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"Stell dir den Raum vor, der dein Gefängnis sein wird. Du weißt, es gibt ihn - jeder trägt so einen Raum mit sich herum."
Der Amerikaner Eliott Gast sieht sich als einfachen Handelsberater und Mitläufer im globalen Wettrennen um Marktanteile. Von Brüssel aus versucht er einen Beitrag zur Senkung des chronischen Außenhandelsdefizits der USA zu leisten - notfalls mit Bestechungsgeldern. Eine Aufgabe, die ein angenehmes Leben mit sich bringt: Eliott Gast ist in den exquisiten Küchen und teuren Weinkellern dieser Welt zu Haus. Eines Tages jedoch findet er sich in einem anonymen weißen Apartment…mehr

Produktbeschreibung
"Stell dir den Raum vor, der dein Gefängnis sein wird. Du weißt, es gibt ihn - jeder trägt so einen Raum mit sich herum."

Der Amerikaner Eliott Gast sieht sich als einfachen Handelsberater und Mitläufer im globalen Wettrennen um Marktanteile. Von Brüssel aus versucht er einen Beitrag zur Senkung des chronischen Außenhandelsdefizits der USA zu leisten - notfalls mit Bestechungsgeldern. Eine Aufgabe, die ein angenehmes Leben mit sich bringt: Eliott Gast ist in den exquisiten Küchen und teuren Weinkellern dieser Welt zu Haus. Eines Tages jedoch findet er sich in einem anonymen weißen Apartment wieder, gefangen gehalten von extremistischen EU- und Globalisierungsgegnern. Bald wird aus dem, was Eliott Gast anfangs für eine Verwechslung halten wollte, ein schonungsloses Tribunal über sein Leben und seine Arbeit, bei dem die Terroristen als Staatsanwälte und Folterknechte fungieren, die Internetgemeinde als Richter. Denn der "Prozeß" läuft online als Reality Show und die Internetnutzersind es, die demokratisch über Freilassung und Lösegeldzahlungen abstimmen müssen. Was steht in der Anklageschrift? Die Entführer haben Eliott Gast zehn Jahre lang beobachtet...
Autorenporträt
Stona Fitch, geb. 1961, studierte in Princeton Literatur bei Russell Banks und Joyce Carol Oates, arbeitete danach als Reporter, Rockmusiker und Tellerwäscher. Er lebt heute als Autor mit seiner Frau und zwei Töchtern in der Nähe von Boston.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2005

Die interaktive Qual
Folter als Romanstoff: Stona Fitch mutet dem Leser einiges zu

Im Buch des amerikanischen Autors Stona Fitch beschleicht einen früh ein mulmiges Gefühl. "Stell dir den Raum vor, der dein Gefängnis sein wird", wird der Leser bereits im ersten Satz aufgefordert. Und fährt fort: "Jeder Raum kann zum Gefängnis werden. Es braucht dazu nicht mehr als einen Schlüssel." Bei solchen Eingangssätzen soll man früh Böses ahnen. Und tatsächlich schickt Fitch seinen Ich-Erzähler Eliott Gast dann auch prompt direkt ins "Höllenloch".

Gast, ein amerikanischer Wirtschaftsexperte, der in Brüssel als geschäftstüchtiger "Networker" arbeitet, wird von Terroristen auf offener Straße entführt. Die Geiselnehmer sperren ihn in eine abgelegene Wohnung ein und foltern den Gefangenen vor laufenden Kameras, um die Bilder seiner Qualen hinterher kostenpflichtig ins Internet zu stellen: aus Protest gegen eine "amerikanische Wirtschaftsverschwörung". Wer die Website aufruft, darf darüber abstimmen, ob Gasts Leiden noch weitergehen soll. Es wird ein langer Schmerzensweg für den Geschäftsmann und Farmbesitzer, schließlich sind es vierzig Tage. "Früher", begründet der Anführer seiner Peiniger das brutale Vorgehen, "da hätten wir Sie vermutlich zusammengeschlagen und wieder gehen lassen. Aber heutzutage genügt das den Leuten nicht mehr. Wer heute auf sich aufmerksam machen will, Eliott Gast, der muß sich etwas völlig Durchgeknalltes einfallen lassen."

So durchgeknallt indes wirkt die Foltertaktik gar nicht. Auch die ebenso plakative wie pessimistische Grundaussage des Romans klingt alles andere als neu. Schließlich: Wer wollte heute schon ernsthaft bestreiten, daß auch Terroristen dem Diktum einer Aufmerksamkeitsökonomie unterworfen sind? Daß spätestens seit der Video-Hinrichtung von Nicholas Berg und den Folterbildern aus Abu Ghraib keine Grausamkeit mehr zu abstoßend ist, um nicht doch in den Medien Beachtung zu finden? Was den Schockfaktor betrifft, hat die Realität längst die Horrorfiktion eingeholt.

