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Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig als Spross einer sächsischen Handwerkerfamilie geboren, schloss sich nach einem Zwischenspiel bei der SPD früh der kommunistischen Bewegung an. Er wird Reichstagsabgeordneter der Kommunistischen Partei und geht im Oktober 1933 in die Emigration nach Prag, Paris und Moskau, wo er Herbert Wehner wiedertrifft. Für sein Buch hat Mario Frank erstmals geheime Unterlagen der Kommunistischen Internationale eingesehen, die diese wichtige Lebensphase von Ulbricht erhellen.
Am Tag von Hitlers Selbstmord, dem 30. April 1945, kehrt er als Leiter der "Gruppe Ulbricht"
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Produktbeschreibung
Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig als Spross einer sächsischen Handwerkerfamilie geboren, schloss sich nach einem Zwischenspiel bei der SPD früh der kommunistischen Bewegung an. Er wird Reichstagsabgeordneter der Kommunistischen Partei und geht im Oktober 1933 in die Emigration nach Prag, Paris und Moskau, wo er Herbert Wehner wiedertrifft.
Für sein Buch hat Mario Frank erstmals geheime Unterlagen der Kommunistischen Internationale eingesehen, die diese wichtige Lebensphase von Ulbricht erhellen.

Am Tag von Hitlers Selbstmord, dem 30. April 1945, kehrt er als Leiter der "Gruppe Ulbricht" nach Deutschland zurück und beginnt die administrative Arbeit in der sowjetisch besetzten Zone. Im Oktober 1949 wird die DDR gegründet, Ulbricht wird stellvertretender Ministerpräsident, im Juli 1950 Generalsekretär des ZK der SED. Damit schlägt die Stunde des Administrators, der Fünfjahrespläne entwirft, mit dem "planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus" beginnt und persönlich Todesurteile verhängt.
Mario Frank zeigt die Machtkämpfe der SED-Nomenklatura, die Erschütterung des Machtgefüges am 17. Juni 1953, den Eifer und die Machtbesessenheit Ulbrichts, der alle Krisen übersteht und schließlich 1960 Staatsratsvorsitzender wird. Akribisch in der Vorbereitung von Konferenzen und Zusammenkünften, fleißig im Aktenstudium, taktisch geschickt und verschlagen, hochfahrend und katzbuckelnd zugleich erscheint Walter Ulbricht, der vor allem in den sechziger Jahren, der eigenen Bevölkerung verhasst, um Anerkennung nach außen und Zuneigung im Innern rang.
Was waren hinter alldem Eifer und der Energie Ulbrichts eigentliche Antriebe, seine Ideen und Ziele? Wollte Ulbricht anfangs die Einheit Deutschlands? Strebte er die Sowjetisierung der DDR an? Wie sollte dieser deutsche Staat überhaupt beschaffen sein?
Ulbricht waren, trotz Mauer und Stacheldraht und eines furchtbaren Unrechtssystems, reformerische Ansätze nicht fremd. Nach dem von ihm vorangetriebenen Mauerbau gelang in der DDR ein "Rotes Wirtschaftswunder". Aber Ulbricht war zu sehr dem dogmatischen Denken seiner Herkunft und Prägung verhaftet, um Reformen konsequent durchzuführen.

1971 wurde Walter Ulbricht als SED-Generalsekretär von Erich Honecker abgelöst und in seinen beiden letzten Lebensjahren ins politische Abseits gedrängt. Der nahezu achtzigjährige Staatsratsvorsitzende wurde im Auftrag Erich Mielkes von seinem Fahrer bespitzelt.

Autorenporträt
Mario Frank, geboren 1958 in Rostock, aufgewaschsen in der Schweiz auf. Studium der Rechtswissenschaften in Regensburg und Freiburg im Breisgau. Heute Geschäftsführer der "Sächsischen Zeitung" und der "Morgenpost" in Dresden tätig. 2001 Veröffentlichung einer viel beachteten 'Walter Ulbricht'-Biografie.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2001

