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Religion beschäftige sich mit der jenseitigen Seele, Tauschwirtschaft mit dem materiellen Gebrauchswert- so die verbreitete Ansicht. Die Ergebnisse der Ethnologie und der Geschichte belehren uns eines Besseren und zeigen die Geburt des Werts aus der kultischen Praxis. J-P. Baudets materialreiche Untersuchung liefert keine systematische Theorie, aber sie zeigt die Opferpraxis als ein zentrales Paradigma der Menschheitsgeschichte.

Produktbeschreibung
Religion beschäftige sich mit der jenseitigen Seele, Tauschwirtschaft mit dem materiellen Gebrauchswert- so die verbreitete Ansicht. Die Ergebnisse der Ethnologie und der Geschichte belehren uns eines Besseren und zeigen die Geburt des Werts aus der kultischen Praxis. J-P. Baudets materialreiche Untersuchung liefert keine systematische Theorie, aber sie zeigt die Opferpraxis als ein zentrales Paradigma der Menschheitsgeschichte.
Autorenporträt
Jean-Pierre Baudet, geboren 1951, lebt in Paris. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: Tchernobyl, anatomie d'un nuage (1987); Carl von Clausewitz, De la guerre (Übersetzung, 1989); Paul Lafargue, Religion und Kapital (Nachwort, 2009). Er wirkte auch an der deutschen Übersetzung von Guy Debord, In girum imus nocte et consumimur igni mit (1985).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2013

Opferlogik

Wenn von Markt und Moral die Rede ist, steht die Religion gewöhnlich auf Seite der Letzteren. Andererseits sind Wirtschaft und Religion sprachlich nah verwandt: Sind Erlös und Erlösung, Kredit und Glaube zwei Seiten derselben Medaille? Im Anschluss an den Marx-Neffen Paul Lafargue, der den Kapitalismus 1887 erstmals explizit als Religion bezeichnet hatte, stellt Jean-Pierre Baudet die Verwandtschaftsfrage noch einmal neu. Baudet sieht zwischen Glauben und Ökonomie mehr als Analogien und säkulare Umwidmungen. Der Kapitalismus ist für ihn die Fortführung des religiösen Anspruchs mit anderen Mitteln und schlüssiger Erbe religiöser Riten. Genauer: des Opferkults, den Baudet als Vorschule ökonomischer Praxis betrachtet. Hier sei das Prinzip der symbolischen Repräsentation eingeführt worden, das später auf das Geld übertragen worden sei, und hier sei auch erstmals der Wert einer Sache genau bemessen worden, der des Opferrinds. Man sieht diese Verwandtschaft noch heute am Obolus, ursprünglich der Spieß, an dem sich im Opferkult das Rind drehte. Und schließlich heißt die Opfergabe im Althochdeutschen: gelt. Hinweis darauf, dass das Geld seinen Ursprung im Opfer und nicht in der Tauschfunktion hat. Baudet untermauert seine These mit ethnologischen Streifzügen, die erstaunliche Evidenzen ans Licht bringen, aber insgesamt zu aleatorisch sind, um seine starke These zu tragen. Ohnehin geht sie nur auf, wenn man in der Religion allein das Machtsystem sieht. (Jean-Pierre Baudet: "Opfern ohne Ende". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013. 333 S., br., 18,80 [Euro].)

thom

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein wenig verquast klingt, was Rezensent Michael Böhm hier aus der Schrift des bisher wenig bekannten Philosophen Jean-Pierre Baudet zusammenträgt. Aber er lässt in seiner Kritik Geduld walten und resümiert zunächst recht ausführlich, wie Baudet den Kapitalismus - den sowohl Baudet als auch sein Rezensent als "Gift" anzusehen scheinen - aus der Religion ableitet: Das religiöse Opfer soll zunächst die Abstraktionsschritte eingeleitet haben, die am Ende zum entwickelten Kapitalismus geführt haben. Böhm leuchtet daran manches ein - aber er findet die These zu allgemein: Die alten Griechen, so wendet er ein, hätten es keineswegs zum Kapitalismus gebracht, die Christen dann schon. Religion ist also nicht gleich Religion.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2013

