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Die Kunst, Einblick in die Werkstatt der eigenen schriftstellerischen Kreativität zu gewähren, ist eine Seltenheit. Jean Rouaud, Goncourt-Preisträger, der mit seinem Romanzyklus um seine Familiengeschichte aus der französischen Provinz berühmt wurde, beherrscht sie mit Humor, Eleganz und ohne jede Prätention. In seinem anregenden Essay erzählt er von der Lust mit dem Spiel um die Wirklichkeit in der Literatur, in der Malerei und in der Photographie.

Produktbeschreibung
Die Kunst, Einblick in die Werkstatt der eigenen schriftstellerischen Kreativität zu gewähren, ist eine Seltenheit. Jean Rouaud, Goncourt-Preisträger, der mit seinem Romanzyklus um seine Familiengeschichte aus der französischen Provinz berühmt wurde, beherrscht sie mit Humor, Eleganz und ohne jede Prätention. In seinem anregenden Essay erzählt er von der Lust mit dem Spiel um die Wirklichkeit in der Literatur, in der Malerei und in der Photographie.
Autorenporträt
Jean Rouaud, geboren 1952 bei Nantes, Studium der Literaturwissenschaften.Romanveröffentlichung. Heute lebt und schreibt Jean Rouaud in Südfrankreich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2004

Wie das zugehen soll
Schreiben als Marienkunst: Jean Rouauds Erscheinungen

Im Anfang war bekanntlich das Wort, und das ward später Fleisch. Wie das geschah, ist allerdings hienieden nie ganz aufgeklärt worden. Jean Rouaud hat in seiner 2001 unter dem Titel "La Désincarnation" erschienenen Abhandlung angemerkt, daß schon die "goldige Maria" selbst dergleichen Vorgänge skeptisch betrachtet haben muß, als sie bei der Verkündigung überrascht fragte: "Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?" Endgültig jedenfalls hat die Erfindung der Vernunft dem Wort "sein heiliges Mysterium vom Hals geschafft, seine Befähigung zur Verkörperung". Seitdem wird der Abgrund zwischen Wort und Gegenstand immer tiefer. Das ist eine in negativer Theologie begründete These, weshalb der Titel von Elsbeth Rankes im übrigen brillanter Übersetzung eigentlich "Die Entkörperung" oder gar die "Die Entfleischlichung" hätte lauten müssen.

"Schreiben heißt, jedes Wort zum Klingen bringen" hört sich zwar netter an, klingt aber arg nach schöngeistiger Poetikvorlesung, und davon hat Rouauds luzides Gedankenspiel über die Seinsweise der Literatur gar nichts. Irreführend ist der Titel auch, weil der Satz eine skeptische Fortsetzung hat: "so wie mein Vater mit dem Nagel seines Zeigefingers an den Tellerrand schnippte, um gegebenenfalls einen Sprung zu entlarven".

Das Spiel mit den Worten ist eine Nagelprobe. Wenn in der Moderne nun jedes Wort auf seinen Klang geprüft, um Rechenschaft gebeten werden muß, wenn Geist nur im Ton wahrnehmbar ist, so ergibt sich, "daß man nicht zu den gleichen Schlußfolgerungen kommt wie die Heiligen Schriften". Wörter aber sind keine bloßen Töne. Sie, sagt der Autor Rouaud, alle Lehren der postmodernen Literaturtheorie umstandslos in den Wind schlagend, "nennen, bezeichnen, enthüllen, sprechen, haben Einfluß, machen Sinn".

Der Literatur tut der Verlust der Verkörperungsfähigkeit keinen Abbruch. Die Schrift ist für Rouaud vielmehr der immaterielle Ort, an dem die diesseitigen Wunder geschehen, ein Feld der Überraschungen, auf dem man in Zungen redet. "Kaum hat man einen Satz begonnen, da läßt er einen Dinge sagen, auf die man nicht gefaßt war, da führt er einen in Gegenden, an die man nicht gedacht hat, an Orte, von deren Existenz man bisher nicht einmal etwas ahnte." Bei dieser Reise geleiten heute weder Musen, noch kann einer darauf zählen, daß ihm der Geist eingegossen wird. "Bleibt keine andere Wahl, als sich zu beweisen, nämlich Beweise zu erbringen dafür, daß man für sich allein vorankommt, man muß den Schritt wagen, muß die Vorstellung, die man von seinem Talent hat, mit dem Urteil der anderen konfrontieren."

