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Am Abend des 4. Oktober 1941 begibt sich eine Gruppe französischer Schriftsteller vom Pariser Gare de l'Est auf die Reise nach Deutschland. Zu ihnen zählenüberzeugte Faschisten wie Drieu la Rochelle oder Robert Brassilach, aber auch bedeutende»apolitische« Autoren wie Jacques Chardonne und Marcel Jouhandeau. Begleitet von Gerhard Heller, bei den deutschen Besatzungstruppen zuständig für das»Schrifttum«, fährt die Reisegesellschaft zunächst an den Rhein, besichtigt das Beethoven-Haus in Bonn, Goethes Geburtshaus in Frankfurt am Main. Dann geht es weiter nach München, Salzburg und Wien, wo sie…mehr

Produktbeschreibung
Am Abend des 4. Oktober 1941 begibt sich eine Gruppe französischer Schriftsteller vom Pariser Gare de l'Est auf die Reise nach Deutschland. Zu ihnen zählenüberzeugte Faschisten wie Drieu la Rochelle oder Robert Brassilach, aber auch bedeutende»apolitische« Autoren wie Jacques Chardonne und Marcel Jouhandeau. Begleitet von Gerhard Heller, bei den deutschen Besatzungstruppen zuständig für das»Schrifttum«, fährt die Reisegesellschaft zunächst an den Rhein, besichtigt das Beethoven-Haus in Bonn, Goethes Geburtshaus in Frankfurt am Main. Dann geht es weiter nach München, Salzburg und Wien, wo sie der Reichsstatthalter Baldur von Schirach empfängt. In Berlin führt man sie in der Reichskanzlei durch Hitlers Arbeitszimmer, und Joseph Goebbels fragt die französischen Gäste zynisch:»Wie viele zerbombte Häuser haben Sie gesehen? Wie viele Maschinengewehre bewachen meinen Amtssitz?« Von Station zu Station zeigt sich, wie das Gift der Kollaboration in die Gedankenwelt der französischen Schriftsteller einwirkt. Marcel Jouhandeau schreibt:»Ich für meinen Teil fühle mich unseren ehemaligen deutschen Feinden instinktiv tausend Mal näher als all diesem vorgeblich französisch-jüdischen Pack.«François Dufay zeigt anhand bislang unveröffentlichter Aufzeichnungen denäußeren Verlauf dieser Herbstreise, aber vor allem den inneren: die schleichende, dann ganz offene Kompromittierung der Intellektuellen durch den Nationalsozialismus. Hitlers willige Gesprächspartner aus Frankreich schließen einen Pakt mit dem Teufel. Man gewinnt einen historisch genauen Sinn von dem, was die literarische Kollaboration ausmachte.
Autorenporträt
Francois Dufay war Schüler einer Pariser Elitehochschule, über die er ein Buch verfasste. Er arbeitet heute als Journalist bei der Zeitschrift "Le Point" in Paris.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Strumpfhalter
Der Charme
der literarischen Kollaboration
Drei französische Schriftsteller begeben sich im Herbst 1941 auf eine offizielle Reise durch das tausendjährige Reich. Sie lassen sich die Schönheiten des Rheins zeigen. Sie lassen sich in München von Hanns Johst, dem Vorsitzenden der Reichsschrifttumskammer, versichern, dass Deutschland „keinerlei imperialistische Ziele verfolgt”. Sie speisen in Wien mit Baldur von Schirach, ergehen sich in Berlin in den 400 Quadratmetern von Hitlers Büro in der Reichskanzlei – der Mann selbst ist allerdings abwesend.
Die drei reisen zu einem Weimarer Kongress, wo sie mit willfährigen Kollegen aus dem europäischen Ausland einen Schriftstellerverband gründen. Bei dieser Gelegenheit bricht Jacques Chardonne in Tränen der Ergriffenheit aus. Aber wer ist Jacques Chardonne? Wer sind Marcel Jouhandeau und Ramon Fernandez, die ihn auf der Rundreise begleiten? Und wer sind Robert Brasillach, Drieu la Rochelle, Abel Bonnard und André Fraigneau, die in Weimar hinzustoßen? Sind sie repräsentativ für die französische Literatur der Besatzungszeit?
Wohl kaum. François Dufay, Journalist bei „Le point”, arrangiert die „Herbstreise” ein wenig nach dem Muster des Enthüllungsbuchs über die Verführbarkeit französischer Intellektueller, aber es verfängt nicht. Diese Schriftsteller waren keineswegs repräsentativ. Ex negativo, aber ohne dass Dufay es zur Sprache bringt, erscheint ihre Reise sogar als Misserfolg des charmanten Gerhard Heller, der sie als Kulturfunktionär der Nazis in Paris vorbereitet hatte.
