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Robert Castel untersucht anhand der Jugendunruhen die Stigmatisierungs- und Deklassierungsmechanismen, die Migranten zu »Bürgern zweiter Klasse« machen, sowie die neuen Formen von Prekarität und Ausgliederung, die daraus resultieren.
Die Mehrzahl der heute in Frankreich lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht nur besonders stark von Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsunsicherheit, Armut und schlechten Wohnverhältnissen betroffen, sondern potentielle Opfer fremdenfeindlicher oder rassistischer Angriffe. Sie alle leben in einer Gesellschaft, die negative Diskriminierung offiziell…mehr

Produktbeschreibung
Robert Castel untersucht anhand der Jugendunruhen die Stigmatisierungs- und Deklassierungsmechanismen, die Migranten zu »Bürgern zweiter Klasse« machen, sowie die neuen Formen von Prekarität und Ausgliederung, die daraus resultieren.

Die Mehrzahl der heute in Frankreich lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind nicht nur besonders stark von Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsunsicherheit, Armut und schlechten Wohnverhältnissen betroffen, sondern potentielle Opfer fremdenfeindlicher oder rassistischer Angriffe. Sie alle leben in einer Gesellschaft, die negative Diskriminierung offiziell verbietet und gleichzeitig massiv praktiziert.

Als junge Franzosen in den Pariser Banlieues Barrikaden errichteten und Autos in Brand setzten, musste die Öffentlichkeit erkennen, dass diesen Jugendlichen die politischen und sozialen Bürgerrechte vorenthalten werden.

Robert Castel fordert, die Benachteiligung durch positive Diskriminierungsmaßnahmen wie Bildungsförderungsgesetze oder auch eine veränderte Stadtpolitik abzubauen, um die Zukunft der sich transformierenden Gesellschaft zu sichern.
Autorenporträt
Robert Castel war einer der einflussreichsten Soziologen Frankreichs mit hohem internationalem Renommee. In den 1960er Jahren arbeitete er mit Pierre Bourdieu und orientierte sich an der Schule Michel Foucaults. Robert Castel starb am 12. März 2013 im Alter von 79 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2009

Steine und Brandkörper

In der vergangenen Woche wurde in Berlin heftig über die Frage debattiert, ob in Folge der Krise soziale Unruhen zu erwarten seien. Manche zitierten dabei die Jugendrevolten in den Pariser Banlieues. Doch es gilt, mit den Klischees aufzuräumen, die sich mit diesen Unruhen vom Herbst 2005 bis heute verbinden. Ein soziologisches Buch hat sich dieser Aufgabe erfolgreich gewidmet. Zunächst einmal seien die vorstädtischen Problemgebiete, in denen viereinhalb Millionen Menschen leben (ein Zehntel der französischen Stadtbevölkerung) keine "Gettos" im Sinne der in Amerika sich selbst überlassenen Schwarzengettos, schreibt der in Paris forschende Soziologe Robert Castel ("Negative Diskriminierung". Jugendrevolten in den Pariser Banlieues. Aus dem Französischen von Thomas Langstien. Verlag Hamburger Edition, Hamburg 2009. 122 S., br., 15,- [Euro]). Denn die Bevölkerung bleibe ethnisch gemischt, der Staat präsent durch Schulen, Ämter und Ordnungskräfte.

Deren Einwohner seien keine Ausgegrenzte, denn als Immigrantenkinder der zweiten oder dritten Generation hätten sie die französische Staatsbürgerschaft und Sozialversicherung, seien - zwar mangelhaft - französisch sozialisiert und gäben als ihre Grundkultur mehrheitlich die französische an. Seiner formalen Bürgerrechte und seines republikanischen Integrationsmodells braucht Frankreich laut Castel sich nicht zu schämen: Immerhin habe es möglich gemacht, dass die Tochter einer vierzehnköpfigen algerisch-marokkanischen Arbeiterfamilie heute an der Pariser Place Vendôme als Justizministerin waltet.

