Marktplatzangebote
27 Angebote ab € 1,82 €
  • Buch mit Leinen-Einband

Zwei Jahrhunderte deutscher Geschichte in einer Familie
Schon lange zählen die Furtwänglers zu den schillerndsten Familien in Deutschland. Sie waren Bauern und Bildungsbürger, Archäologen und Philologen, Künstler und Bohemiens. Eberhard Straub, bekannter Biograph und Publizist, schildert Geschichte und Bedeutung dieser deutschen Familie und lässt dabei eine bürgerliche Welt wieder auferstehen, die es so nicht mehr gibt.
In seinem epischen Familienporträt breitet Eberhard Straub die Geschichte einer Familie vor uns aus, die aus dem Bauernstand kam und durch ihr Bildungsstreben in das
…mehr

Andere Kunden interessierten sich auch für
Produktbeschreibung
Zwei Jahrhunderte deutscher Geschichte in einer Familie

Schon lange zählen die Furtwänglers zu den schillerndsten Familien in Deutschland. Sie waren Bauern und Bildungsbürger, Archäologen und Philologen, Künstler und Bohemiens. Eberhard Straub, bekannter Biograph und Publizist, schildert Geschichte und Bedeutung dieser deutschen Familie und lässt dabei eine bürgerliche Welt wieder auferstehen, die es so nicht mehr gibt.

In seinem epischen Familienporträt breitet Eberhard Straub die Geschichte einer Familie vor uns aus, die aus dem Bauernstand kam und durch ihr Bildungsstreben in das gehobene Bürgertum aufstieg. Auf faszinierende Weise schildert er, wie sich die Welt des 19. Jahrhunderts allmählich auflöste, wie die Bohemiens und Bürger erst melancholisch, dann ratlos und schließlich überflüssig wurden.
So berichtet Straub von Wilhelm Furtwänglers Versuch, sich ästhetisch über die finstere Zeit des Nationalsozialismus hinwegzuretten. Er zeichnet das Leben von Wilhelms Vater, demgroßen Altphilologen Adolf Furtwängler, nach, der sich der Wissenschaft vom "schönen Menschen" widmete, und erzählt von dessen Frau Anna Wendt, die ihre vielfältigen künstlerischen Talente nicht verwirklichen durfte und sich daher in alle nur erdenklichen Krankheiten flüchtete.
So unterschiedlich die Persönlichkeiten der verschiedenen Familienmitglieder waren - von Adolf bis zu Maria Furtwängler -, verbindet sie alle der Drang nach schöpferischem Selbstausdruck in Kunst und Kultur. Indem Eberhard Straub fast 200 Jahre dieser Familiensaga erzählt, werden Großzügigkeit und Enge, Innerlichkeit und Exzentrik, Leistungen und Grenzen des deutschen Bildungsbürgertums begreiflich.
Autorenporträt
Straub, Eberhard
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen "Die Wittelsbacher" (1994), "Eine kleine Geschichte Preußens" (2001) und zuletzt "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" (2005).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2008

