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Anthologie französischer Gedichte

Produktbeschreibung
Anthologie französischer Gedichte
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2003

Wort für Wort, Vers für Vers
Deutsche und französische Lyrik im anthologischen Duett
„Übersetzen”, schrieb Novalis in einem Brief an August Wilhelm Schlegel, „ist so gut Dichten, als eigene Werke zustande bringen – und schwerer, seltener. Am Ende ist alle Poesie Übersetzung.” Der Gedanke ist kühn und bedarf einer Ergänzung; wenn Schreiben immer ein Über-Setzen (das Wort bringt die Fährmannstätigkeit zum Ausdruck) ist, so muss man zwei Arten von Übersetzen unterscheiden: solches, das sich das andere Ufer erst sucht und selber schafft; und solches, das einen festen Text zur Vorlage hat, sich ihm dienend unterwirft und mit dem Ziel der Wirkungsgleichheit wohlbehalten ans Ufer der anderen Sprache zu bringen sucht.
Der Lyrik fällt dieser Sprung häufig schwerer als den anderen Gattungen. Die Romane Mark Twains, Tolstois und Flauberts haben Sprachgrenzen mühelos passiert, die Dramen Shakespeares, Molières und Becketts sind wie selbstverständlich in andere Literaturen eingegangen: Gedichte aber werden nur selten in der fremden Umgebung heimisch. Sie sind in Klang, Rhythmus und Reim so fest mit der eigenen Sprache verwurzelt, dass sie sich auch in gelungenen Übertragungen immer wieder ans heimische Ufer zurückzusehnen scheinen.
Der Heidelberger Wunderhorn Verlag, der sich mit seinem Programm schon manche Meriten um den deutsch-französischen Kulturaustausch erworben hat, legt nun unter dem Titel „Vers Schmuggel / Mots de passe” eine zweisprachige Lyrik-Anthologie vor, die dem Problem des „Über-Setzens” auf neue Art zu begegnen sucht. Der Band versammelt je zwölf Dichter aus dem deutschsprachigen und dem frankophonen Raum und ist das Ergebnis eines deutsch-französischen Übersetzungsateliers im Sommer 2002, bei dem auf Einladung der Literaturwerkstatt Berlin je ein französisch- und ein deutschsprachiger Dichter im Duett ihre Gedichte Laut für Laut, Vers für Vers in die andere Sprache übertrugen. Als Grundlage diente eine zuvor erstellte Interlinearübersetzung, ein Dolmetscher stand hilfreich zur Seite.
Die Götter in der Hölle
„Dieses Verfahren”, so die Herausgeber Thomas Wohlfahrt und Aurélie Maurin, „ist optimal für Dichtung, weil der Dichter selbst in die Übersetzungstätigkeit einbezogen ist und die Transformation der komplexen Textstruktur Gedicht in den Koordinaten von Klang und Rhythmus mit seinem Kollegen/seiner Kollegin erarbeiten kann.” Die Resultate, im Juli 2002 in öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt, sind für die nun vorliegende Publikation von den Dichtern noch einmal überarbeitet worden. Die Herausgeber hoffen, das „Abenteuer dieser großen Übersetzungsarbeit” möge sich auf die Leser übertragen. Das fiele sehr viel leichter, wenn die Interlinearübersetzungen (deren Autoren im Anhang genannt werden) mit abgedruckt wären. Der Leser könnte Entscheidungen beobachten und die Wege der Übertragungen zumindest ein Stück weit mitgehen.
Doch auch ohne diese hilfreiche Brücke kann man Vergleiche anstellen und sich mögliche Alternativen ausdenken. Warum hat der Belgier William Cliff die regelmäßigen Vierzeiler von Hans Thills Gedicht „Hälfte des Lebens” nicht übernommen, sondern aus den beiden mittleren Quartetten einen Achtzeiler gemacht? Warum hat er Punkte, Kommata, gar einen Doppelpunkt gesetzt, wo doch im Deutschen alle Satzzeichen fehlen? Solche Änderungen erscheinen nicht notwendig. Auch Cliffs Übersetzung des Schlusses von Thills Gedicht „Eisenzeit” ist diskutierbar. Aus den Versen der Qualm der Deponie / riecht nach uns Götterschmieden wird im Französischen: La fumée de la décharge / est remplie de notre odeur / à nous, les dieux de l’enfer. Das Bild der verschwitzten Schmiede, im Kontext des Gedichts von Eisen, Fabrik und Handwerkern sicher wichtig, geht in der Übersetzung ganz verloren; aus den Schmieden werden in der Nachdichtung nun selber Götter.
Im Gedicht „Praha 1990” der Französisch-Schweizerin Sylviane Dupuis beginnt die zweite Strophe mit dem Ausruf „Étrangère!”, der die schockartige Erfahrung der Fremdheit pointiert an den Anfang setzt. Barbara Köhler verbannt die „Fremde” ans Versende und macht aus ihr eine blasser wirkende Apposition: „Du wirst dich hier nicht schadlos halten, Fremde”. Und stehen die „deux animaux fabuleux” des Marokkaners Abdellatif Laâbi nicht den – zu dem klangähnlicheren – deutschen „Fabeltieren” näher als den „Märchentieren”?
Es soll hier jedoch nicht gebeckmessert, zumal die Übersetzungen oft gelungen sind. Ein weiteres Verdienst dieser Anthologie liegt darin, dass sie uns deutsche Gegenwartslyrik, die wir in der Regel nur mit der inländischen Konkurrenz vergleichen können, in einem internationalen Kontext präsentiert. Die frankophonen Autoren kommen immerhin aus vier verschiedenen Kontinenten. Der Leser hierzulande gewinnt so auch einen Einblick in verschiedene französischsprachige Kulturen. Zugleich schmuggelt der zweisprachige Band deutsche Gegenwartsdichtung in die Welt hinaus. Eine pfiffige Art von Kulturarbeit.
JÜRGEN HEIZMANN
THOMAS WOHLFAHRT, AURÉLIE MAURIN (Hrsg.): Vers Schmuggel / Mots de passe. Gedichte. Deutsch-französische Ausgabe. Herausgegeben von der LiteraturWERKstatt Berlin. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2003. 320 Seiten, 24,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jürgen Heizmann ist vor allem von dem Experiment begeistert, auf dem dieser Band beruht. Es bestand darin je zwölf französisch- und deutschsprachige Dichter in einem Kolloquium zusammenzuführen und sie - mit Hilfe von zuvor angefertigten wörtlichen Interlinearübersetzungen und Dolmetschern - gegenseitig ihre Gedichte übertragen zu lassen. Dahinter steht der Gedanke, so Heizmann, dass übersetzte Gedichte allenfalls als Nachdichtungen überzeugen. Es geht ums "Über-Setzen" im Sinne der Tätigkeit des Fährmanns, erklärt Heizmann. Von den hier präsentierten Über-Setzungen Heizmann im einzelnen dann gar nicht immer begeistert, manches findet er sogar erstaunlich flach. Dennoch lohnt für ihn die Lektüre, die die Arbeit des Übersetzens nachvollziehbar macht: "Eine pfiffige Art von Kulturarbeit."

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