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Sara stirbt bei einem Fluchtversuch mit ihrem Partner aus dem belagerten Sarajevo. Serafina, die Mutter, kann den Verlust ihrer Tochter und die Zerstörung einer Liebe nicht ertragen und beschließt zu sterben. An einem eisigen Februartag 1993 setzt sie sich dem Gewehrfeuer von Schafschützen aus... Gedanklich weit ausgreifend, oftmals in essayistische Rede verfallend, erzählt Karahasan mit der Stimme eines alten Mannes vom Überleben unter Bedingungen permanenter Angst und Todesbedrohung.

Produktbeschreibung
Sara stirbt bei einem Fluchtversuch mit ihrem Partner aus dem belagerten Sarajevo. Serafina, die Mutter, kann den Verlust ihrer Tochter und die Zerstörung einer Liebe nicht ertragen und beschließt zu sterben. An einem eisigen Februartag 1993 setzt sie sich dem Gewehrfeuer von Schafschützen aus...
Gedanklich weit ausgreifend, oftmals in essayistische Rede verfallend, erzählt Karahasan mit der Stimme eines alten Mannes vom Überleben unter Bedingungen permanenter Angst und Todesbedrohung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2000

Im Parabolspiegel
Dzevad Karahasans "Sara und Serafina" · Von Dirk Schümer

Dzevad Karahasan hat die Belagerung von Sarajevo überlebt. In seinem "Tagebuch der Aussiedlung" hat er bald darauf vom Einbruch des Krieges in eine mitteleuropäische Alltagsexistenz berichtet, hat das Granatfeuer, die Rationierung des Wassers, die Zerstörung der Wohnung beschrieben, die Toten verzeichnet, alles so nüchtern wie möglich - und gerade dadurch ungeheuer plastisch und eindringlich. Lange schien es, das Tagebuch, also die unverstellteste Form literarischer Selbstvergewisserung, sei für Karahasan die einzig mögliche Form, über das grausame Geschehen zu schreiben. Er scheute die Gefahr, mit fiktiven Kriegsgeschichten in die Nähe von Kitsch und Weinerlichkeit zu geraten und damit unfreiwillig die ziemlich wertlose und eigennützige Solidarität der westlichen Intellektuellen gegenüber den Kriegsopfern zu kopieren. Sollten doch andere den Krieg, den er erlebt hatte, moralisch ausbeuten oder sich wie Peter Handke mit den Mördern verbünden.

Karahasan, der als Stadtschreiber in Graz arbeitet und nur einige Monate des Jahres im zerstörten Sarajevo lebt, schrieb lieber legendenhafte Literatur, die zwischen "Tausendundeiner Nacht" und spekulativer Philosophie angesiedelt war. Der Krieg, sein Krieg, für den ihn die Medienöffentlichkeit hier zu Lande als Zeuge vorladen wollte, kam darin nicht vor, jedenfalls nicht direkt. Nur diskursiv Beteiligte gieren nach Texten vom Krieg, aber den Zeugen fehlt die Distanz; darum wohl schreiben viele Opfer des Holocaust erst nach einem halben Jahrhundert die Erinnerungen auf. Literatur bedeutet, sich einer Fiktion auszuliefern, und ohne Vertrauen in die Wirklichkeit gelingt das nicht. "Das ist die niederschmetternde Wirkung dieses Krieges", schrieb Karahasan in seinem "Tagebuch", "auf jene, die davonkommen, auf jene, die nicht verletzt und getötet werden: Sie verlieren das Vertrauen in die Realität oder zumindest in ihre Fähigkeit, diese Realität zu erleben."

Nun hat Karahasan, keine fünf Jahre nach dem faulen Waffenstillstand rund um Sarajevo, doch einen Roman über diesen, über seinen Krieg geschrieben: "Sara und Serafina". Man kann nur ahnen, wie viel Mühe es ihn gekostet hat, die verlorene Wirklichkeit aus den Tagen der Zerstörung und des Mordens in eine Geschichte zu verwandeln, die seinem eigenen Niveau standhält. Karahasan erzählt von einer Zufallsbekanntschaft inmitten der absurden Welt der Eingeschlossenen, die Zufallsbekanntschaften draußen oder zufällige Papiere benötigten, um die eingeschlossene Stadt zufällig verlassen zu können, und die unter Granatbeschuss mit der Zeit ihr ganzes Denken an die Absurdität, wegen ein paar Zetteln überleben zu dürfen, auslieferten. Doch weder Karahasans Erzähler noch seine Titelfigur Sara wollen die Hölle des belagerten Sarajevo verlassen. Der Erzähler, offenbar ein alter Hochschullehrer, versteckt seine Resignation hinter einer habsburgisch angehauchten Ironie. Er klammert sich, um über die Runden zu kommen, an seine Alltagsgebräuche, ans Rasieren, ans lebensgefährliche Spazierengehen oder an Bilder von Häusern und Möbeln, die bei ihm den Vorkrieg evozieren. Seine Welt ist in Trümmern. Eine andere will er nicht mehr.