Das Modell für solche Schriftstellerreisen hatte Josef Stalin geliefert. Das oberste Prinzip des Genres war: Möglichst keine Parteigänger. Je ungebundener der Schriftsteller politisch war, desto größer der spätere Propagandaerfolg seiner scheinbar unabhängigen Reiseberichte. Nach diesem Kriterium hat Heller versagt: Vier der sieben Schriftsteller waren Repräsentanten der Kollaboration. Robert Brasillach leitete die antisemitischen Hetzkampagnen der Zeitung „Je suis partout”, Drieu la Rochelle repräsentierte die mildere Spielart der intellektuellen Kollaboration in der „Nouvelle revue française”. Abel Bonnard wurde später Bildungsminister unter Pétain. Der Kritiker Ramon Fernandez war Mitglied im Politbüro der faschistischen Volkspartei von Jacques Doriot und ein wichtiger Literaturfunktionär– er hatte zum Beispiel Marguerite Duras im Amt für Papierzuteilung, einer Zensurinstanz der Kollaboration, untergebracht, ein Umstand, den die spätere Diva der linken Avantgarde gern verschwieg.
Ein gewisser literarischer Rang wird heute allenfalls noch Jacques Chardonne zugestanden, dessen psychologisierende Provinzromane seinerzeit erfolgreich waren. Geholfen hat ihm später, dass er, der noch im März 1944 ein Bekenntnis zu Hitler ablegte, der erklärte Lieblingsschriftsteller François Mitterrands war.
Flirt im Dienst der Sache
Gerhard Heller war durchaus nicht zufrieden mit dem schütteren Grüppchen, wie aus einem Zitat Dufays hervorgeht. Aber obwohl Dufay für seine Recherche angeblich unveröffentlichte Quellen auftat, sagt er nichts über Hellers Bemühungen zur Vorbereitung der Reise. Wen hat er gefragt? André Gide oder Cocteau waren gewiss nicht zu haben. Aber wie stand es mit Jean Giraudoux oder Henry de Montherlant, die zumindest zu Beginn der Besatzung als Maréchalisten empfanden? Gibt es Briefwechsel? Dufay sagt nichts über Quellenlage und Forschungsstand. Anzunehmen ist, dass selbst sympathisierende Schriftsteller diese Reise als kompromittierend empfunden hätten. Viele einflussreiche Akteure, wie Jean Paulhan – der eigentliche Leiter der „Nouvelle revue française” – waren in die Résistance gegangen. Wer nicht hundertprozentig an den Sieg der Deutschen glaubte, hielt sich schon aus Karrierekalkül in der Reserve. Historisch Interessierten bringt das Buch, dem überdies ein Register fehlt, wenig Neues. Für deutsche Leser wirft es zudem einen schrägen Blick, denn an der Herbstreise waren auch andere Autoren aus dem befreundeten Ausland beteiligt, aber Dufay interessiert sich nur für die Franzosen.
Die Lektüre lohnt dennoch wegen eines gewissen atmosphärischen Reizes. Drei der sieben französischen Autoren waren Schwule. Abel Bonnard, ein geistreich- platter Académicien, war von Pétain selbst mit dem Schmähtitel einer „gestapette” geehrt worden. Er gehörte wie Fraigneau zur Kategorie schwuler Ästheten, die es beim Anblick arischer Recken in den Suspensorien zwickte.
Der kurioseste Fall ist allerdings Marcel Jouhandeau. Dufay zitiert ausgiebig aus dessen wehleidig-geschwätzigen Tagebuchnotizen: Jouhandeau hatte sich sterblich in Gerhard Heller verliebt, der – im Interesse der Sache! – alle Regeln des Flirts weidlich nutzte und übertrat. Man erging sich Hand in Hand in peripatetischen Dialogen, widmete sich Gedichte, zankte und vertrug sich. Kompliziert wurde die Lage durch die Anwesenheit des jungen Hans Baumann, eines für dröhnende Hitler-Gedichte und athletische Statur bekannten Nazidichters. Jouhandeau erkannte in seinem Antlitz die „Züge des Hirten David”. Das Spiel der Blicke im Führerbüro muss grotesk gewesen sein. Einen Fassbinder hätte das Buch zu einer Farce inspiriert: Drei zarte Satansbraten im Reich der blonden Bestien.
THIERRY CHERVEL
FRANCOIS DUFAY: Die Herbstreise. Französische Schriftsteller im Oktober 1941 in Deutschland. Ein Bericht. Siedler Verlag, Berlin 2001, 192 Seiten, 36 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Sehnsuchtsfahrt
Französische Schriftsteller bei Goethe und Goebbels

