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Todsünde oder Menschenrecht? Vom Neid und seiner Notwendigkeit.
Der Neid - für die katholische Kirche eine Todsünde und auch sonst als böse und destruktiv verschrien - ist eine basale menschliche Regung, die sich vor allem in der westlichen Welt zu einer Art Sozialcharakter ausgebildet hat und Geschichte machte. Man gab ihm allerdings neue Namen: einerseits Wettbewerb, andererseits Umverteilung. Sowohl der Konkurrenzkapitalismus als auch die Arbeiterbewegung lassen sich als neidgeboren und neidgesteuert bezeichnen. Der politische Kompromiss heißt "Soziale Marktwirtschaft". Doch die ist in…mehr

Produktbeschreibung
Todsünde oder Menschenrecht? Vom Neid und seiner Notwendigkeit.
Der Neid - für die katholische Kirche eine Todsünde und auch sonst als böse und destruktiv verschrien - ist eine basale menschliche Regung, die sich vor allem in der westlichen Welt zu einer Art Sozialcharakter ausgebildet hat und Geschichte machte. Man gab ihm allerdings neue Namen: einerseits Wettbewerb, andererseits Umverteilung. Sowohl der Konkurrenzkapitalismus als auch die Arbeiterbewegung lassen sich als neidgeboren und neidgesteuert bezeichnen.
Der politische Kompromiss heißt "Soziale Marktwirtschaft". Doch die ist in eine Krise geraten, der Neidvertrag verliert seine Bindekraft, seit sich das Problem der Verteilungsgerechtigkeit nicht mehr nur im nationalen Rahmen stellt und ebenso mentale wie materielle Güter betrifft. Ob im Verhältnis von Individuen, Klassen oder Ethnien: die Privilegierten müssen begreifen, dass es ein Menschenrecht auf Neid gibt. Man sollte diesen "inneren Inder" kultivieren, nicht unterdrücken.
Autorenporträt
Hans Magnus Enzensberger, geboren 1929 in Kaufbeuren, lebt in München. 1963 erhielt Hans Magnus Enzensberger den Georg-Büchner-Preis, im Jahr 2015 wurde ihm der Frank-Schirrmacher-Preis verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2001

