Produktdetails
  • Verlag: Kunstmann, A
  • ISBN-13: 9783888973444
  • ISBN-10: 3888973449
  • Artikelnr.: 24951246
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Neoliberales Ende
Plädoyer für den Sozialstaat
Die neoliberale Wirtschaftsdoktrin mit ihrer Forderung nach weltweitem Freihandel erfreut sich unter Politikern und Journalisten des Westens nach wie vor fast einhelliger Zustimmung. Unter Sozial- und Wirtschaftswissenschaft-lern mehren sich neuerdings aber die Stimmen, die Zweifel an den Patentrezepten hegen, die seit Anfang der 90er Jahre zunehmend auch in Europa die Wirtschaftspolitik bestimmen. Vielleicht, weil sich Wissenschaftler auf Dauer nur schwer den Fakten entziehen können, wenn sie nicht zu reinen Ideologen werden wollen.
Horst Afheldt weist in seinem neuen Buch auf viele Tatsachen hin, welche die Verheißungen der neoliberalen Theorie ad absurdum führen. Da ist zum Beispiel die These, dass Steuersenkungen und Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand sich positiv auf die Beschäftigung auswirkten. Genau dieses Rezept ist seit 1993 in Deutschland von allen Regierungen praktiziert worden. Das Ergebnis: ständig wachsende Arbeitslosigkeit.
Die Hoffnung, dass durch Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit abgebaut und Wohlstand für alle geschaffen werden könnte, nennt Afheldt eine Illusion. Er beruft sich auf statistisch belegte Fakten. Von 1953 bis 1973 gab es in der Bundesrepublik ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 5,4 Prozent; gleichzeitig schrumpfte das gesellschaftliche Arbeitsvolumen um ein Prozent. Von 1970 bis 1999 verdoppelte sich das Bruttoinlandsprodukt, gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit auf 4,5 Millionen.
Wer dennoch behauptet, durch Wirtschaftswachstum einen substanziellen Abbau von Arbeitslosigkeit erreichen zu können, muss schon sehr gute Argumente dafür haben, weshalb in Zukunft funktionieren soll, was bisher nicht funktionierte. Statt solcher guten Gründe werden aber Glaubenssätze angeboten. Wenn das angeblich alle Probleme lösende Wachstum sich nicht einstellt, obwohl die Steuern gesenkt, die Sozialleistungen gekürzt, die öffentlichen Haushalte beschnitten und öffentliche Einrichtungen privatisiert wurden, dann war wohl die Dosis eben noch nicht hoch genug. Also wird weiter gesenkt, gekürzt, beschnitten und privatisiert.
Afheldt wagt, das Undenkbare zu denken: dass weltweiter Freihandel angesichts sehr unterschiedlicher kultureller Prägungen und Entwicklungsstadien ein ruinöses System ist – in erster Linie für die am wenigsten entwickelten Länder. Die Behauptung, dass die Ausweitung der Handelsbeziehungen zwangsläufig mit Wohlstandsmehrung einhergehe, ist falsch. Auch hier hilft ein Blick in Statistiken: Von 1973 bis 1993 hat sich das Volumen des Welthandels versiebenfacht, während das Wachstum des Weltsozialprodukts um 50 Prozent zurückging.
Wenn das System des Freihandels also nachweisbar keine wohlstandsfördernde Wirkung hat, dann, so Afheldt, brauchen wir es auch nicht um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Am Ende seines Buches skizziert der Autor eine klare Alternative: Entweder die Europäer lassen sich weiter in den „neoliberalistischen Käfig” des Freihandels einsperren; dann müssen sie sich mit sinkenden Einkommen für abhängig Beschäftigte, mit immer längeren Arbeitswegen, immer mehr prekärer Arbeit, Zerstörung der Familien durch uferlose Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Massenarbeitslosigkeit sowie mit dem Abwandern der Betriebe durch das Zusammenbrechen der Binnennachfrage abfinden. Europa könnte sich aber auch zum Vorreiter einer Regionalisierung der Weltwirtschaft machen und die Sozialstaatlichkeit zum europäischen Markenzeichen erheben.
JOHANO STRASSER
HORST AFHELDT: Wirtschaft, die arm macht. Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft. Verlag Antje Kunstmann, München 2003. 240 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rudolf Walther schätzt den Autor Horst Afheldt als "klaren und radikalen" Kopf, und in dieser Hinsicht enttäuscht ihn auch dieses Buch nicht, das sich gegen die neoliberale Wirtschaftsentwicklung ausspricht. Der Autor weist mit plausiblen Zahlen nach, dass die Behauptung, "Wirtschaftswachstum schaffe Wohlstand und Arbeitsplätze, haltlos" ist, so der Rezensent überzeugt. Ebenfalls einleuchtend findet Walther die Ausführungen Afheldts, dass im Zuge des Wirtschaftsliberalismus zwar die Unternehmen deutlich wohlhabender werden, abhängig Beschäftigten aber keineswegs in gleicher Weise profitieren, sondern insgesamt weniger verdienen. Der Rezensent räumt ein, das es einfacher ist, die "Ziele" einer wirtschaftlichen Umorientierung zu benennen, als aufzuzeigen, wie diese Ziele erreicht werden können. Vorschläge, wie vorzugehen wäre, bleiben deshalb bei Afheldt auch eher "vage", gibt Walther zu. Dennoch sieht er das "Verdienst" dieses Buches keineswegs geschmälert und streicht noch einmal nachdrücklich die "überzeugenden Argumente" und die "klare" Sprache heraus, mit der der Autor seine Kritik am herrschenden Neoliberalismus formuliert.

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