In dieser Diskrepanz zwischen der gelungenen Integration einiger weniger wie Rachida Dati und der bedrohlich wirkenden Asozialität vieler anderer sieht der Autor den Kern des Problems. Chancengleichheit ist in Frankreich nicht nur möglich, sondern rechtlich garantiert, jedoch schlecht verwirklicht. Eine reale Gesellschaft hinkt ihrem hoch gesteckten Ziel der Gleichheit immer mehr hinterher. Symptomatisch zeigt sich dies für Castel im Umgang der Republik mit dem Begriff der Rasse. In der französischen Verfassung tritt er schon im ersten Absatz auf: Die Republik gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Rasse oder Religion. Statistische Erhebungen nach dem Kriterium von Volkszugehörigkeit oder Rasse bleiben in Frankreich aber untersagt. In der löblichen Absicht, Stigmatisierung zu vermeiden, stelle die Republik sich blind fürs nötige Instrumentarium, die reale Chancengleichheit zu messen, so der Autor. Und in den blinden Winkeln dieses Egalitarismus setze die negative Diskriminierung sich fest.

Jugendliche mit nord- oder schwarzafrikanischer Herkunft werden von der Polizei besonders häufig kontrolliert, von der Justiz oft anders behandelt, bei Stellenbewerbungen übergangen, in der öffentlichen Schule zwar bereitwillig aufgenommen, aber gleich auf die Versagerseite geschoben, weil es an der heute notwendig gewordenen Bereitschaft der Familien für außerschulische Nachhilfe mangelt. Und die islamische Religion steht ohnehin unter Generalverdacht. Der Neigung eines auf Partikularismen allergisch reagierenden Staats, soziale Probleme ethnisch umzudeuten, antwortet die Neigung der Betroffenen, sich erst recht auf ihre arabische oder schwarzafrikanische Eigenheit zu versteifen.

Die Unruhen vom Herbst 2005 waren ein unorganisierter Aufstand des Überdrusses ohne politische Ziele und ohne Führungsfiguren. Über diese Allgemeinansicht führt Castel in seinem materialreichen Buch weit hinaus, indem er das Phänomen in seine zwei Teile zerlegt. Auf der einen Seite ist ein Teil der in ihrem Verhältnis zur Staatsbürgerschaft enttäuschten Jugend "im Namen des Rechts" kriminell geworden, indem Steine und Brandkörper flogen. Auf der anderen Seite reagierte eine verschreckte Gesellschaft mit dem Reflex der "gefährlichen Klasse", wie sie es zu früheren Zeiten gegenüber Landstreichern oder Proletariern tat: durch Pauschalkriminalisierung.

Frankreich, der europäische Musterknabe theoretischer Gleichberechtigung, hätte laut Castel nach der Politik der Familienzusammenführung in den siebziger Jahren eine Chance gehabt, seinen stolzen Begriff des citoyen auf Kultur- und Volkszugehörigkeit hin zu öffnen. Stattdessen sei Le Pen gekommen: nicht an die Macht, aber diffus in die Köpfe der Leute, die fremde Rassen als naturalisierte Lebens-, Verhaltens- und Denkformen von der eigenen abgrenzen und den Immigrantenkindern auch in der dritten oder vierten Generation noch das Etikett des "Migrationshintergrunds" anhängen. So tritt auch positive Diskriminierung nur zusammen mit der negativen auf, wie Sarkozy mit seiner bunten Regierungsmannschaft und seinen Phrasen vom "Gesindel" der Vorstädte ausgiebig zeigt.

Zwischen soziologischer Studie und politischem Essay ist Robert Castels Buch der anregende Versuch, die von der Republik übersehenen Nischen zwischen Differenz und Diskriminierung auszuleuchten.

