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Elisabeth ist Schauspielerin an einem renommierten Theater. Mit Holger, einem Arzt, lebt sie das, was man ein geordnetes, erfolgreiches Leben nennen könnte. Bis ein Fremder sie anruft und behauptet, ihr Bruder zu sein. Er sei sich ganz sicher und auch schon in der Stadt, ob sie sich sehen könnten. Bei ihrem Treffen zeigt er ihr ein Foto: ihr Vater und seine Mutter während der Olympischen Spiele in München, 1972. Elisabeths Geburtsjahr und das des halben Bruders. Seine Mutter sei gestorben, ob Elisabeth ihm mehr über seinen Vater erzählen könne. Sie deutet an, dass es nicht leicht war mit dem…mehr

Produktbeschreibung
Elisabeth ist Schauspielerin an einem renommierten Theater. Mit Holger, einem Arzt, lebt sie das, was man ein geordnetes, erfolgreiches Leben nennen könnte. Bis ein Fremder sie anruft und behauptet, ihr Bruder zu sein. Er sei sich ganz sicher und auch schon in der Stadt, ob sie sich sehen könnten. Bei ihrem Treffen zeigt er ihr ein Foto: ihr Vater und seine Mutter während der Olympischen Spiele in München, 1972. Elisabeths Geburtsjahr und das des halben Bruders. Seine Mutter sei gestorben, ob Elisabeth ihm mehr über seinen Vater erzählen könne. Sie deutet an, dass es nicht leicht war mit dem Vater, dem Flüchtling, dem Trinker, dem Soldaten. Elisabeth beginnt, einen Brief zu schreiben, in dem sie dem Bruder vom Leben des Vaters und ihrer Familie berichtet. Ein Leben im frostigen Schlagschatten der deutschen Geschichte, ein Leben, das an ihr klebt wie eine zweite Haut. Auf den Spuren des Vaters landet sie in dessen Geburtsstadt, die in jenem doppelt untergegangenen Land liegt, in dem für sie Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und Realität verschmelzen. Die echten und die erfundenen Gespenster der deutschen Geschichte tauchen in Elisabeths Leben wieder auf: das Politische, das Private, die Liebe, der Hass, Betrug und Wahrheit, das Theater und die Wirklichkeit. Eins wuchert im anderen herum. Über Generationen hinweg.
Autorenporträt
BjÖrn Bicker, geboren 1972, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen und Wien. Danach arbeitete er am Wiener Burgtheater. Von 2001 bis 2009 war er als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen engagiert und Miterfinder viel beachteter Stadtprojekte, angesiedelt auf der Grenze zwischen künstlerischer und politischer Praxis. Seit 2009 arbeitet er als freier Autor, Projektentwickler und Kurator. Er schreibt Theaterstücke, HÖrspiele und Essays und ist als Dozent für Dramaturgie und Szenisches Schreiben an verschiedenen Hochschulen tätig. Im Verlag Antje Kunstmann erschien 2009 sein Buch 'ILLEGAL'. Er lebt in München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2013

