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Helga Grebing, die streitbare politische Intellektuelle und bekannte Historikerin der deutschen Arbeiterbewegung, deren kritische Beschäftigung fünfzig Jahre lang im Mittelpunkt ihres publizistischen und wissenschaftlichen Engagements stand, zieht in den hier versammelten Essays Bilanz und zeigt Perspektiven auf: für eine sozialdemokratische Arbeiterbewegung, die nicht in überlebten Traditionen erstickt, ihren Grundwerten und Zielen aber treu bleibt.

Produktbeschreibung
Helga Grebing, die streitbare politische Intellektuelle und bekannte Historikerin der deutschen Arbeiterbewegung, deren kritische Beschäftigung fünfzig Jahre lang im Mittelpunkt ihres publizistischen und wissenschaftlichen Engagements stand, zieht in den hier versammelten Essays Bilanz und zeigt Perspektiven auf: für eine sozialdemokratische Arbeiterbewegung, die nicht in überlebten Traditionen erstickt, ihren Grundwerten und Zielen aber treu bleibt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2000

Programmangebot aus dem Warenhaus
Helga Grebing diskutiert über den Wandel der Sozialdemokratie und die Idee des demokratischen Sozialismus
HELGA GREBING: Wie weiter, Genossen?; Essays zur Sozialdemokratie im Epochenwechsel, Klartext Verlag, Essen 2000. 250 Seiten, 29,80 Mark.
Der Historiker im Elfenbeinturm: Einsam sitzt er in seiner Studierklause, isst nicht, trinkt nicht, und beschäftigt sich vordringlich mit Problemen, die einem einzigen Kriterium genügen: Sie müssen so langweilig und absonderlich sein, dass sich bloß niemand dafür interessiert. Auf kaum jemand treffen diese oft und oft wiederholten Stereotypen weniger zu als auf die Historikerin Helga Grebing.
Gerade ist die langjährige Leiterin des Bochumer „Institut zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung” siebzig Jahre alt geworden haben. Freunde und Schüler haben dies zum Anlass genommen, einige ihrer bereits veröffentlichten Beiträge zur Geschichte und Zukunft der Arbeiterbewegung zusammenzutragen und sie in einem schmalen Band erneut zu veröffentlichen.
„Wie weiter, Genossen? ”, will Grebing wissen. Was sind die Traditionsbestände der Sozialdemokratie, was ihre Grundwerte, ihre Erfahrungen, die sich auch im 21. Jahrhundert noch nicht überlebt haben? Aus ihrer Nähe zur Sozialdemokratie hat die aus einer katholischen Arbeiterfamilie stammende Grebing nie ein Geheimnis gemacht. Die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Entstehung des Nationalsozialismus und die Gefährdung der jungen westdeutschen Demokratie durch Rechtsradikalismus und autoritäres Denken waren und sind Grebings Themen. Bereits 1959 erschien ihr erstes Buch über den Nationalsozialismus, das schließlich eine Auflage von 120 000 Exemplaren erreichte. Aufsehen erregend war dies vor allem deshalb, weil ein Markt für wissenschaftliche Analysen über die Zeit des „Dritten Reiches” erst langsam entstand.
Ihre akademische Karriere verlief anders als bei manchen ihrer männlichen Kommilitonen. Nach ihrer Promotion bei Hans Herzfeld arbeitete sie zunächst als Redakteurin und Verlagslektorin in München, war dort Mitglied im Arbeitskreis sozialdemokratischer Akademiker und kurzzeitig Vorsitzende der Jungsozialisten. Anschließend nahm sie eine Stelle als Referentin bei der Landeszentrale für Politische Bildung in Hessen an und schrieb in diesen Jahren ihren Klassiker „Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung”. Erst danach kehrte sie wieder an die Universität zurück.