Lebendiger
Tod
Jean-Pierre Baudet erkundet
die Ökonomie des Opfers
Die Etymologie ist bezeichnend: Der „Glaube“ ist sprachlich dem „Gläubiger“ verwandt, genauso wie die „Schuld“ dem „Schuldner“, der „Erlös“ der „Erlösung“ und der „Kredit“ dem „Credo“. Die Idee, dass der Kapitalismus über Gemeinsamkeiten zur Religion verfügt, ist nicht neu. Doch wie weit gehen diese Gemeinsamkeiten? Bereitete das Christentum den Kapitalismus nur vor, wie etwa Max Weber meinte? Er attestierte den Calvinisten einen „kapitalistischen Geist“: Entsprechend ihrer Doktrin, wonach nur derjenige tugendhaft sei, der beständig äußerliche Güter erwerbe, und gemäß ihrer bangen Ungewissheit, zur Gnade vorbestimmt zu sein, sodass ein jeder Calvinist sich ständig kontrolliert und Güter erworben habe, damit er tugendhaft erscheine.
  Oder aber ist der Kapitalismus eine Religion, gekennzeichnet durch die Einheit von sakraler und ökonomischer Sphäre? Letzteres mutmaßte bereits Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx in seinem 1886 erschienenen Pamphlet „Die Religion des Kapitals“. Diese These inspirierte den französischen Philosophen Jean-Pierre Baudet zu einem „Nachtrag“.
  Geschult an Analysen von Ethnologen wie Marcel Mauss oder Ökonomen wie Bernhard Laum, beschreibt Baudet die religiöse Praxis des Opfers als eine zutiefst ökonomische: Im Griechenland der archaischen Epoche war der Tausch eher die Ausnahme, ein Binnenmarkt existierte nicht, wohl aber die geschlossene Hauswirtschaft, der Oikos. Nur Metalle und phönikische Luxusgüter führten die alten Griechen ein.
  Doch ungeachtet dessen existierte ein „Geld“, samt eines ihm zuerkannten Wertes: die Rinder, die die Griechen für den Staatskult schlachteten. Geeignete Opfertiere aus den Herden auszuwählen, sei der „erste Akt wirtschaftlichen Denkens“ gewesen – und sich hinfort daran zu orientieren, eine „Standardisierung, lange bevor es Münzen“ gegeben habe. Daraus sei die Möglichkeit entstanden, den zugemessenen Wert gegen ein Äquivalent zu ersetzen – die Anfänge des Handels und der staatlichen Währung lägen somit im sakralen
Opfer.
  Diese „Geburt des Wertes“ aus dem Geist des symbolischen Ritus erkennt Baudet in den unterschiedlichsten Opferpraktiken der Religionen: in den Muschelgeldrollen, die die Melanesier ihr Leben lang horteten und ihren Verstorbenen als Opfer mit ins Totenreich gaben, in den Goldmünzen, die die Römer ihren Göttern darbrachten; genauso wie in den Tieren und Pflanzen, die die alten Inder ihren Göttern opferten und in denen sie sich selbst darstellten. „Wenn der Wilde sagt, er vergöttere weder den Hund noch den Vogel, sondern nur die Kraft, die beiden innewohnt“, schreibt Baudet, „so betreibt er auf seine Weise bereits Nationalökonomie, genau wie der Nationalökonom magisch denkt, in allen Waren, auch den nichtssagendsten und schädlichsten, den Wert anbeten zu müssen“.
  Der Opfergang erkaufe die Gunst der Götter, indem er einem Lebewesen das Leben nehme. Der „Kauf aber auch der Tod“ sei daher „erstmalig als gesellschaftlich aktive Figur auf die Bühne“ getreten und habe sich „diskret ins Zentrum gesellschaftlicher Praxis begeben“. So, dass sich der Kauf vom rituellen Opfer verselbständigt und eine davon getrennte ökonomische Sphäre entwickelt habe; so, dass sich heute der Tod als ein „aktiver, höchst lebendiger“ manifestiere, da Arbeiter und Angestellte sich für Geld einer vollkommen fremden Tätigkeit hingeben würden, da sie sich abtöten und in nahezu endlosem Opfergang endlos kaufen und konsumieren würden. Für Baudet ist daher das Opfer die „zentrale Form der Entfremdung“.
  Zwar versteht man Baudet, der Argumente als wohlfeil und oberflächlich verwirft, wonach den Entgleisungen des Kapitals doch heute wieder (religiöse) Werte entgegenzusetzen seien, und seine Analyse der religiösen Opferpraxis mag stichhaltig sein – doch der Versuch, sich wieder eine „radikale Kapitalismuskritik“ anzueignen, vernachlässigt die kulturelle Komponente. Denn das Opfer, als Gabe an Götter zum Dank für Schutz und Leben, gibt es in allen Religionen, demnach tragen alle das Gift des Kapitalismus in sich. Aber ob es ausbricht, dürfte an besondere Faktoren gebunden sein: Unter der Vielgötterei des alten Griechenland etwa entwickelte sich kein Kapitalismus; dort verachtete der freie Bürger die Arbeit und das zyklische Weltbild ließ Neues nur als die Wiederkehr des ewig Gleichen erscheinen. Das monotheistische Christentum hingegen wertete die Arbeit auf, und der Glaube an ein Leben im Jenseits führte zur Idee des Fortschritts.
  Die vernunftbasierte Religion dürfte somit eine entscheidende Grundlage für die Marktgesellschaft geschaffen haben – in ihr werden heute beständig mehr und bessere Güter erarbeitet, verkauft und verbraucht.
MICHAEL BÖHM
Tragen alle Religionen das
Gift des Kapitalismus in sich?
  
  
  
  
Jean-Pierre Baudet:
Opfern ohne Ende –
ein Nachtrag zu Paul Lafargues „Die Religion des Kapitals“.
Matthes & Seitz, Berlin 2013.
333 Seiten, 18,80 Euro.
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