Kleiner Mann ganz groß
Der erste Mann der DDR, Walter Ulbricht, war immer im Dienst: als Kommunist, als Staatsratsvorsitzender, und als Privatmensch
MARIO FRANK: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie, Siedler Verlag, Berlin 2001. 539 Seiten, 48 Mark.
Das gesteigerte historische Interesse der Deutschen wird vorrangig auf den Osten konzentriert, seit Jahren übrigens. Der Westen verblasst inzwischen fast geschichtslos. Auch in dieser neuen Ul-bricht- Biografie erscheint der Westen eher als Objekt der Selbstgewissheit. Mario Frank ist übrigens Geschäftsführer der Sächsischen Zeitung und der Dresdner Morgenpost, und in solcher Eigenschaft kommt man in aller Regel immer noch nicht aus dem Osten. Das hat mit Bezug auf die Ulbricht- Biografie keine prinzipielle Bedeutung, sondern entschlackt den Text bestenfalls um die Ahnung lebensweltlicher Zusammenhänge.
„Die bisherige publizistische Behandlung Walter Ulbrichts wird seiner Bedeutung als Schlüsselfigur des Kommunismus in Deutschland nicht gerecht”, schreibt Frank im Nachwort . Die Biografie dieses Mannes habe ihn „über viele Jahre beschäftigt”. Der Text, durchsetzt von Fußnoten und Quellenhinweisen, bezeugt das. Allerdings führt uns das erste Kapitel keineswegs in das Jahr 1893, das Geburtsjahr Ulbrichts, sondern in den Juni 1953. Und damit es dem Leser gleich klar ist, wurde dieses erste Kapitel mit der bekannten Forderung „Der Spitzbart muss weg!” überschrieben.
Brecht und die Poesie
So werden Leser einleitend mit der wohl wichtigsten Niederlage Ulbrichts konfrontiert. Und dieses Kapitel taucht die folgenden gleich in eine allgemeine Beleuchtung, die keinen Zweifel am klassenkämpferischen Gestus des Werkes aufschimmern lassen. Leichte und völlig unnötige Seitenhiebe finden sich da, etwa wenn Brecht gegen die Poesie deutscher Klo-Wände gestellt ist. Oder wenn Ulbrichts Gegnern der „politische Killerinstinkt” abgesprochen wird, den – so der logische Schluss – Ulbricht eigentlich haben muss. Aber ist „politischer Killerinstinkt” mehr als politologischer Gassen-Jargon?
Das zweite Kapitel beginnt dann mit Kindheit und Jugend, im folgenden bleibt das Buch chronologisch orientiert, wenn auch gelegentlich Vorgriffe und Rückblicke die Jahreszahlen purzeln lassen, was durchaus der Lesbarkeit des Textes zugute kommt. Die Kindheit verbringt Ulbricht jedoch nicht im „Nauendörfchen”, sondern im Leipziger Stadtteil Naundorf. Zur Welt brachte ihn die Mutter als erstes von drei Kindern in der Gottschedstraße. Nach mehreren anderen Adressen in Folge von Umzügen „landeten” die Ulbrichts 1917 mehr aus Geldmangel denn aus eigenem Antrieb in Naundörfchen 26. Das war eine Adresse für das Prostituiertenmilieu der Messestadt. Die Wanderjahre des Tischlergesellen und seine ersten politischen Aktivitäten in Leipzig werden knapp skizziert.
Mario Frank wertet erstmals Akten aus der Kommunistischen Internationale und aus dem Sächsischen Landtag (1926–1929) aus, ohne sensationell neue Erkenntnisse zu Ulbrichts Leben zu produzieren. Eher wird durch sie Bekanntes erhärtet. Die zwanziger Jahre verbringt Ulbricht mit wechselnden Funktionen in der KPD, bis ihn die Machtergreifung der Nazis in die Illegalität zwingt. Der Antifaschist geht erst auf Beschluss der KPF ins Exil nach Paris und Prag, ab 1938 nach Moskau, wo er beim Exekutivkomitee der Komintern wirkt. Nicht wenige Kommunisten, die dem blutigen Terror der Nazis in Deutschland entkamen, fallen nunmehr der stalinistischen Säuberung zum Opfer.
Ulbricht ist, wie Herbert Wehner, im berüchtigsten Hotel Lux untergekommen. Es verdient hervorgehoben zu werden, dass der Biograf auch den Einsatz Ulbrichts für hilfsbedürftige deutsche Genossen in Moskau würdigt, obgleich dies keinesfalls seinem Weltbild zu entsprechen scheint.
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges ist Ulbricht wieder in Berlin. Er wirkt engagiert beim Aufbau der KPD in der Sowjetischen Besatzungszone mit und forciert die Vereinigung von KPD und SPD zur SED. Diese Vereinigung, an der ohne Zweifel Zwang mitwirkte, entsprach als Lehre aus der Nazi-Herrschaft dem Wunsch nicht weniger Kommunisten und Sozialdemokraten. Die Vereinigung wurde mit dem Übergang der SED zur „Partei neuen Typs” zum großen Problem, zumal damit die Stalinisierung verbunden war. Ulbricht scheitert beinahe im Juni 1953, wird jedoch aufgrund von Veränderungen der Politik in Moskau auf nahezu wunderliche Weise noch einmal „gerettet”.
Der einzige Arbeiteraufstand, den die deutsche Bourgeoisie abgöttisch liebt, hätte dem deutschen Kommunisten beinahe die Absetzung gebracht – ausgerechnet von Berija, dem Henker Stalins, aktiv betrieben. Gegen seine innerparteilichen Gegner kann er sich (mit den brutalen Methoden denunziatorischer Kommunikation) durchsetzen. Mit Karl Schirdewahn wird sein letzter ernst zu nehmender Konkurrent 1958 als „Archivar” ins politische Abseits gestellt.
