliches Projekt. Daß es zustande kam, lag an der Virtuosität des Fädenziehers, keines Geringeren als Sigmund Freud, der die Bedürfnisse seiner Tochter Anna so genau kannte wie den großzügigen Charakter seiner in Göttingen angesiedelten Lieblingsschülerin, der "Frau Lou".

Freud mag sich von Andreas-Salomé einen fördernden Einfluß auf Annas Spätentwicklertum erhofft haben. Auch schlechtes Gewissen spielte dabei wohl eine Rolle. Hatte er doch Ernest Jones' Werbung um die neunzehnjährige Anna einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht und damit, wie er langsam einsehen mußte, jeglichen erotischen Frühling seiner Jüngsten im Keim erstickt. Freuds Macht über Annas Unbewußtes war durch ihre beim Vater begonnene Analyse ins Unwägbare gewachsen. Ein erfahrener, weiblicher Gegenpol war der Vierundzwanzigjährigen bitter nötig, im häuslichen Frauengespann von Schwestern, Mutter und Tante aber kaum zu finden. Über Lou bahnte sich Freud ein zusätzlicher Weg in Annas Psyche, wobei dahingestellt bleiben muß, ob er mehr ihrer Genesung oder der Kontrolle diente.

Das Experiment jedenfalls ging glänzend auf, die Korrespondenz der Jungen mit der Alten bog nicht zuletzt dank Lous zutraulichem, zugleich höflichem und umstandslos direktem Ton sogleich in herzliche Gewässer ein. Der mit Freud in regelmäßigem Kontakt stehenden Göttingerin bescherte der Briefwechsel einen zusätzlichen Informationsfluß aus dem verehrten Haus an der Wiener Bergstraße. Außerdem durfte sie sich geschmeichelt fühlen, daß Freud sie für eine Ferntherapie seines eifersüchtig bewachten Lieblings ausgewählt hatte. Nicht zuletzt dieser Hintergrund macht die Briefe zu einer dichten Textur des Unausgesprochenen und Angedeuteten, zum Seiltanzakt über einem Abgrund von Tabus. Eine aufregende, kurzweilige Lektüre sind sie schon wegen der plastischen Ausdruckskraft der Korrespondierenden, der Geschmeidigkeit ihrer Wendungen und der unprätentiösen Originalität, mit der sie Einblick in den Alltag zweier Frauen geben, die jede auf ihre Art eine seltsame Mischung von Emanzipation und Rollenkonformismus praktizierten.

Zugleich geht es in ihrem Austausch um politische Gegenstände wie Inflation und die wachsende Präsenz der Nationalsozialisten, vor allem aber um kulturelle und philosophische Fragen, um die Schachzüge des innersten Freud-Kreises und die Verbreitung seiner Lehre wie nicht zuletzt um die Odyssee der Freudschen Krebserkrankung, seine Kuren und Klinikaufenthalte.

In den achtzehn Jahren, die der 1919 beginnende Briefwechsel umfaßt, hat Anna ihren Lehrerberuf aufgegeben und ist zur angesehenen Kindertherapeutin geworden. Zugleich wird sie zur engsten Kontaktperson, mehr und mehr zur Stellvertreterin und auch zur Krankenschwester ihres Vaters. Diese mit regelmäßigen Vorlesungen, Kongreßbesuchen und verantwortungsvollen Aufgaben in der "Wiener Psychoanalytischen Vereinigung" verbundene Position steigerte Annas Selbstbewußtsein und machte es für Lou Andreas-Salomé immer schwerer, hinter die Kulisse der Selbstgenügsamkeit zu dringen. Obwohl sie zweifellos das Problematische der symbiotischen Vater-Tochter-Beziehung durchschaute, war sie durch das Vertrauen, das Freud in sie setzte, befangen. Immer wieder bestärkte sie Anna in ihrer Aufopferungsbereitschaft, erteilte ihr gleichsam Absolution für die Ausschließlichkeit, mit der sie den Vater belegte.

Die Position der Mutter

Bei einem der wenigen persönlichen Treffen, 1925 am Urlaubsort der Familie Freud auf dem Semmering, lassen sich die latenten Spannungen nicht länger unterdrücken: "Ich fürchte immer", schreibt Lou zwei Jahre später, "in Dir stecken leicht solche sonderbare Sorgen, als müßtest Du sie haben, müßte irgendwo ein Tadel herausspringen, eine Unsicherheit, eine Unzufriedenheit, ein Pessimismus. Auf dem Semmering empfand ich das stark, so daß ich über vieles, über das meiste, zu verstummen begann." Anna nimmt sich ein halbes Jahr mit der Antwort Zeit, so unwillkommen ist ihr der launige Freimut. Der Brief habe sie "schrecklich gekränkt" - eine nachvollziehbare Reaktion, geht Lous Vorwurf doch den ganzen Charakter an. Zielsicher trifft die Göttinger Wortschmiedin ins Schwarze der von Anna nie ganz überwundenen Ich-Schwäche, ohne sich indessen - wohl aus Furcht vor dem Bruch mit Freud - auf das Terrain der pathologischen Vater-Identifikation zu wagen. Ein Verrat allerdings, den der neuerliche Briefverkehr auf sich beruhen läßt.

