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Der "gefrorene See" ist ein seltenes Naturschauspiel: Der Bodensee wird zu einer einzigen Eisfläche und verbindet seine Ufer miteinander. Die Anrainer nennen es Seegfrörne. Zur letzten Seegfrörne im Jahr 1963 hatte sich der junge Robert Teiler auf den Weg über das Eis gemacht; seither gilt er als verschollen. Viel später interessiert sich wieder jemand für seinen Fall: Höfe, der Chronist einer kleinen Seegemeinde. Er wird in den Ort geholt, um dessen Vergangenheit zu schildern, doch seine Recherchen zur Seegfrörne führen ihn immer wieder zum ungeklärten, geheimnisvollen Schicksal des Jungen.…mehr

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Produktbeschreibung
Der "gefrorene See" ist ein seltenes Naturschauspiel: Der Bodensee wird zu einer einzigen Eisfläche und verbindet seine Ufer miteinander. Die Anrainer nennen es Seegfrörne. Zur letzten Seegfrörne im Jahr 1963 hatte sich der junge Robert Teiler auf den Weg über das Eis gemacht; seither gilt er als verschollen.
Viel später interessiert sich wieder jemand für seinen Fall: Höfe, der Chronist einer kleinen Seegemeinde. Er wird in den Ort geholt, um dessen Vergangenheit zu schildern, doch seine Recherchen zur Seegfrörne führen ihn immer wieder zum ungeklärten, geheimnisvollen Schicksal des Jungen. Er befragt die Bewohner und bekommt vieles zu hören - nur die Wahrheit nicht. Unter dem Deckel alemannischer Leutseeligkeit wird etwas verborgen gehalten.
Farbig, detailgenau und mit leisem Humor erzählt Christof Hamann die Geschichte eines mysteriösen Falles. Er schickt Höfe in die guten Stuben der Provinzler und in ein Milieu, in dem sich hinter freundlichen Blicken und hübschen Fassaden die Abgründe des Alltäglichen öffnen.
Autorenporträt
Christof Hamann, 1966 geboren, studierte Germanistik, Soziologie, Philosophie und Geschichte in Freiburg, Berlin und Essen und habilitierte sich 2010. Neben wissenschaftlichen Publikationen sind von ihm drei Romane erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Filmriß in Phantasien
Eisiges Archiv: Christof Hamann schlittert über den Bodensee / Von Tilman Spreckelsen

Warum nur hat man sich ausgerechnet für Höfe entschieden? In seiner neuen Arbeitsstelle erscheint er jedenfalls zunächst als glatte Fehlbesetzung. Er trifft im Sommer 1999 am Bodensee ein, um die Chronik einer Seegemeinde zu verfassen. In zehn Kapiteln soll er die Geschichte des ungenannten Ortes (hinter dem sich Ludwigshafen nur notdürftig verbirgt) von den Anfängen bis zur jüngsten "Seegfrörne" schildern, jenen Monaten Anfang 1963, als der Bodensee zum letzten Mal zugefroren war. Doch Höfes Arbeitsweise ist geprägt von einer seltsamen Mischung aus Detailversessenheit und halbpoetischer Imagination, die ihn für den geforderten nüchternen Überblick und die Beschränkung auf das Wesentliche völlig untauglich macht.

Dem aus Höfes Perspektive erzählten Debütroman Christof Hamanns allerdings verleiht diese Disposition des Chronisten nicht nur reichlich Atmosphäre, sondern auch von Anfang an eine Spannung, die den nicht immer klar strukturierten Text vor dem Desinteresse des Lesers zuverlässig bewahrt. Gleich bei seinem ersten Gang in das Archiv der Gemeinde stößt Höfe auf einen Fall, in den er sich verbeißt und von dem er bis zum Ende des Buches nicht mehr loskommt: Am 19. März 1963 ist der sechzehnjährige Robert Teiler spurlos im Eis der Seegfrörne verschwunden. Der Chronist mag sich damit nicht abfinden. Ihm ist sofort klar, daß diese Geschichte "unerläßlich sein wird für die Chronik der Seegemeinde. Sie wird sein Faden sein. Der sich dann durch Rosen, Bücher, Abende, Misthaufen, Liebschaften, Tote, Bäume zieht. Er wird ihn sich herholen, diesen Jungen, der im Moment nichts mehr ist als ein paar Blätter Papier aus einer Lokalzeitung."