Uns bliebe doch der deutsche Bürger
Über dieses Buch kann man sich mächtig ärgern und doch seinen Spaß haben: Eberhard Straubs „Die Furtwänglers”
Ein „episches Familienporträt”, wie der Klappentext verspricht, bietet dieses Buch nicht. „Die Furtwänglers” beflügeln zwar die Hochkonjunktur mehr oder weniger gewichtiger Familienbiographien durch einen neuen Streich. Die „Geschichte einer deutschen Familie”, so die Titelunterzeile, erzählt Eberhard Straub dennoch nicht. Garniert von viel familienbiographischem Beiwerk stehen nicht einmal Leben und Werk Wilhelm Furtwänglers im Mittelpunkt.
Straub hegt hauptsächlich Hinterabsichten, das biographische Genre ist Camouflage. Die Vita des berühmt-berüchtigten Dirigenten des Dritten Reiches liefert die Gelegenheit, den Bankrott des angeblich in seiner Grundverfassung moralisch verfaulten Bürgertums zu deklarieren. Allzu genau nimmt es der Verfasser mit der Begrifflichkeit dabei nicht. Sogar der „Bourgeois”, im roten Jahrzehnt der westdeutschen siebziger Jahre häufig gebrauchtes Schimpfwort, darf fröhliche Urständ feiern, selbst wenn nur der (Bildungs-) Bürger gemeint ist.
Über Straubs Buch kann man sich mächtig ärgern, aber Provokation gehört zum Kalkül des Autors. Deshalb kann man auch als Leser seinen Spaß haben, und sei es nur, sich immer sicherer darin zu werden, zu Recht völlig anderer Meinung zu sein. „Die Furtwänglers” sind nicht die erste Biographie des habilitierten Historikers Straub. Mit den Wittelsbachern hat er sich ebenso beschäftigt wie mit dem Hamburger Reeder Albert Ballin oder den „drei letzten Kaisern”, Wilhelm II., Franz Joseph I. und Zar Nikolaus II. Straub ist ein profunder Kenner des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, in seiner neuen Publikation zieht er in dieser Hinsicht sämtliche Register.
Versiert, geistreich und voller stupender Kenntnisse macht der Autor mit den Furtwänglerschen Charakteren wie den relevanten geistigen und kulturellen Zeitströmungen der Epoche um 1900 bekannt. Anders als in vielen anderen Familienbiographien besitzen die geschilderten Personen exemplarische Funktion, anschaulich vermitteln sie den Wertehorizont ihrer Gegenwart. Allerdings zwingt Straub seinen Stoff dermaßen in den Schraubstock seiner Hinterabsichten, dass man ihm immer wieder zurufen möchte, bei seinem biographischen Leisten zu bleiben. Stattdessen wird einem das Versagen des Bürgertums im Allgemeinen wie des deutschen Bildungsbürgers im Besonderen stets von neuem eingebleut. Hätte sich das Bildungsbürgertum, so die These, nicht im ästhetischen Ideenhimmel der deutschen Klassik niedergelassen, hätte es 1933 mehr politischen Wirklichkeitssinn entwickelt. Neu ist diese Kritik nicht. Die angeblich bestimmende Tradition von der unpolitischen Innerlichkeit der Deutschen als verantwortlicher historischer Schuldfaktor wird hier allerdings allzu stereotyp behandelt.
Wilhelm Furtwängler tritt als Paradefall des allein dem heilig Schönen verpflichteten, politisch naiven Bildungsbürgers auf. Treudeutsch habe für den Meisterdirigenten die Musik „als Sprache des Herzens die Stimme der Menschheit und Menschlichkeit” dargestellt. Dass sich solch ästhetischer Eskapismus quasi naturwüchsig naiv totalitärer Macht andient, ist für Straub ausgemachte Sache. „Da Wilhelm Furtwängler”, schlussfolgert er, „immer ans ewige Deutschland dachte, ... geriet er in keinen radikalen Gegensatz zum real existierenden Deutschland, dessen Staatspartei auch gerne von der Ewigkeit raunte oder von wenigstens tausend Jahren, die ihr Reich dauern sollte.” Ästhetisches Dasein, soll das wohl heißen, führt auch ohne totalitäre oder rassistische Gesinnung schnurstracks in die Duldung des Faschismus. So tönte es schon einmal in den Jahren 1968 ff.
