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Die Bar des Amis in Algier ist Treffpunkt einer fröhlichen Truppe: Ein Schriftsteller, ein alter Widerstandskämpfer, ein Verliebter, Dok Tarik und andere. Bei Zigarettenrauch und endloser Trinkerei kursieren die unglaublichsten Geschichten. Hier wird Algerien neu erfunden: Zwischen Traum, Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht und dem Elend des Alltags.

Produktbeschreibung
Die Bar des Amis in Algier ist Treffpunkt einer fröhlichen Truppe: Ein Schriftsteller, ein alter Widerstandskämpfer, ein Verliebter, Dok Tarik und andere. Bei Zigarettenrauch und endloser Trinkerei kursieren die unglaublichsten Geschichten. Hier wird Algerien neu erfunden: Zwischen Traum, Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht und dem Elend des Alltags.
Autorenporträt
Regina Keil-Sagawe, geb. 1957 in Bochum, Studium der Romanistik, Germanistik und Orientalistik. Lehre an den Universitäten Heidelberg, Brüssel und Rabat. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des Maghreb sowie Übersetzungen aus dem Französischen. Die Autorin lebt in Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2005

Klopfzeichen aus dem Paradies
In der Kneipe von Algier: Boualem Sansal zapft Geschichten

Es begann vor sechs Jahren mit dem rätselhaften Doppelbegräbnis im algerischen Küstenstädtchen Rouiba. Der damals fünfzigjährige Ministerialbeamte Boualem Sansal erzählte in seinem Debütroman "Der Schwur der Barbaren" hinreißend sarkastisch in Form eines Politkrimis, was in seinem Land gerade passiert war: "Wir würden von Völkermord sprechen, würden die Mitwirkenden sich nicht strikt dagegen verwahren." Dann folgte in "Das verrückte Kind im hohlen Baum" die kuriose Begegnung des Algerienfranzosen Pierre Chaumet und des Islamisten Farid im Zuchthaus von Lambèse, die in die algerische Geschichte noch vor der Unabhängigkeit zurückging. Nun liegt dieser dritte Roman vor. Im Resonanzraum einer Altstadtkneipe Algiers macht er das Rauschen und Klappern algerisch-französischer Geschichte über eine noch längere Zeitspanne hörbar. Das könnte immer so weitergehen.

Die ausdrucksstarke und bildgewaltige Sprache Sansals neigt zum ausufernden Erzählen. Wo andere algerische Autoren den durchlebten Schrecken frontal zu fixieren suchten und dann manchmal verstummten, hält Sansal mit seinem abgründigen Witz die Geschichte in Bewegung. Und wo ginge das besser als im Kreis der Zech-, Prahl- und Erzählbrüder von der "Bar des amis"? Vor der Unabhängigkeit hieß das Lokal "La Citadelle de Bab el-Oued". Träumer, Verschwörer, Versager, vorübergehend auch die frisch von der Moskauer Patrice-Lumumba-Universität heimkehrenden Intellektuellen, schließlich wieder Müßiggänger und Verlierer lösten einander dort ab, vereint in der "Lust an der Leere und der gleichen Leidenschaft fürs Unglück". Wie das Bier nach dem terroristischen Interregnum sprudeln auch die Geschichten.

Da ist Tarik, der Doktor, der als Gliedereinrenker auf der Unfallstation der Uniklinik Mustapha-Bacha tätig war, bevor er umständehalber in sein Geburtsdorf Msila auf halbem Weg in die Wüste zurückkehrte, und der seither beim Erzählen eine aufgekratzte Traurigkeit verströmt. Die Umstände der Rückkehr? Seine Cousine und Jugendfreundin Farida, heute Apothekerin in Paris, und deren in Schweden emanzipiert vor sich hin lebende Schwester Romyla kommen nach zwanzig Jahren erstmals wieder zurück ins Dorf zur sterbenden Mutter. Und da man auch in Algier weiß, was Manieren sind gegenüber den Damen, fährt Tarik sie hin, gleich zweimal. Das Eintauchen in die verhockte Welt der Provinz ist eine Prüfung. "Man nähert sich Msila im Rückwärtsgang ... will sagen, das Zögern ist so stark, daß die Reifen zu schlittern beginnen und man plötzlich à la Michael Jackson nach hinten wegrutscht." Es liegt über dieser Welt nicht nur die deprimierende Lähmung aus Archaik und Bürokratie, sondern auch die Gewißheit, daß es dagegen kein Mittel gibt. Jede Anstrengung, auch die Einsatzbereitschaft Tariks gegen die dort wütende Cholera, verpufft in Wirkungslosigkeit.

An seinen besten Stellen taucht Sansal diese Situationen in eine Atmosphäre von absurdem Humor. Das beginnt schon am Flughafen, wo Tarik unter den Banderolen der sozialistisch besten aller Welten - "Ein herzliches Willkommen den glorreichen Revolutionären und den wahren Freunden des kämpfenden Algerien" - auf die Ankommenden wartet. Die Damen landen mit der berühmten Maschine AH 2001, die um 10.05 Uhr in Paris abhebt und nach zwei Stunden Flug bei Einbruch der Nacht in Algier landet: "Seltsam, diese Fluggesellschaft, an einem bestimmten Punkt der Strecke lösen ihre Flieger sich in Luft auf und kein Mensch weiß, wohin es sie verschlägt." Damit, wie mit so vielem, kann man leben, man muß es nur wissen. Quälender wird es, wenn man berichten soll. "Erzähl mir alles über Algier, die Uni, die Freunde, die Freundinnen", verlangt Farida. "Sind alle tot, ich dürfte der letzte sein, der noch hier herumhängt. Die Besten sind in Paris, Montréal, London", lautet die knappe Antwort.

