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Chirbes nimmt seine Leser mit auf literarische Spaziergänge durch 42 Städte in der ganzen Welt: durch die tausendfach belebten Straßen von Peking, über die Märkte von Kanton, zur Pracht des Hamburger Hafens oder dem betörenden Glanz der Hochhäuser in Hongkong. Man erlebt das Fließen der Zeit auf der Plaza Major von Salamanca, taucht in die schwermütige Musik der Mariachis in Guadalajara ein und lässt sich von der Unordnung des Lebens in Mailand anstecken.

Produktbeschreibung
Chirbes nimmt seine Leser mit auf literarische Spaziergänge durch 42 Städte in der ganzen Welt: durch die tausendfach belebten Straßen von Peking, über die Märkte von Kanton, zur Pracht des Hamburger Hafens oder dem betörenden Glanz der Hochhäuser in Hongkong. Man erlebt das Fließen der Zeit auf der Plaza Major von Salamanca, taucht in die schwermütige Musik der Mariachis in Guadalajara ein und lässt sich von der Unordnung des Lebens in Mailand anstecken.
Autorenporträt
Rafael Chirbes, geboren 1949 in Tabernes de Valldigna bei Valencia, studierte in Madrid und lebt heute als Autor und Publizist in Beniarbeig/Alicante. Im Verlag Antje Kunstmann erschien von ihm zuletzt 'Alte Freunde'(2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2006

Mach mal Pause
Der hat die Welt im Kopf: Rafael Chirbes als Reiseschriftsteller

Ganz gleich, ob man viel, wenig oder gar nicht reist - die Welt kennt man auf jeden Fall. Noch über den hintersten ihrer Winkel hat man schon einen Film gesehen, einen Fotoband oder Reiseführer durchblättert. Ja, in Sachen Welt darf man sich informiert fühlen. Und daß die gefühlte Information mit der tatsächlichen offenbar identisch ist, diesen schmeichelhaften Eindruck beschert der Reisebericht, jenes bunt-romantische Genre, in dem weitgereiste Menschen den Daheimgebliebenen Auskunft über die Fremde geben. Und die sind in der Regel begeistert: Ja, wie Land und Leute hier dargestellt werden, genauso haben sie es sich vorgestellt!

Wie eng die Vorgaben der Autoren und die Erwartungen der Leser beieinanderliegen, darüber gibt auch Rafael Chirbes' Buch "Der sesshafte Reisende" Auskunft, eine umfangreiche Sammlung von Städteporträts aus allen fünf Kontinenten. Chirbes hat sie gesehen, die großen Städte dieser Welt - aber kennt er sie auch? Kennt er sie zumindest besser als seine Leser, denen er von seinen Eindrücken berichtet?

Sicher ist das nicht. Eher legen die Aufzeichnungen des spanischen Romanciers den Eindruck nahe, daß selbst die größten Schriftsteller ohnmächtig gegenüber jenen Zwängen sind, die die Gattung der Reiseliteratur mit sich bringt. "Man sieht nur, was man weiß", hat ein großer deutscher Reiseverlag sein Programm überschrieben, doch man müßte den Satz erweitern: "Man sieht nur, was man weiß - und für alles andere ist man blind."

Auch Reiseschriftsteller erwerben ihr Wissen nicht zuletzt aus Büchern, und vieles deutet darauf hin, daß Chirbes viel, sehr viel gelesen hat. Denn das meiste, wovon er in seinen Texten handelt, deckt sich mit dem, was andere Reiseführer schon vor ihm sahen und notierten. Wohl kein anderes Genre verfügt über ein derart festes Repertoire an Redensarten und Darstellungsweisen wie das der Reiseliteratur. Keine Region und keine Stadt, zu der sich nicht bereits ein festes Vokabular herausgebildet hätte, allzeit bereit, die Eindrücke einer Reise mit dem passenden Beschreibungsarsenal zu versehen.

Auch Chirbes nutzt diesen Kanon. In Hongkong etwa atmet er "den schweren Duft von Mangos, Papayas, Bananen und Lychees"; in Bangkok den Geruch von "welken Blumen, Erdnüssen und Soja"; in Marrakesch den "Duft der Orangenblüten, der sich mit dem Geruch aus den Handwerksbetrieben mischt". Und in Straßburg schließlich durchweht "ein Wirrwarr von Backofendüften" die Straßen. Die Liste ließe sich verlängern. Doch mehr als über die feine Nase des Autors offenbart sie über dessen lange Schmökerstunden, Stunden, die ihn mit dem Schatz der gängigen Wahrnehmungen und Empfindungen offenbar gründlich vertraut gemacht haben.