Kein Wunder, wenn Straub dem Dirigenten auch jenseits politischen Versagens kaum Sympathie abgewinnen kann. Vergrübelt sei „das schlecht gelaunte Genie” gewesen, schweigsam, uncharmant, als später weltberühmter „Primadonnerich” ichbezogen, geltungssüchtig, intrigant. Die Anekdoten über Furtwänglers notorischen Don Juanismus wie seine Missgunst gegenüber den Konkurrenten Toscanini und Karajan werfen auf diesen typischen Deutschen ein bezeichnendes Licht. Wäre da nur nicht Straubs fatale Haltung, Furtwängler weniger als Person denn als Symbol zu servieren. Der Dirigent repräsentiert ihm nichts weniger als das in „das letzte Stadium seiner sittlichen Verwahrlosung” eintretende Bürgertum.
Den Stab über das Bürgertum zu brechen, war offenbar das Hauptanliegen dieses Buches. Immerhin gelingt ihm mit Wilhelm Furtwänglers Vater Adolf, ein seinerzeit bekannter Archäologe und Kunstkenner, ein erstaunlich empathisches Porträt. Je weiter das Buch voranschreitet, desto apodiktischer fallen jedoch die Urteile aus. Der Bourgeois, liest man da, sei nicht nur sittlich verwahrlost, sondern habe auch den Ersten Weltkrieg zu verantworten, habe „immer scharf seinen Vorteil und seine Bequemlichkeit im Auge”, ist humorlos und diskutiert nur, um sich vor Entscheidungen zu drücken. So etwas nennt man wohl mindestens Zerrbild.
„Die Furtwänglers” wollen davon überzeugen, bürgerliche Kunstreligion und reputierliche Gesinnung seien zwei verschiedene, Politikdistanz und Kunstintensität aber dasselbe Paar Schuhe. Dass nach dem Ende des Ersten Weltkriegs „bürgerliche Lebensformen endgültig ihre Überzeugungskraft” verloren hätten, macht diese Behauptungen nicht richtiger. Straub argumentiert manichäisch, wo er besser differenziert hätte. So übersieht er den Gegenweltbedarf des Bürgers, den ihm die moderne Kunst lieferte und ihn die normale Wirklichkeit keineswegs übersehen ließ. Man darf eben nicht nur auf die Tradition der Innerlichkeit starren, sondern sollte auch den Modernitätsbedarf der Bürger um 1900 berücksichtigen. Und natürlich konnten auch kunstsinnige Bürger politisch reputierlich sein. Wie sonst hätte der demokratische Neubeginn 1945 im Westen Deutschlands vonstatten gehen sollen?
Verantwortung und Fürsorge
Das allerdings kann nur konzedieren, wer den Untergang des Bürgertums als Sozialformation säuberlich unterscheidet von Bürgerlichkeit als Werte- und Verhaltenssystem. Bürgerliche Werte wie wirtschaftliche Selbständigkeit, kulturelles Traditionsbewusstsein, Selbstentfaltung und Lebensgestaltung, soziale Verantwortung und Fürsorge hatten nach dem Zweiten Weltkrieg Konjunktur und haben auch heute keineswegs ausgedient. Bürgerlichkeit, wie fragmentiert auch immer, ist ein Kulturmuster von erstaunlicher Prägekraft wie Wandelbarkeit. Heuten nennen wir sie lieber „Zivilgesellschaft”.
Dass Bürgerlichkeit gegenwärtig abermals Orientierung bei der Frage gibt, welche Gesellschaft wir haben wollen, ist für Straub, wie seiner polemischen Vorbemerkung zu entnehmen, ein Ärgernis. Aber was soll daran schlecht sein? Wir besitzen mittlerweile allemal genügend politisches Bewusstsein, um uns wieder mehr ästhetische Erziehung leisten zu können. Sämtliche in den letzten Jahren erschienene Familienbiographien sind Suchbewegungen, die bürgerliche Traditionen auf ihre Gegenwartstauglichkeit hin überprüfen. Das Buch des Anti-Bürgers Straub mit seinem unerschöpflichen bildungsbürgerlichen Zitatenschatz gehört auch dazu. THOMAS MEDICUS
EBERHARD STRAUB: Die Furtwänglers. Geschichte einer deutschen Familie. Siedler Verlag,. München 2007. 350 Seiten. 29,95 Euro.
Er kannte nur einen Trennungsstrich: den zwischen guter und schlechter Kunst. Von allem „Niederen” wollte er das Schöne freihalten. 1935 in Berlin: Wilhelm Furtwängler (1886 – 1954) dirigiert die Berliner Philharmoniker. Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo
Adolf Furtwängler (1853 – 1907), seit 1897 Professor für Klassische Archäologie in München Foto: Scherl/SZ Photo
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Das fegt einem ja den Hut vom Kopf!
Eberhard Straub schreibt die Geschichte der Familie Furtwängler und rechnet mit der Idee des deutschen Bildungsbürgertums ab / Von Gustav Falke

