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Deutschland im Frühjahr 1945. In die östlich der Elbe gelegenen Landesteile ziehen gegen nicht selten irrsinnigen Widerstand die Sieger mit dem roten Stern an der Mütze ein, dabei selbst noch einmal einen erheblichen Blutzoll leistend. Gleichermaßen ermüdet wie voller Zorn nehmen die Soldaten der Roten Armee jetzt von Land und Leuten Besitz, die ersten Tage und Wochen des Alltags im eroberten Gebiet folgen der unerbittlichen Logik des verheerenden Krieges. Nur kurze Zeit darauf befehlen die Mächtigen in Moskau und Berlin einen Handschlag der Versöhnung, der eine neue Freundschaft auf dem Grund…mehr

Produktbeschreibung
Deutschland im Frühjahr 1945. In die östlich der Elbe gelegenen Landesteile ziehen gegen nicht selten irrsinnigen Widerstand die Sieger mit dem roten Stern an der Mütze ein, dabei selbst noch einmal einen erheblichen Blutzoll leistend. Gleichermaßen ermüdet wie voller Zorn nehmen die Soldaten der Roten Armee jetzt von Land und Leuten Besitz, die ersten Tage und Wochen des Alltags im eroberten Gebiet folgen der unerbittlichen Logik des verheerenden Krieges. Nur kurze Zeit darauf befehlen die Mächtigen in Moskau und Berlin einen Handschlag der Versöhnung, der eine neue Freundschaft auf dem Grund der Befreiungstat befestigen soll.Gewiss, unzweifelhaft war das deutsche Volk von einem verbrecherischen Regime durch die Sieger befreit worden. Aber wie fand dieser Mythos jetzt seinen Platz im Leben des besiegten Volkes, welche Etappen waren dabei zu verzeichnen und welche Medien wurden hierzu genutzt? Ob in Schulen oder Betrieben, ob in den Massenmedien oder in propagandistischen Kampagnen, ob während persönlicher Treffen oder gemeinsamer Manöver der nunmehrigen Waffenbrüder - diese Freundschaft, die auch einer Massenorganisation den Namen gab, war allgegenwärtig. Aber wie fest verankert war sie wirklich und was hat sie in vier Jahrzehnten bewirkt? Stand eine wirkliche Versöhnung, eine tatsächliche Freundschaft am Ende jener Besatzung, die Anfang der neunziger Jahre in der DDR abrupt endete?Diesen spannenden Fragen geht die Untersuchung mit vielen Einzeleinsichten nach, die einem so bislang nicht gekannten Bild vom Alltag in der DDR klare Konturen verleiht.
Autorenporträt
Silke Satjukow ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2009

Wer hat Angst vor Bummi Bär?
Wie sich die DDR den "Tag der Befreiung" aneignen sollte

Aus sowjetischer Perspektive befreite die Rote Armee am 8. Mai 1945 die Deutschen von Faschismus und Kapitalismus. Den Machthabern in Moskau und ihren Satrapen in Ost-Berlin lag nach Kriegsende daran, aus ehemaligen Feinden Freunde zu machen und durch das neue gemeinsame Feindbild des kapitalistischen Westens Gemeinschaft zu stiften. Konnte aber mit Hilfe des Befreiungsmythos wirkliche Versöhnung zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern stattfinden? Silke Satjukow untersucht die Rituale am jährlichen "Tag der Befreiung" in Film und Fernsehen, in der Schule und in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Sie interessiert, wie man den Mythos vermittelte und wie die Begegnungen zwischen stationierten Sowjetsoldaten und Ostdeutschen verliefen.

Trotz ritualisierter Schuldbekenntnisse, Dankesbekundungen und Treueschwüren, trotz der Übernahme des sowjetischen Gesellschaftssystems der Befreier haftete den Ostdeutschen die "Erbsünde" an, sich nicht selbst von Hitler und dem faschistischen Regime abgewendet zu haben. Darüber hinaus vergaßen sie über lange Zeit die Greuel der Besatzer nicht. Die Ostdeutschen standen zudem vor der schweren Aufgabe, das verinnerlichte "bipolare Weltverständnis" des Nationalsozialismus (gute Deutsche - böse Sowjets) gegen das ebenso bipolare Gedankenkonstrukt der Sowjets (gute Sowjets - böser Westen) austauschen zu müssen. Die Einübung dieses Freund-Feind-Schemas, so weist die Autorin nach, erfolgte von Kindesbeinen an: Mit Hilfe von Sympathiefiguren wie dem Bären "Bummi" im gleichnamigen Kleinkindermagazin wurden die Jüngsten zur deutsch-sowjetischen Freundschaft und zum Hass gegenüber dem "bösen" Westen erzogen, der noch nicht den "Glücksschlüssel" von "Väterchen Lenin" besitze. In der Schule widmeten sich insbesondere Lesebuch und Geschichtsunterricht dem Befreiungs-Mythos und dem internationalen Klassengegensatz.

