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Das intensive Gespräch zwischen Mutter und Sohn fördert Bewegendes zutage: das Aufwachsen in der DDR, die Umstände der Flucht nach Westdeutschland aus Liebe zum Vater des gemeinsamen Kindes, die Demütigung, als sie erfährt, dass dieser dort heimlich eine andere geheiratet hat, das Misstrauen ihr, der Genossin, gegenüber - Irene Binz, literarisches Alter Ego von Ellen Schernikau, geht weiter ihren Weg und fühlt doch schmerzhaft die Leerstelle der fehlenden Heimat. Dieses Buch ist das berührende Porträt einer ungewöhnlichen, starken Frau, die ihren Überzeugungen treu geblieben ist. Frappierend…mehr

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Produktbeschreibung
Das intensive Gespräch zwischen Mutter und Sohn fördert Bewegendes zutage: das Aufwachsen in der DDR, die Umstände der Flucht nach Westdeutschland aus Liebe zum Vater des gemeinsamen Kindes, die Demütigung, als sie erfährt, dass dieser dort heimlich eine andere geheiratet hat, das Misstrauen ihr, der Genossin, gegenüber - Irene Binz, literarisches Alter Ego von Ellen Schernikau, geht weiter ihren Weg und fühlt doch schmerzhaft die Leerstelle der fehlenden Heimat. Dieses Buch ist das berührende Porträt einer ungewöhnlichen, starken Frau, die ihren Überzeugungen treu geblieben ist. Frappierend in seiner Einzigartigkeit, ist es doch auf seine Art exemplarisch für den verkrampften Umgang der beiden deutschen Staaten miteinander - und dessen Konsequenzen bis heute.
Autorenporträt
Ronald M. Schernikau, geboren 1960, wuchs in Magdeburg auf, bevor seine Mutter 1966 mit ihm nach Westdeutschland floh. 1980 veröffentlichte er bei Rotbuch sein viel beachtetes Debüt "Kleinstadtnovelle". Nach dem Studium am Literaturinstitut "Johannes R. Becher" in Leipzig wurde der Autor am 1. September 1989 Staatsbürger der DDR. Er starb Ende 1991 an Aids.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2010

Die Mutter des letzten Kommunisten
Von Deutschland nach Deutschland und immer am falschen Ort: Ronald M. Schernikau lässt Irene Binz erzählen
Im Herbst 1981 verschenkte eine Mutter in Hamburg die Geschichte ihres Lebens an ihren damals 21-jährigen Sohn. Die beiden standen einander sehr nah. Und es war ja auch seine Geschichte. Die Mutter war Lehrschwester gewesen in Magdeburg, hatte beim Tanzen einen Mann getroffen, sich verliebt, obwohl dieser Thomas anderweitig gebunden und auch weiteren erotischen Abenteuern nie abgeneigt war. Stark war er nicht, würde es nie sein. Er hatte ein Briefmarkengeschäft und sie wurde schwanger. Es kamen die Steuerbehörden des Arbeiter- und Bauernstaates zu ihm, und er machte rüber über die damals noch nicht ganz geschlossene Grenze. Beider Sohn kam im Juli 1960 zur Welt, ein Jahr später trennte die scharf bewachte innerdeutsche Grenze Mutter und Vater, und es sah aus, als stünde die Mauer fest gegründet für immer da.
Sie fühlte sich als Kommunistin, war SED–Mitglied, und hatte doch so eine Sehnsucht in sich nach Thomas. Auch wollte sie, dass der Sohn mit Vater, in intakter Familie aufwuchs. Schwer fiel es ihr, das Angebot zur Flucht anzunehmen, sie rang mit sich und folgte dann doch aufs vereinbarte Signal. Ihr glückte die Flucht, die Dutzende andere mit dem Leben bezahlten. Im Kofferraum gelangten sie und ihr Sohn nach Westdeutschland.
Seltsamerweise holte Thomas sie nicht in sein Haus, erst allmählich durchschaute sie den Betrug: Er hatte inzwischen Frau und Kind in der Bundesrepublik. Es ist dies der Punkt in der Geschichte, an dem man die Naivität, die lebenstüchtige Unklugheit der Mutter kaum noch erträgt. Sie trifft sich und schläft noch mit dem betrügerischen Thomas. Es dauert, bis sie ihn hinter sich lässt, ein eigenes Leben als alleinerziehende Mutter beginnt.
