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Wieder entdeckt: Pointiert formulierte, nachdenkliche Texte des jungen Heinz Berggruen über Menschen und Orte, die er verlassen muss, über politische Bedrohungen - Abschied und Aufbruch zugleich: in eine neue Welt, in der die alte aber nicht vergessen bleibt.

Produktbeschreibung
Wieder entdeckt: Pointiert formulierte, nachdenkliche Texte des jungen Heinz Berggruen über Menschen und Orte, die er verlassen muss, über politische Bedrohungen - Abschied und Aufbruch zugleich: in eine neue Welt, in der die alte aber nicht vergessen bleibt.
Autorenporträt
Der berühmte Kunstsammler und Mäzen Heinz Berggruen wurde am 5. Januar 1914 in Berlin-Wilmersdorf geboren; zunächst Journalist, beschäftigt er sich nach der Emigration mit Kunstausstellungen, wird 1942 amerikanischer Soldat und kommt so Anfang 1945 nach Europa. Nach Kriegsende gehört er in München zu den Herausgebern der Zeitschrift 'Heute', geht aber schon 1947 nach Paris, wo er einer der wichtigsten Sammler und Händler moderner Kunst wird. Seit 1996 lebt er auch wieder in Berlin; bedeutende Teile seiner Sammlung ('Picasso und seine Zeit') ist inzwischen im westlichen Stülerbau in Berlin zu sehen. Er starb am 23. Februar 2007 in Paris. Die hier versammelten Texte wurden von Gylfe Schollak herausgegeben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.08.2004