Wo immer er ist, nimmt Chirbes den Ortsgeist in seinen klassischsten Formen wahr: In Guadalajara lauscht er den süßen Weisen der Guarachis, Boleros und Rancheras; in Saint Germain beobachtet er einen Lastkahn auf der Seine; in Hamburg bestaunt er das Gewirr von Werften, Lagerhäusern, Kränen und Containern; und in Marrakesch beeindrucken ihn die Schlangenbeschwörer, Gnawa-Tänzer und Geschichtenerzähler, dazu Feuerschlucker, Bettler und Straßenverkäufer.

Um der Allmacht der allzu gängigen Eindrücke Herr zu werden, sucht Chirbes Zuflucht bei der Ironie; doch auch sie kann sich gegen die Übermacht der Klischees kaum behaupten, so daß Chirbes' Aufzeichnungen jenen Verdacht erhärten, der sich bei der Lektüre anderer Reiseschilderungen ergibt: daß nicht die Orte die Reiseführer, sondern die Reiseführer die Orte gebären. All die Würste, Entenlebern und Käsesorten, die dem Autor etwa in Straßburg entgegenlächeln - vielleicht liegen sie nur darum in den Auslagen, weil die Reiseführer es seit Jahrzehnten so berichten? Und die Riten des Kaffeetrinkens, von denen Chirbes gleich zu Anfang seines Aufsatzes über Wien schreibt: Es ist durchaus denkbar, daß die strenge Zeremonie sich nur darum noch hält, weil es die Touristen nach der Lektüre der einschlägigen Literatur so erwarten.

Denn kaum ein Leser dürfte erbaut über den Hinweis sein, daß die meisten Wiener ihren Kaffee an denselben Buden zu sich nehmen, an denen auch er ihn sich zu Hause in den Kopf schüttet. Und mit Recht darf er von einem Reiseschriftsteller eisernes Schweigen über den Umstand erwarten, daß die meisten Straßburger ihren Käse aus ebenjenem Gemenge von Styropor und Plastik packen, durch das in aller Regel auch er sich vor Verzehr der gelben Scheiben kämpft. Nein, von solch prosaischer Wirklichkeit wollen die Leser von Reiseliteratur in der Regel wenig wissen. Darum hat Chirbes allen Grund, sich anstelle von realen Stadtbewohnern mit den Reisenden früherer Zeiten zu umgeben, Namen, in deren Glanz die Städte sich noch heute sonnen: Für Lübeck steht die Familie Mann bereit, Zürich wartet mit James Joyce und Tristan Tzara auf, Neapel mit Goethe und Winckelmann, Lissabon mit Amália Rodrigues und Fernando Pessoa. Auch diese Liste ließe sich verlängern.

Aus solchen Motiven lassen sich stimmungsvolle Bilder zusammensetzen. Und da Chirbes die Kunst der Komposition beherrscht, sind seine Skizzen wunderbar dazu geeignet, den Leser vorab auf jene Empfindungen einzustimmen, die er dann, vor Ort, realiter durchlaufen wird, als schwärmerische Euphorie, wie sie nur das Reisen gewährt. Generationen von Touristen haben sich diesen Empfindungen bereits hingegeben - nichts spricht also dafür, sie zu variieren oder gar zu erweitern.

Auch Chirbes meidet Experimente. Fremd sind ihm Erzähltechniken eines Claudio Magris oder Cees Nooteboom, die das übliche exotische Ausgangsmaterial zwar ebenfalls einsetzen, es dann aber zu stilistischen und gedanklichen Experimenten nutzen, die die üblichen Formen des Reiseberichts weit hinter sich lassen und darum auch die klassischen Déjà-lu-Effekte umgehen. In diese Richtung dürfte aber die Zukunft des Reiseberichtes weisen. Denn wer die üblichen Topoi vermeiden will, ist darauf angewiesen, die Welt nicht einfach nur abzubilden, sondern stilistisch zu überwinden, sie aufzulösen in einem wunderbaren "Livre sur Rien", in dem statt des exotischen Materials vor Ort der Gedankenreichtum des Autors funkelt.