Störrische Alleingänge
Auf dem Höhepunkt seiner Macht leistet sich Ulbricht nach dem Mauer-Bau einige störrische Alleingänge, teils gegen den SED-Apparat, teils gegen Moskau. Da muss zunächst der Versuch erwähnt werden, mit dem Neuen Ökonomischen System (NÖS) der Planung und Leitung der Volkswirtschaft Effizienz zu gewinnen, eng verbunden mit einer hohen Wertschätzung von Wissenschaft und Technik (wissenschaftlich-technische Revolution, Kybernetik, Prognose).
Zweitens beharrt Ulbricht auf dem Ziel der deutschen Einheit und versucht deshalb auch drittens mehr Unabhängigkeit von Moskau zu erreichen, um eine andere Politik gegenüber dem anderen deutschen Staat entwickeln zu können. Alle drei Ansätze werden ihm durch die Polit-Bürokratie und insbesondere durch das verborgene Zusammenwirken von Honecker und Breschnew zunichte gemacht. Ulbricht muss in allen drei Punkten einen Rückzieher machen.
Im Zusammenspiel von Honecker und Breschnew wird Ulbricht nach „bewährter” Methode entmachtet und lebt nur noch zwei Jahre, in denen sein Einfluss erheblich gestutzt wird. Honecker und Breschnew betreiben mit ihrer realsozialistischen Status-quo-Politik den Stillstand und tragen sicher ungewollt, aber gründlich zur Beschleunigung der späteren Implosion des Systems bei.
Das vorliegende Buch ist faktenreich und durchaus lesenswert, wenn man den antikommunistischen Grundgestus des Verfassers und seine fraglose Selbstgewissheit zu überlesen in der Lage ist. Letztere schadet dem Buch leider substantiell, wenn zum Beispiel Forschungsergebnisse aus dem Osten eher ignoriert zu werden scheinen (so Harald Wessels Münzenberg-Biografie oder Forschungsergebnisse von Wolfgang Kießling und Norbert Podewin, der 1995 eine neue, bemerkenswerte Ulbricht-Biografie vorlegte.) Das Kapitel über den Privatmann Ulbricht ist eher schlecht geraten. Über Privates gibt es bei allerdings Ulbricht auch wenig zu berichten. Er war stets „im Dienst”.
Eine Anmerkung zur Sache: Nach der Wende hatte ich mehrere Gespräche mit Lotte Ulbricht, die immer noch in jenem kleinen Haus in Berlin-Pankow lebt, in dem sie mehrere Jahre mit Walter verbrachte. Meine Versuche, sie an seriöse Journalisten zu vermitteln, um über ihren Mann zu sprechen, misslangen gründlich. Die politische Kultur der Arbeiterbewegung der Zwanziger Jahre hat sie tief verinnerlicht: „Dir als Vorsitzendem sage ich alles. Den bürgerlichen Medien sage ich nichts.” Das war ihr eindeutiges Wort, und ich hatte es zu akzeptieren im Bewusstsein, dass verinnerlichte Lebensregeln nur schwer und zumeist mit Beschädigung der Persönlichkeit zu verändern sind. So weiß ich durch Lotte Ulbricht manches über Walter Ulbricht, ohne damit etwas anfangen zu können. Ich schreibe das ohne Klagen.
Lottes Lebenswelt
Und vielleicht ist es genau das, was der flüssig geschriebenen Biografie fehlt: Sie zeigt den aus Akten und Berichten rekonstruierten Ulbricht; wir hören viele Urteile und Vorurteile über ihn und sehr wenig über sein sozio-kulturelles Umfeld, über seine und Lottes Lebenswelt. Der Verfasser der Biografie hat offenbar selten ernste Fragen an die Geschichte: Fragwürdig ist ihm wenig. So übersieht er auch manche historischen Zusammenhänge, etwa in Bezug auf die Enteignung von Kriegsverbrechern in der Nachkriegszeit; über Motive von Menschen, nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Nazi-Terror ein alternatives Deutschland auf sozialistischer Grundlage aufbauen zu wollen. Völlig außer Betracht bleiben deshalb schon vom Ansatz her Verdienste eines Walter Ulbricht etwa mit Bezug auf die Bildung von Arbeitern und Bauern wie deren Kinder. Obwohl freilich auch Ideologie Bildung verengte, wird gleich das Ganze verworfen. Und es wäre doch sehr schön, wenn für künftige Biografien und andere Werke auch Westdeutschland wieder eine Geschichte bekäme.
Immerhin enthält das Buch neben ein paar kleineren Unkorrektheiten (Demokratischer Frauenbund Deutschland, nicht Deutscher Frauenbund, Verwechslung von 7. und 8. Parteitag) auch eine Menge wichtiger Tatsachen wie richtiger Wertungen über Walter Ulbricht. In Bezug auf die letzten Jahre seines Wirkens können wir bei Frank gar heimliche Sympathie für den alten Ulbricht vermuten, wenn auch nicht beweisen.
Es ist dies die Biografie über ein an Widersprüchen reiches Leben im vergangenen Jahrhundert, dem „Zeitalter der Extreme”, wie Eric Hobsbawm es zutreffend nannte.
LOTHAR BISKY
Der Rezensent ist Fraktionschef der PDS in Brandenburg.
Zum Volkshelden hatte „der Spitzbart” kein Talent; Walter Ulbricht blieb zeitlebens ein einsamer Mann.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2001

