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Im Jahre 1922 reichte der Philosoph und Kunsthistoriker Edgar Wind (1900-1971) die Schrift "Aesthetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte" an der Hamburger Universität ein und wurde von Erwin Panofsky und Ernst Cassirer promoviert. Bedingt durch die Inflation der zwanziger Jahre musste Wind nur ein Kondensat der Arbeit veröffentlichen und erhielt 1924 die Promotionsurkunde. Der umfangreiche Urtext wurde nie publiziert. Im Kern analysiert Wind das Verhältnis ästhetischer Annäherung und theoretischer Fassung von Werken der Kunst als…mehr

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Produktbeschreibung
Im Jahre 1922 reichte der Philosoph und Kunsthistoriker Edgar Wind (1900-1971) die Schrift "Aesthetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte" an der Hamburger Universität ein und wurde von Erwin Panofsky und Ernst Cassirer promoviert. Bedingt durch die Inflation der zwanziger Jahre musste Wind nur ein Kondensat der Arbeit veröffentlichen und erhielt 1924 die Promotionsurkunde. Der umfangreiche Urtext wurde nie publiziert. Im Kern analysiert Wind das Verhältnis ästhetischer Annäherung und theoretischer Fassung von Werken der Kunst als methodische Problemstellung. Doch spielt er beide Positionen keineswegs gegeneinander aus, wie es zeitbedingt nicht untypisch gewesen wäre. Ihm war vielmehr daran gelegen, die Zuständigkeiten einer konkreten Kunstwissenschaft zu bestimmen und die »Einheit von individueller und werthafter Bedeutsamkeit theoretisch aufzuweisen«, wie Erwin Panofsky in seinem Gutachten vermerkt. Denn Wind beschrieb die methodische Umwandlung des kunstästhetischen Gegenstandes in einen kunstwissenschaftlichen, ohne den beiden Herangehensweisen ihre Bedeutung abzusprechen. Er betonte vielmehr ihre eigenständige Gewichtung und verband sie in der Analyse. In diesem Gedankengang ist die Schrift ungebrochen aktuell, denn das wissende Auge sieht mehr. Die immer noch überaus lesenswerte Arbeit wird nun als zweiter Band einer Edgar-Wind-Edition erstmals publiziert.
Autorenporträt
Edgar Wind, 1900 in Berlin geboren, 1971 in London gestorben, war wie Cassirer, Panofsky und Gombrich ein Kunsthistoriker der Warburg-Schule. 1933 spielte er eine Hauptrolle bei der Rettung der Bibliothek Warburg ins Londoner Exil und gehörte zu den Gründern und Mitarbeitern des dortigen Warburg Institute.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2012

Entscheidungen im Raum der möglichen Bilder
Grammatik statt Geschmack: Edgar Winds Hamburger Doktorarbeit von 1922 liegt endlich als Buch vor

Dass eine Doktorarbeit mit neunundachtzig Jahren Verspätung publiziert wird, kommt selten vor. Doch im Falle der Dissertation des Kunsthistorikers und Philosophen Edgar Wind ist dies unlängst geschehen. Sein Typoskript mit dem Titel "Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand. Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte" wurde 1922 an der Universität Hamburg eingereicht und von Erwin Panofsky und Ernst Cassirer übereinstimmend mit dem Prädikat "mit Auszeichnung" benotet. Doch eine Publikation kam aus verschiedenen Gründen nicht zustande, bis der Text im Herbst 2011, vierzig Jahre nach dem Tod des Autors, nun doch noch erschienen ist.

Die Frage, mit der sich Wind beschäftigt, ist diese: Wie ist es möglich, dass Kunstwerke, die offenkundig Gegenstände unserer Wertschätzung sind, zugleich Gegenstände der wissenschaftlichen Forschung sein können? Eine naheliegende Antwort wäre, dass dabei unterschiedliche Aspekte der Werke in den Blick kommen. Der ästhetische Genuss ergibt sich aus der Betrachtung der sinnlichen Erscheinung, die wissenschaftliche Erkenntnis aus der Ermittlung von Fakten, die das Werk betreffen.

Eine solche Trennung der Zuständigkeitsbereiche lehnt Wind jedoch ab. Kunstwissenschaft hat nach seiner Überzeugung nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie sich auf genau dasselbe richtet, was auch für den Kunstliebhaber im Mittelpunkt des Interesses steht: die besondere Qualität des individuellen Werks. Die Kunstwissenschaft kann die Frage nach dem Wert eines gegebenen Kunstwerks also nicht einfach ausklammern und ihre Beantwortung anderen überlassen. Sie darf sich nicht auf das risikolose Geschäft der Ansammlung von unstrittigen Tatsachen beschränken. Sie muss vielmehr einsichtig machen, worin der Wert eines Werks besteht. Anderenfalls hat sie selbst keinen Wert.