Daß man über die Welt aber auch im Rahmen der alten Muster noch weiterhin durchaus angenehm schreiben kann, zeigt Chirbes in seinem Buch auf zuletzt dann doch sehr eindrucksvolle Weise. Die klassischen Topoi wirken eben trotzdem, und sie machen auch dieses Buch zu einem romantischen, bunten und sinnlichen Werk. Die Texte wecken Fernweh und Reiselust, Sehnsucht nach Orten, die ihren Platz vielleicht nirgends anders haben als in Chirbes' sanfter Weltsicht.

Ebendas aber wird den Leser, der auch mit dem Romanwerk des Autors vertraut ist, einigermaßen erstaunen. Denn die Städteporträts wirken bisweilen so, als wollte der Reiseschriftsteller Chirbes sich endlich einmal von den Strapazen der genauen, aber oft genug recht unerfreulichen und deprimierenden Beobachtungen erholen, durch die er als Romancier von sich reden macht. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn auch große Kunst muß mal Pause machen. Insofern: Schönen Urlaub!

KERSTEN KNIPP

Rafael Chirbes: "Der sesshafte Reisende". Städtebilder. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz und Willi Zurbrüggen. Verlag Antje Kunstmann, München 2006. 430 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Reisender mit schwerem Gepäck
Der spanische Schriftsteller Rafael Chirbes kennt die Städte schon, bevor er einen Fuß in sie gesetzt hat
Wer Rafael Chirbes große Spanien-Trilogie gelesen hat, weiß, dass es diesem Schriftsteller ums Erinnern geht, darum, all die geschichtlichen, gesellschaftlichen und persönlichen Schichten freizulegen, auf denen Glück und Elend einer Nation sich gründen. Im Roman lässt sich diese Art von Archäologie offenbar eleganter bewerkstelligen als im Reisebericht, denn von der Vielstimmigkeit und dem kompositorischen Geschick seiner Erzählwerke ist in Chirbes Städtebildern, die nun gesammelt im Kunstmann-Verlag vorliegen, nicht allzu viel zu spüren.
Rafael Chirbes ist ein leidenschaftlicher Reisender, dem die Städte allerdings schon vertraut sind, ehe er dort eintrifft. Denn jede Stadt hat für Chirbes eine historische, kulturelle und insbesondere literaturgeschichtliche Textur, deren Überlieferung er oft mehr Platz und Gewicht einräumt als der eigenen Anschauung. Es sind Ideen-Texte, die Chirbes an die Stelle von Impressionen setzt, und immer ist die Vergangenheit Richtschnur und Hauptfaszinosum. Le Marais, das einstige Sumpfviertel von Paris, steht da als Bühne für die Exzesse des Tribunals, in Rouen erlebt Chirbes die Ekstasen der Gotik und in Zürich beschreibt er den Spannungsbogen vom Puritanismus Zwinglis zum ungezähmten Kapitalismus und der Wohllebe der Gegenwart. Wien ist bekannt für seine Kaffeehäuser, aber kann man Wesen und Historie Österreichs nicht auch einmal anders erzählen als mit einem Besuch im längst zu Tode beschriebenen Café Hawelka? Dresden ist die von Fliegerbombern zerstörte Barockstadt Augusts des Starken – nichts sonst?
Der Duft verlorener Imperien
Es ist das Erwartbare, das Chirbes überall aufbietet. Mit Pessoa kommt man eben immer noch gut durch Lissabon und in Marrakesch wartet zuverlässig Canetti, während die Medina von Fes immer wieder eine gute Bühne für den Reisenden ist, der Chaos und vielvölkerreiches Gewimmel abschildern möchte. Die Hommage an Salzburg beginnt Chirbes übrigens mit einem Satz, der diesem Buch als Motto voranstehen könnte: „Zuerst einmal könnte man feststellen, Salzburg sei genau wie auf den Fotografien, die man gesehen hat, bevor man einen Fuß in die Stadt gesetzt hat.”