Eiskalter Spitzengenosse mit Spitzbart
Walter Ulbricht: Schlüsselfigur des Kommunismus in Deutschland und Vasall Stalins

Mario Frank: Walter Ulbricht. Eine deutsche Biografie. Siedler Verlag, Berlin 2001. 539 Seiten, 48,- Mark.

Der Sachse mit Spitzbart und Fistelstimme war ungemein fleißig - darin wenigstens sind sich alle bisherigen Biographen einig. Ein Recht auf Faulheit reklamierte er weder für sich, noch gestand er es je anderen Leuten zu. In puncto Bienenfleiß und in solchen "Sekundärtugenden" wie Gründlichkeit und Perfektionismus konnte der am 30. Juni 1893 in der Leipziger Gottschedstraße geborene Schneidersohn als typischer Preuße gelten. Kaum jemand ist dem hypothetischen Charakterbild des "Roten Preußen" leibhaftig so nahe gekommen wie der langjährige SED-Spitzengenosse und DDR-Staatschef Walter Ulbricht, der am 1. August 1973 an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb.

Nun, fast drei Jahrzehnte später, holt der Fleiß Walter Ulbrichts seine Biographen ein. "Die bisherige publizistische Behandlung Walter Ulbrichts", schreibt Mario Frank im Nachwort, "wird seiner Bedeutung als Schlüsselfigur des Kommunismus in Deutschland nicht gerecht." Carola Stern dankt er für viele Anregungen, auch für den Grundgedanken, daß man Ulbricht "ernst nehmen muß".

In der Tat hatte Carola Stern bereits 1964 - in einem RIAS-Gespräch zu Ulbrichts 71. Geburtstag - die "verzerrten Ulbricht-Bilder" in Ost und West beklagt. In der "Zone" werde sein Bild durch Lobpreisungen völlig verfälscht. Und in der Bundesrepublik führe der Haß zur Verzerrung. Doch schon Frau Sterns damals erschienenes Buch "Ulbricht - Eine politische Biographie" ließ erahnen, wie tief man in die Details einsteigen muß, um dieser geschichtlichen Schlüsselfigur einigermaßen gerecht zu werden.