Eigentlich will sie zurück in den Osten. Was sie in der Bundesrepublik erlebt, bestätigt nur ihre Vorliebe für den Sozialismus. Als sie Berlin besucht, überredet sie einen Grenzbeamten: Er lässt sie, für Stunden nur, nach Ost-Berlin und verspricht, die zuständigen Behörden zu fragen, ob sie heimkehren, straflos ihr altes Leben wiederaufnehmen könne. Zurück im Westen, glaubt sie nicht, dass das ginge. So bleibt erst einmal alles, wie gehabt. Ihren Sohn erzieht sie im Geist der DDR. Kaum ist er 16 geworden, tritt er in die Deutsche Kommunistische Parte ein. Die Mutter, die ihn zu Versammlungen begleitet, will man nicht aufnehmen. Den „Makel” der Republikflucht verzeiht die DKP nicht.
Das ist in groben Zügen die Geschichte, die man in „Irene Binz. Befragung” nachlesen kann. Wer das Buch heute zur Hand nimmt, interessiert sich zunächst wohl mehr für den Autor als für die zwei Deutschlands und den Blick einer Mutter auf sie. Ronald M. Schernikau, der Sohn, war zu Beginn der achtziger Jahre eine Hoffnung der deutschen Literatur gewesen. Er vereinte Glamour und Intellekt, Zickigkeit und Menschenliebe mit Formbewusstsein.
Obendrein war er stolz auf seine ausgesprochen klaren politischen Ansichten. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen und den Schritt seiner Mutter rückgängig machen: in Leipzig, am Literaturinstitut „Johannes R. Becher” studieren und am 1. September 1989 in die DDR übersiedeln. Als er 1991 an den Folgen von AIDS starb, gab es dieses Land, das seine erotisch-politisch-literarische Traumheimat gewesen war, nicht mehr. Man kennt seine Geschichte wie die Geschichte der Mutter dank der bewegenden Biographie „Der letzte Kommunist”, die Matthias Frings seinem Freund Ronald gewidmet hat (SZ vom 7. März 2009)
1981 in Hamburg hatte Ronald M. Schernikau das Interview mit der Mutter auf mehreren hundert Seiten sorgfältig abgeschrieben. Er stellte eine Prosafassung her, die nie erschien: „Irene Binz. Befragung”. Thomas Keck hat sie nun aus dem Nachlass ediert.
Es gibt eine weitere Fassung, die nur wenige kennen. Das in Blankversen gehaltene Bühnenstück „Irene Binz. Die Frau im Kofferraum” wurde 1999 als Teil VII des kaum gelesenen und – wie selbst Freunde des Dichters meinen – weitgehend unlesbaren – Opus magnum „legende” veröffentlicht. Der „Befragung” ist ein größeres Publikum zu wünschen, weil Schernikau hier eine Form gefunden hat, die zwar an Protokollliteratur erinnern mag, aber doch im wesentlichen Märchendichtung ist. Wer die poetischen Qualitäten dieser Prosa verkennt, dem öffnet das leidenschaftliche Vorwort von Dietmar Dath die Augen.
Er zitiert eine Bettgeschichte, so wie der Sohn seine Irene über Irene und Thomas berichten ließ: „Wir haben zwei Tage lang nur im Bett gelegen. Und ich mußte immer erzählen. Wer was gemacht hat, wie es uns geht, und er kannte ja alle. Das war so ruhig und ganz einig, und wir haben gelegen und er hat gesagt: Red weiter. Er war zuhause jetzt . . . Er war nicht energisch genug, sich scheiden zu lassen, hab ich mir immer überlegt, und wer weiß.” Mit guten Gründen kommentiert Dath: „Wer das nicht als die allerinnigste und zarteste Musik hören kann, ist verflucht. ”
Schernikau hat einiges unternommen, um den Erzählfluss erfolgreich zu stören. Der trägt den Leser nicht, etwa die Elbe entlang von Magdeburg nach Hamburg. Die „Befragung” besteht aus vielen kleinen Abschnitten, Schlaglichtern, Szenen, Erinnerungsfetzen. Manchmal umfasst so ein Absatz nur einen Satz: „Ich hab mich denn immer bei dir ausgeheult, wenn ich dich hatte.” Oder: „Wo ich mich noch nicht mal selbst verstanden hab.” Man fühlt sich nicht ein in diesen Bericht und bleibt doch immer dabei, weil man immer angesprochen wird.