Die Akte Gelb
Das Leben bietet viele Möglichkeiten, neidisch zu sein
KURSBUCH, HEFT 143: Die Neidgesellschaft. Rowohlt Verlag Berlin 2001, 18Mark.
Zuerst ist man schon ein wenig verblüfft, wenn ausgerechnet das Kursbuch ein Heft über die Neidgesellschaft macht. Bekanntlich ist der deutsche Neid, gerne auch Sozialneid genannt, ein Lieblings-Kampfbegriff aus dem Phrasenhandbuch der FDP oder des BDI – in dieser Kampfgemeinschaft hätte man das notorisch linksliberale Kursbuch erst einmal nicht vermutet. Dann werden aber schon im Einleitungs-Essay dem galligen Neid die Giftstoffe weitgehend entzogen: Der Neid sei eine gewöhnliche Alltagsmoral sozialer Ungleichheit, schreibt der Soziologe Sieghard Neckel – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass „in anderen Ländern bei diesem Thema entschieden mehr Nüchternheit waltet”.
Es stellt sich im weiteren Verlauf heraus, dass es sich insofern um ein geglücktes Heft handelt, als man bis zum Schluss nicht genau erfährt, was es uns sagen will. Das ist geradezu seine wichtigste These: Der Neid ist eine Todsünde, auch gesellschaftlich ganz schlecht angesehen – aber ein Wunder ist es nicht, dass er immer wieder sein gelbes Haupt erhebt. In diesem Spannungsfeld finden sich in den vielen Aufsätzen des Heftes höchst widersprüchliche Botschaften. Das ist wie im wirklichen Leben.
Wir lernen zum Beispiel von Walter Wüllenweber, dass es die vom Bundeskanzler kürzlich in die Debatte geworfenen faulen Arbeitslosen natürlich gibt; unter anderen stellt uns der Autor zum Beweis „Deutschlands längsten Arbeitslosen” vor, von dem er in langen Gesprächen herausgefunden hat, dass der Mann im Faulenzen und im Erfinden immer neuer Gründe, warum er nicht arbeiten kann, zwar überaus tüchtig, darüber aber nicht glücklich geworden ist. Leute wie dieser Mann, schreibt der Autor, seinen das Produkt eines antiautoritären Sozialstaats, „der immer nur gibt, nie etwas verlangt und schon gar keinen Zwang ausübt”.
Da mag vieles dran sein – und also braucht nur jeder schön fleißig zu sein, dann hat er auch alle Chancen in dieser Gesellschaft, und keinen Grund, irgend jemanden zu beneiden? Wenn es so einfach wäre, bräuchte es kein Kursbuch. Der Soziologe Michael Hartmann trägt zur Debatte einen Exkurs über das Ideal der so genannten Leistungsgerechtigkeit bei, über die These also, jeder sei seines Glückes Schmied, und wenn jemand besonders viel und besonders gekonnt schmiede, dann dürfe man es ihm auch nicht übel nehmen, wenn er zwei Millionen verdiene im Jahr. Kann man ja so sehen: Allerdings wäre es dann – wenn der Neid nicht allzu sehr ins Kraut schießen soll – eine unabdingbare Voraussetzung, dass jeder die gleiche Chance haben müsste, das Schmiedehandwerk auch gut zu erlernen. Hartmann erläutert, mit vielen Zahlen aus USA und Großbritannien, dass davon keine Rede sein kann.
Es bleibt bei einer solchen Aufsatzsammlung nicht aus, dass der eine oder andere Gedanke in immer neuen Varianten formuliert wird; das ist ein systemimmanentes Problem solcher Hefte – und ungerecht zum Beispiel gegen den in vieler Hinsicht interessanten (und auch angreifbaren) Aufsatz des Journalisten Klaus Hartung, weil dem Leser einige seiner wichtigsten Thesen gegen den Neid als Maxime staatlichen Handels schon bekannt vorkommen, weil sie weiter vorne beim Philosophen Wolfgang Kersting so ähnlich zu finden gewesen sind, wenn auch da nicht so griffig formuliert.
Spannendist das Heft trotzdem, weil es uns klar macht, wie viele großartige Möglichkeiten das Leben bietet, auf den anderen neidisch zu sein: auf seine schöne Frau, auf die sechs Pferde, die er vor seinen Wagen spannen kann, auf seinen Penis, respektive die Tatsache, dass dieser andere Mensch Kinder austragen kann, man selber aber nicht: Wir sprechen vom Gebär-Neid des Mannes. (In einem schönen Essay zu diesem Thema schlägt Miriam Lau eine interessante Volte zum Verhältnis zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen und hat ein paar gute Argumente für ihre These zur Hand, dass immer mehr Heteros die Schwulen um ihren Lebensstil beneiden, nicht umgekehrt.)
Sehr verbreitet ist der Neid übrigens in Entenhausen, jenem Laboratorium zwischen-entlicher Beziehungen, das die Welt Walt Disney und vor allem Carl Barks zu verdanken hat. Der Neid ist geradezu die Grundmelodie im Verhältnis Donald Ducks zu seinem stutzerhaften Vetter Gustav Gans. Es handelt sich dabei aber nicht um einen abstrakten Neid auf jenen Teil der Menschheit, der es irgendwie besser hat, es geht nur um den konkreten Vetter: „Ich will keine Perlenkette, du Strolch, ich will Glück haben – mehr Glück als du”.
Dass fremde Blattmacher den Enten-und Menschenfachmann Joachim Kalka zu dieser Analyse gewonnen haben, erzeugt bei unsereinem – den blanken Neid, was sonst.
HERBERT RIEHL-HEYSE
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Herbert Riehl Heyse beruhigt uns: Mit diesem Heft zur Neidgesellschaft ist das notorisch linksliberale Kursbuch keineswegs in die Kampfgemeinschaft von FDP und BDI eingetreten. Bereits im Einleitungs-Essay, erklärt er, würden "dem galligen Neid die Giftstoffe weitgehend entzogen". Fortan bewege sich das Heft in einem Spannungsfeld zwischen Neid-Verdammung einerseits und dem Verständnis für sein Auftauchen andererseits. Zu der somit gegebenen Widersprüchlichkeit der versammelten Aufsätze untereinander möchte der Rezensent gerne gratulieren - nicht ganz neidlos versteht sich.

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