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Ein fotografisches und literarisches Porträt Ungarns: In ausdrucksvollen schwarz-weiß Aufnahmen hat Peter Nadas Landschaften, Dörfer, deren Bewohner und Szenen aus dem Alltag festgehalten. Die Fotos fügt er mit Prosatexten zu einer komplexen Erzählung zusammen, in der sich auch sein eigenes Leben widerspiegelt.

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Produktbeschreibung
Ein fotografisches und literarisches Porträt Ungarns: In ausdrucksvollen schwarz-weiß Aufnahmen hat Peter Nadas Landschaften, Dörfer, deren Bewohner und Szenen aus dem Alltag festgehalten. Die Fotos fügt er mit Prosatexten zu einer komplexen Erzählung zusammen, in der sich auch sein eigenes Leben widerspiegelt.
Autorenporträt
Péter Nádas, geb. 1942 in Budapest, ist einer der bedeutendsten europäischen Erzähler. Er wurde u.a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, dem französischen Prix du Meilleur Livre Étranger und dem Leipziger Bucpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Péter Nádas lebt in Budapest und Gombosszeg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.1999

Der Mensch braucht die Finsternis
Péter Nádas sammelt die Fotografien seines Lebens · Von Wilfried Wiegand

Dass Péter Nádas, ehe er zur Literatur wechselte, Fotograf war, wissen seine Leser, denn es steht im Klappentext jedes seiner Bücher. Aber wie wir uns seine Aufnahmen vorzustellen haben, wissen wir erst jetzt, erst durch dieses vom Zeitgeschmack wohltuend unberührte, ganz unprätentiöse, fast private und gerade dadurch so bezwingend ernste Fotobuch. Inmitten eines Überangebots von schick gestylten Bildbänden, die mehr und mehr wie gedruckte Videoclips aussehen, ist "Etwas Licht" von Péter Nádas eine der schönsten fotografischen Veröffentlichungen seit Jahren. Das Buch enthält eine Reihe autobiographischer Texte, meist kurz, oft anekdotisch, manchmal über das Wesen der Fotografie theoretisierend, manchmal mehr wie eine kleine Erzählung. Man muss sie alle lesen, weil einige Fotos sonst unverständlich bleiben. Erst der biographische Bezug erklärt, warum auch ein paar banale und sogar technisch mangelhafte Fotografien in den Band aufgenommen wurden. So nichtssagend sie auf den ersten Blick wirken mögen, Nádas' Lebenserzählung bringt sie zum Sprechen.

Die Aufnahmen, alle schwarzweiß und hervorragend gedruckt, sind "zwischen 1958 und 1998 entstanden". Das ist eine zusätzliche Überraschung. Der ungarische Romancier hat also niemals mit dem Fotografieren aufgehört. Da kein Bild datiert ist, fällt es schwer, Aufnahmen von damals und von heute zu unterscheiden, denn der Stil des Fotografen Nádas ist sich bemerkenswert gleich geblieben. Er wird beherrscht vom Dunkel, vom Schatten. Verwirrt bemerkt man, dass dem Fotografen offenbar kaum daran gelegen ist, seine Motive bis zur schonungslosen Erkennbarkeit auszuleuchten. Die Silhouetteneffekte bei Gegenlicht stören ihn nicht, und meistens weigert er sich geradezu trotzig, Porträtköpfe voll ins Licht zu rücken. Er nimmt das Dunkel in Kauf, findet es andererseits aber nicht sonderlich interessant, niemals gibt er der Versuchung nach, einen Schatten dramatisch zu inszenieren.

Was ihn interessiert, ist eben doch das Licht, aber in wohldosierter Menge. Für Nádas ist das Licht eine fotografische Großmacht, mit der man diplomatisch umgehen muss. Wenn man dem Licht erlaubt, sich ungebremst breit zu machen, dann stört es den Frieden der Welt, es erzeugt undurchdringliche Schatten, die ein Stück Wirklichkeit endgültig dem Blick entziehen. Grelles Licht schafft Unordnung, es ist mit dem Chaos im Bunde. Wenn er im Atelier gezwungen war, einen Porträtkopf voll auszuleuchten, so erinnert sich Nádas, dann sei ihm zumute gewesen, als hätte er Licht über das Gesicht "verschmiert". Ungebremstes Licht macht mehr unsichtbar als sichtbar, es ist der Elefant im Porzellanladen des Augenscheins. Licht hingegen, das sich mühsam ins Dunkel vorarbeitet, bietet das kostbare Schauspiel, "wie es die Gegenstände berührt, zeichnet, aus dem Raum heraushebt". Mehr noch als die Gegenstände selbst, schreibt Nádas, habe ihn dieses Licht interessiert, "der Lichtstrahl, das Lichtbündel, das den Gegenstand charakterisiert. Das brechende Licht, das Zusammentreffen von Hell und Dunkel, die gleißenden Kanten."