Sara ihrerseits wirkt auf den ersten Blick wie ein altruistischer Engel. Sie organisiert die Wasserverteilung in ihrem Viertel und hat die Schule, an der sie Lehrerin war, zum letzten funktionierenden Ort der Hilfe ausgebaut. Sie will nicht weg, weil man sie braucht. Diese beiden merkwürdigen Kriegsbekanntschaften arbeiten über sieben Ecken und Bekanntschaften mit ausländischen Würdenträgern an der vagen Möglichkeit, Saras Tochter Antonija aus Sarajevo herauszuschleusen. In immer neuen Anläufen geht es um gefälschte Geburtsurkunden, Telefonate mit dem Ausland, dubiose Mittelsmänner - alles nur, um eine Passage durch den einzigen Tunnel zu erhalten, der das sterbende Sarajevo wie eine Nabelschnur mit der Außenwelt verbindet.

Ohne dass Karahasan dies je beim Namen nennt, gleicht die Prozedur einer rassistischen Säuberung. Denn Antonijas Verlobter Keran, ein Muslim, benötigt unbedingt einen gefälschten Taufschein, um von den kroatischen Wächtern, die einzig Katholiken retten wollen, durchgelassen zu werden. Ganz unvermittelt erzählt die hilfsbereite Sara plötzlich, woran sie diese entwürdigende Prozedur erinnert: Als kleines Mädchen war sie mit ihrer besten Freundin Ela auf der Straße festgenommen und - der Name Sara genügte - von kroatischen Ustascha-Soldaten auf einen Lastwagen geladen worden. Nur die Intervention ihrer zufällig vorbeikommenden Schwester hatte Sara - unter dem falschen Namen Serafina - gerettet, während Ela in die Gaskammern transportiert wurde.

Nun ist es wieder Saras große Schwester, die von Zagreb aus die Rettung der eingeschlossenen Nichte organisiert, während Sara dabei zunehmend die Kontrolle über ihre Existenz verliert. Sie hatte ein unauffälliges Leben geführt, beständig mit dem Vorwurf an sich selbst: Warum habe ich überlebt und meine Freundin nicht? Ohne pathetische Räsonnements über die Unvergleichlichkeit des Holocaust und seine industriellen Dimensionen führt Karahasan die Frage nach dem Töten und der Selektion von Leben auf ihren Kern zurück: die existenzielle Wahl. Der Erzähler, der sich für so viel ethische Spitzfindigkeit verachtet, hat dafür die passende Theorie: "In Grenzsituationen, in Zeiten großer Versuchungen, werden die Menschen moralisch empfindlicher, sie sind viel radikaler als unter normalen Bedingungen, weil ihnen nichts anderes bleibt. In normalen Zeiten sind die Menschen vernünftig und benutzen ihre moralischen Prothesen ... Und weil kaum etwas passiert, kommen sie selten in die Situation, wirklich wählen zu müssen. Aber in so dramatischen Situationen wie jetzt gibt es keine Wahl."