"Das Kunstwerk", schreibt Wind, "will in seiner Individualität und in seinem Wert verstanden sein." Beides ist für ihn im Grunde dasselbe, denn aus seiner Sicht besteht der Wert eines Werks zunächst einmal darin, dass es einen individuellen Stil aufweist. Die Kunstwissenschaft muss also klären, worin der jeweils besondere Stil eines Werks besteht. Um diesem Ziel näherzukommen, empfiehlt Wind allerdings nicht die historische Erforschung der faktischen Kunstentwicklung, sondern eine systematische Analyse dessen, was gestalterisch überhaupt möglich ist. Dementsprechend skizziert er so etwas wie eine "generative Grammatik" der bildenden Kunst, nicht unähnlich jener, die Noam Chomsky später für die Sprache ausgearbeitet hat. Tatsächlich orientiert sich Wind selbst an der Analogie mit der Sprache. Genau wie die Sprache, so glaubt er, beruhe auch die bildende Kunst darauf, dass zunächst ganz sinnlose Elemente in einem Prozess der "Artikulation" voneinander abgesetzt werden, um dann als bedeutungstragende Einheiten verwendet werden zu können, die nach bestimmten Regeln ausgewählt und kombiniert werden.

Bekanntlich will die Sprachwissenschaft uns nicht sagen, welche Sätze faktisch ausgesprochen oder niedergeschrieben werden. Sie rekonstruiert vielmehr die Bedingungen der Möglichkeit, solche Sätze zu bilden. Ganz analog soll auch die Kunstwissenschaft die prinzipiellen Gestaltungsmöglichkeiten der Kunst aufzeigen, die in jedem Werk auf die eine oder andere Weise realisiert werden. Jedes konkrete Werk, wie etwa ein Selbstporträt Rembrandts, erscheint dann als Resultat einer Abfolge von nicht immer bewussten, in jedem Fall aber faktisch erfolgten Entscheidungen über eine Reihe von "künstlerischen Problemen", die bei seiner Entstehung aufgetreten sind. Jedes Gemälde enthält zum Beispiel eine spezifische Stellungnahme zu dem Problem, ob es eher flächig oder eher tiefenräumlich wirken will. Wenn man in einem gegebenen Werk nun eine stringente Strategie zur Lösung solcher Probleme erkennen kann, dann hat man seine spezifische "grammatische Tiefenstruktur" enthüllt, und weil darauf auch die individuelle Qualität des Werkes beruht, hat man damit zugleich wissenschaftlich erfasst, worin dessen künstlerischer Wert besteht.

Das ist eine kühne Vision, die gut zu manchen anderen Bemühungen passt, die in den zwanziger Jahren - zum Beispiel am Bauhaus - unternommen wurden, um die elementaren Bestandteile der visuellen Gestaltung und die Gesetze ihres Zusammenwirkens zu erforschen. Wer die Überlegungen Winds aber vornehmlich als Symptome eines vergangenen Zeitgeistes betrachtet, verschließt sich ihrem Anspruch. Wind argumentiert systematisch, und deshalb wollen seine Thesen auch auf einer systematischen Ebene beurteilt werden. Eine solche Beurteilung führt allerdings zu dem Schluss, dass es die von ihm postulierte Grammatik der bildenden Kunst gar nicht geben kann. Es könnte sie, wie Wind selbst bemerkt, nämlich nur dann geben, wenn die konkreten Markierungen, aus denen zum Beispiel ein Gemälde besteht, sich als Realisierungen von abstrakten Typen von Zeichen verstehen ließen, so wie Bleistiftspuren auf Papier als Buchstaben oder Geräusche einer Flöte als Töne einer Tonleiter aufgefasst werden können. Derartige Zuordnungen gibt es in der Kunst jedoch nicht, und deshalb gibt es auch kein Repertoire von Zeichen, die dann nach grammatischen Regeln verwendet werden könnten.

Obgleich die Gedankengänge, in die Wind uns hineinzieht, zwar letztlich nicht zu dem von ihm selbst angestrebten Ziel führen, so bleiben doch zumindest zwei seiner Prämissen von Interesse: zum einen die (ausdrücklich gegen Max Weber formulierte) These, die Kunstwissenschaft solle nicht den Fehler machen, sich als eine wertfreie Wissenschaft auszugeben, und zum anderen die Überzeugung, die Kunstwissenschaft solle nicht versuchen, sich als eine rein historische Disziplin zu definieren, die ohne eine systematische Analyse ihres Gegenstandsbereichs auskommen kann. Die nach so vielen Jahren doch noch publizierte Arbeit kann dazu anregen, über diese beiden Prämissen erneut nachzudenken.

KARLHEINZ LÜDEKING

Edgar Wind: "Ästhetischer und kunstwissenschaftlicher Gegenstand". Ein Beitrag zur Methodologie der Kunstgeschichte.

Hrsg. von Pablo Schneider. Verlag Philo Fine Arts, Hamburg 2011. 360 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ob die 89 Jahre nach ihrem Entstehen nun veröffentliche Dissertation des Kunsthistorikers und Philosophen Edgar Wind uns wirklich etwas zu sagen hat, vermag der Rezensent nur mit einem Jein zu beantworten. Winds systematisch vorgetragene These, derzufolge der bildenden Kunst ein von der analytischen Kunstwissenschaft beim Wickel zu packendes Repertoire von bedeutungstragenden Einheiten zugrunde liegt, hält Karl-Heinz Lüdeking für eine kühne Vision, die gut in die Bauhaus-Epoche passt. Dass sich Winds These getrost in den Wind schlagen lässt, weil es das postulierte Zeichenrepertoire schlicht nicht gibt, möchte Lüdeking allerdings auch nicht behaupten. Dies immerhin findet er auch heute noch bedenkenswert: Winds Forderung, die Kunstwissenschaft solle sich weder als wertfrei noch als rein historisch orientiert definieren.

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