Iring Fetcher förderte die junge, produktive Wissenschaftlerin, die schließlich 1972 einen Ruf an die Universität Göttingen erhielt und dort blieb, bis sie 1987 die Chance erhielt, in Bochum eine zentrale Denk- und Arbeitsstätte zur Erforschung der deutschen und europäischen Arbeitergeschichte aufzubauen.
„Was lässt sich aus der Geschichte lernen” – mancher altgediente Ordinarius würde bei einer solchen Frage die Nase rümpfen. Grebing macht sie dagegen zu einem Kern ihres Geschichtsdenkens. Historiker hätten geradezu die Pflicht, „zur Stabilisierung der Demokratie beizutragen”, sagt sie. „Der Rückzug in den Elfenbeinturm ist im Grunde nur Mimikry, denn das ist für sich ja auch schon eine politische Aussage. ”
Immer wieder kreisen ihre Überlegungen um das historische Erbe der Sozialdemokratie. Ginge es nach Helga Grebing, würde aus der SPD sicherlich keine Partei des „Dritten Weges‘. Auf den Begriff des „demokratischen Sozialismus” will sie gerade mit Blick auf die Geschichte der deutschen Teilung nicht verzichten. Es würde bedeuten, „den falschen Sozialisten zu einem späten Sieg zu verhelfen. ” Auch an den Begriffen Solidarität und soziale Gerechtigkeit hält die streitbare Linke fest. Sie sind für sie die Wesensmerkmale einer demokratisch-sozialistischen Identität, die auch in Zukunft nichts von ihrer „Sprengkraft” verlieren werden, prophezeit sie; vielleicht aber nicht unbedingt mehr innerhalb der SPD.
Für die Parteien insgesamt und besonders die Sozialdemokratie sieht Grebing düstere Zeiten anbrechen. „Es könnte sein, dass die Parteien auf ihren warenhauskatalogartigen Programmen und schäbigen Milieuresten sitzen bleiben und dass der Bürger die Partei nicht mehr braucht oder nicht mehr zu brauchen glaubt, weil er längst gelernt hat, an den Parteien vorbei und oft genug gegen sie seine Interessen zu vertreten”.
Dies scheint dann doch etwas zu pessimistisch. Man muss ihr auch in anderen Fragen nicht immer zustimmen. Allerdings gibt nicht mehr viele sozialdemokratische Intellektuelle wie die „große Dame” der Arbeitergeschichte, die sich öffentlich zu Wort melden und gegen allzu vorschnelle Traditions- und Tabubrüche ihr Veto einlegen. Nachdenkliche, historisch geschulte und zugleich kritische Stimmen sind selten geworden; man vermisst sie in der aktuellen Diskussion um die Zukunft der Sozialdemokratie und das Vermächtnis der Gewerkschaftsbewegung. Deswegen sind Helga Grebings Zwischenrufe und Appelle um so wichtiger.
DIETMAR SÜSS
Der Rezensent ist Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte in München.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dietmar Süss vermisst in den Debatten um die Zukunft der Arbeit und die Zukunft der Sozialdemokratie deutliche und kritische Stimmen wie die der Historikerin Grebing. Ein kleiner Sammelband mit verstreut veröffentlichten Aufsätzen Grebings lasse nun ihren Weg als große Analytikerin der Arbeiterbewegung im 20. Jahrhundert sowie als kritische Begleiterin der bundesrepublikanischen Sozialdemokratie noch einmal nachvollziehen. Für Süss hat sich Grebing - deren Karriere nicht so glatt verlief wie die vieler männlicher Kollegen, wie der Rezensent hervorhebt - von der SPD inhaltlich entfernt, ohne jedoch auf die alten Fragestellungen und Werte wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit zu verzichten. "Es könnte sein, dass die Parteien auf ihren ... schäbigen Milieuresten sitzen bleiben", zitiert Süss die Historikerin, deren Zukunftsvision er unverzichtbar, wenn auch etwas zu pessimistisch findet. Aber, so Süss, man muss ihr ja nicht zustimmen, man sollte sie bloß lesen.

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