Der spürbare Ernst, die erlebte Todesgefahr, die Karahasan selbst durchgemacht hat, nehmen der Konstruktion alle Bedenklichkeit, die der implizierte Vergleich zwischen Sarajevo 1942 und Sarajevo 1994 mit sich bringt. Auch dem niederländischen Romancier Leon de Winter hat man verübelt, dass er in einem Roman eine Überlebende des Holocaust nach Bosnien abreisen ließ, weil sie die Bilder der Selektierten nicht mehr ertrug. Im reichen Westen, wo Krieg wie ein Medienphänomen wirkt, kommt es meist nicht gut an, wenn jemand die sakrifizierte Historie mit der schmutzigen Gegenwart kurzschließt. Und Karahasan tat in diesem meisterlichen Roman ebenfalls gut daran, die biografische Parallele zwischen dem Holocaust und der Belagerung von Sarajevo eher beiläufig in die Handlung zu integrieren. Der Feststellung nimmt diese erzählerische Vorsicht nichts von ihrer Wahrhaftigkeit. Denn jeder Mord endet gleich, und Menschen, die die moralische Empfindsamkeit der kriegerischen Extremsituation in sich tragen, wissen das besser als die beneidenswerten Schwätzer der Wohlstandsgesellschaften. So fiel die Nachricht, der letzte Überlebende der Warschauer Gettokämpfer, der polnische Arzt Marek Edelmann, habe die Nato zum militärischen Eingreifen im Kosovo aufgefordert, weniger ins Gewicht als die derzeitigen Medien-Räsonnements, der Krieg habe sich nicht gelohnt, weil schließlich nur ein paar tausend Menschen selektiert und erschossen wurden.

Sara, für die der Vergleich zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Belagerung von Sarajevo kein theoretischer ist, kam nie darüber hinweg, dass einst jemand anderes für sie die Wahl über Leben und Tod getroffen hat. Sie lebt fortan nur für andere, weil sie sich selbst nicht spürt. Als sie später ihrer Tochter die Wahl abnehmen und sie ausreisen lassen konnte, geht auch das schief: Der muslimische Verlobte kommt nicht aus Sarajevo heraus, verliert im Krieg einen Arm, während seine Liebe nach Neuseeland auswandert und ihre Gefühle abtötet. Der Altruismus des Tatmenschen Sara hat also ebenso wenig genützt wie die ironische Resignation des Intellektuellen, der uns dies alles in seiner selbstkritischen Diktion berichtet. Es ist - eben der ausgefuchsten Verantwortungsethik der Handlung - auch diese Erzählweise, die das Buch weit über normale Kriegsberichte erhebt. Das echte Morden, das in Sarajevo jeden zwanzigsten Bewohner umbrachte, kommt in diesem räsonierenden, stellenweise makaber gemütlichen Buch nicht vor, allenfalls als Donnergrollen von den Hügeln oder als spärlicher Report eines Kämpfers auf Heimaturlaub.

Ganz unmerklich aber, beiseite gesprochen, berichtet Karahasan von den Kriegsopfern, die heute immer noch in Sarajevo herumlaufen: Leute mit Verhaltensauffälligkeiten und Ticks, wie man sie unter Dauerbeschuss eben entwickelt: Überall treffen Neurotiker aufeinander, panisch Verängstigte, lakonisch Kämpfende, zynisch Gleichgültige, die allesamt "nebenbei irgendwie überleben" wollen. Für Sara, die sensibelste und großherzigste Bewohnerin von Sarajevo, endet das Arrangement in dem Moment, da sie nicht mehr wählen kann. In einem Moment der Epiphanie sucht sie den Tod schließlich ganz bewusst und bietet sich den gefürchteten Scharfschützen dar. Aber auch da hat Karahasan, der große Parabolspiegelschleifer dreier Weltreligionen und diverser Kulturen, noch eine Volte eingebaut; so einfach stirbt es sich nicht im Roman. Vom Elementarsten, vom Tod, lässt sich nur über Umwege und Verschlingungen erzählen. Einzig das Überleben geschieht nebenbei.

Dzevad Karahasan: "Sara und Serafina". Roman. Aus dem Serbokroatischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 193 S., geb., 29,80 DM.

