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Als der 21-jährige Wolf Jobst Siedler 1947 aus der Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, ist die ehemalige Reichshauptstadt eine in Trümmern liegende "Viermächtestadt". Aber selten war das intellektuelle Leben so aufregend, und Siedler hatte daran teil. Im Osten ging er in die Premiere von Bertolt Brechts "Mutter Courage", im Westen in die deutsche Uraufführung von Sartres "Fliegen" und Thornton Wilders "Wir sind noch einmal davongekommen", die Sensation der damaligen Berliner Theatersaison.
Für noch mehr Furore sorgten damals junge Autoren, und das Buch erzählt von ihnen. Der junge
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Produktbeschreibung
Als der 21-jährige Wolf Jobst Siedler 1947 aus der Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurückkehrt, ist die ehemalige Reichshauptstadt eine in Trümmern liegende "Viermächtestadt". Aber selten war das intellektuelle Leben so aufregend, und Siedler hatte daran teil. Im Osten ging er in die Premiere von Bertolt Brechts "Mutter Courage", im Westen in die deutsche Uraufführung von Sartres "Fliegen" und Thornton Wilders "Wir sind noch einmal davongekommen", die Sensation der damaligen Berliner Theatersaison.

Für noch mehr Furore sorgten damals junge Autoren, und das Buch erzählt von ihnen. Der junge Heinrich Böll besucht Wolf Jobst Siedler in dessen Dahlemer Elternhaus. Siedler verleiht als Juryvorsitzender Martin Walser seinen ersten Literaturpreis für den Roman "Ehen in Philippsburg", im Kolbe- Haus trifft er den damals halbverfemten Gottfried Benn, der aus ungedruckten Gedichten liest.

Als Panzer den Aufstand vom 17. Juni gerade niedergeschlagen haben, wird Siedler 1953 zum Sekretär des "Kongresses für die kulturelle Freiheit" bestellt. Mit 29 Jahren leitet er das Feuilleton des "Tagesspiegels" und wird zu einem Schrittmacher im literarischen und kulturellen Leben der geteilten Stadt.

Glänzend erzählt sind seine Begegnungen: mit Thomas Mann in Bad Gastein, mit Konrad Adenauer im Hotel am Zoo, er erinnert sich an Hannah Arendt und Verhandlungen mit Martin Heidegger, an Ernst Jünger und an ein Autorengespräch mit Carl Schmitt. Die legendären Berliner Lokalitäten lässt der Autor vor seinem inneren Auge Revue passieren. Episoden wechseln sich ab mit unvergesslichen Begegnungen und prägenden Lektüren.

Wenn die Literaturkritik bislang den Berlin-Roman vermisste, hier findet sie ihn: freilich ein Roman mit einem strengen Realitätsprinzip. Mit leidenschaftlicher Skepsis hat Wolf Jobst Siedler immer wieder auf Versäumnisse und Fehlentwicklungen hingewiesen. Sein Buch "Die gemordete Stadt" sorgte 1964 für Furore. Neben die Kritik tritt der Spaziergang über die "Pfaueninsel": zwei Facetten einer Stadt, deren Zukunft Wolf Jobst Siedler uns in ihrer Vergangenheit entschlüsselt.
Autorenporträt
Wolf Jobst Siedler, 1926 in Berlin geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Literatur und wurde 1955 Feuilletonchef des Tagesspiegel. Neben seiner verlegerischen Tätigkeit ist Siedler als Essayist und Publizist hervorgetreten, unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Zeit. Zu seinen zahlreichen Buchpublikationen zählt die Gemordete Stadt, eine wegweisende Kritik der zeitgenössischen Stadtplanung. Siedler lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2004

