98,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Reinhard Gehlen war eine der umstrittensten politischen Gestalten der Bonner Republik. Einst als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost mitverantwortlich für Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion, baute er nach 1945 unter Anleitung der US Army mit ehemaligen Generalstabsoffizieren der Wehrmacht einen westdeutschen Geheimdienst auf. Die Organisation Gehlen wurde 1956 zum Bundesnachrichtendienst (BND), der bis 1968 unter Gehlens Leitung stand. Auf der Grundlage erstmals zugänglicher BND-Akten und vieler weiterer Quellen hat Rolf-Dieter Müller die Biografie Reinhard Gehlens rekonstruiert und zeigt die…mehr

Produktbeschreibung
Reinhard Gehlen war eine der umstrittensten politischen Gestalten der Bonner Republik. Einst als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost mitverantwortlich für Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion, baute er nach 1945 unter Anleitung der US Army mit ehemaligen Generalstabsoffizieren der Wehrmacht einen westdeutschen Geheimdienst auf. Die Organisation Gehlen wurde 1956 zum Bundesnachrichtendienst (BND), der bis 1968 unter Gehlens Leitung stand. Auf der Grundlage erstmals zugänglicher BND-Akten und vieler weiterer Quellen hat Rolf-Dieter Müller die Biografie Reinhard Gehlens rekonstruiert und zeigt die Bandbreite seines Handelns und seiner persönlichen Verantwortung. Gehlens Biografie bietet einzigartige Einblicke in die Welt der Geheimdienste.(Zwei Bände im Schuber - Band 7 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)Band 1: Im ersten Teilband, der die Zeit von 1902 bis 1950 behandelt, werden Gehlens Aufstieg zum Generalmajor der deutschen Wehrmacht und seine Rolle als Chef der Abteilung Fremde Heere Ost im Generalstab des Heeres geschildert. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er seinen Kampf gegen die Sowjetunion aufseiten der US Army mit dem Aufbau der Organisation Gehlen fort.Band 2: Im zweiten Teilband (1950-1979) werden Gehlens Rolle bei der bundesdeutschen Wiederbewaffnung sowie als Akteur in der westdeutschen Innenpolitik und die Übernahme der Organisation Gehlen in den Dienst der Bundesrepublik beleuchtet. Von 1956 bis 1968 leitete Gehlen den BND und war auch danach um die Pflege des Mythos um seine Person bemüht.
Autorenporträt
Jahrgang 1948, Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Pädagogik in Braunschweig und Mainz, 1981 Promotion, 1999 Habilitation, 1979-2014 wisse. Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg i. Br., später des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, zuletzt Leitender wissenschaftlicher Direktor, Leiter des Großprojekts »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« (mit 13 Bänden abgeschlossen 2008), Honorarprofessor für Militärgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Mithrsg. »Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945« (2010); »Hitlers Wehrmacht 1935-1945« (2012); wiss. Beratung von Rundfunk- und Fernsehdokumentationen, u.a. »Soldaten für Hitler« und »Heimatfront«. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2017