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2000

Von neuen Koffermenschen
Leben und Sterben zwischen den Fronten: Dzevad Karahasans bitterer Roman „Sara und Serafina”
Dervo zum Beispiel: Der Mann ist Polizist und Kämpfer auf dem „Terrain”, wie er die Front nennt in und vor Sarajewo gegen Tschetniks und Heckenschützen. Aber eigentlich ist er „einer von denen, die man in Bosnien seit der österreichischen Okkupation dundjeri nannte und in den Kreisen der neuen gesellschaftlichen Elite nach dem Zweiten Weltkrieg schlicht Hausmeister”. Dzevad Karahasan, Romancier, Dramaturg und Literaturdozent in Sarajewo und anderswo, Essayist und Stadtschreiber von Graz, erläutert das Prinzip dundjer, nämlich kein Handwerk gelernt zu haben. Aber Hände und Verstand eines dundjer können nach Meisterart denken, also: zwar nichts Neues schaffen, doch alles Vorhandene reparieren, instand setzen, abdichten und trocken legen.
Solcherart Menschen spürt Karahasan anspielungsreich nach (die Übersetzung von Barbara Antkowiak setzt die Komplexität des Erzählens sorgfältig um) in seinem Roman, der letztlich eine Geschichte der Untröstlichkeit über den Verlust von Sara ist, und wie es dazu kam. Keine Liebesaffäre, sondern Begegnungen mit einer einzigartig konsequenten Frau, die ihre Energien in Arbeit und Organisation für andere steckte während der Kämpfe um Sarajewo. Und alle Personen, die auftauchen, stehen mehr oder minder untergründig in Beziehung zu Saras Schicksal.
Saras Vorfahren waren einst kuferasi, Koffermenschen, Angestellte des Staates oder großer Firmen, die keine Wurzeln in Bosnien hatten, sondern ihren Besitz in Koffern mit sich trugen. Jederzeit konnten sie an neue Dienstorte ziehen. Sara nun will ihre Tochter Antonija und deren Geliebten Kenan zusammen aus der belagerten Stadt herausbringen, damit die Liebe zwischen beiden erhalten bleibe. Doch nur Antonija schafft es nach Zagreb, Kenan muss in Sarajewo bleiben. Ihre Liebe verdorrt, auch die zwischen Tochter und Mutter. Der Brief, in dem Antonija kühl mitteilt, dass sie nach Neuseeland auswandern wolle, bedeutet für Sara das logische Ende ihrer Existenz.
Also bietet sie sich den Heckenschützen als Ziel an. Dort greift Dervo sie auf und holt den Ich-Erzähler, damit er auf Sara positiv einwirken kann. Aber Sara, die eigentlich Serafina heißt und sich in ihrer Identität gespalten fühlt, bleibt sich treu und belehrt den Protestierenden, dass es für sie keine Alternative gebe angesichts des Geschehenen. Sie sei nicht für sich allein da.
Ein Gefühl von untilgbarer Schuld liegt über dem Ganzen, das Karahasan, ein Meister des Schachtel-in-Schachtel-Erzählens, in sich ergänzenden Ellipsen entwickelt. Dem Augenblick des Todes nähert er sich zögernd an, Abschweifungen und Gedankenspielen folgend. Etwa wenn er, ähnlich der Erklärung des dundjer-Prinzips, eine Charaktertypologie des Türöffnens entwirft. Manchmal tauchen wie beiläufig Porträtskizzen von Personen auf, die im Gefühlsleben anderer eine Rolle spielen, etwa jener unvergessliche alte feine Herr, von dem Dervo berichtet. Drei Tage lang wartet der Alte mit einer Ziege vor dem Tunnel, durch den man in die Stadt gelangen kann. Immer wieder erklärt der Alte seine Not und die Notwendigkeit, nach Sarajewo hinein zu müssen, immer wieder wird er von Jüngeren zur Seite geschoben.
Die bitterste Geschichte erzählt Sara, als 1942 ihre beste Freundin als Jüdin auf den Lastwagen nach Auschwitz muss und sie selbst von ihrer Schwester in letzter Minute gerettet wird. Was für eine Rettung um den Preis des ganzen Verlustes! Ohne Klageton, ohne Pathos denkt Karahasan erzählend an seine Gestalten, so diskret und manchmal heiter, wie sie selber sind: Geschichten der Untröstlichkeit.
HARALD EGGEBRECHT
DZEVAD KARAHASAN: Sara und Serafina. Roman. Deutsch von Barbara Antkowiak. Rowohlt Berlin 2000. 192 Seiten, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein Roman über den Krieg in Sarajewo. Harald Eggebrecht verhaspelt sich in seiner Rezension ein wenig in der Nacherzählung, um dann zu konstatieren, dass Karahasan Meister einer verschachtelten Erzählweise sei. "Ein Gefühl von untilgbarer Schuld liegt über dem Ganzen", schreibt Eggebrecht. Am tiefsten beeindruckt hat ihn die Geschichte der resoluten und kämpferischen Sara, die als Jüdin den Zweiten Weltkrieg überlebte und die - so scheint es - im Bosnienkrieg von Heckenschützen erschossen wird. Das Buch sei "eine Geschichte der Untröstlichkeit" über diesen Verlust.

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