Die Welt verträgt nur wenig Licht, deshalb muss man so behutsam damit umgehen. Das ist die erstaunliche fotografische Poetik von Péter Nádas. Sie stellt die üblichen Fotografenregeln auf den Kopf, und das weiß er selbst am besten, wie er nicht ohne einen Unterton von Stolz durchblicken lässt. Die meisten Aufnahmen sind in Ungarn aufgenommen, in den Jahren der kommunistischen Diktatur, und das mag die ungewöhnliche Auffassung von Hell und Dunkel erklären. In der Welt der Verhörlampen ist das Licht nicht mehr automatisch eine Metapher des Guten, und das Dunkel der Nacht verliert seine Schrecken, weil es so hilfreich ist beim Verbergen. In der Diktatur, die ihren Untertanen gnadenlos das Recht auf Privatheit verweigert, will der Fotograf die Menschen nicht noch mehr ins Licht zerren. Seine Fotos sind so dunkel, weil er die Menschen beschützen will. Insistierend richtet sich seine Aufmerksamkeit auf alles, was dem politischen Zeitgeist unerreichbar bleibt. Ohne Verklärung und ohne Kritik zeigt Nádas eine kaum modernisierte Welt, die fast stillzustehen scheint, so schmal wirkt das Repertoire der immer gleichen bescheidenen Aktionen: Dorfbewohner bei der Arbeit und beim Feiern, zu Hause, in der Kneipe oder auf der Straße. Auch in der Stadt gehört seine Vorliebe der zeitlosen Ruhe des Abgelegenen, dem Gleichklang des Rituals. In der Stadt freilich entgeht seinem Blick nicht das Phänomen der Entfremdung. Der Mann, der an der Kamera vorbeigeht, ist nur noch ein Schatten; und die Frau, die gegenüber sitzt, verflüchtigt sich zum Bild in einem Spiegel; der Fuß, der so keck auf der steinernen Stufe steht, ist in Wahrheit aus Bronze; und die Taube, die sich in den Hinterhof verirrt hat, scheint sich zu fragen, was sie hier verloren hat. Alles scheint fremd, ohne Sinn, nur ein Bild.

Manchmal läßt Nádas uns an seinen Grübeleien teilhaben. Da gibt es beispielsweise eine kleine Reportage über behinderte Kinder. Halb selbstkritisch, halb trotzig erinnert er sich, wie er damals arglos vom "schrecklichen" Anblick der Kranken sprach und es darauf zur Entfremdung zwischen ihm und dem Betreuer gekommen ist. Oder er erzählt zur banalen Aufnahme eines banalen Wohnhauses, wie dort eines Nachts ein Mord geschah - und prompt sehen wir dieselbe Aufnahme danach mit anderen Augen. Durch die Mordgeschichte hat das Banale seine Unschuld verloren. Es ist, als würde die zuvor völlig ausdruckslose Fassade des Plattenbaus plötzlich ihren wahren Charakter offenbaren. Ihre Hässlichkeit lässt uns nicht mehr kalt. Sie empört uns durch ihre obszöne Unmenschlichkeit.

Die meisten Aufnahmen sprechen, ohne dass ihnen ein Text zu Hilfe kommen muss. Sechs Porträtköpfe, aufgenommen mit passbildhafter Präzision, zeigen laut Bildunterschrift "Waisenkinder". Mehr erfahren wir nicht, aber mehr ist nicht nötig, denn jedes der Kindergesichter sieht so einzigartig anders aus, dass man gar nicht anders kann, als sich für jedes einen ganz eigenen Lebensroman auszudenken. Man muss Nádas bewundern, wie er es geschafft hat, den Kindergesichtern vor der Kamera die Maske der Verschüchterung abzunehmen, so dass in jedem der individuelle Charakter an die Oberfläche drängt.

Beklemmend präzise sind seine Erinnerungen an das Leben in Ostberlin. Die Mauer steht noch, und das große Familiengeheimnis seiner Wirtsleute ist, dass sie heimlich Westfernsehen gucken. Um dieses Geheimnis reden sie mit Andeutungen so kunstvoll herum, dass er einerseits begreifen soll, worum es geht, aber andererseits weiter so tun muss, als wüsste er es nicht. Erst als sie sicher sind, dass er alles weiß und trotzdem nichts sagt, darf er gemeinsam mit ihnen vor dem Fernseher sitzen und Westsender anschauen. Nicht minder absurd scheint ihm in Westberlin der neurotische Optimismus, mit dem sich die Menschen an die Illusion des Friedens klammern. Und mit Sarkasmus schildert er das Gejohle der Achtundsechziger, das sie im Kino anstimmen, sobald die Werbung zu sehen ist. Dadurch soll dieselbe Warenwelt verleugnet werden, die zur gleichen Zeit von den Osteuropäern in naiver Sehnsucht mit dem Glück verwechselt wird.