Geschichten
aus Pullach
Rolf-Dieter Müllers weitschweifige Gehlen-Biografie
In seinen Memoiren schrieb Reinhard Gehlen von „zeitweiligen Verstimmungen“ des Bundeskanzlers, die rasch wieder verflogen seien. Was für eine Untertreibung! Konrad Adenauer hatte Gehlen, den Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), am 12. November 1962 regelrecht zum Verhör bestellt – und hätte ihn am liebsten vom Fleck weg verhaften lassen. Adenauer verdächtigte den BND, in der Spiegel-Affäre mit dem Magazin kollaboriert zu haben. Tatsächlich bemühte sich der Geheimdienst seit Jahren um einen guten Draht zu den Journalisten in Hamburg. Gehlen beschwichtigte, flüchtete sich in falsche Angaben, entging Verhaftung und Rücktritt, hat sich aber, so sein Biograf Rolf-Dieter Müller, beim „Anschiss“ des Kanzlers „vermutlich ähnlich gefühlt wie im Alter von vier Jahren bei der einzigen Tracht Prügel seines Vaters“.
Das „vermutlich“ verweist auf ein Problem, das sich durch dieses voluminöse Werk zieht: Den Gedanken und Gefühlen des Chefspions nachzuspüren ist ein Aufklärungsakt auf schmalem Seil. Dass der Historiker dabei nicht stürzt, liegt an der Akribie, mit der er die Archive durchforstet hat. Dass der Leser am Ende womöglich immer noch kein klares Bild von Reinhard Gehlen, dem „Mann ohne Gesicht“, vor Augen hat, liegt daran, dass der Autor eine Fülle an Material ausbreitet, das zwar vieles über den BND und seinen Vorläufer, die „Organisation Gehlen“, verrät, Gehlen als Person jedoch ziemlich blass aussehen lässt.
Der legendäre BND-Präsident erscheint als schwer zu greifender Karrierist. Sein Leben: mehr Büro als Bond. Gehlens Opportunismus könnte sogar noch größer gewesen sein als sein glühender Antikommunismus – und gewiss größer als seine intellektuelle Brillanz. Der Mythos, der den angeblichen Meisterspion umgab, mag auch einem gewissen Talent zur Hochstapelei entsprungen sein.
Müller schreibt, nach 1933 habe es Gehlen verstanden, sich anzupassen, ohne sich zu offenbaren. Er sei kein Republikaner gewesen, aber auch kein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus. Der junge Soldat hielt vor allem das eigene Fortkommen im Blick. Er stieg auf, wurde Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“ im Generalstab der Wehrmacht. Seine Aufgabe war es, die Sowjetunion und ihre Armee auskundschaften zu lassen. Dabei sammelte er auch Erfahrung darin, sich mit echten oder vermeintlichen Erkenntnissen über den Feind wichtig zu machen. So gelang es ihm am Ende des Krieges, sich den Amerikanern anzudienen, für die CIA zu arbeiten und unter Beteiligung zahlreicher Altnazis den Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik aufzubauen.
Müllers Buch gehört zu einer Reihe von Publikationen, mit denen eine Historiker-Kommission die Geschichte des BND aufarbeitet. Der Geheimdienst unterstützte die Arbeit, indem er bisher geheime Quellen zugänglich machte. Müller, Jahrgang 1948, war leitender wissenschaftlicher Direktor im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Er versichert, der BND habe inhaltlich nicht eingegriffen.
Wie sehr der BND ein innenpolitisches Machtinstrument war, zeigten zuletzt Enthüllungen aus Gehlens Privatarchiv, in denen unter anderem das Ausspähen Willy Brandts und der SPD dokumentiert ist (SZ vom 2./3. Dezember). Auch Müllers Biografie belegt, wie skrupellos und ohne rechtsstaatliches Gewissen Gehlen im Inland mitmischte und Partei für die Union nahm. Gehlen hatte das Ohr des Kanzleramtschefs Hans Globke. Und auch wenn schließlich die Spiegel-Affäre und zuvor der Skandal um einen Doppelspion das Ansehen beschädigten: Der Dienst in Pullach hatte sich seine mächtige Position im Kalten Krieg längst erobert.
Die Biografie geht chronologisch vor. Zunächst erzählt Müller weitschweifig Gehlens Familiengeschichte, untersucht die Schulzeit in Breslau und Gehlens Entscheidung, Offizier zu werden. Allzu packend ist das nicht. Der Detailreichtum der Schilderungen verdeckt die großen Linien. So sorgsam der Historiker die Quellen ausbreitet, so überladen und aussagelos wirken manche Episoden. Da wird in aller Ausführlichkeit beschrieben, wie die Infanterie-Division aussah, der Gehlen 1939 angehörte, und welche militärischen Pläne der Generalstab schmiedete. Der Bezug zum Leben und Wirken des späteren BND-Präsidenten ist nicht immer zu greifen.
In einem Spiegel-Interview sagte Müller, der BND sei zu Gehlens Zeit deutlich schwächer gewesen, als man ihn gemeinhin dargestellt habe. Er habe „alle größeren Krisen verschlafen“, die Einblicke in die DDR seien „oft armselig“ gewesen. Doch immerhin sei es Gehlen zu verdanken, dass der Westen keinen Partisanenkrieg im Osten angezettelt habe. Entsprechende Pläne seien Gehlen viel zu riskant gewesen. Solche interessanten Urteile lassen sich zwar auch in der großen Biografie aufspüren, dort gehen sie in der Masse der Details jedoch beinahe unter. Ein noch stärker erklärender und wertender roter Faden hätte dem Werk gutgetan. Erzählerisch hätte das kenntnisreiche Buch aus dem Stoff mehr machen können. Dennoch wird niemand, der an der Geschichte Gehlens und des BND interessiert ist, an diesen beiden Bänden vorbeikommen.
TANJEV SCHULTZ
Rolf-Dieter Müller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik. Die Biografie. Ch. Links Verlag, Berlin 2017. 1376 Seiten in zwei Bänden, (Teil 1: 1902 – 1950, Teil 2: 1950 – 1979), 98 Euro.
Der legendäre BND-Präsident
erscheint als schwer
zu greifender Karrierist
Mehr Büro als Bond: Reinhard Gehlen nach seiner aktiven Zeit.
Foto: S. Simon/dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018

Der Mann hinter der Maske

Bester Kenner der UdSSR? Meisterspion? Reinhard Gehlen war beides nicht. Aber weil es viele glaubten, machte der Offizier eine große Karriere.

