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Neugierig gemacht durch die Bemerkung des Symbolisten Odilon Redon, der seine der Unterwasserwelt gewidmeten Bilder 'Aquarien' nannte, ging Ursula Harter den Fragen nach, wann die ersten 'Aquari- enhauser' gebaut worden sind, wie sie aussahen und wie sie rezipiert wurden. Als Eyecatcher sind Aquarien beliebte Requisiten sowohl der Schaufensterdekoration als auch der Theaterbühne. Als Erlebnisfaktoren erhohen sie die Attraktivitat von Kunstausstellungen, verschonern Water Closets und mildern die Trostlosigkeit von Fußganger-Unterführungen. Wer den Aufwand für ihren Unterhalt scheut, holt sich…mehr

Produktbeschreibung
Neugierig gemacht durch die Bemerkung des Symbolisten Odilon Redon, der seine der Unterwasserwelt gewidmeten Bilder 'Aquarien' nannte, ging Ursula Harter den Fragen nach, wann die ersten 'Aquari- enhauser' gebaut worden sind, wie sie aussahen und wie sie rezipiert wurden. Als Eyecatcher sind Aquarien beliebte Requisiten sowohl der Schaufensterdekoration als auch der Theaterbühne. Als Erlebnisfaktoren erhohen sie die Attraktivitat von Kunstausstellungen, verschonern Water Closets und mildern die Trostlosigkeit von Fußganger-Unterführungen. Wer den Aufwand für ihren Unterhalt scheut, holt sich die Unterwasserdeko per Bildschirm ins Haus. Als optische Hintergrundmusik gehoren sie zum Ameublement von Banken, Luxusboutiquen und -hotels, Shopping-Malls, Cafe s, Restaurants und Nightclubs. Aquarien zahlen heute zu den Objekten, deren Bestimmung es ist, asthetische Akzente zu setzen. Ihre Prasentation zeugt vielfach von der Verachtung der Lebewesen und von der kommerziellen Ausbeutung der Ware 'Natur'. Diese Publikation wird gefordert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sogar "Nicht-Aquarianer" werden sich für Ursula Harters prächtig illustriertes Buch "Aquaria in Kunst, Literatur und Wissenschaft" begeistern können, ist sich Helmut Mayer sicher, für Liebhaber sei es ohnehin Pflicht. Neben zahllosen Beispielen aus der Literatur, wo Aquarien gerne als Mittel des zoologischen Vergleichs herangezogen werden, wenn eine abgeschottete Lebenswelt den Außenstehenden und der Schriftsteller als "Liebhaber menschlicher Ichthyologie" sichtbar wird, erklärt der Rezensent. Aber Harter verfolgt das Motiv ebenso kenntnis- und materialreich in Malerei und Film, während die chronologische Entwicklung der faktischen Apparatur und der Tiefseeforschung genug Orientierung geben, um ganz nach Belieben vorwärts und rückwärts durch dieses schöne Buch zu springen, lobt Mayer begeistert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2014

Unter Wasser beginnt die Zauberwelt

Faszinierend fremdes Leben hinter Glas: Ursula Harter führt durch die Geschichte des Aquariums und seiner künstlerischen und literarischen Anverwandlungen.

Am Abend aßen sie nicht im Hotel, wo die elektrischen Lampen den Speisesaal mit Licht überfluteten, so dass dieser gleichsam zu einem riesigen Aquarium wurde, vor dessen Glaswand die Arbeiterbevölkerung von Balbec, die Fischer und auch Kleinbürgerfamilien sich die Nasen plattdrückten ..." So beginnt eine Passage der "Suche nach der verlorenen Zeit", in der Marcel Proust eine seiner gern geübten Verwandlungen der Menschenwelt ins zoologische Exempel ausgestaltet. Im Inneren des Speisesaal-Aquariums wiegt sich träge ein Luxusleben, das den Armen draußen "ebenso merkwürdig ist wie das von seltsamen Fischen oder Mollusken". Und der Erzähler schließt nicht nur die Frage an, ob die Glaswand denn halten werde, die die Wundertiere vor ihren Betrachtern schützt. Er sorgt auch gleich dafür, dass Prousts Verfahren des naturkundlichen Vergleichs deutlich wird: indem er sich vorstellt, dass in der dunklen Menge irgendein Schriftsteller und Liebhaber menschlicher Ichthyologie sein könnte, der sich ein Vergnügen daraus macht, diese Wundertiere nach artspezifischen Verhaltenweisen zu klassifizieren.

Mit Blick auf Proust ist das zwar nur ein Beispiel von vielen, die den Autor als Naturkundler der sozialen Welt zeigen. Aber es demonstriert, wie nahe das Modell des Aquariums lag. Weshalb Proust auch beileibe nicht der Erste und nicht der Letzte war, der sich seiner bediente. Will man diese Attraktionskraft des Aquariums und der mit ihm verknüpften Bildwelten ausmessen, kann man nun zu einem großformatigen und reich illustrierten Band greifen. In ihm hat Ursula Harter zusammengetragen, was in Kunst, Literatur und Wissenschaft dem Aquarium alles abgewonnen werden konnte, seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts seine Erfolgsgeschichte begonnen hatte.

