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Am 11. März 2011 ereignete sich in Ost-Japan die erste nukleare Erdbebenkatastrophe in der Menschheitsgeschichte. Der Autor, Japanologe an der Universität Bonn, erlebte sie in Tokyo mit. Er stellt den Ablauf der Ereignisse dar und erklärt, warum Erdbeben keine Naturkatastrophen sind. Er beschreibt die Geschichte der japanischen Atomwirtschaft und ihre Verwicklung mit der japanischen Politik. Er zeigt auf, was die Japaner in diesen Tagen dachten und fühlten. Er untersucht den Einfluss und die Wirkung japanischer und internationaler Massenmedien und Filme von Godzilla bis Miyazaki Hayao. Und er…mehr

Produktbeschreibung
Am 11. März 2011 ereignete sich in Ost-Japan die erste nukleare Erdbebenkatastrophe in der Menschheitsgeschichte. Der Autor, Japanologe an der Universität Bonn, erlebte sie in Tokyo mit. Er stellt den Ablauf der Ereignisse dar und erklärt, warum Erdbeben keine Naturkatastrophen sind. Er beschreibt die Geschichte der japanischen Atomwirtschaft und ihre Verwicklung mit der japanischen Politik. Er zeigt auf, was die Japaner in diesen Tagen dachten und fühlten. Er untersucht den Einfluss und die Wirkung japanischer und internationaler Massenmedien und Filme von Godzilla bis Miyazaki Hayao. Und er fragt, warum ausgerechnet die Reaktionen in Deutschland an Hysterie und Panikmache grenzten.
Autorenporträt
Reinhard Zöllner, geb. 1961, leitet seit 1.4.2008 den Lehrstuhl für Japanologie an der Abteilung für Japanologie und Koreanistik der Universität Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.2011

Wenn der Erdbebenfisch tief unten mit seiner Flosse schlägt
Rapport der eigenen Befindlichkeit und dichte Beschreibung: Zwei Bücher berichten auf sehr unterschiedliche Weise von der Katastrophe im japanischen Fukushima

Dass Todesangst zu seinem Beruf gehöre, das erfahren wir gleich zu Eingang des Buches, das der Journalist Johannes Hano über die Ereignisse vom 11. März dieses Jahres in Nordostjapan geschrieben hat: über die Dreifachkatastrophe von Erdbeben, Tsunami und AKW-Havarie. Hano, Leiter des ZDF-Studios Peking, auch verantwortlich für die Berichterstattung aus Japan, der sich zu diesem Zeitpunkt zufällig in Tokio aufhielt, stimmt uns damit ein auf seine so flott wie ausladend und atemlos erzählte Chronologie der auf das Erdbeben folgenden Woche. Schon bald ahnen wir, dass sich die Katastrophe für Hano vor allem im japanischen Büro seines Senders abspielt. Das Desaster war also in erster Linie die "psychische und körperliche Herausforderung" für ihn und sein Team, das sich mit der japanischen Atomindustrie, technischen Details von Atomkraftwerken und Strahlenmessung - "Wer ist Tepco?", "Was ist ein Sievert?" - vertraut machen muss, dabei mit Schlafmangel und der Zeitverschiebung von acht Stunden zwischen Deutschland und Japan kämpft.

So erfahren wir einiges darüber, wie ein Korrespondent arbeitet, der mit den Verhältnissen vor Ort und der Sprache nicht vertraut ist, über seine Abhängigkeit von lokalen Kontakten und Kollegen. Zum Glück scheint der Autor mit einem guten Team und einer verständnisvollen Redaktion gesegnet - in der auch lange Diskussionen darüber geführt werden, ob es vertretbar ist, länger in Tokio oder überhaupt in Japan zu bleiben, während viele Deutsche und andere Ausländer das Land verlassen.

Als Leser verfolgen wir, wie bei Hano Nervosität, Stress und Desorientierung wachsen. Der passagenweise reißerisch geschriebene Text ist mit vielen Dialogen, die "so oder so ähnlich stattgefunden" haben sollen, gespickt und spart nicht mit Kraftausdrücken. So gerät das Katastrophengeschehen selbst zur Nebensache, vor allem aber verliert der Berichterstatter, wie er selbst hin und wieder anmerkt, die Not der Erdbeben- und Tsunami-Opfer völlig aus dem Blick. Es geht um die Schwierigkeiten, sich verlässliche Informationen für die Berichterstattung zu besorgen, und sehr oft um die eigene Befindlichkeit.

Geradezu erstaunlich kühl liest sich dagegen der zweite Bericht über die "nukleare Erdbebenkatastrophe" von Reinhard Zöllner. Der Autor ist Historiker und Japanologe an der Universität Bonn und war im März mit seiner vielköpfigen Familie ebenfalls in Japan. Sein Buch gibt eine Chronik der Ereignisse aus subjektiver Sicht. Doch die gleichfalls Tag für Tag auf der Basis von Tagebuchaufzeichnungen formulierten Schilderungen bilden nur einen von insgesamt fünf Teilen. Packend sind nicht nur die persönlichen Erinnerungen der Familie - eine Tochter war zum Zeitpunkt des Erdbebens in der Schule, die andere ausgerechnet in der Präfektur Fukushima -, und dies gerade, weil hier so unaufgeregt, aber durchaus mit Sinn für Pointen erzählt wird. Packend sind auch die folgenden Kapitel, die von Erdbeben in Mythologie und Wissenschaft, in Japan und in Europa, von Japans Atomwirtschaft vor Fukushima und vom Umgang der Japaner mit dem Geschehen handeln.