Ohne Meister
Geist im Pelz der Natur: Die neuen Sachbücher

Der Geist treibt uns an, wir rennen ihm hinterher. In der Natur steckt er drin, wir wissen nicht wo und wie er darin untergebracht ist. Natur und Geist gehören zusammen, sie bilden, wie der Anthropologe Gregory Bateson sagte, eine notwendige Einheit. Schon der alte Schelling, der vor einhundertundfünfzig Jahren starb und deswegen in diesem Herbst mit der lesenswerten Biographie "Schelling" von Xavier Tilliette (erschienen bei Klett-Cotta) beschenkt wurde, wußte das und hielt an der Naturphilosophie fest. Ihm zur Seite steht Alexander von Humboldt mit seiner großen poetischen Erkundung der Natur im "Kosmos" (Die Andere Bibliothek bei Eichborn). Schiller traute der Einheit nicht. Mit seiner Leidenschaft für den Intellekt, der den Körper nicht schont, kommen wir, nachdem wir uns im ganzheitlichen Denken geschult haben, nicht weiter.

In seinem anregenden Buch über "Das erschöpfte Selbst" (Campus) und die grassierende Depression schreibt der Soziologe Alain Ehrenberg, daß in den demokratischen Gesellschaften der Geist, weit mehr als der Körper, ein Gegenstand heftiger Diskussionen sei. Ein Ende der Kontroversen sei nicht abzusehen. In diesen Debatten stehen unsere Überzeugungen über das Innere auf dem Spiel - nachdem schon im Mittelalter, wie der Historiker Valentin Groebner in seiner glänzenden Analyse "Der Schein der Person" (C. H. Beck) ausführt, der Mensch seinen äußeren Stempel durch Steckbrief, Ausweis und Krontrolle erhalten hat.

Ins Innere richten sich in diesem Herbst die Blicke. Der in Zürch an der Eidgenössischen Hochschule lehrende Wissenschaftshistoriker Michael Hagner unterstützt die Suche nach dem Geist mit einer spannenden Geschichte der neurowissenschaftlichen Bemühungen um die "Genialen Gehirne" (Wallstein). Mit seiner Kritik der Tradition möchte er einer vorschnellen biologistischen These vorbeugen. Diese Steilvorlage hat der Historiker Johannes Fried noch nicht genutzt. In seinem Buch "Der Schleier der Erinnerung" (C. H. Beck) versucht er, die Geschichtswissenschaft auf neurologische Füße zu stellen.

Die Natur selber liest im Buch der Natur nicht. Sie hat es deswegen einfacher als der Historiker. Ihr Gedächtnis sitzt fest im Muskel und im Reflex. Was uns das Hirn ist, das ist dem Albatros der Flügel. Die größten unter diesen Vögeln sind die Königs- und Wanderalbatrosse. Spannen sie ihre Flügeln, liegen über drei Meter zwischen der einen Flügelspitze und der anderen. Sie wiegen bis zu zwölf Kilogramm. Das Entscheidende ist: Sie müssen selbst nicht fliegen - sie gleiten. Tag und Nacht. An zwei Flügelgelenken rastet ein Versteifungsmechanismus ein, so daß nicht einmal der Vogel selbst seine Schwingen gestreckt halten muß. Diesem Wunder der Natur hat Carl Safina seinen "Flug des Albatros" (marebuchverlag) gewidmet. Der Geist der Natur ist uns, die wir die Natur des Geistes suchen, um Längen voraus.

"Der Natur des Guten" (Suhrkamp) hat die Philosophin Philippa Foot eine aufklärende Untersuchung gewidmet. Sie verbindet die Natur mit dem Geist, indem sie das Gute mit der Lebensform vereint. Gut sei, was lebensnotwendig für eine Spezies ist, mag es sich bei dieser Spezies um Pflanzen, Tiere oder Menschen handeln. Das Gute richte sich nach einem Muster natürlicher Normativität. Anders gesagt: Die Moral, der Sinn für das Gute, gehört nach Philippa Foot zum Menschen wie der Versteifungsmechanismus der Flügel zum Höhenflug des Albatros. Auf den Schwingen seiner ungestörten Natur, die sich in der Vernunft spiegelt, könnte der Mensch über die Gewässer des weniger Guten in aller Seelenruhe segeln. Tag und Nacht.