François Dufays Bericht über die legendäre Deutschland-Reise faschistischer französischer Autoren im Oktober 1941 zum Schriftstellerkongreß in Weimar wurde bereits bei seinem Erscheinen auch hierzulande zur Kenntnis genommen. Für die deutsche Ausgabe - Tobias Scheffel hat den Text sorgfältig übersetzt - wurden ein paar Ungenauigkeiten korrigiert. Das Buch erscheint mit einem zusätzlichen Bild- und Kartenteil, die den Verlauf dokumentieren.

Die Reise führte nicht nur zu Goethe und Goebbels, sondern durch weite Teile Deutschlands. Sie war ein zentrales Ereignis der kulturellen Kollaboration. Sorgfältig hat sie François Dufay, Journalist beim Nachrichtenmagazin "Le Point" und bei der Zeitschrift "L'Histoire", nachgezeichnet. Lebendig beschreibt er die Etappen, einfühlsam porträtiert er die Schriftsteller, die sich an ihr beteiligten. Besser als die Schilderung des Dichtertreffens in der Kleinstadt der deutschen Klassik ist die Beschreibung des Besuchs bei Arno Breker. Auch die Berichte, die sie nach ihrer Rückkehr vorlegten, hat Dufay gelesen. Relativ vollständig rekapituliert er die propagandistische Ausschlachtung, deren Gegenstand sie wurden.

Doch die Stärke des Autors ist die impressionistische Reportage und nicht die ideologische oder kulturpolitische Analyse; störend wirkt die Frivolität vieler Stellen. Drei Zitate stellt Dufay dem Bericht voran - nur eines stammt von einem Teilnehmer, Marcel Jouhandeau: "Alle meine Reisen waren Hochzeitsreisen."

Für Dufay folgte der Dichter vor allem Gerhard Hellers homoerotischer Ausstrahlung und Verführungsstrategie - nicht Deutschland, sondern Deutsche waren das Objekt seiner Sehnsüchte. Heller, in Paris für die Zensur zuständig, hatte die Reise organisiert. Über ihn erfährt man aus Dufays Buch, was Heller in seinen späten Memoiren verschwiegen hat: daß er seit 1934 Parteimitglied war.

JÜRG ALTWEGG.

François Dufay: "Die Herbstreise". Französische Schriftsteller im Oktober 1941 in Deutschland. Ein Bericht. Aus dem Französischen übersetzt von Tobias Scheffel. Siedler Verlag, Berlin 2001. 191 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

François Dufays Bericht von der legendären Deutschlandreise der mit Nazideutschland kollaborierenden französischen Schriftsteller im Jahr 1941 hat schon bei seinem Erscheinen in Frankreich hierzulande für Aufsehen gesorgt, berichtet Jürg Altwegg. Die deutsche Übersetzung habe nun den Vorteil, einige Ungenauigkeiten beseitigt zu haben sowie über einen zusätzlichen Bild- und Kartenteil zu verfügen, der die Reiseroute nach Weimar und darüber hinaus dokumentiert. Dufay packt die Sache eher impressionistisch an; die kulturpolitische Analyse sei nicht seine Stärke, so Altwegg, der sich an der Frivolität mancher Stellen stößt. Er berichtet von Marcel Jouhandeau, der Dufay zufolge der Verführungsstrategie Gerhard Hellers erlegen sei, der in Paris für die Zensur zuständig war und die Deutschlandreise der französischen Autoren organisiert hatte. Nicht Deutschland, sondern Deutsche wären das Objekt von Jouhandeaus Sehnsucht gewesen. Es bleibt unklar, ob und warum Altwegg nun an der Herausstellung dieser Tatsache Anstoß nimmt oder was ihm sonst Frivoles begegnet ist.

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