Apfelwein, Bahnhof und rattata
Heinz Berggruens „Kleine Abschiede.1935-1937”
Mit seinem grauen Woll-Dreiteiler, dem sorgsam gebundenen Schlips, der dicken Denkerbrille und der aus der festgefügten Frisur spielerisch in die Stirn fallenden Haarsträhne sieht der fünfundzwanzigjährige Heinz Berggruen aus wie ein Rollenmodell aus den hochmütigen Tagen des deutschen Feuilletons. Als dieses Foto 1939 in San Francisco entstand, lag Berggruens Journalistenkarriere schon beinahe hinter ihm. Sie hatte 1932 mit Beiträgen des Abiturienten für die Kinderbeilage der „Grünen Post” und mit Rezensionen für die „Jugendstunde” des Berliner Rundfunks begonnen, und sie hatte sich mit kleinen und größeren Stadtfeuilletons fortgesetzt, die der junge Mann für die „Frankfurter Zeitung” schrieb und bei denen er nur mit den Initialen zeichnete; weil einem Juden die Mitarbeit an arischen Organen offiziell schon nicht mehr gestattet war.
Gleichzeitig volontierte Berggruen bei der „Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens”, der „CV-Zeitung” und bereitete seine Emigration vor. Bis zum Erhalt eines amerikanischen Visums verbringt er einige Monate in Kopenhagen und reist von dort mit dem Schiff weiter nach Kalifornien. Berlin, Kopenhagen, Kalifornien, das sind die Orte, an denen Berggruen in den Jahren 1935-1937 die Texte dieses Bandes geschrieben hat. Zu behaupten, mit diesem Büchlein sei der berühmte Kunstsammler und Spätheimkehrer Berggruen als Journalist zu entdecken, wäre falsch. Denn Berggruen ist bereits entdeckt, dank zweier kürzlich erschienener Bände mit Feuilletons aus seinen jungen Jahren.
Die Arbeiten (oder ist das Wort dafür nicht schon zu schwer?) für die „Frankfurter Zeitung” präsentieren Berggruen als legitimen Vorfahren der untergegangenen „Berliner Seiten” der FAZ. Als gut gelaunten Passanten mit ausgeprägter Vorliebe für das Nichtspektakuläre: Wie wäre es mit einer leicht hingetupften Typologie der Berliner Bahnhöfe? Berggruen liefert sie, samt Begleitgeräuschen: „Mein Lieber, wenn Du etwas Apfelwein getrunken hast, rattata, rattata, rattata, und eine endlos lange D-Zug-Strecke fährst, dann kann dir der Bahnhof Zoo in einer Art Vision als Sinnbild menschlicher Zivilisation erscheinen.”
Ähnlich anschaulich: eine atmosphärische eindringliche Schilderung des herbstlichen Wannsees oder ein kritischer Flussvergleich zwischen Spree und Havel. Andere Artikel dringen ins Herz der Stadt vor. „Neue Stadt” heißt ein Text, in dem Berggruen mit jüngerscher Klarsicht beschreibt, wie sich dank fortschreitender Mechanisierung ein „neuer Typ des Stadtmenschen” herausbildet, nicht etwa ein selbst mechanisierter Typus, sondern, im Gegenteil, ein dank äußerer Mechanisierung (Rolltreppe, Fahrkartenautomaten etc.) aus der inneren Mechanik entlassener Gemütsmensch neuen Stils. „Wer seine Seele retten will, der - fliehe in die Stadt”, so Berggruens überraschendes Fazit.
Die Bücher des David Simonson
Ganz anders die Beiträge für die „CV-Zeitung”. Oft sind es beinahe gelehrte Abhandlungen nicht nur zu jüdischen Themen, und oftmals ganz ohne Gegenwartsbezug. So führt Berggruen in einer ausführlichen Buchbesprechung mit frühreifer Kennerschaft in die französische Gattung der „confessions” ein. An anderen Artikeln wird die bedrohte Situation der jüdischen Wochenzeitschrift deutlich, wenn nicht in dem, was Berggruen schreibt, dann in dem, was zu schreiben ihm nicht mehr erlaubt ist.
Unter dem Titel „Jüdisches und deutsches Soldatentum” referiert er im Juli 1936 kommentarlos einen gleichnamigen Aufsatz der „Nationalsozialistischen Monatshefte”, der den jüdischen Kriegsteilnehmern eine patriotische Grundhaltung abspricht, weil ihre „Rassenseele” nicht das deutsche Volk, sondern stets die Menschheit im Blick habe. Eine dezidierte Antwort wäre wohl zu gefährlich gewesen.
Ab dem Frühjahr 1937 schreibt Berggruen aus Kopenhagen weiter für die „CV-Zeitung”. Er erzählt von dem ostjüdischen Schneidermeister Chaim Ritterband, der von Kopenhagen aus als Komponist jiddischer Melodien die Welt erobert, und von David Simonsen, dessen aus Breslau mitgebrachte Bücherkiste in Kopenhagen zu einer der größten Judaica-Sammlungen der Welt, der Bibliotheca Simonseniana heranwuchs. „Als ‚Land der Gnade‘ wird Dänemark im hebräischen Schrifttum bezeichnet”, schreibt Berggruen, und es scheint, als sei ihm das Land, „freundlich und aufnahmewillig”, wie es ist, in den wenigen Monaten seines Aufenthalts ans Herz gewachsen. Dann Berkeley, Juli 1937. „Immer wieder”, heißt es in seinem ersten Artikel für die „CV-Zeitung”, „wird einem zu Bewußtsein gebracht, wie ungeheuer weit man von Europa und der früheren Heimat entfernt ist.” In Amerika ist Heinz Berggruen nicht heimisch geworden. Als amerikanischer Soldat kommt er 1945 nach Europa zurück, lebt kurz in München, ehe er 1947 nach Paris zieht und seine legendäre Sammlung aufbaut. „Ein Wunder” nennt Klaus Harpprecht in seiner schönen Vorrede den inzwischen Neunzigjährigen. Denn auch mit neunzig ist Heinz Berggruen, dieser Meister der kleinen Abschiede, noch immer jung.
CHRISTOPH BARTMANN
HEINZ BERGGRUEN: Kleine Abschiede. 1935-1937: Berlin, Kopenhagen, Kalifornien. Mit einem Vorwort von Klaus Harpprecht. Transit Buchverlag, Berlin 2004. 128 Seiten, 12, 50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zu behaupten, mit diesem Büchlein Heinz Berggruen als Journalisten zu entdecken, wäre vermessen, meint Christoph Bartmann, schließlich sei Berggruen als Journalist längst entdeckt und seine Feuilletons und Reportagen in zwei Bänden bereits zusammengetragen. Die in diesem Band eingefangenen Skizzen zeigen den jungen Journalisten Berggruen, der für die berühmte "Frankfurter Zeitung" Feuilletons unter einem Kürzel schrieb, weil er als Jude schon nicht mehr mit vollem Namen kennzeichnen durfte, zeigen den angehenden Journalisten, der bei der Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) volontierte und dort "beinahe gelehrte Beiträge" schrieb, und sie zeigen den Abschied nehmenden Reporter, der auf dem Umweg über Kopenhagen in die USA auswanderte. Besonders Berggruens Artikel für das Feuilleton der "Frankfurter Zeitung" charakterisieren ihn als würdigen Vorläufer der Berliner Seiten der "FAZ", schwärmt Bartmann: Wie wär's mit einer Typologie der Berliner Bahnhöfe, lockt er die Leser, oder einer kritischen Unterscheidung von Havel und Spree? Berggruen erwies darin, lobt Bartmann, einen ausgeprägten Hang zum Unspektakulären. Seine spektakuläre Karriere als Kunstsammler war damals noch nicht anvisiert. Nach dem Krieg kehrte Berggruen nach Europa zurück, fügt der Rezensent hinzu, ließ sich aber in Paris nieder, wo er seine große Kunstsammlung aufbaute.

© Perlentaucher Medien GmbH
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