Da Franks "deutsche Biografie" sich auch noch "an eine breitere Öffentlichkeit" richtet und zugleich "der Wissenschaft von Nutzen" sein will, sind für das Buch Maßstäbe gesetzt, denen ein einzelner Autor - und sei er ein Riese an Fleiß und Kombinationskraft - nur schwerlich genügen kann. Eins allerdings ist sicher: Franks Buch über "WU" (wie man im SED-Apparat sagte) wird Furore machen, weil es den "Fall Ulbricht" neu aufrollt - mit neuem Aktenwissen und mit der Gelassenheit des neuen Jahrhunderts.

Schon jetzt heben einige Rezensenten die neue Biographie in den Himmel, dieweil andere Verrisse für angebracht halten. Lesenswert sind die kärglich illustrierten 539 Seiten allemal. Und sei es nur zu dem Zweck, in den anstehenden Streitgesprächen mitreden zu können.

In dreierlei Hinsicht vor allem könnte die Darstellung zu neuem Diskurs anregen: erstens über Ulbrichts Rolle in den Auseinandersetzungen um eine antifaschistische Einheitsfront 1935 bis 1937 in Prag und Paris (Ulbrichts Kampf gegen Willi Münzenberg), zweitens über Ulbrichts Rolle in den dramatischen Entwicklungen vor und nach dem 17. Juni 1953 (Ulbrichts Kampf mit L. P. Berija, Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt) sowie drittens über Ulbrichts Reformversuche in den sechziger Jahren (sein Dissens mit Leonid Breschnew und Erich Honecker). In allen drei Punkten steht ein annähernd bündiges zeitgeschichtliches Urteil noch aus.

Im Ringen um eine "Deutsche Volksfront" gegen Hitler hat der KPD-Spitzenfunktionär Ulbricht eine verhängnisvoll negative Rolle gespielt. Doch entsprach das geschichtlich unverantwortliche Intrigenspiel gegen Münzenberg weniger der Borniertheit und dem Machtrausch Ulbrichts, sondern eher seinem Vasallentum gegenüber Stalin. In Franks Buch sind die erst Anfang dieses Jahres in Berlin veröffentlichten Tagebücher von Georgi Dimitroff bereits ausgewertet. Aus ihnen geht klar hervor, daß Stalin schon 1934 Münzenbergs Aktivitäten verabscheute und daß er 1937 keinen Hehl aus seiner Absicht machte, Münzenberg als "trotzkistischen Schurken" nach Moskau zu locken, um ihn zu liquidieren.

Erstmalig konnten unbekannte Akten aus dem Moskauer Archiv der Kommunistischen Internationale (Komintern) herangezogen werden - darunter die Komintern-Kaderakte Ulbricht, während die entsprechende Akte über Herbert Wehner seit 1992 zugänglich war. Nach wie vor aber fehlen Einblicke in die Personaldossiers der sowjetischen Geheimdienste (GPU/NKWD/KGB), mit denen Ulbricht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon sehr früh zu tun gehabt haben wird - vermutlich seit Anfang 1925, als Ulbricht eine Arbeit in der Organisationsabteilung der Komintern-Exekutive aufnahm. Gemäß den Beschlüssen des II. Weltkongresses der Komintern (Juli/August 1920) waren bestimmte Komintern-Strukturen mit sowjetischen Geheimdiensten verzahnt. Unter diesen Umständen mutet es eigentümlich an, daß General Iwan Alexandrowitsch Serow bei Frank nur zweimal kurz auftaucht - und dann auch noch unter der Legende, Generaloberst Serow sei der Stellvertreter des Politchefs der Armee von Marschall G. K. Schukow gewesen.

Tatsächlich war Serow am 30. April 1945, als die Gruppe Ulbricht - von Moskau kommend - in Bruchmühle eintraf, mächtiger als Politchef Galadschew und auch als Marschall Schukow. Serow kommandierte eine geheimpolizeiliche Sondertruppe, die sich mit blutigen "Säuberungsaktionen" hinter der vorrückenden Sowjetarmee (vor allem in Polen) einen schrecklichen Ruf erworben hatte.

Mit Serow, dem Sonderbeauftragten Berijas und Stalins, hatte Ulbricht die Personalvorschläge für die neuen Verwaltungen abzustimmen. Serow leitete die Demontagen und trieb Reparationen ein.