In den folgenden Wochen befragt Höfe alle, die ihm begegnen, folgt Informanten auf die Toilette oder verbringt öde Abende mit langweiligen Menschen, in der Hoffnung auf die Wahrheit über den Fall Robert Teiler. Daß es die nicht geben kann, bildet der Roman auf vielen Ebenen ab: Wer irgendetwas weiß, so wird rasch deutlich, mauert oder legt falsche Fährten. Wem der Alkohol dann doch einmal die Zunge lockert, der besinnt sich am nächsten Morgen wieder auf eine ganz andere Version. Vor allem aber Höfe selbst scheint, allen gegenteiligen Anstrengungen zum Trotz, gar nicht so sehr an dem dürren Gerüst der Fakten interessiert zu sein: Er überzieht alles Erfahrbare sofort mit einem Netz aus seinen Assoziationen, in dem die Informationen, die ihn erreichen, als bloße Stichworte für ausgedehnte Gedankenspiele fungieren. Liest er etwa einen alten Zeitungsbericht über die Suche nach Robert Teiler, so malt er sich aus, wie er selbst im Hubschrauber über dem See kreist und auf den Eisschollen nach dem Verschwundenen Ausschau hält, ihn schließlich findet und den erstarrten Jungen wiederbelebt.

Es macht die Qualität dieses Romans aus, daß sich die Übergänge dieser beiden Ebenen - Höfes Erlebnisse und seine daraus erwachsenden Gedankenspiele - im Text genauso unmarkiert vollziehen wie in Höfes Bewußtsein. Der Chronist gleitet mühelos in Phantasien, die sich zu einem wesentlichen Teil aus Filmbildern speisen, und den Fall Teiler, aber auch Höfes Zusammentreffen mit einzelnen Einwohnern der Bodenseegemeinde in allen möglichen cineastischen Genres durchspielen und variieren. Alle Sprache verwandelt sich für Höfe sofort in Bilder, selbst Alltägliches muß Verwandlungen über sich ergehen lassen, wenn der Name dazu einlädt: Als seine Zimmerwirtin ihn zum Abendessen bittet, sieht er eine Schüssel mit Saubohnensuppe, und sofort treiben für ihn die "Gemüsestücke wie tote Tiere" in der Terrine.

Welche Rolle spielt dabei noch die Empirie? Höfe wird einmal von dem dubiosen Bürgermeister der Gemeinde heimgesucht, der ihm sogar anbietet, im Fall Teiler "Daten und Namen" zu nennen: "Er nennt Daten. Er nennt Namen. Wie ein Wasserfall rauschen sie an Höfe vorbei. Er legt die Kleider ab, springt hinein, badet darin. Im Wasser stehend, nimmt er Wasser in die Hände und schleudert es nach oben."

Das ist kein schlechtes Bild für Höfes Arbeitsweise, markiert aber gleichzeitig auch die Grenzen seines Erkenntnisdrangs: Wo Daten und Namen derart beliebig sind und es dem Zufall überlassen bleibt, welche am Chronisten hängenbleiben, kann man von seiner Arbeit in wissenschaftlicher Hinsicht nicht viel erwarten. Gleichzeitig aber entlarvt sich Höfe als manipulierbar - und damit durch die Hintertür doch noch als der Richtige für die Aufgabe, eine seinen Auftraggebern genehme Chronik der Gemeinde zu verfassen. Denn Höfes Text, der eine gültige Fassung der Vergangenheit festschreiben soll, ist den mal subtilen, mal derberen Beeinflussungen durch die Betroffenen um so stärker ausgeliefert, je weniger sein Autor auf eine außerliterarische, auf Fakten gestützte Version beharrt.

