Produktdetails
  • Verlag: Rowohlt, Berlin
  • Seitenzahl: 269
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 558g
  • ISBN-13: 9783871343650
  • ISBN-10: 387134365X
  • Artikelnr.: 08226505
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.07.2000

Eintausend Sterne sind eine Seele
Christian Jacq, der „kleine Champollion” und die große Lust an den ägyptischen Hieroglyphen
Einst zählten sie zu den großen Rätseln der Kulturgeschichte: Rund 5000 Jahre sind die ägyptischen Hieroglyphen alt. Lange galten sie als geheimnisvolle Zeichen einer nach der Eroberung durch die Araber untergegangenen Welt. Erst 1822 fand der Franzose Jean-François Champollion den Schlüssel für ihre Entzifferung. Dennoch sind die Hieroglyphen ein Synonym geblieben für etwas, das sich kaum erschließen läßt. Christian Jacq, Ägyptologe und Autor höchst populärer Romane über die Pharaonen, hat sich in Die Welt der Hieroglyphen (das Original Le petit Champollion illustré erschien 1994) die fast unlösbare Aufgabe gestellt, die Schrift und ihr kompliziertes System auch und vor allem für ein jugendliches Publikum zu erklären.
Ohne den Enthusiasmus des Autors wäre dieses Buch kaum denkbar. „Mir passiert es manchmal”, gesteht er, „dass ich einen Gedanken zuerst als Hieroglyphen und dann erst in meiner Sprache aufschreibe, weil die Hieroglyphen unseren modernen Sprachen oft in Klarheit und Ausdrucksstärke überlegen sind. ”
Wer so in seinem Fachgebiet zu Hause ist, kann leicht die Probleme unterschätzen, die sich für eine weniger kundige Leserschaft ergeben. Man mag sich noch so bemühen, jeden terminus technicus zu vermeiden, und kommt doch ohne Fachausdrücke nicht aus (zum Beispiel „Determinativ”). Christian Jacq weiß zudem, daß er in seinem Fach eine Autorität ist – das verführt ihn manchmal dazu, ex cathedra zu sprechen anstatt zu begründen. Vielleicht erschienen ihm auch genauere Erklärungen für sein Zielpublikum zu kompliziert. So weist er zwar darauf hin, dass die Sprache der Ägypter untergegangen und folglich nicht mehr zu hören ist – doch er teilt uns nicht mit, auf welcher Grundlage heute die Phonetik der Hieroglyphen gehandhabt wird, oder woher er zum Beispiel weiß, daß ein Zeichen für den Buchstaben K „weit hinten im Gaumen ausgesprochen wird”.
Der größte und schönste Teil dieses Buches besteht aus einer nach Themen – von den Gestirnen über die Götter bis zum alltäglichen Leben – geordneten Auflistung und „Übersetzung” von Hieroglyphen. Nach der Lektüre dürfte der Leser immerhin über einige Zeichen verfügen; vor allem aber bekommt er einen theoriefreien Einblick in die variablen Funktionsweisen der Hieroglyphen, die gleichzeitig Buchstaben, Abbilder und Symbole sein können. Häufig stellt sich dabei eine ganz eigene Poesie ein. So bedeutet, nach Jacq, das Zeichen für „Sternenhimmel” in wörtlicher Übersetzung „Eintausend ist ihre Seele”. Gemeint ist damit: „Die Seele der Himmelsgöttin besteht aus eintausend Sternen. ”
Zu erfahren ist auch, worin die großen Probleme bei der Entschlüsselung der Texte liegen. Die symbolisierte Schildkröte kann ein „unheilvolles Geschöpf” bedeuten, doch steht sie auch für „Auferstehung”. Das scheint oft nahtlos ins Idiomatische überzugehen. In der Sprache der Hieroglyphen bedeutet ein Fisch, genauer eine symbolisierte Meeräsche, „Verwaltung”. Man sollte sich von solchen Rätseln nicht irritieren lassen. Im Deutschen muss, wer einen Kater hat, noch lange kein Tierfreund sein.
Bis ins Detail versucht Christian Jacq die einzelnen Hieroglyphen aufzuschlüsseln; das geht nicht immer ohne interpretatorische Anstrengungen ab. Zum Beispiel bei „MER”, dem Zeichen für „lieben”, das indes auch „Kanal” heißen kann. Um die Bedeutungen auf einen Nenner zu bringen, erläutert der Autor: „Ist nicht Liebe ein Energiekreislauf, vergleichbar einem Kanalsystem, durch das eine belebende Kraft fließt, die so notwendig wie das Wasser selbst ist?”
Zwar gelingt es dem Ägyptologen, seine Leser mit der Erklärung einzelner Hieroglyphen auch in die Vorstellungswelt der alten Ägypter einzuführen, doch seine Schlussfolgerungen sind nicht immer leicht nachzuvollziehen. Etwa bei der Hieroglyphe für „Lesen”, einem „mit Wasser gefüllten Lederschlauch und einem Mann, der seine Hand vor den Mund hält”. Wer weniger vertraut ist mit den pharaonischen Denkweisen, würde das Zeichen wohl in Richtung „Trinken” übersetzen. Jacq baut uns eine überraschende Brücke: „Gibt es etwas, das den Durst besser stillt als ein schöner Text?”
Die Lektüre setzt zumindest einen Teil jener Begeisterungsfähigkeit voraus, die den Autor beseelt bei seinen poetischen Bemühungen um das alte Ägypten: „Kornblumen, Alraunen, Lilien und andere Herrlichkeiten wetteiferten miteinander um Schönheit und Liebreiz. ” Lässt man sich jedoch von diesem Enthusiasmus anstecken, dann könnte dieses Buch, mit seinen spielerischen „Übungsaufgaben”, den Anstoß geben zu einer intensiveren Beschäftigung mit einem der spannendsten Kapitel in der Geschichte der Menschheit.
H. G. PFLAUM
CHRISTIAN JACQ: Die Welt der Hieroglyphen. Aus dem Französischen von Theresa Maria Bullinger und Ingeborg Schmutte. Verlag Rowohlt Berlin, 1999. 288 Seiten, Abb. , 29,80 Mark. >
S. 200: Obwohl die Ägypter ihre Gesundheit im Auge hatten, wu
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von einer der wichtigsten Autoritäten in Sachen Hieroglyphen wird hier der Versuch unternommen, "auch und vor allem ein junges Publikum", wie H.G. Pflaum schreibt, für die alte ägyptische Schrift zu interessieren. Trotz einiger wohl nicht zu vermeidender Fachtermini, "ex cathedra"-Urteilen und auch fehlender Erläuterungen ist ihm vieles gut gelungen, meint der Rezensent. Der "größte und schönste Teil des Buches" ist dabei seiner Meinung nach die Darstellung und "Übersetzung" der Symbolschrift. Zwar gibt es "interpretatorische Anstrengungen", daneben aber auch sehr poetische Erklärungen. Ein Buch, das "mit seinen spielerischen Übungsaufgaben" der Anfang einer gründlicheren Erkundung eines der "spannendsten Kapitel" der Menschheitsgeschichte sein kann, urteilt H.G.Pflaum.

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