In der Bibliographie des Frank-Buches ist zwar der veröffentlichte "Stenografische Bericht" über die Tagung des ZK der KPdSU vom Juli 1953 aufgeführt. Allerdings muß bezweifelt werden, ob dieses "Protokoll einer Abrechnung" mit Berija für die Darstellung über den 17. Juni 1953 hinreichend herangezogen wurde. Ulbricht hatte nach Stalins Tod (5. März 1953) politisch hoch gepokert. Das waren wohl die gefährlichsten Tage in UIbrichts turbulentem Leben. Doch die Frankfurter Allgemeine Zeitung lag richtig, die schon am 26. Juli 1950 gemeint hatte, Ulbricht sei "einer der ganz wenigen deutschen Kommunisten, die es an eisiger Kälte mit den russischen Führern aufnehmen können". Zu Weihnachten 1953 verbreitete Moskau die Meldung von der Hinrichtung Berijas. Die DDR-Bevölkerung konnte erstmalig nach dem Krieg Orangen kaufen. Und Ulbricht, der "proletarische Machiavellist", saß fester denn je im Sattel.

",Der Spitzbart muß weg!': Juni 1953", so lautet die erste Kapitelüberschrift. Und die letzte Bildunterschrift, zum 7. August 1973: "Die Bevölkerung nimmt überraschend hohen Anteil am Trauerzug . . . für Walter Ulbricht." Dazwischen lagen nicht nur der Mauerbau 1961, sondern auch Ulbrichts Reformpolitik, an der er sogar nach dem berüchtigten elften Plenum (des ZK der SED) vom Dezember 1965 hartnäckig festzuhalten versuchte. Diese Reformpolitik sowie die Methoden der schleichenden Verdrängung (durch Breschnew und Honecker) erhöhten die Sympathiewerte für Ulbricht am Ende deutlich.

Die Substanz der Ulbricht'schen Reformversuche bleibt auch im Frank-Buch unterbelichtet. Daß die legendäre Studentenzeitung "Forum" (besonders die Jahrgänge 1963 bis 1965) im langen Quellenverzeichnis nicht auftaucht, ist symptomatisch für tradiertes "Herangehen". Jeder echte DDR-Insider hätte Mario Frank beispielsweise geraten, den "Forum"-Leitartikel zu Ulbrichts 70. Geburtstag (mit der biblischen Überschrift: "Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser") zu lesen, der am 30. Juni 1963 in der DDR durch "die Korridore der Macht" raunte. "Forum"-Chefredakteur Kurt Turba wurde im Juli 1963 nicht deshalb an die Spitze der DDR-Jugendpolitik berufen, weil Ulbricht Honecker "ohrfeigen" wollte, sondern weil die Jugendpolitik rigoros entbürokratisiert werden mußte. Dazu hatte das "Forum" konzeptionelle Ideen.

Daß Ulbricht nicht nur die Wirtschaft reformieren wollte, sondern auch die unsäglich langweiligen DDR-Medien, hätte leicht den zugänglichen Akten des SED-Politbüros entnommen werden können. Das Medienthema stand als Punkt sechs auf der Politbüro-Tagesordnung für den 27. Oktober 1964. Ulbricht war nur bis Punkt vier anwesend. Er hatte erfahren, daß in Moskau Nikita Chruschtschow gestürzt worden war. Honecker leitete die Sitzung weiter . . .

Wer Ulbricht gerecht werden will, hat es halt nicht leicht. Da sind dem Forscherfleiß keine Grenzen gesetzt.

HARALD WESSEL

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Lothar Bisky weiß, wovon er spricht. Wenigstens erscheint dem Leser seine Kritik an dieser neuen Ulbricht-Biographie fundiert und gerecht, und wenn Bisky schließlich von seinen Gesprächen mit Ulbrichts Witwe erzählt und mutmaßt, was diese Frau ihm, und ausdrücklich nur ihm, anvertraut habe - Dinge aus Ulbrichts sozio-kulturellem Umfeld -, fehle in diesem Buch, so wünschten wir, die Vorurteile Lotte Ulbrichts gegen die "bürgerlichen Medien" wären weniger stark. Bisky indes hat noch einen gewichtigeren Einwand. Das Buch, erklärt er, enthalte eine Menge wichtiger Tatsachen wie richtiger Wertungen und sei durchaus lesenswert - "wenn man den antikommunistischen Grundgestus des Verfassers und seine fraglose Selbstgewissheit (Bisky spielt hier vor allem auf das Geschichtsverständnis Franks an) zu überlesen in der Lage ist." Genau dies zu tun jedoch, war der Rezensent außerstande.

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