Fitch möchte mit seinem Roman schockieren, indem er detailliert jene Torturen schildert, die sonst versteckt hinter nüchternen Nachrichtensätzen bleiben. Schon bald allerdings kann man sich vorher ausrechnen, was den armen Entführten erwartet. Dessen "Folterknechte" nämlich quälen nach einem leicht durchschaubaren Plan. Sie rauben Gast, dem Gourmet und Weinkenner, schrittweise jenes Vermögen, auf das er besonders stolz ist: seine Genußfähigkeit. Sie schneiden ihm also die Zungenspitze ab und verbrühen den Mundraum mit einem Bügeleisen. Sie stopfen ihm Lötkolben in die Nasenlöcher und raspeln die Haut von seinen Händen. Sie durchstechen seine Trommelfelle und löffeln ihm schließlich sogar ein Auge mit dem Kaffeelöffel aus.

Gast, ein "Mann der Sinne", soll zum "sinn-" und "sinnenlosen" Bündel degradiert werden, wie es der Titel bereits verheißt. Fitch vermag alle diese Grausamkeiten zwar seinerseits überaus anschaulich und ohne falsches Pathos zu beschreiben, so daß er tatsächlich eine klaustrophobische Gefängnisatmosphäre erzeugt. Dennoch erschöpft sich sein Folterbericht zwangsläufig im Effekt; er wird nach einer Weile regelrecht langweilig, sofern man kein dezidiertes Interesse an Anleitungen besitzt, wie aus Alltagsgegenständen ungeahnte Folterwerkzeuge werden können. Eine Tortur folgt auf die nächste, die doch immer wieder ähnlich abläuft. Die Innensichten der Beteiligten hingegen spielen so gut wie keine Rolle. Weder werden die politischen Motive der Täter näher erklärt noch psychische Krisen des Opfers ausgeleuchtet. Die Handlung schrumpft statt dessen auf eine Aneinanderreihung sadistischer Szenen zusammen, wodurch der Roman zynischerweise genau jenem Voyeurismus Vorschub leistet, den er doch eigentlich gerade anprangern möchte.

Man könnte auch weniger moralisch argumentieren und sagen: Fitch vernachlässigt schlicht die wichtigste Regel einer guten Horrorgeschichte, wonach der wahre Schrecken immer erst im Kopf des Lesers entsteht. Denn Worte verharmlosen ein schlimmes Geschehen nur allzuleicht, wie Franz Kafka, Edgar Allan Poe und andere Altmeister der gruseligen Andeutung wußten. Der jüdische Schriftsteller Jean Améry bezeichnete die Folter sogar als "das für immer Unbeschreibliche". Bei Fitch hingegen bleibt kein Quälgriff unerklärt, und die Fronten seiner Horrorshow sind viel zu schnell klar.

Eliott Gast ist ein wackerer Vorkämpfer für ein "gleichwertiges Nebeneinander der Märkte", der selbst noch bei schlimmsten Schmerzen eher den Verlust seines Eherings als sein Schicksal beklagt. Auf der anderen Seite stehen antiamerikanische Bestien in Menschengestalt, die bei jeder neuen Prozedur zynisch "Showtime!" rufen, einen "sanften Blick" nur zur Tarnung aufsetzen und sich insgesamt in nichts vom Standard-Psychopathen des Hollywood-Kinos unterscheiden: inklusive genretypischer Nazi-Gesinnung - die Folterer sind Sympathisanten des rechtsradikalen "Vlaams Blok". Es ist also letztlich das beliebte Bild eines unberechenbaren Europa voller blutrünstiger Hitler-Schergen, das Fitch noch einmal genüßlich-schrecklich heraufbeschwört. Daß er dieses bewährte Feindbild dann auch noch ins Gewand heutiger Globalisierungsgegner kleidet, enttarnt seine ideologische Einstellung und macht sein effekthascherisches Spiel mit dem Grauen nicht weniger geschmacklos.

GISA FUNCK

Stona Fitch: "Senseless". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irmengard Gabler. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2004. 181 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein "effekthascherisches Spiel mit dem Grauen" sieht Rezensentin Gisa Funck in Stona Fitchs Roman "Senseless", der dem Leser einiges zumute. Es geht um einen amerikanischen Wirtschaftsexperten, der in Brüssel von Terroristen entführt und vor laufenden Kameras gefoltert wird. Die Geiselnehmer stellen die Bilder seiner Qualen hinterher ins Internet, wo die Nutzer der Seite darüber abstimmen können, ob sein Leiden noch weitergehen soll. Wie Funck berichtet, möchte Fitch mit seinem Roman schockieren, "indem er detailliert jene Torturen schildert, die sonst versteckt hinter nüchternen Nachrichtensätzen bleiben". Sie räumt auch ein, dass es ihm gelingt, die Grausamkeiten (das Abschneiden der Zungenspitze, Verbrühen des Mundraums mit einem Bügeleisen oder das Durchstechen der Trommelfelle) "anschaulich" und "ohne falsches Pathos" zu beschreiben, und eine klaustrophobische Gefängnisatmosphäre zu erzeugen. Dennoch erschöpfe sich Fitchs Folterbericht zwangsläufig im Effekt, was Funck nach einer Weile regelrecht langweilig findet: Tortur folge auf Tortur, die doch immer wieder ähnlich ablaufe. Die Innensichten der Beteiligten spielten keine Rolle. "Die Handlung schrumpft statt dessen auf eine Aneinanderreihung sadistischer Szenen zusammen, wodurch der Roman zynischerweise genau jenem Voyeurismus Vorschub leistet, den er doch eigentlich gerade anprangern möchte."

© Perlentaucher Medien GmbH
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