Symptomatisch für Andreas-Salomés Komplizenschaft ist ihre Selbststilisierung zu Annas "Schwester". Die Herausgeberinnen des Briefwechsels machen eine diesbezügliche Wendung zum Titel ihrer Ausgabe, und sicher ist etwas daran, daß Lou, die ihren Vater früh verlor, sich in solcher Phantasie an Freud einen Übervater anzudichten versuchte. Doch im ganzen läßt die Korrespondenz wenig Zweifel, daß Lou Andreas-Salomé die psychische Position der Mutter einnahm, einer Mutter, die Brief für Brief ihren Ansprüchen auf den Vater entsagte. Die Verrenkungen, durch die Anna das ödipale Dreieck auf die Spitze stellte und Lou zur Tochter degradierte, sind Legion. Zu den vor Symbolik knisternden Themen der Briefe gehören die Häkel- und Strickarbeiten, mit denen Anna ihre Freundin laufend beglückte. Kleider, Jacken und Decken sollten sie behüten und die auch im Dezember noch bei offenem Fenster schlafende Naturjüngerin wärmen. Doch der nicht abreißende, an ausführliche Bitten um präzise Körpermaße gekoppelte Strom der Gespinste erschöpft sich nicht in der Nützlichkeit: "Du, aber das mit dem Häkeln und der Wolle mußt Du - wahrhaftig analysieren!!" bekennt Lou schließlich. "Das geht doch gar nicht mehr!"

Sie weiß, wovon sie spricht. Denn das Maschenspiel ist schon in Annas Träumen gelandet: "Ich bin zu Dir gekommen", berichtet die Wienerin über ein Nachtgesicht, "aber nicht aufrecht gehend wie ein Mensch sondern bin quer über Deiner Schwelle gelegen und gekrochen. Und dann habe ich Dich immerfort gemessen." Anlaß für diese Geburtsphantasie vom Kriechen über die Schwelle war eine Rückfrage Lous, was denn "längslaufende Rippen" seien, "eine seltsame Krankheitsform" oder "Gewandrippen". Annas Unbewußtes verdichtete die witzige Bemerkung: Aus dem Gestrick wird ein verkrüppeltes Wesen mit seltsamer Krankheitsform, in dem sie sich selbst wiedererkennt. Zugleich ist sie jene Rippe, die es Adam ermöglichte, sich ohne den Umweg über das Sexuelle eine Partnerin zu zeugen.

Eingeschmuggelte Rabiatheiten

Es ist verführerisch, in dem unschuldig mitgeteilten Traum ein tiefer gehendes Geständnis über Annas Anspruch auf ihren Vater und das gleichzeitige Wissen zu lesen, daß diese Bindung ihre Entwicklung zu einer gesunden, auch erotisch reifen Frau verhindert hat. Von Lou wird das kriechende Zwitterwesen aufgenommen; sie zieht es nicht nur über die Schwelle, sondern leiht ihm auch ihre um so viel fraulicheren Maße und läßt, was immer sie über Annas Traumerzählung gedacht haben mag, wohlweislich im dunkeln.

Ihre Differenzen tragen die Frauen auf anderen Gebieten aus, vor allem in der Frage der Kinderanalyse, die Lou rundheraus mit der Begründung ablehnt, ein Kind habe Selbstheilungskräfte genug. Auch pädagogische Strenge, über die Anna angesichts der Kinderheim-Experimente ihrer Wiener Freundinnen viel nachdenkt, ist der in romantische Philosophie getränkten Freundin ein Graus.

Allerdings machte sie auch keine Bekanntschaft mit Annas Hauptanalysanden, den Kindern der Amerikanerin Dorothy Burlingham, über deren Ungezogenheit Vater Freud sich sogar brieflich ausließ. Auch Lous Versuche, über Themen wie weibliche Libidoverdrängung und die Sprache der Lust zu diskutieren, verlaufen im Sande: "Zum Heiraten bin ich nicht geeignet", erklärt Anna kurz und bündig, "nicht besser als ein Tisch oder ein Sopha oder mein eigener Schaukelstuhl." Selbst als Anna sich gemeinsam mit Burlingham einen Landhof kauft, bringt die neue Naturverbundenheit eher die Unterschiede zum Vorschein. Während Lou zu Wald, Wetter und Garten eine poetische Beziehung pflegt, geht Annas Sehnsucht auf die "Landwirtschaft". Sie züchtet Hühner und legt mit Hochgenuß Mistbeete an.