Dem Bodenpersonal ist manchmal anzulasten, daß es zu Bruchlandungen kommt. Der oben erwähnte Depressionsforscher Alain Ehrenberg erklärt, wieso heute die Menschen von einer allumfassenden Müdigkeit gepackt werden. Die Psychiater stehen ohne begriffliche Durchdringung vor dem Phänomen, dem sie mit Medikamenten beizukommen versuchen. Die Depression ist die Krankheit einer Gesellschaft, deren soziale Normativität, um den Bogen zu Philippa Foot zu schlagen, nicht mehr auf Schuld und Disziplin gründen, sondern auf Verantwortung und Initiative. Nicht einmal Gutes zu tun gelingt dem müden Menschen. Die Depression ist die Tragödie der menschlichen Unzulänglichkeit vor den neuen Freiheiten. Zunehmend mehr Mitbürger stürzen in einer Zeit ohne moralisches Gesetz und ohne Traditionen in die Ausweglosigkeit, weil sie vor der Aufgabe versagen, sich selbst zu entwerfen.

Auf all diese neuen Müden könnte Schillers frischer Enthusiamus wie eine Kurztherapie heilend wirken. Doch fehlen die Werte, die er in Ehren hielt. Ein Wert könnte in der von allen geteilten Vorstellung liegen, daß der soziale Frieden durch das Recht verbürgt ist. Der Rechtswissenschaftler Michael Pawlik begründet in seiner konzentrierten Studie über "Person, Subjekt, Bürger" (Duncker & Humblot) die Strafe als eine Vergeltung für das Unrecht. Eine Strafe in diesem Sinne, meint der Autor, hielte dem Täter seine Verantwortung für das Allgemeine vor Augen und nehme ihn dadurch ernst. Wie der Historiker vor seinen trüben Erinnerungsquellen, so kann der Täter auf die Lücke in seinem Gedächtnis hinweisen, die ihm die Verantwortung für das soziale Ganze vergessen ließ. Der Gedanke ans Soziale würde die Individuen aus ihrer Müdigkeit scheuchen.

Früher litten die Nachbarn an den repressiven Normen rundum. Heute schweben sie im luftleeren Raum der Selbstverwirklichungen. Ohne fruchtbare Konflikte mit der Gesellschaft verkümmern sogar die Voraussetzungen für eine Demokratie. Die Erinnerungen "Begegnungen" von Joachim Fest (Rowohlt Verlag) und "Wir waren noch einmal davongekommen" von Wolf Jobst Siedler (Siedler Verlag) zeigen, welche intellektuelle Statur sich in der produktiven Reibung an der Gesellschaft bilden kann. Wie ein Donnerwetter mutet auch das Wirken Arthur Koestlers vor dem Hintergrund der Erschöpfung an. Dem Schriftsteller, der sich gerne seinem Selbst zuwandte, hat Christian Buckard die Biografie "Arthur Koestler" (C. H. Beck) gewidmet, aus der zu lernen ist, daß der Einsatz auf der Bühne der Taten dem Warten auf der Ersatzbank der Träume vorzuziehen ist.

Von allen Gedanken Schillers kann vielleicht die Idee einer ästhetischen Erziehung des Menschen noch einschlagen. Mit Umberto Ecos opulentem Bildband über die "Geschichte der Schönheit" (Carl Hanser) ist ein erster Wurf in diese Richtung wieder gemacht. Die Bilder mögen dem Müden als ein Stimmungsaufheller dienen, ob sie ihn aus seiner Malaise herausholen, ist ungewiß. Der Gesellschaft fehlt es nicht nur an Werten, sondern wahrscheinlich auch an Lehrern. Der Gelehrte George Steiner ist dem Verhältnis vom "Meister und seinen Schülern" (Carl Hanser) nachgegangen. Eine sehr lohnenswerte Aufgabe hat er damit übernommen, an deren Ergebnissen man ein zeitdiagnostisches Raster hätte ablesen können. Leider meistert Steiner die Meister nicht. Wir vermuten, daß ihm selbst als Schüler der Meister und das Vorbild der Meisterschaft fehlte.