Geist erweist sich im sozialen Austausch, er steckt in keinem Körper, auch nicht im Gehirn. Und der Stil ist keineswegs der Mensch, wie Buffon meinte, er ist auch nicht Seele zugleich und Fleisch des Wortes, wie eine der "wohlmeinenden Sentenzen" Flauberts glauben machen wollte, sondern der Inbegriff des Nichtfestgelegten der menschlichen Tätigkeit. Das freilich kann der Fußballfan Rouaud auch bei der Lektüre eines Spiels vermitteln.

Wenngleich die Wirklichkeit nicht einmal im Realismus das alleinige Sagen haben soll, so arrangiert sich doch Literatur mit der erscheinenden Welt, also mit dem, was "wir vor Augen haben, wenn wir nicht gerade Opfer einer Luftspiegelung sind, eines Sehfehlers, eines exzessiven Trinkgelages". Auch wenn der Stil kein Sehfehler ist, ist die Welt nur als ungefähre wahrnehmbar, und das nicht nur für kurzsichtige Schriftsteller wie Rousseau, Flaubert und Rouaud selbst. Das Sichtbare aber soll im Gegensatz zur platonisch-christlichen Tradition keine Chimäre sein. Ihm eine eigene, nicht selten komische Würde oder gar eine säkulare Heiligkeit beizumessen ist für Rouaud die Aufgabe der Literatur. Immer aufs neue erinnert sie daran, daß es nie nur eine Möglichkeit gibt, sich die Welt vorzustellen. So ist der literarische Text als Erscheinen des Anderen ein Marienwunder, an das auch Skeptiker glauben können: "Empfängnis, die sich von der unbefleckten weißen Seite erhebt".

FRIEDMAR APEL

Jean Rouaud: "Schreiben heißt, jedes Wort zum Klingen bringen" . Aus dem Französischen übersetzt von Elsbeth Ranke, SchirmerGraf Verlag, München 2004, 176 S., 17,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.10.2004