Besonders schmerzlich sind die Momente von nüchterner Rückbesinnung. "Wir haben so sehr gelogen, daß wir nichts von der Wahrheit wissen", grübelt der Daheimgebliebene. Die eigenen Kinder seien fremd aufgewachsen: "Wir sind weder ihre Vergangenheit noch ihre Zukunft. Wenn man das Kind der anderen ist, braucht man dann einen eigenen Vater? Sie praktizieren das Arabisch der Apparatschiks und den Islam der Ajatollahs, sind auf Pomp, billigen Schund und süßes Nichtstun aus, kultivieren den Rassismus, das Angebertum, den Mangel an staatsbürgerlichem Pflichtgefühl. Wir dagegen üben uns in metaphysischer Depression, huldigen Bacchus und lassen Gott in Frieden." Für diese unbeschönigte Einschätzung der Situation, die den Fanatismus der Radikaloppositionellen und den Zynismus der Machteliten seines Landes mit gleichem Sarkasmus beschreibt, wird der Autor Sansal von offizieller Stelle fortan geschnitten und mußte seinen Beamtenplatz räumen. Er trägt es mit humorvoller Fassung.

Zum ersten Mal hat Sansal in diesem Roman in Gestalt eines aus Frankreich gerade zurückgekehrten Schriftstellers, der in der "Bar des amis" dabeisitzt und mitschreibt, auch autobiographische Züge eingefügt. Diese Erzählspiegelung ist jedoch nicht seine Stärke. Sansals lebendige Schilderungen funktionieren am besten, wenn sie in Episoden frei sprudeln können. Auch die eingeflochtenen Frankreich-Beobachtungen eines "Bantunesen aus Paris und Umgebung" darf man getrost überlesen. Boualem Sansals große Stärke ist jener selbstironisch gefärbte Humor, den die nordafrikanische in mancher Hinsicht mit der mitteleuropäischen Tradition teilt: Belustigung mit einem ständigen Drall ins Absurde. Da wohnt die deprimierende Wirklichkeit Wand an Wand zum Paradies und kommuniziert durch Klopfzeichen.

Auf seiner Reise durch die Provinz trifft Tarik auf einen Landstreicherjungen und nimmt ihn mit in die Stadt. Das Stadtleben sei zwar auch keine Garantie fürs Glücklichsein, sagt er, doch fänden dort Reden und Lachen besser zusammen: "Wenn der Schmerz unerträglich wird, reden wir vom Paradies." Auch Kneipen sind dafür nicht unbedingt nötig, sie führen im Roman aber die losen Geschichten zusammen. Und Regina Keil-Sagawe hat, wie zuvor schon Sansals straffer gebauten Erstlingsroman, dieses redselige Stimmengewirr erneut wunderbar übersetzt.

JOSEPH HANIMANN

Boualem Sansal: "Erzähl mir vom Paradies". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. Merlin Verlag, Gifkendorf 2004. 332 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Seit Celine und Malaparte hat man eine ähnliche Wut nicht mehr gelesen." Thomas Fitzel bespricht den neuen Roman von Boualem Sansal als das Werk eines der auf mehrerlei Weise radikalsten Schriftsteller der arabischen Welt. Zunächst mal: Sansal lebt noch immer in Algerien - trotz des Terrors, trotz der toten Freunde, trotzdem er seinen Job verlor. Er schreibt, so Fitzel, um sich zu erklären, was da passiert, und heraus kommt eine furiose, exorzistische Anstrengung, ein Sprache gewordener Zorn wider die "kollektive Amnesie". Als Gegenmittel will Sansal die Tradition des Mündlichen bewahren und schreibt deshalb, so Fitzel, einem "Kauderwelsch" aus Französischem, Algerischem und Berbersprachen: "So stürzt auf den Leser eine wüste Suada herab, die halluzinatorische dann wieder ganz klare Passagen enthält, im freien Fall wird er über Wortkaskaden und -katarakten hinab gerissen." Die Fäden der Handlung verliert man dabei oft, erklärt der Rezensent - deshalb schreibt er auch kaum etwas darüber. Bemerkenswert am vorliegenden Buch sei dagegen, dass Sansal dieses Mal für seine Verhältnisse "fast schon heiter" erzähle, auch über seine "eigene Zerrissenheit als Schriftsteller". Doch dann gehe er wieder der Gewalt auf den Grund, wütend die Tabus brechend. Das Problem dabei: "Der zornige Blick (...) sieht keine Unterschiede mehr, ob islamistischer Terror, Staatsterror, Kolonialkrieg oder antikolonialer Befeiungskampf - die Grenzen verwischen."

© Perlentaucher Medien GmbH
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