Versuchen wir es unter den vielen möglichen Verbindungen, die sich von Proust aus mit der Autorin schlagen lassen, zuerst mit einem eher kurzen Sprung zu Louis Aragon, der das Motiv insbesondere in seinem "Bauer von Paris" durchspielte. Dort wird nicht nur die dem Abriss geweihte Passage de l'Opéra insgesamt zu einem Aquarium, in der ein geheimes Leben der Metropole sich zu verdichten scheint. Auch die Auslagen der verstaubenden Läden laden ein zu diesem Vergleich. Ein Schritt weiter, und wir halten bei einem realen Aquarium, in dem André Bretons spätere Ehefrau Jacqueline Lamba ihre Show als nackte Najade zeigte - was natürlich wieder auf das Feld der literarischen Imagination in Bretons Büchern zurückführt. Oder gleich einige Schritte zurück zu großen Beschwörern des Meeres wie Victor Hugo und Jules Michelet, die natürlich auch - Meeres- und Tiefseefilme standen ja noch nicht zu Gebote - auf die direkten oder literarischen Verarbeitungen der Aquarien rekurrierten. Oder man folgt dem Motiv der Medusen, die alle Meeresenthusiasten begeisterten (und die Proust wohl noch unter die eingangs zitierten Mollusken reihte), um zu deren Evokation als Verkörperung des Tanzes bei Paul Valéry zu gelangen: um dann vielleicht mit Jean Painlevé bei frühen filmischen Versuchen über das Leben einiger Meeresbewohner zu landen.

Ebenso gut könnte man aber zum Kapitel über Alfred Kubin blättern, der gern "im Drüben fischte", um dann bei Odilon Redons phantastischen Transpositionen der schrittweise zugänglich werdenden Tiefseewelt weiterzulesen und schließlich bei den Aufzeichnungen zu verweilen, die Paul Klee im Jahr 1902 nach seinem Besuch im Aquarium von Neapel - dem überdies ein eigenes Kapitel gewidmet ist - zu Papier brachte: fasziniert von der Formenvielfalt und physiognomischen Komik dieser Geschöpfe in den Glaskästen und gleichzeitig stolz darauf, als entwerfender Künstler durchaus nicht hinter die Phantastik dieser Schöpfung zurückzufallen - wahrlich kein kleines Wort. Aber bei Redon könnte man auch gut zu den "Fischfrauen" Gustav Klimts abzweigen, um dann auf Wiener Terrain zu bleiben und mit Heimito von Doderer in eine aquatisch ausgestaltete Tiefenzeit zu tauchen.

Und das ist nur eine winzige Probe aus dem dichten Netz der Wege, die man bei der Lektüre dieses Buchs und Bilderalbums nehmen kann. Zumal wir bisher fast nur die künstlerischen und literarischen Transpositionen der Motive anführten. Doch die Autorin vergisst durchaus nicht, die Geschichte der Aquarien selbst und auch der wissenschaftlichen Befassung mit dem Süß- und Meerwassergetier zu erzählen, selbst wenn gleich festzuhalten ist, dass man es da nicht mit scharfen Grenzziehungen zu tun hat: Den regen Grenzverkehr zwischen den wissenschaftlichen und literarischen-künstlerischen Befassungen verfolgen zu können, darin liegt gerade der Reiz dieser Darstellung.

Die Autorin kämpft dabei bewundernswert mit der Fülle der Bilder, Texte und Dokumente. Hin und wieder wird sie zwar von ihr erdrückt, aber dafür genießt der Leser bei der Lektüre einige Freiheiten: Man muss den Band durchaus nicht in der Reihenfolge der Kapitel lesen, sondern kann munter springen und auswählen. Zumal die Geschichte der Realien, insbesondere der großen öffentlichen Aquarienhäuser, in den einzelnen Kapiteln immer wieder genannt wird, man also nicht aus den Augen verliert, was gerade die neuesten Höhepunkte der einschlägigen Präsentationen waren - sofern man nicht zum ersten Teil des Buches zurückblättert, in dem detailreich geschildert wird, wie schnell die bis heute nicht abgerissene Tradition der Unterwasserschauen zu spektakulären Inszenierungen führte.

Außerdem verführt die prächtige Bildausstattung ohnehin unvermeidlich zum Blättern, dem man sich auch besten Gewissens überlassen darf. Man hat es mit einem Band zu tun, in dem man sich überall festlesen und Entdeckungen machen kann. Dekretieren wir also: Kein Aquarien-Liebhaber kommt an dem Band vorbei, und Nicht-Aquarianern sei versichert, dass man keinen Kohlefilter getauscht haben muss, um ihm etwas abzugewinnen. Das müsste für die nächsten Auflagen ja schon reichen.

HELMUT MAYER

Ursula Harter: "Aquaria in Kunst, Literatur und Wissenschaft". Kehrer Verlag, Heidelberg 2014. 256 S., Abb., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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