Für die neue Bürgerlichkeit hat Eberhard Straub nichts übrig. Lateinunterricht, unsere Klassiker, gutes Benehmen, feine Stoffe, erlesene Tischdekorationen - das alles sei Zierrat, der einen Stil vortäuscht, für dessen Einheit und Verbindlichkeit es keine gesellschaftliche Grundlage mehr gibt. Der Bürger als sozialer Typus ist verschwunden, ebenso wie der Aristokrat oder Arbeiter. Natürlich kann jeder, der es will, an bürgerlichen Restbeständen festhalten. Aber das sind dann individuelle Entscheidungen und keine sozialtypischen.

Ja, letztlich schlägt das Bürgerliche als Inszeniertes zu etwas ganz Unbürgerlichem um. Statt, wie es sich gehört, von Gelddingen zu schweigen, wird durch ostentativen Konsum der eigene Erfolg vorgezeigt, die Suche nach dem Ungewöhnlichen, Sensationellen, Pikanten ist an die Stelle des Gebots getreten, nicht aufzufallen. Der Kapitalismus, und damit meint der über weite Strecken marxistisch argumentierende Straub die Warenförmigkeit menschlicher Beziehungen, hat die Klassenverhältnisse aufgelöst. "Wer das bedauert, sollte nicht vergessen, daß sich die Legitimation einer demokratischen Gesellschaft verantwortungsvoller Verbraucher eben aus der Nivellierung und Egalisierung ergibt."

Das Buch hält mehr, als es verspricht. Zwar handelt es sich oberflächlich betrachtet um eine Biographie sogar nur Wilhelm Furtwänglers mit einem ganz knappen Ausblick auf die schauspielernden Familiennachkommen und einer, allerdings ausführlicheren Darstellung des Wertehorizonts und der Lebensverhältnisse, in die der Dirigent als Sohn des Archäologen Adolf Furtwängler hineingeboren wurde. Selbst für Wilhelm Furtwängler wird zu den bekannten Streitsachen - die Vorliebe für die große deutsche Musik, die Verstrickung in den Nationalsozialismus, die erotische Flatterhaftigkeit - kein neues Material herbeigebracht. Was Furtwänglers musikalische Interpretationen auszeichnet, findet ohnehin nur ganz am Rande Erwähnung. Aber Straub geht es auch gar nicht um die Kunst und nicht einmal um das Leben, jedenfalls um das Leben nur, insofern es bezeichnend für den Verfall des Bürgertums ist. Worum es Straub geht, ist dies: Er möchte am Beispiel der "Geschichte einer deutschen Familie", so der Untertitel, eine Verfallsgeschichtsphilosophie des deutschen Bürgertums entwerfen.

Der Akzent liegt auf Wilhelm Furtwänglers Verstrickung in den Nationalsozialismus. Ausführlich werden die Selbstentschuldungen - er habe nur am Vorabend des Parteitags dirigiert, den deutschen Gruß nicht entboten, er habe seine Familie ernähren müssen, nur an die Musiker seines Orchesters gedacht, keine Möglichkeiten im Ausland gesehen, er habe das andere, bessere Deutschland zu Gehör bringen wollen - als Lebenslügen ausgewiesen. Keineswegs will Straub damit einem überragenden Künstler am Zeug flicken. Dass Künstler zuerst an ihren Ruhm denken, scheint ihm selbstverständlich. Er will auch keine Gesinnungsnähe unterstellen. Die Ausführlichkeit hat vielmehr die rhetorisch-didaktische Funktion, in seiner ganzen Erstaunlichkeit vor Augen zu führen, warum ein so hochgebildeter Bürgersohn die politischen Konsequenzen seiner privat verständlichen Handlungen, nämlich als "Reichsschmuckwart" zu dienen, nicht mitbedacht hat. Und das wiederum führt zu der Frage, was in der Idee von Bildung von Anfang an falsch war, wenn diese Bildung vor den offenkundigsten Anforderungen der Wirklichkeit versagt.