Neben dieser unmarkierten Grauzone von Erlebnis und Phantasie weist der Roman eine zweite Besonderheit auf, die ihn nicht weniger prägt. Die einzelnen Kapitel sind ringförmig strukturiert, setzen also mitten im Geschehen ein, brechen plötzlich ab und liefern anschließend die Vorgeschichte zum Kapitelanfang, bis sie wieder an dem Punkt anlangen, von dem sie ausgegangen sind. Dies wäre nichts als eine etwas unmotivierte erzählstrategische Spielerei, hätte Hamann darin nicht ein weiteres Mal sein Thema der unklaren Überlieferung angeschlagen und diesmal mit dem eigenen Erzählen verbunden. Die Ausgangssituation des jeweiligen Kapitels wird eben nicht am Ende einfach wiederholt, sondern oft ganz entscheidend variiert. Der Erzähler des Romans verhält sich hier wie seine Figur Höfe: Er prüft unterschiedliche Versionen des Geschehens, ohne sich wirklich für eine zu entscheiden, und treibt dem Leser eines rasch aus: die Frage danach, was denn nun wirklich passiert sei, im Winter 1963 ebenso wie im Sommer 1999. Statt dessen bietet er ein subjektives Provinzpanorama, das dem Besucher wie dem Leser die eigene Fremdheit permanent vor Augen führt und ihn lehrt, daß alle Versuche, eines Tages vielleicht doch noch eine größere Zugehörigkeit zu entwickeln, erfolglos bleiben werden.

Ein gelungenes Debüt also, zeigte Hamann nicht manchmal eine ärgerliche Neigung zum Kalauer. Der kommt mal verhalten daher (wenn es von einer Gruppe von Belchenjägern heißt, ein Mitglied habe im Gespräch "den Vogel abgeschossen"), mal plump aufdringlich, wenn Hamann eine Alteingesessene über die zugezogenen Rußlanddeutschen sagen läßt: "Die kennet it mol richtig deutsch schwätze." Wenn dieses Buch deutliche Schwächen aufweist, dann auf dem Feld der Komik. Die ist zwar oft erkennbar intendiert, mag sich aber nie so recht einstellen. Sieht man davon ab, dann ist dem promovierten Germanist Hamann ein kluger Roman über die Faszination wie die Vergeblichkeit der Weltaneignung im begrenzten Raum der Provinz gelungen.

Christof Hamann: "Seegfrörne". Roman. Steidl Verlag, Göttingen 2001. 184 S., geb., 32,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Geschichte vom sechzehnjährigen Bodensee-Boots-Steuermann Robert Teiler erzählt Christof Hamann als Mischung aus "Krimi, Provinzsatire, Außenseiter-Porträt und sozialpsychologischer Studie". Der Heimatforscher Höfe gräbt sie aus, als er eine Chronik einer Seegemeinde verfassen soll, bei seinen Recherchen ergeben sich "Widersprüche", die Leute können "Dumpfsinn und Bösartigkeit nicht verhüllen". Eine Abrechnung mit der Heimat ist das, meint Kristina Maidt-Zinke, die doch deren "Charme nicht verleugnen" will. Die Klischees vermeidet Hamann dabei nicht immer, bemängelt sie, die Wiederholung des Motivs vom "Ritt über den Bodensee" ist ihr irgendwann auf die Nerven gegangen. Dennoch hat sie am handwerklichen Können des Verfassers nichts auszusetzen, macht ihm jedoch gerade das zum Vorwurf: der Roman ist, findet sie, "ein eisglattes, nach allen Regeln der Literaturwerkstatt kunstreich konstruiertes Prosastück".

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