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Produktdetails
  • Edition moderne koreanische Autoren
  • Verlag: Pendragon Verlag
  • Originaltitel: A-hob kyol-le-ui gu-du-ro nam-un sa-nae
  • Seitenzahl: 270
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 480g
  • ISBN-13: 9783865320230
  • ISBN-10: 3865320236
  • Artikelnr.: 14148661
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2006

In der Mittwinterkälte
Notstandsstudien: Die Geschichten von Yun Heunggil

Yun Heunggil, ein Meister feinziselierter Charakterstudien, zeichnet in seinem 1978 in Korea erschienenen Erzählband proletarische Episoden und Abrisse der Absurdität des Lebens zu Zeiten von Wirtschaftsboom und Militärdiktatur. Die neun miteinander verwobenen Kurzgeschichten rekonstruieren Stimmungsbilder und Lebensumstände der urbanen Unterschicht. Selbstzweifel und Identitätsstörungen charakterisieren Yun Heunggils gebrochenen Helden, die oft Kranke, Ausgestoßene oder Außenseiter sind. Die autobiographisch gefärbten Figuren bewegen sich im Spannungsfeld von Freiheitsbedürfnis und Streben nach materieller Befriedigung. So erzählt etwa die Geschichte "Flügel oder Fesseln" von der Einführung von Uniformen und dem bröckelnden Widerstand dagegen in einer Textilfirma.

Die am freien Markt verlorene Menschenwürde, existentielle Angstzustände und Drohgebärden der Diktatur schlagen sich in expressiven, vordergründig märchenhaften Erzählungen wie "Mittwinterkälte" nieder. Inmitten der Militärdiktatur evoziert der Autor in phantasievollen Metaphernwelten die Manipulation der vermeintlichen Mehrheitsmeinung, die vielmehr den Willen einiger weniger repräsentiert. In drastischen, ungeschönten Bildern erzählt der Schriftsteller vom ganz alltäglichen Überlebenskampf: "Der Hunger schnitt sich gleich einer Rasierklinge von einer Seite der Taille zur anderen durch."

Viele der Geschichten spielen in den siebziger Jahren vor dem Hintergrund des Stadt-Land-Gefälles, der Landflucht und des Aufkommens von Satellitenstädten als vermeintlichen Tagelöhnerparadiesen nahe der Hauptstadt Seoul. Immer wieder thematisiert Yun die Absurdität von Existenzen, die ihrer spirituellen Wurzeln und sinnstiftenden Traditionen beraubt wurden. Selbst die Familie als Hort konfuzianischer Werte entbehrt in der Moderne des Rückzugscharakters eines trauten Heims.

Doch inmitten der Abwärtsbewegung der Lebensspirale überraschen die Geschichten immer wieder durch Erlösungsmomente: Da gibt es etwa den geistig Behinderten, dessen übersinnliche Fähigkeiten die Einwohner eines Dorfes vor den Machenschaften von Investoren warnen. Oder den "Mann, der neun Paar Schuhe hinterließ" alias Kwon, den Helden vier zusammenhängender, auch als Bildungsroman zu lesender Geschichten. Er ist als ehemaliger politischer Aktivist ein der Verfolgung und Verarmung ausgesetzter Intellektueller. Sein letztes Selbstachtungsritual besteht darin, sich den Luxus blitzblank geputzter Schuhe zu leisten.

So verlieren die proletarischen Protagonisten mit fortschreitender Lektüre ihre Opfermentalität. Yun unterlegt seine Literatur dabei immer wieder mit religiös motivierten Bildern der Läuterung, Selbstreinigung, Taufe und Wiedergeburt. Dabei ästhetisiert Yun weder das Elend, noch produziert er engagierte Literatur. Vielmehr läßt er seine Helden in konkreten Prüfungen zu Erleuchtungszuständen und im Aggregatzustand der Armut zu der Überzeugung gelangen, daß es "ein Band gab, welches sie alle miteinander verband".

So begreift Kwon die Schicksalsschläge seines Lebens als Aufbruchssignal, sich der Gewerkschaft anzuschließen und für Arbeitnehmerrechte zu kämpfen. Yun Heunggil selbst versteht das Schreiben als Prozeß der Austreibung und ein "Ausreißen des Geistes". Seine auf konstruktive Weise modernisierungskritischen Erzählungen vermitteln aufrüttelnde Momentaufnahmen und Notstandsstudien der Hochwachstumsgesellschaft im Korea der siebziger Jahre.

STEFFEN GNAM

Yun Heunggil: "Der Mann, der neun Paar Schuhe hinterließ". Erzählungen. Aus dem Koreanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Shin Hyesu. Pendragon Verlag, Bielefeld 2005, 256 S., geb., 18,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rezensent Steffen Gnam ist angetan von den Stimmungsbildern, die der koreanische Autor Yun Heunggi über die Siebziger Jahre in Südkorea, die Zeit von "Wirtschaftsboom und Militärdiktatur" entwirft: "Immer wieder thematisiert Yun die Absurdität von Existenzen, die ihrer spirituellen Wurzeln und sinnstiftenden Traditionen beraubt wurden." Trotzdem, und darin besteht nach Meinung des Rezensenten, ein besonderer Reiz der Geschichten, "verlieren die proletarischen Protagonisten mit fortschreitender Lektüre ihre Opfermentalität" - ohne dass dadurch ihr Elend beschönigt werde: "Seine auf konstruktive Weise modernisierungskritischen Erzählungen vermitteln aufrüttelnde Momentaufnahmen und Notstandsstudien".

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