Der Wirtschaftsbürger denke nur an den Erfolg und der Bildungsbürger an ästhetische Erziehung, an "Erlebnisse als inneren Besitz", an "ichversunkene ästhetische Selbsterlösung". Bildung, das ist eine innere Versittlichung durch Kunst und vor allem durch Musik, "als Sprache des Herzens die Stimme der Menschheit und Menschlichkeit". Eine solche ideale Menschheit tritt notwendig in Gegensatz zum realen Leben. Der Bürger erwarte von der Kunst mehr, als sie zu leisten vermöge, sei unfähig, sich auf das Leben mit seinen Widersprüchen einzulassen. Die Macht der Ökonomie verkennt er völlig. Das aufstrebende Proletariat lässt die Bürger antidemokratisch werden, denn "der Bildungsbürger ist machtlos, sobald er auf ungebildete Menschen stößt". Auch die klassische Form ist nur Verdrängung, denn nichts ängstige den bürgerlichen Ästheten so wie der Einbruch des Irrationalen oder Surrealen in die Kunst. Vor allem aber versagt das Bürgertum vor und in der Politik. "Die Bourgeoisie war eine diskutierende Klasse, die, solange sie kann, jeder Entscheidung ausweicht."

So dient Furtwängler Straub als Symbol für "das letzte Stadium der sittlichen Verwahrlosung" des Bürgertums, die in Wahrheit im Begriff der allseits entfalteten Persönlichkeit angelegt war. "Es ist möglich, daß viele, sogar die meisten Bildungsbürger keine überzeugten Nationalsozialisten waren. Doch darauf kommt es nicht an. Das entscheidende ist und bleibt, daß der Bürger trotz innerer Vorbehalte die Nationalsozialisten gewähren ließ, bis hin zur Vernichtung der Juden."

Wenn Straub in kurioser Kontinuität zur Klassikerkritik der Achtundsechziger die heitere klassische Kunst als Flucht vor dem Ernst des Lebens deutet, übergeht er völlig die andere Seite der Griechensehnsucht, welche die republikanische Tradition politischen Denkens gegen den Absolutismus mobilisieren möchte. Die preußischen Reformen, die Revolution von 1848 und noch im Deutschen Reich das Bemühen um die Liberalisierung des Rechts, um die Trennung von Staat und Kirche, um die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen verdanken sich eben der bürgerlichen deutschen Idee von Bildung.

Sicher, die Kunst, zumal die Musik, bekam den Charakter einer Ersatzreligion. Aber was ist daran eigentlich schlecht, wenn Brahms' Deutsches Requiem das Evangelium der Solidarität verkündet? Politisches folgt daraus nicht unmittelbar. Trotzdem ist die Kunst ein bevorzugter Ort, an dem wir uns über unser Verhältnis zu Gott und der Welt und uns selbst verständigen. Dass Hitler die "Meistersinger" besonders gerne in Furtwänglers Interpretation hörte, kann gegen Wagner oder Furtwängler nur wenden, wer ein überzogenes Verständnis von Wirkung hat, Wahrheit mit Nützlichkeit verwechselt. Unbezweifelbar rückte das Bürgertum in den achtziger Jahren und dann in den Krisen der Weimarer Republik nach rechts. Aber nicht, weil es an der klassischen Bildung festhielt, sondern weil es an den politischen Implikationen der klassischen Bildung nicht festhielt.

Ein wenig scheint es Straub mit dem Marxismus zu gehen wie den Bürgern mit dem Nationalsozialismus. Er will seine Waffen gegen eine ihm suspekte Klasse verwenden und handelt sich damit eine geschichtsphilosophische Teleologie ein, die ihm kaum sympathisch sein kann. Dagegen ließe sich eine Einsicht setzen, die in der Weimarer Klassik gegen die These vom orientalischen Ursprung der griechischen Kultur gesetzt wurde. Die Griechen mögen noch so viel übernommen haben, sie haben daraus etwas ganz anderes gemacht. Es gehört zur menschlichen Freiheit, dass Traditionen nicht einfach wirken, sondern wir uns einzelne Bestandteile aneignen und andere verwerfen. Wenn Furtwängler aus Überzeugung für die klassische deutsche Musik eintrat, war es dann nicht ganz konsequent, dass er den Deutschen wie der Welt das andere Deutschland in Erinnerung rufen wollte? Ganz ähnlich mag es sich mit der neuen Bürgerlichkeit verhalten. In die Elternentscheidung für Lateinunterricht mag viel Affektation einfließen, und da hat Straub völlig recht, auf die fehlende gesellschaftliche Grundlage zu verweisen. Aber die klassische Bildung ist doch nicht das Schlechteste. Was die Kinder daraus machen, wird man dann sehen.