Wenn man Chirbes Reisetexte hintereinander liest, fällt die Häufung des Wortes Macht auf. Es ist das gewaltige Gefälle zwischen den Herrschenden, die jene Imperien schufen, an deren Zeugnissen sich der sesshafte Reisende erfreut, und den Untergebenen, deren zeugenloses Schicksal der Schriftsteller immer miterzählen will. Und tatsächlich sind die interessantesten Lesemomente jene, in denen Chirbes zeigt, wie jahrhundertelange Knechtschaft in der Gegenwart sinnlich wahrnehmbar wird: „Den Parisern steigt der Duft sämtlicher verlorener Imperien in die Nase”, heißt es über die Folgen der französischen Kolonialpolitik.
Ans Ende des Buches stellt Chirbes eine „Rechtfertigung” dieser Sammlung von Reisetexten, in welcher eine erzähltechnische Manipulation eingestanden wird: „Ich habe versucht, die Artikel auf einen Ton anzustimmen, ihnen eine Melodie, einen Rhythmus zu geben.” Vielleicht wäre diese Angleichung besser unterblieben, denn ihr Preis ist ein über vierhundert Seiten gleichförmig anmutender Erzählton. Chirbes berichtet von Bangkok im gleichen Tempo wie er von Kopenhagen oder Guadalajara erzählt. Nur wenig prägt sich daher dem Lesergedächtnis nachdrücklich ein.
„Das Gedächtnis ist ein subtiles und willkürliches Instrument, das Verwirrung schafft”, schreibt Chirbes in einer Hommage an Oslo. Dieser Satz leitet eine kleine Lobrede auf den „unbedeutenden Moment” ein. Die Rede ist von Augenblicken, die völlig frei sind von Bezügen zu geschichtlichen Zusammenhängen und kulturellen Ordnungen. Es sind dies die entspanntesten und poetischsten in Chirbes’ Buch, und da wiegt ein einziger Satz zuweilen mehr als ein ganzer kulturhistorischer Diskurs: „Die Stadt schlingt gierig den kurzen Sommer in sich hinein.”
Ein konventioneller Begleiter
Überhaupt sind die Texte unabhängig von ihrer inhaltlichen Vorhersehbarkeit in einer genauen und anschaulichen Sprache gehalten, die Dagmar Ploetz und Willi Zurbrüggen ins Deutsche transportiert haben. Allerdings fallen angesichts der präzisen Übersetzerarbeit einige Lektoratsschusseligkeiten umso deutlicher auf. Marlene Dietrich hat nun mal nicht gesungen „Männer umschwärm’ mich wie Motten das Licht”, sondern die Motten umschwirren das leichte Mädchen, das im Fortgang auch nicht erklärt: „ob sie verbrennen, das kümmert mich nicht”, vielmehr: Und wenn sie verbrennen, ja dafür kann ich nichts.” Und Straßburg sollte auch weiter hin nah dem Rhein liegen statt „nah des Rheins”.
Rafael Chirbes hat mit seinen Städtebildern der Reiseliteratur sicherlich keine neue Facette abgewonnen. Er wagt nicht den neugierigen Blick auf fremde Städte, sondern verlässt sich auf sein kulturhistorisches und politisches Rüstzeug. Wer aber in den gängigen Reiseführern sprachlichen Genuss und Reflexionsvermögen vermisst, kann sich an den sesshaften Reisenden als konventionellen, aber umfassend gebildeten Begleiter halten.
HILMAR KLUTE
Rafael Chirbes
Der sesshafte Reisende
Städtebilder. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz und Willi ZurbrüggenVerlag Antje Kunstmann, München 2006, 430 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sinnliche und philosophische Eindrücke von den in dieser Sammlung beschriebenen Städten gibt Rezensent Klaus Meyer-Minnemann zu Protokoll. Es handelt sich seinen Informationen zufolge um Städteporträts, die zuerst in einer spanischen Gourmetzeitschrift publiziert und für die Buchausgabe noch einmal überarbeitet wurden. Als Qualität des Buches beschreibt der Rezensent die Tatsache, das "Museumsstädte", also Orte, die zu "Ansichtskarten geronnen" sind, fast gänzlich fehlen. Stattdessen werde einem Ort wie Ibiza und seinen "vielen kulturellen Ablagerungen" von den Phöniziern bis zu den Hippies ein Text gewidmet. Es ist vor allem der individuelle und unkonventionelle Zugang des Autors zu den beschriebenen Städten, der für den Rezensenten den Reiz des Buches ausmacht.

© Perlentaucher Medien GmbH