Ritter finden alles, nur nicht den Tod
Epische Pause: Jean Rouaud über den Roman und seine Helden
Ross und Reiter, so glaubten wir, hätten einander längst verloren, der aus den Streifzügen dieses Abenteurerduos entsprungene europäische Roman vegetiere häuslich in seinen psychologischen, historischen oder experimentellen Nischen vor sich her. Jean Rouaud sieht das anders. „Roman und Ritterroman, das ist gehupft wie gesprungen”, notiert er in seinem vor drei Jahren unter dem Titel „La désincarnation” in Frankreich erschienenen Buch: „Geht denn die Literatur unter, wenn das Pferd verendet?”
Auch ohne Gaul galoppiere der Roman weiter voran: Claude Simons „Die Straße in Flandern” sei die jüngste Variante eines Ritterromans und, mag auch der Hauptmann de Reixach als letzter Spross chevaleresker Tradition samt seinem Pferd in der milden Frühlingssonne des beginnenden Zweiten Weltkriegs von der Gewehrsalve des deutschen Fallschirmjägers niedergemäht werden, es folgten im Werk Simons mit „Jardin des plantes” und darüber hinaus immer neue Versionen dieser nicht zu Tode bringenden Reiterfigur im Feld der Literatur.
Jean Rouaud, geboren 1952, muss es wissen - seit seinen „Feldern der Ehre” hat er in fünf Romanen selbst immer neue Episoden von Weltgeschichte aus seiner Familiensaga herausgedrechselt. Dieses Bändchen, dessen erster Absatz die Überschrift „In eigener Sache” trägt, bietet eine Art Privatpoetik, wie man sie von einem in die Jahre gekommenen Autor als Rückblick zum Abschied vom Schreiben erwarten könnte. Wetten wir, dass es bei Rouaud ein Luftholen ist, eine kontemplative Freiübung vor dem nächsten, vielleicht größeren Romanprojekt?
Der etwas umständliche deutsche Übersetzungstitel ist nicht beliebig gewählt. Das verharrende Hinhören auf den Nachhall im Nachhall des Genres Roman zieht sich quer durch diese Notierungen. „Ach, der Gesang, diese lyrische Versuchung, diese Funkenwelle über die Jahrhunderte hinweg, die uns daran erinnert, daß das Epos mit der Lyra begleitet wurde”, seufzt der Autor: Kein Held komme ohne die Verherrlichung im Gesang aus, denn Singen heißt, den Helden im Zustand der Schwerelosigkeit halten. Ein Rezept also für unsere heldenmüde Zeit: „Hören wir auf zu singen. Dann stürzt der Held ab wie ein Stein”. Oder doch nicht sofort? „Der Gesang braucht lange, bis er zur Erde hinabsinkt”. Diese Zeitspanne, wo der Gesang aussetzt, der Held aber noch nicht zu Boden gestürzt ist, kennzeichnet die Situation, in welcher der Autor Jean Rouaud sich erzählerisch eingerichtet hat.
Flauberts gefährlicher Traum
Das hartnäckige Immerneuanfangen, mit dem Cézanne den Berg Sainte-Victoire regelrecht aus der Realität herausmalte oder Flaubert jahrelang für seine „Bovary” sich an der Wirklichkeit des französischen Provinzlebens abmühte, führt Rouaud in zahlreichen Beobachtungen als Beispiele dafür an, wie schwierig es ist, Realität und Poesie erzählend in Einklang zu bringen. Auf seiner Ägyptenreise fühlte Flaubert sich der drückenden Pflicht des Tagebuchschreibens enthoben, da sein Freund Maxime Du Camp ja photographierte. Zugleich war die Photographie die große Gefahr, denn nichts saß dem Schriftsteller Flaubert so drückend im Nacken wie die Sorge, der sich anbahnende Photorealismus des Erzählens könnte der Literatur den letzten Funken Poesie austreiben.
Rouaud erkennt sich in dieser Sorge offenbar wieder. Er veranschaulicht seine Vision einer poetisch durchschimmerten Prosa am Traum Flauberts, die rohe, aber solide Erzählprosa eines Balzac zu „chateaubrianisieren”: Balzac war im Stoff beeindruckend, im Stil aber schlampig, pompös und schwerfällig - das musste mit einer etwas feineren Strichführung doch besser zu machen sein. Vorsichtig distanziert Rouaud sich aber sogleich wieder von dieser Vorstellung eines „chateaubrianisierten Balzac”: Flauberts Emma Bovary würde durch dieses Verfahren zum ordinären Kitschbild. „Vor dem ‚Stil über alle Maßen‘ wird man sich in acht nehmen müssen” - diese Warnung kann der Autor Rouaud nur an selbst gerichtet haben.
Flauberts Idealfiktion einer poetischen Prosa, Stendhals langer, vergeblicher Umweg übers Theater, bis er im Roman „Rot und Schwarz” diesseits der Dichtung seinen Weg fand, und zahlreiche andere Beispiele sind die Stationen auf diesem selbstironisch verspielten Rundgang Rouauds durch seine Schriftstellerwerkstatt. Das schnelle Aufgreifen und Fallenlassen der Assoziationen, mit dem aller sinnspruchhafte Nachdruck dieser Notierungen verscheucht wird,ist in der federnden Gedankenabfolge dieses Buchs zum Formprinzip geworden. Das Stichwort, mit dem jedes Fragment jeweils ausklingt - „Zentrifugalkraft”, „Talent”, „Gotischer Realismus”, „Noch einmal sterben” -, springt als Titel ins Folgefragment über, bis die Runde geschlossen ist und zum Stichwort „in eigener Sache” zurückkehrt.Die Übersetzung, für die Elsbeth Ranke mit dem André-Gide-Preis der DVA-Stiftung ausgezeichnet wurde, nimmt mit oft wunderbaren Einfällen das bis zu den Räusperlauten „Hm” und „Tja” subtil in sich hineingesprochene Parlando dieses Buchs auf. Nur fallen bei diesem hohen Sprachniveau die vereinzelten Ungelenkheiten umso stärker auf. JOSEPH HANIMANN
JEAN ROUAUD: Schreiben heißt, jedes Wort zum Klingen bringen. Aus dem Französischen von Elsbeth Ranke. SchirmerGraf Verlag, München 2004. 168 Seiten, 17,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Geht denn die Literatur unter, wenn das Pferd verendet?", fragt der Rezensent Joseph Hanimann mit einem augenzwinkernden Verweis auf den ritterlichen Ursprung des Romans. Ebendiesem ungewissen Schicksal des Romans widme sich der Schriftsteller Jean Rouaud in einer kunstvoll komponierten Reihe von Fragmenten, die zusammen "eine Art Privatpoetik" bilden. Dabei diene "das schnelle Aufgreifen und Fallenlassen der Assoziationen" als Formprinzip. In der Tat greife Rouaud das abschließende Stichwort eines jeden Fragments auf und mache es zum Titel des folgenden Fragments. Aus dieser "federnden Gedankenfolge" ergibt sich laut Rezensent ein "subtil in sich hineingesprochenes Parlando", das Elsbeth Ranke wunderbar aus dem Französischen übertragen hat und dafür zu Recht mit dem Andre-Gide-Preis ausgezeichnet wurde.

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