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Produktdetails
  • Magnus Global
  • Verlag: Magnus, Essen
  • Seitenzahl: 188
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 290g
  • ISBN-13: 9783884003305
  • ISBN-10: 3884003305
  • Artikelnr.: 20886715
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jeffrey M. Pilchers Studie beginne trotz des Titels, moniert Rezensent Ernst Horst, so richtig erst in der frühen Neuzeit. Auch habe diese eine entschieden eurozentrische Fokussierung, was aber möglicherweise unumgänglich gewesen sei aufgrund der Kolonialreiche in Amerika, Afrika und Asien. In den drei Hauptteilen behandelt der Autor zunächst die Zeit der Entdeckung Amerikas mit dem Import von Lebensmitteln wie Tomaten und Kartoffeln, dann das neunzehnte Jahrhundert mit den Auswirkungen der Industrialisierung. Im finalen, dem zwanzigsten Jahrhundert gewidmeten Teil gelange Pilcher schließlich zu den paradoxen Konstellationen der Gegenwart mit McDonalds in Indien, ohne Rinder- und Schweinefleisch. Pilchers im Grunde plausibles Resümee eines wachsenden westlichen Einflusses in der Welt erscheint dem Rezensenten allerdings so "diffus wie die Realität".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2006

Was ist im Essen alles drin?
Jeffrey Pilcher beißt sich historisch-kritisch durch unsere Nahrung

Zwei große Umwälzungen gibt es in der Ernährungsgeschichte. Die erste war die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht. Das geschah unabhängig in der Alten und in der Neuen Welt. Dann kam Kolumbus, der nach Indien wollte. Er wollte dort Gewürze wie zum Beispiel Muskat holen. Im Abendland war man in der frühen Neuzeit süchtig nach Gewürzen. Sie waren ein Statussymbol wie heute Trüffel und Kaviar. Später nahm die Gier danach ganz von selbst ab. Kolumbus kam nicht bis Indien, sondern nur nach Mittel- und Südamerika und verursachte damit etwas, was als der "Kolumbianische Austausch" bezeichnet wird. Viele Pflanzen- und Tierspezies wurden von der Neuen Welt in die Alte exportiert und umgekehrt. Unsere Zivilisation sähe heute anders aus, wenn es diesen Austausch nicht gegeben hätte. Zusätzlich zu dem Bevölkerungswachstum, das langfristig durch die neuen Nahrungsmittel ermöglicht wurde, trugen Migrationsströme und Seuchen zum globalen Wandel bei.

Die zweite Umwälzung war die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion und -distribution, die im neunzehnten Jahrhundert begann: Düngemittel, Fleischfabriken, Konserven, Margarine, Traktoren, Kühlmaschinen, Güterzüge und vieles mehr. Die Veränderungen waren gewaltig, und es waren nicht nur Verbesserungen. Im Grunde haben die neuen Techniken und die neuen Energien wie Kohle und Öl aber die Verhältnisse nur quantitativ umgekrempelt. Unser Essen wurde schon viele tausend Jahre lang verarbeitet, haltbar gemacht und gehandelt. Nur das Ausmaß hat sich geändert. Solange ausreichend Grundnahrungsmittel verfügbar waren, sind die Populationen entsprechend gewachsen. Das ist beim Menschen nicht anders als bei der Heuschrecke. Nur kommt bei uns eine kulturelle Komponente ins Spiel. Die Reichen speisen anders als die Armen, die Einwanderer anders als die Urbevölkerung, die Sieger anders als die Besiegten.

Pilchers Buch ist eine Sammlung von Fallstudien. Leider löst er das Versprechen seines Buchtitels nicht ganz ein. Die Menschheitsgeschichte beginnt bei ihm, abgesehen von einem kurzen Prolog über China, den antiken Mittelmeerraum und die frühe muslimische Welt, mit dem kolumbianischen Austausch. Immer wieder vergleicht er mehr oder weniger parallele Entwicklungen in verschiedenen Regionen wie England, Frankreich und Japan oder Afrika und Asien. Dabei ist das Buch eurozentrischer ausgefallen, als es Pilcher wollte. Dazu trägt auch bei, daß Europa im betrachteten Zeitraum gewaltige Kolonialreiche in Afrika, den beiden Amerikas und Asien errichtete. Man denke nur an die Wechselwirkung zwischen der indischen und der angloamerikanischen Küche. In "Dinner for One" läßt Miss Sophie ihren Gästen Mulligatawny-Suppe auftischen. Umgekehrt ist McDonald's nach Indien gekommen. Gewisse Zutaten werden dort nicht verwendet. "No beef. No pork." Auch aus Kartoffeln kann man einen schmackhaften Hamburger zubereiten.

Der erste Teil des Buches beschäftigt sich mit der frühen Neuzeit. Aus Amerika gelangen Pflanzen wie Mais, Chilischoten, Kartoffeln und Tomaten in die Alte Welt. In Europa läßt man sich Zeit damit, sie in die Landwirtschaft einzuführen. Wegen der Bevölkerungsverluste durch die Pest ist man auf zusätzliche Nahrungsquellen erst einmal nicht angewiesen. In Verkennung seiner wahren Herkunft bezeichnet man deshalb den Mais auch als das "türkische" Getreide. Den hochbegehrten Zucker und seinen anderen Aggregatzustand, den Rum, bezieht man von großen, effizient bewirtschafteten amerikanischen Plantagen. Als unfreiwillige Arbeitskräfte setzt man dort Afrikaner ein.

In Frankreich und England wird die aristokratische Küche verfeinert. Das Bürgertum trifft sich in Kaffeehäusern und grenzt sich damit von den proletarischen Säufern ab. Hungersnöte entstehen nicht nur durch Nahrungsmangel, manchmal liegt es an der Verteilung. In Irland sterben Hunderttausende wegen der Kartoffelpest, während Getreide nach Großbritannien exportiert wird.

Im zweiten Teil ist das Buch im neunzehnten Jahrhundert angelangt. Die Eisenbahn ermöglicht es, Fleisch und Getreide über ganze Kontinente zu transportieren. Die neuen Nationen definieren sich auch über ihre lokale Küche. Die europäischen Mächte schaffen sich ihre Kolonialreiche. Das verändert die Ernährungsweise sowohl in den Kolonien als auch in den Heimatländern. In Nord- und Lateinamerika führen proletarische Migranten - vor allem Chinesen und Italiener - Nahrungsmittel aus ihrer Heimat ein, oft in angepaßten Versionen wie dem Chop-suey.

Der letzte Teil des Buchs beschreibt eine Welt, die uns vertraut ist. Zwei Weltkriege bringen im Westen den besiegten Hunger zurück. In der Sowjetunion wird die Landwirtschaft zwangskollektiviert, leider von ahnungslosen Funktionären aus der Stadt. In vielen Ländern der Dritten Welt steigert die "Grüne Revolution" die Produktivität der Landwirtschaft. Fast food verbreitet sich so schnell, daß inzwischen Übergewicht mehr ein Problem der Armen als der Reichen ist. Die Quintessenz des Autors ist diffus wie die Realität: Der Übergang zur Moderne ist die Geschichte eines wachsenden westlichen Einflusses, aber es ist fraglich, ob es dabei bleiben wird.

ERNST HORST

Jeffrey M. Pilcher: "Nahrung und Ernährung in der Menschheitsgeschichte". Aus dem Englischen von Christiana Haak. Magnus Verlag, Essen 2006. 188 S., Abb., br., 12,90 [Euro].

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