In einem Punkt allerdings war Lou Andreas-Salomé ihr uneingeschränktes und förderndes Vorbild: "Noch wie Du bei uns warst", schreibt Anna 1924, "war es mir sehr schwer, mit andern über Theoretisches zu sprechen, an Dir habe ich es überhaupt erst gelernt." Die Freundin wird ihr zum Sparringspartner und Korrekturleser, aber auch zur Muse und Komplizin gegenüber dem väterlichen Männerverein. In ihren Briefen mokiert sich Anna über die theorielastige "Geheimsprache für Psychoanalytiker", in ihnen hat sie ein Forum, auf dem sie von eigenen Unsicherheiten und Zweifeln handeln darf, ohne ihre Standpunkte dadurch zu entwerten. Selbst vom berühmten Charisma ihrer Freundin versucht sie auf diesem Wege etwas einzufangen - natürlich ausschließlich zum beruflichen Gebrauch: "Wie machst Du es, daß Deine Patienten immer gleich so stark gepackt sind?"

Andreas-Salomé genoß diese Bewunderung, auch wenn sie gelegentlich den Schleier der Empfindsamkeit durchschlug. Sehr erfrischend sind ihre eingeschmuggelten Rabiatheiten, ihre eigenwilligen Wortschöpfungen und ihre jugendliche Lust, unversehens in weltanschauliche Exkurse abzudriften. Außer daß sie sich hier und da eine "alte Fummel" nennt, macht sie von ihrem Altersvorsprung nie Gebrauch. Allerdings lobt sie die späten Jahre und schreibt das Verdienst für ihr Glück immer wieder der Freudschen Wissenschaft zu. Nicht nur diabetesbedingte Geh- und Sehbeschwerden hatte die Ergraute wegzustecken, sondern auch das Verhältnis ihres zwanzig Jahre älteren Mannes zur gemeinsamen Haushälterin. Lou machte das Beste daraus und putzte fortan ihre Räume selbst. Das Sterben dieser starken, mit einem großzügigen Herzen begabten Frau fällt - wohlverdient, möchte man sagen - mit einer letzten Liebesaffäre zusammen, von der sie Anna nur in Andeutungen erzählt. Während Lou Andreas-Salomés Fenster bis zum Schluß Tag und Nacht offenstanden, liebte die vor jeder Veränderung zurückscheuende Anna die Mausoleen. Über die Junihitze in Wien schreibt sie: "Merkwürdig war aber etwas dabei: nämlich daß es eigentlich nur die allerersten Tage arg war, dann hat man sich an diesen Zustand gewöhnt. Und ich glaube, wenn plötzlich aus irgendeinem Grund einem hier alle Fenster völlig zugemauert würden, für immer noch dazu, so würde man es zwar den ersten Tag etwas dunkel finden, dann aber das künstliche Licht anzünden, ruhig weiteranalysieren und sich auch daran gewöhnen."

INGEBORG HARMS

". . . als käm ich heim zu Vater und Schwester". Lou Andreas-Salomé - Anna Freud. Briefwechsel 1919-1937. Herausgegeben von Daria A. Rothe und Inge Weber. 2 Bände. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 908 S., geb., 84,- .

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der Kraftakt, der hinter dieser 900 Seiten starken Edition des Briefwechsels zwischen Lou Andreas-Salome und Anna Freud steht, ringt Ludger Lütkehaus durchaus Respekt ab. Er lobt den "riesigen Fleiß" der Herausgeberinnen, die die Korrespondenz komplett und ungekürzt veröffentlicht haben. Der Leser erhalte unter anderem Einblick in die unorthodoxen Behandlungstechniken im Hause Freuds, die Kämpfe um die Psychoanalyse in den zwanziger und dreißiger Jahren und natürlich die Entwicklung der Briefpartnerinnen und ihrer Beziehung zueinander. So "verdienstvoll" die Vollständigkeit auch sei, an einigen Stellen hätte sich der Rezensent aber doch Mut zur Lücke gewünscht: "Über beträchtliche Strecken korrespondiert dem Kaffeeklatsch über Nora der Strickwarenexzess. Fast beginnt man sich wieder nach Lieschen Nietzsches zupackender Arbeit am Text zu sehnen."

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