Heraus kommt so etwas wie eine "dichte Beschreibung", die das Geschehen im Sinne der japanischen Pathosformel der jiko no shûsoku, der "Katastrophenkonvergenz", erhellt: "dass sich die Blicklinien verschiedener Augen schneiden, um Tiefenschärfe zu erzeugen". Wohl noch keine andere Katastrophe dieses Ausmaßes, so der Autor, sei vom Moment ihres Eintretens an dermaßen umfassend dokumentiert worden. Eine intensive jahrelange Forschung sei nötig, um sie umfassend auszuwerten. Doch für eine "erste Bestandsaufnahme" sei die Zeit nun reif.

Sie erfolgt bei Zöllner unter Heranziehung zahlloser hauptsächlich japanischer Quellen, seien es Berichte von Polizei oder örtlichen und Regierungsbehörden, Medienreaktionen, Zeugenaussagen oder Forschungsergebnisse, allesamt in Fußnoten aufgelistet. Angereichert ist der Band mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Karten und Tabellen, die penibel Auskunft geben über Japans Elektrizitätsunternehmen, Messdaten zur radioaktiven Strahlung in Tokio, Schäden des Bebens und der Nachbeben.

Dem Historiker geht es jedoch vor allem um die kulturellen und sozialen Hintergründe der Katastrophe und ihrer Wahrnehmung, und dazu bietet er immer wieder verblüffende Einblicke. Seien es Vergleiche mit früheren Erdbebenkatastrophen in Japan - im Jahr 869 und auch jenes von 1891, das der seismologischen Forschung einen entscheidenden Schub gab -, oder die überraschenden Parallelen zwischen japanischen und deutschen Varianten des mythischen "Erdbebenfischs" im Innern der Erde, der auf Deutsch Zelebrant heißt.

Zöllner klopft die japanische Populärkultur auf ihre Untergangsszenarien hin ab und diskutiert Möglichkeiten, mit Hilfe neuartiger Instrumente wie etwa "Google Trends" mentalen Einstellungen auf die Spur zu kommen. Sind die Japaner nun besonders stoisch oder auch obrigkeitshörig, wie es deutsche Medien vielfach unterstellten? Wo Hano in seinem emotionalisierten und egozentrischen Bericht kaum ein Japan-Klischee auslässt und sich im Übrigen bei der Nachrichteneinschätzung auf sein "Bauchgefühl" beruft, da pflückt Zöllner die Katastrophenberichte auseinander, differenziert zwischen Angst und Panik und beleuchtet die Rolle von Gerüchten im Großen Kantô-Erdbeben von 1923.

Im letzten Kapitel - "Wie uns die Medien auf die Katastrophe vorbereiten" - geht er mit Teilen der deutschen Berichterstattung und öffentlichen Reaktionen, die er als Fehlleistungen deutet, herb ins Gericht. Wobei Probleme mit der japanischen Vertuschungspolitik oder dem romantisierenden Wiederaufbau-Nationalismus, der schleppenden Energiewende und den Diskriminierungen der potentiellen Strahlungsopfer durchaus nicht verschwiegen werden.

Hier schreibt jemand, der den gleichen Abstand zu beiden Gesellschaften, der japanischen wie der deutschen, auf reflektierte Weise zu halten vermag. Nicht jedem werden seine Deutungen zwar gefallen, manch einer wird sich von ihnen provoziert fühlen. Doch hinsichtlich Dichte und Informationsfülle setzt diese konzis geschriebene, oft zugespitzt sentenzenhaft verfahrende Analyse einen Standard, an dem sich die zu erwartenden weiteren Bücher zur japanischen Katastrophe werden messen lassen müssen.

IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT.

Johannes Hano: "Das japanische Desaster". Fukushima und die Folgen.

Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien 2011. 174 S., br., 14,95 [Euro].

Reinhard Zöllner: "Japan. Fukushima. Und wir". Zelebranten einer nuklearen Erdbebenkatastrophe.

Iudicium Verlag, München 2011. 164 S., br., 14,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Sven Hansen hat Bücher über die AKW-Katastrophe in Japan gelesen, deren Autoren zur Zeit des Erdbebens selbst gerade in Japan waren und deshalb auch von eigenen Erlebnissen schreiben. Reinhard Zöllner beleuchtet in seinem Buch die kulturellen Hintergründe, geht auch auf den japanischen Katastrophenfilm ein und müht sich überhaupt, "Verständnis" für das Land zu wecken, stellt der Rezensent fest. Zöllners harsche Kritik an der deutschen Berichterstattung zum Atom-Unfall findet Hansen aber offensichtlich überzogen, zumal der Bonner Japanologe selbst ein Versagen der japanischen Atompolitik und der Kommission zur nuklearen Sicherheit einräumt. Wenn er den deutschen Medien hemmungslose Übertreibung vorwirft, lässt er völlig unbeachtet, inwieweit die Informationspolitik der japanischen Behörden ihren Teil dazu beitrug, moniert der Rezensent.

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