Eberhard Straub: "Die Furtwänglers". Geschichte einer deutschen Familie. Siedler Verlag, München 2007. 348 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Der Biograph Eberhard Straub erstarrt nicht in Bewunderung. Mit bissiger Angriffslust porträtiert er Wilhelm Furtwängler. ... Das Vergnügen des Autors beim Zergliedern des doch sehr fadenscheinigen Heldenlebens, lässt nie nach. Selbst als der Taktstocktyrann glaubt, er könne mit dem Teufel persönlich Geschäfte machen und am Ende trotzdem heilig gesprochen werden, spürt Straub die Komik, die in der Tragik von Furtwänglers Größenwahn steckt." Deutschlandradio

"Wenn es im Titel heißt "Geschichte einer deutschen Familie", so hat Eduard Straub in der Tat ein Zeit- und Lebensbild erstellt mit Leucht- und Schattenfiguren ganzer Generationen." General-Anzeiger

"Ein Kenner und Könner, ein brillanter Schreiber." Bayerischer Rundfunk

"Dieser Wilhelm war künstlerisch ein Genie und für seine Umwelt meistens ein Kotzbrocken. Das gibt einen wunderbaren Stoff zum Erzählen....Der Historiker Eberhard Straub hat das alles wunderbar in seinem Buch "Die Furtwänglers" beschrieben, das gerade im Siedler-Verlag erschienen ist." Österreich

"Eberhard Straubs Studie über "Die Furtwänglers" ist vor allem eine Biografie ihres berühmten Sprosses." Tages-Anzeiger

"Eberhard Straub schreibt die Geschichte der Familie Furtwängler und rechnet mit der Idee des deutschen Bildungsbürgertums ab." Gustav Falke in der FAZ

"Straubs Furtwängler Buch kommt mit 330 Textseiten aus und davon sind 250 Seiten Wilhelm Furtwängler gewidmet. Das ist schon von der Tarierung her also nicht die Familiengeschichte, die der Titel verspricht, der besser gelautet hätte: "Wilhelm Furtwängler und seine Familie." Die Welt

"Der Historiker Eberhard Straub erzählt mit der Familiengeschichte der "Furtrwänglers" eine Verfallsgeschichte des deutschen Bildungsbürgertums. Im Zentrum steht der Dirigent Wilhelm Furtwängler. Und mit ihm die Verstrickung des "deutschen Geistes" mit dem Ungeist des Nationalsozialismus." WDR Hörfunksendung Mosaik
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Titel des Buches ist fast ein Etikettenschwindel, glaubt man dem Rezensenten Gustav Falke. Denn im Grunde gehe es dem marxistisch orientierten Autor Eberhard Straub weniger um die Familie Furtwängler im Besonderen, sondern um das Versagen des Bürgertums angesichts des Faschismus im Allgemeinen. Insofern halte dies Buch "mehr, als es verspricht". Straubs These lautet, dass das ganze Projekt Bildungsbürgertum und die ganze "Idee von Bildung" in ihrer aller politischen Realität abgewandten Ideologie von vorneherein der "sittlichen Verwahrlosung" Vorschub geleistet habe. Das will Gustav Falke so ganz sicher nicht stehenlassen. Gewiss, es gebe eskapistische Züge zum Beispiel der klassischen "Griechensehnsucht", auf der anderen Seite aber sei das Humanistische - mit seinen sittlichen Normen - aus dem Klassischen auch nicht zu subtrahieren. Insgesamt also ein Buch, mit dem der Rezensent auf engagierte Weise nicht einverstanden ist, was womöglich aber auch seiner Ansicht nach nicht nur gegen es spricht.

© Perlentaucher Medien GmbH