In den Zirkeln, von denen Joachim Fest zu erzählen weiß, traten Meister auf, darunter die Philosophin Hannah Arendt, der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger. Manchem Müden hätte eine solche Begegnung auf die Sprünge geholfen. Oft fehlt ja nur der persönliche, der seelische Funken, der den Versteifungsmechanismus zum Guten auslöst. Dabei ist die Zeit, die einem für ein gelungenes Leben bleibt, ein knappes Gut, wie uns der französische Philosoph Jullien in seinem Buch "Über die Zeit" (Diaphanes) nachdrücklich vorführt.

Einen Trost im Brunnen des Selbst bieten Giorgio Agambens tiermenschfreundliche Essays "Kindheit und Geschichte" (Suhrkamp) sowie Roberto Zapperis Geschichte des "Wilden Mannes von Teneriffa" (Carl Hanser). Der wilde Mann hieß Pedro Gonzales, wurde im sechzehnten Jahrhundert geboren, war überall mit Haaren bedeckt und sah aus - nicht wie ein Albatros, sondern wie ein Pelztierchen. Er kam als Kind an den französischen Hof, und statt zu kapitulieren ob seines Aussehens studierte er und heiratete eine schöne Französin, die ihm tierisch behaarte Kinder schenkte. Die Welt bestaunte sie als Zwitter aus Mensch und Tier. Geist und Natur gingen hier eine pelzige, aber notwendige Einheit ein, aus der es kein Entkommen gab und in die es in diesem Herbst eine schöne haarige Einsicht gibt.

EBERHARD RATHGEB

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"Siedler gehört zu den großen Verlegerpersönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sein Buch gibt der Form der Lebenserinnerungen die Würde zurück. Es ist eine Autobiografie auf der Höhe der literarischen Kunst."
(Rüdiger Safranski)

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Angela Gutzeit zeigt sich zunächst ziemlich beeindruckt von dem "Erinnerungsvermögen" des Journalisten und Verlegers Wolf Jobst Siedler, der nach eigenem Bekunden diesen zweiten Teil seiner Autobiografie ohne Unterstützung von Tagebuchaufzeichnungen oder Notizen allein aus dem Gedächtnis diktiert hat. Siedler schreibt aus dem Bewusstsein einer untergegangenen Welt, des alten Berlin, dessen "intellektuellen und städtebaulichen Verfall" er beklagt, und manchmal geht der Rezensentin der die Lebenserinnerungen durchziehende "melancholische Ton" ein bisschen "auf die Nerven", wie sie zugibt. Dennoch stimmt Siedler keine "weinerliche Klage" in Sehnsucht nach der besseren alten Zeit an, beeilt sich die Rezensentin zu betonen. Denn der Verleger ist "durch und durch ein Konservativer" und vertritt dies mit "Überzeugung", so Gutzeit, die ihm darüber hinaus auch ein "selbstkritisches Gefühl für seine Grenzen" zuschreibt. Über seine Zeit als Verleger ist aus diesen Memoiren kaum etwas zu erfahren, da sie hauptsächlich in den journalistischen Jahren Siedlers angesiedelt sind, so die Rezensentin weiter. Für sie zählt das Kapitel, in dem Siedler über seine Zusammenarbeit mit dem "empfindsamen" Golo Mann für den Propyläen Verlag schreibt, zu den "schönsten" des Buches. Lediglich Siedlers "gewisse Naivität" im Umgang beispielsweise mit Albert Speer, den er zur Veröffentlichung seiner Memoiren im Propyläen Verlag brachte, irritiert Gutzeit etwas, zumal kaum Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte in den Lebenserinnerungen anklingt. Trotzdem zeigt die Autobiografie insbesondere in der mitschwingenden Melancholie auch die tiefen "Brüche in der deutschen Geschichte", so die Rezensentin abschließend versöhnlich und alles in allem recht angetan.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ein großes Berlin-Erinnerungsbuch!" Mitteldeutsche Zeitung