Vater morgana
Björn Bickers Romandebüt
„Was wir erben“
Elisabeth ist Schauspielerin in München, dieser großen Barockbühne für Spielernaturen und Illusionskünstler aller Art, der deutschen Hauptstadt sommerlicher Zeigefreude. Und im Sommer spielt auch Björn Bickers erster Roman „Was wir erben“, allerdings in einem Sommer des Missvergnügens, der bohrenden Fragen und entlarvten Lebenslügen. Denn das Fundament eines abgesicherten Lebens mit festem Vertrag und fester Beziehung erweist sich als der doppelte Boden einer Schmierenkomödie. Und Elisabeth fällt in die Tiefe der Verunsicherung.
  Alle Bindungen lockern sich, als die IchErzählerin von einem Tag auf den anderen an ihrem Beruf zu zweifeln beginnt. Und das liegt nicht nur an der verstrahlten Regisseurin, mit der sie gerade Gombrowiczs „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ einstudiert, natürlich nackt, denn man ist an einem fortschrittlichen Haus engagiert, also soll es der hippe, aufgerissene und total provokative Abend werden. Nein, es geht weniger um die „feige Kunstscheiße“, von der Bicker, in den Nullerjahren Dramaturg an den Münchner Kammerspielen und also Insider, einiges verstehen dürfte, sondern darum, dass Elisabeths Selbstbild plötzlich Risse bekommt. Während man auf der Bühne versucht, der Lüge Leben einzuhauchen, erscheint mit einem Mal das Leben als Lüge. Elisabeth ist unfähig, sich in andere Personen zu verwandeln, seit sie nicht mehr weiß, welche Person sie selbst ist. Alles steht auf der Probe.
  Ein Fremder behauptet, ihr Halbbruder zu sein. Als Beweis dient ein Foto, das Elisabeths Vater mit einer unbekannten Frau zeigt. Die Aufnahme wurde 1972 gemacht, dem Jahr der Olympischen Sommerspiele in München, in dem zugleich beide Kinder auf die Welt kamen, Elisabeth in Deutschland, der angebliche Bruder in Amerika. Und es entstand vor der Olympiaschwimmhalle, in der Mark Spitz seinerzeit Sportgeschichte schrieb und in der Elisabeth regelmäßig schwimmen geht.
  Die symbolische Überbelichtung des Fotos verrät die Ambition des Romans. Er will Lebensgeschichte und Zeitgeschichte in eins setzen. Schließlich sollte München 1972 das Geburtsdatum eines weltoffenen, zivilen Deutschlands, das Ende der Nachkriegszeit sein, freundlich wie das Olympia-Maskottchen, der in den Farben des Regenbogens gestreifte Dackel Waldi, das Gegenbild zum deutschen Schäferhund. Für die Täuschung, die Vergangenheit entgiftet zu haben, ist das Doppelleben des verstorbenen Vaters exemplarisch. Seiner Biografie sind die Wechselfälle der Geschichte eingeschrieben. Als Sohn von NS-Profiteuren, die in der DDR enteignet wurden, folgte nach der Republikflucht eine Bundeswehrkarriere, ohne dass er je losgekommen wäre von der Trunksucht. Mit seinen oft wochenlangen Abstürzen war der Vater immer schon ein Abwesender. Man kann ruhig sagen: eine Flasche.
  In den Theaterferien reist Elisabeth nach Naumburg, der alten Heimat des Vaters, und spürt ihrer Herkunft nach. Ihr Basislager aber schlägt sie in einem Wiener Hotelzimmer auf. Die Niederschrift ihrer Familienforschung in einem Brief an den Halbbruder gibt dem Roman seine Form. Dabei ist die Anrufung nicht die einzige theateraffine Stilfigur im Buch, die an die Vergangenheit Björn Bickers erinnert, der zuletzt mit dem Bühnen-Projekt „Urban Prayers“ über religiöses Leben in München von sich reden gemacht hat.
  Vieles ist schlicht überinszeniert. Vor allem das morbide Ost-Kolorit trägt Bicker zu dick auf, wenn Elisabeth in Naumburg in der WG eines ebenfalls alkoholkranken Ex-Geheimdienstlers und eines illegalen Kosovo-Flüchtlings landet. Ebenso wirkt der Schauplatz Wien, als wäre er mit Blick auf die Verfilmbarkeit gewählt. Die Hotelgäste, Senioren in Altersarmut, die im Bellaria Kino in die Operettenseligkeit alter Ufa-Filme eintauchen, fügen sich freilich schön ein ins vampirhafte Setting der unerlösten Suche nach sich selbst.
  Überhaupt liegt im Atmosphärischen die Stärke des Romans, die beste Szene im Buch ist eine lange ruhige Sequenz, in der Vater und Tochter gemeinsam „Der große Preis“ anschauen. In der Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne inszeniert Bicker ein zartes Kammerspiel der Entfremdung vor der Juxkulisse des Fernsehens. Insgesamt scheint er jedoch seinen erzählerischen Fähigkeiten noch nicht recht zu trauen, lässt seine feinporigen Beobachtungen immer wieder in grellem Aktionismus aufschäumen. So wird die Geschichtsdeutung allzu sensationell zur steilen Spionage-Räuberpistole aufgezwirbelt – tragische Liebe, geteilt vom eisernen Vorhang, der ja schon selbst eine Theater-Metapher ist.
  Die große Parabel auf die Brüchigkeit von „Wahrheit und Überlieferung“, so der Anspruch, ist Björn Bicker nicht gelungen, aber allemal ein sehr lesenswertes Buch über eine Vatersuche und die in ihrer klinischen Präzision ergreifende Studie eines Trinkers.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Olympiadackel Waldi
wedelt eine Spur zu deutlich
mit seinem Schwanz
      
    
    
    
    
Björn Bicker: Was wir erben. Roman. Verlag Antje Kunstmann, München 2013.
300 Seiten, 19,95 Euro, E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lesenswert ist Björn Bickers Roman "Was wir erben" in jedem Fall, versichert Rezensent Christopher Schmidt - auch wenn er durchaus einige Kritikpunkte anzubringen hat. Denn die Geschichte um die junge Münchener Schauspielerin, die eines Tages nicht nur genug von der "feigen Kunstscheiße" des Theaters hat, sondern insbesondere ihre Identität zu verlieren glaubt, als sie von einem in ihrem Geburtsjahr 1972 gezeugten Halbbruder erfährt, erscheint dem Kritiker teilweise schlichtweg zu "überinszeniert". Bicker, der einst als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen arbeitete, versuche hier Lebensgeschichte und deutsche Zeitgeschichte von der Nazizeit über die DDR bis zur Gegenwart zu verbinden - trage dabei aber leider häufig zu dick auf, moniert Schmidt. Zugleich lobt er aber das perfekt inszenierte "Kammerspiel" zwischen der Tochter und ihrem Vater, dessen Trinksucht in ihrer klinischen Präzision laut Schmidt "ergreifend" dargestellt wird.

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