Dem ständigen Neuanfang, der schnittverliebten Kurzatmigkeit steht ein einheitlicher, charmanter, suggestiver Ton gegenüber, der „Irenesound”. Er dient dazu, die Mutter zur romantisieren. In jeder Reportage würde man irgendwann nachfragen wollen: Hör mal, Irene, Du irrst dich immer mit den Männern, bist da naiv, halb von altbackenen Vorstellungen, halb von Frühlingsgefühlen geleitet, warum sollen wir glauben, dass deine politischen Meinungen besser begründet sind? „Also Demokratie ist, wenn keiner weiß, was los ist”, heißt es da.
So recht will Irene Binz sich auf die neue Wirklichkeit, für die sie Freiheit und Leben riskiert hat, nicht einlassen. Der Sohn und Autor findet den passenden, an die Grimms erinnernden Märchenton, um all die Widersprüche und Gegensätze zu Wort kommen zu lassen und zu entschärfen zugleich. Es ist ein Traumleben, von dem man hier in berückend schönen Sätzen liest: „Einmal hab ich im Bett gelegen und hab ein ganz lautes Schluchzen gehört, also wie meine Mutter schluchzte ganz laut. Und da hab ich gedacht, ich muß da hin . . . Und dann war das vorbei, und ich bin eingeschlafen. Ich war acht.”
Die Zeit schafft es dann, selbst aus Irene Binz eine Bundesbürgerin zu machen. Sie sei es, sagt sie nicht gerne, aber sie wolle, „dass sich hier was ändert. Und ich bleibe hier.” – „Und du?” lautet der einzige Satz des letzten, des siebenten Kapitels. Das die Revolution in der DDR eben mit dem Slogan „Wir bleiben hier” beginnen sollte, konnte 1981 niemand ahnen, weder in Hamburg, noch in Magdeburg. JENS BISKY
RONALD M. SCHERNIKAU: Irene Binz. Befragung. Herausgegeben von Thomas Keck. Mit einem Vorwort von Dietmar Dath und einem Interview zwischen Ellen Schernikau und Claudia Wangerin. Rotbuch Verlag, Berlin 2010. 224 Seiten, mit zahlr. Fotos, 16,95 Euro.
„Na, das kannte die nun gar nicht, DDR und Lehrausbilderin, das hieß also Schulschwester. Und Ostzone.”
„Und ich wollte mein Kind in meinem Land haben. Und dieser verdammte Kerl ist im Ausland.”
„Ich bin so ein Mitbürger. Ich bin es nicht gerne, aber ich bin jetzt Bundesbürger und ich will, daß sich hier was ändert. Und ich bleibe hier.” Ronald M. Schernikau mit seiner Mutter Ellen, 1975 vor dem Schloss Versailles. Foto: privat
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz besoffen ist Jens Bisky von dieser, wie er schreibt, so einnehmend zwischen Protokollliteratur und Märchendichtung changierenden von Thomas Keck aus dem Nachlass edierten Prosafassung von Ronald M. Schernikaus Interview mit der Mutter. Deren hier dokumentierte Naivität Männer betreffend und Politik findet Bisky mitunter schwer erträglich. Hin- und hergerissen zwischen Ost- und West-Deutschland, wie sie ist, möchte Bisky ihr manchmal gern gut zureden. Weil Schernikau jedoch einen "charmanten, suggestiven" Märchenton einzieht, der die Mutter erfolgreich romantisiert, konzentriert sich Bisky bald auf den "Irenesound" und auf die "berückend schönen Sätze". Schon dieser, auch von Dietmar Dath im Vorwort leidenschaftlich gelobten poetischen Qualität wegen wünscht Bisky dem Buch viele Leser.

© Perlentaucher Medien GmbH