JOSEPH HANIMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.05.2009

Wiederkehr der Rasse
Die zunehmende Diskriminierung in Frankreichs Vorstädten
Sie ist schön, jung und erfolgreich. Auch wenn ihr Mentor, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, die Justizministerin hat fallenlassen, bleibt Rachida Dati Symbol dafür, dass man in Frankreich durchaus reüssieren kann, selbst wenn der Vater ein Maurer aus Marokko ist. Rachida: Das ist die schöne Seite der Republik. Die hässliche, das sind die Revolten der Vorstädte, wo es immer wieder brennt. Wie es zu dieser geteilten Realität kommt, hat der Pariser Soziologe Robert Castel analysiert. Frankreichs Problem bestehe nicht darin, dass es keine Chancengleichheit gebe, sondern dass den Menschen, die erkennbar und hörbar arabische Vorfahren haben, verfassungsmäßige Rechte verweigert würden. Negative Diskriminierung nennt Castel das, im Gegensatz zur positiven Diskriminierung, der affirmative action.
Liberté, Egalité, Fraternité – der berühmte Dreiklang der Republik klingt für viele inzwischen hohl. Frankreich krankt am Gleichheitsanspruch: Die republikanischen Ideale verbieten es, Minderheiten zu fördern. Früher bestrafte man die bretonischen Bauernkinder, die im Klassenzimmer Dialekt sprachen, indem man ihnen eine Eselskappe aufsetzte. Auf diese zuweilen rabiate Gleichbehandlung war die republikanische Schule stolz. Heute ist die Diskriminierung subtiler: Wer Mohamed oder Yazid heißt oder in Clichy-sous-Bois lebt, wird selten zu einem Job-Interview eingeladen. Eine verlässliche Statistik über ethnische Diskriminierung freilich fehlt, die Verfassung erlaubt sie nicht.
Castel skizziert die Metamorphose der einst durchaus blühenden Vorstädte zu Problemvierteln. Er schildert, ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren, wie Jugendliche von Polizei und Justiz drangsaliert werden und woran sie beim Vorstellungsgespräch, falls sie überhaupt eingeladen werden, scheitern. Erschwerend kommt hinzu: Der 11. September hat vielen eine arabisch-muslimische Identität aufgezwungen. Sie wollen eigentlich Franzosen sein, aber sie spüren, dass Frankreich sie nicht will, und flüchten in den anderen Kulturkreis.
Castel beobachtet die „Wiederkehr der Rasse”. Zu den Vorbehalten gegenüber „Eingeborenen”, die es seit Zeiten der Kolonialisierung gegeben hat, gesellt sich heute das gewachsene Misstrauen gegenüber Muslimen. In einem solchen Milieu sozial aufzusteigen, kostet Kraft, weshalb sich in der Banlieue Rassen- und Klassenproblematik vermischt und verdichtet haben. Gleichwohl: Den Glauben an eine bessere, auch an eine multikulturelle Republik mag der Soziologe nicht aufgeben. Positive Diskriminierung habe Erfolge gezeitigt, etwa die gezielte Förderung von Schulen und Betrieben in sozial schwachen Stadtvierteln. Trotz ihrer Schwäche bleibe die Republik vorbildlich, denn sie garantiere das Recht gegen Willkür und die Durchsetzung der Allgemein- gegen die Partikularinteressen. Diese Republik müsse nun um ihre Banlieues kämpfen, fordert Castel, Frankreich dürfe die Vorstädte nicht sich selbst überlassen. Und eine Rachida Dati muss weiterhin Erfolg haben können. JEANNE RUBNER
ROBERT CASTEL: Negative Diskriminierung – Jugendrevolten in den Pariser Banlieues. Hamburger Edition, 2009. 122 Seiten, 15 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Robert Castels Buch über die Jugendrevolten in der Pariser Banlieue hat Rezensent Rolf Wiggershaus gut gefallen, denn es gehe sehr gründlich der Frage nach, warum gerade die Nachfahren maghrebinischer und subsaharischer Einwanderer eine so problematische Integration durchlaufen. Der Autor gebe einerseits einen kurzen geschichtlichen Rückblick vergangener "gefährlicher Klassen" (von den Landstreichern über Proletarier bis zu heute revoltierenden Vorstadtjugendlichen) und führt die Ursachen auf Globalisierung, Abstiegsangst und Perspektivlosigkeit zurück. Andererseits liefere Castel eine "angemessene und nüchterne" Analyse und verweise auf die Herausforderung des republikanischen Modells, nämlich aus der "monoethnischen, monokulturellen und monoreligiösen Gesellschaft" ausbrechen zu können.

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