Nádas fühlt sich heimatlos zwischen beiden Positionen, wie in einem Niemandsland. Das äußert sich auch in seinen Fotos aus Berlin. Sie sind gespenstisch, fast immer menschenleer, Schnappschüsse aus einer Totenstadt. Von manchen Bilderfolgen aus Ungarn lässt sich leicht vorstellen, dass sie einst als professionelle Reportagen veröffentlicht wurden. Andere Aufnahmen wirken beiläufiger, unschärfer, amateurhafter. Aber man verliert schnell die Lust an solchen Unterscheidungen. Der Reiz des Buches besteht ja gerade darin, dass diese Unterschiede unwichtig werden, ebenso wie die Unterschiede von Text und Bild.

"Etwas Licht" ist eine autobiographische Meditation, eine sympathisch bescheidene und sogar selbstironische Befragung der Bilder des eigenen Lebens. Natürlich fällt einem der berühmteste Roman des Autors ein, und es liegt nahe, "Etwas Licht" ein zweites "Buch der Erinnerung" zu nennen, zumal auch in dem Bildband die Erinnerungen weiter zurückreichen als die Spanne des eigenen Lebens.

Das erste Foto des Buches, das sonst nur Aufnahmen von Nádas enthält, ist das Verlobungsbild der Urgroßeltern aus dem vorigen Jahrhundert. Und später im Berlin-Kapitel, als er 1973 auf dem verfallenen jüdischen Friedhof am Senefelderplatz einen mit Sperrmüll vollgestopften Bombentrichter sieht, tut sich plötzlich, als wäre es ein Filmschnitt, übergangslos der Abgrund der Geschichte auf: "Ich bin im jüdischen Krankenhaus von Budapest an dem Tag geboren, als die jüdischen Einwohner des frisch besetzten polnischen Mizoc in eine nahe gelegene Steinmine getrieben wurden. Mehreren Tausend Menschen wurde an diesem Mittwochvormittag geheißen, sich nackt auszuziehen, dann wurden sie hingerichtet. Alle. Es geschah am 14. Oktober 1942. Vergebens denke ich darüber nach, ich werde nie verstehen können, dass es gleichzeitig geschehen ist."

Die künstlerischen Techniken der beiden Bücher könnten verschiedenartiger nicht sein. Die fotografierten Bilder in "Etwas Licht" sind so wenig "literarisch", wie die erzählten Bilder im "Buch der Erinnerung" jemals "fotografisch" sind. Was sie dennoch verbindet und in der Erinnerung sogar kompatibel macht, hat Nádas in einer kurzen Notiz "Zur Theologie des Bildes" ausgesprochen: "Bilder, die auch nur einen einzigen Menschen zu einem anderen führen können, sind heilig und stellen ein Mysterium dar." Das gilt auch für das Porträt seiner ungarischen Redaktionskollegin Márta Rédner. In dem Bildband "Etwas Licht" hat Nádas drei Seiten lang beschrieben, wie die Frau ihn jahrelang irritierte und auch faszinierte. Das zugehörige Foto aber suchen wir in diesem Fotobuch vergebens. Péter Nádas hat Márta Rédner niemals fotografiert.

Péter Nádas: "Etwas Licht". Aus dem Ungarischen übersetzt von Zsuzsanna Gahse. Steidl Verlag, Göttingen 1999. 288 S., mit 182 Fotos, geb., 78,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Äußerst angetan ist Hansjörg Graf von diesem Bild- und Textband Péter Nádas`, an dem ihm neben "ästhetischer Perfektion" vor allem jegliches Fehlen des Spektakulären gefällt. Graf fühlt sich von Nádas leisen Tönen angesprochen, bei denen immer Trauer, Schmerz und auch Schicksalsergebenheit mitschwinge. Dass Nádas jedoch nicht nur Menschen fotografiert, sondern auch Gegenstände wie Fassaden, Treppengeländer und ähnliches, rufe vergangene Zeiten zurück. Für Graf ist dieser Band auch ein "Abschied vom 20. Jahrhundert". Von den Texten hebt er zwei ganz besonders hervor und lobt dabei vor allem Nádas` Umgang mit "archaischen Verständigungsformen".

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