Die Förderung der deutsch-sowjetischen Freundschaft erfolgte allerdings nur vordergründig: Der verpflichtende Russischunterricht war wegen der nicht erwünschten Kommunikation mit Muttersprachlern nur wenig effektiv; die alltägliche Präsenz der stationierten Soldaten gestaltete sich nicht zum "Lernort" für Versöhnung und Freundschaft. Hatten die Soldaten ein dürftiges und negativ geprägtes Bild von besetztem Land und Leuten, behielten auch umgekehrt die wenigen, meist beruflich bedingten Einblicke der Ostdeutschen in das sowjetische Kasernenleben lediglich den oberflächlichen Charakter von Momentaufnahmen. Die Möglichkeiten, in Kontakt zu treten, waren streng reglementiert. Zwar organisierte die 1949 gegründete Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, der die DDR-Bürger mehrheitlich, aber oft unfreiwillig beitraten, Treffen. Diese entwickelten sich eher zu "steifen, nur mittels Dolmetschern und Wodka erträglichen Kaffeetafeln und Kulturprogrammen". Echte Freundschaften waren gar nicht gewollt.

Das ernüchternde Resümee lautet: Die von oben verordnete Freundschaft unter Ungleichen ohne die notwendige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ließ die sowjetischen Soldaten wie die deutsche Bevölkerung nach dem "Ziehharmonika"-Prinzip des Sichannäherns und Voneinanderabwendens agieren. Nur über unerlaubte Wege wie illegale Tauschgeschäfte oder über die Arbeit von Offiziersfrauen in privaten Betrieben entstanden vereinzelt engere (von der Autorin leider nicht näher erläuterte) Bindungen, die zu Gesten der Versöhnung führten, allerdings ohne Nachhaltigkeit. Letztlich blieb also die "Befreiung" des Jahres 1945 für die Ostdeutschen nur ein Mythos. Als aber das SED-Regime ein Übergreifen von "Glasnost" auf die DDR konsequent zu verhindern suchte, wurden die stationierten Sowjetsoldaten für Teile der Bevölkerung nunmehr zu Hoffnungsträgern einer zweiten, einer echten Befreiung.

War den Ostdeutschen schon bald nach 1945 bewusst geworden, dass es sich wieder um ein totalitäres System handelte? Eine Antwort auf diese im Buchtitel implizierte Frage bekommt der Leser nicht. Der Begriff "Befreiung" bleibt in seiner vielschichtigen Bedeutung als Mythos, als Gefühl, als Voraussetzung für Vergebung oder Freundschaft bisweilen undeutlich. Der für einen Historiker stets schwierigen Aufgabe, menschliche Empfindungen zu erfassen, begegnet die Autorin mit überaus langen Zitaten. Gegenüber solchen deskriptiven Passagen wirken die analytischen Ausführungen durch sehr spezifisches Fachvokabular manchmal übertrieben.

HENRIETTE SCHUPPENER

Silke Satjukow: Befreiung? Die Ostdeutschen und 1945. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2009. 288 S., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Interesse widmet sich Rezensentin Henriette Schuppener der von Silke Satjukow verfassten Studie. In der DDR gab es – zumindest offiziell – keinen Zweifel daran, dass die Ostdeutschen 1945 von der Roten Armee befreit wurden. Aber wie sah es später in der Realität aus mit der gern beschworenen Deutsch-Sowjetischen Freundschaft? Sehr schlecht. Zu diesem Ergebnis kommt Schuppener nach der Lektüre dieses Buchs: Die Beziehungen waren äußerst oberflächlich – und sollten es auch sein, hat sie gelernt. Durchbrochen wurde das höchstens mal von jenen, die illegale Handelsbeziehungen mit Russen pflegten. Die "echte Befreiung" fand erst mit "Glasnost" statt, erkennt die Rezensentin. Auch wenn sie einiges gelernt zu haben scheint: Ganz zufrieden ist sie mit dem Band nicht. Ihr missfällt die stark fachterminologische Ausdrucksweise. Und sie hätte sich eine Klärung des Begriffs "Befreiung" gewünscht.

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