Von Anselm Doering-Manteuffel

Im Frühjahr 2011 wurde die "Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968 (UHK)" ins Leben gerufen. Sie erhielt freien Zugang zu den Akten des BND und des Bundeskanzleramts als vorgesetzter Behörde. Intensive Forschung ermöglichte schon 2016 die Publikation der ersten Ergebnisse. Die Gehlen-Biographie bildet den vorläufigen Höhepunkt.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Geheimdienst seine Archive öffnet, wo doch Verschleierung das Dienstethos bestimmt. Im Fall des BND hat Ernst Uhrlau, Präsident von 2005 bis 2011, für den Forschungsauftrag gesorgt, um die Verstrickungen des Personals in den Nationalsozialismus aufzuklären. Das lag im Trend, seit das Auswärtige Amt und die Ministerien für Justiz, Finanzen und Arbeit auf ihre Vergangenheit durchleuchtet wurden. Es war bekannt, dass sich im BND ungewöhnlich viele Verantwortungsträger aus dem Dritten Reich sammelten. Schon die Vorgängerinstitution, die "Organisation Gehlen", erschien 1955 einem ausländischen Beobachter als "gespenstischer Naziladen in Pullach". Der 1956 gegründete BND beschäftigte, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, bis zum Ende der sechziger Jahre neben zahlreichen Wehrmachtsoffizieren SS-Personal und Gestapo-Beamte in großem Umfang. Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes wirft Schlaglichter auf das Erscheinungsbild der jungen Bundesrepublik, wo Alt und Neu, Freund und Feind im Vexierbild der Besatzungsherrschaft noch kaum zu unterscheiden waren. Der Wiederaufbau des Landes und der Neuaufbau des westlichen Bündnisses fließen hier zusammen.

Von Beginn an war der Dienst an die amerikanische Vormacht gebunden. Die "Organisation Gehlen" unterstand zunächst der US-Army, seit 1949 wurde sie von der CIA kontrolliert. Nach Gründung des BND blieb die Kontrolle erhalten - weniger auffällig, aber nicht weniger effizient. Die Amerikaner wussten, wer alles dort tätig war, und sie sahen, dass die nachrichtendienstliche Leistung nicht selten zu wünschen übrigließ.

Rolf-Dieter Müller hat sich der Herausforderung gestellt, die Biographie des Gründungspräsidenten zu erforschen. Er gehört zur Leitungsgruppe der UHK und ist als Honorarprofessor und wissenschaftlicher Direktor des militärhistorischen Zentrums der Bundeswehr bestens ausgewiesen, Gehlens Lebensgeschichte zu durchleuchten. Es ist die Geschichte eines Soldaten, der sich von seiner Prägung im Oberkommando des Heeres nie hat lösen können oder wollen.

1902 geboren, kam Gehlen 1937 in den Generalstab, nahm an der Planung des Angriffs auf die Sowjetunion teil und wurde 1942 Leiter der Abteilung "Fremde Heere Ost" (FHO), die für die Feindaufklärung zuständig war. Müller zeichnet ihn als blasse Figur, sehr intelligent, in höchstem Maße anpassungsfähig, ein Schleicher, aber zugleich ein Mann von innerer Unabhängigkeit. Gehlen wusste von den Verbrechen im Vernichtungskrieg, gab sich aber immer von der Ehrenhaftigkeit der Wehrmacht überzeugt. Er war kein Antisemit, nahm aber nirgendwo Partei für die Juden. Die Attentatspläne kannte er, blieb aber auf Distanz. Die Feindaufklärung von FHO war nicht sehr effizient, konnte es mit ihren technischen und personellen Möglichkeiten wohl auch nicht sein. Die Leistungsfähigkeit der Roten Armee, insbesondere die Mengen an Nachschub für die Panzerwaffe, wurde immer unterschätzt. Die Prognosen vor der Schlacht von Stalingrad blieben unzureichend. Als Gehlen erkannte, dass der Krieg verloren war, achtete er darauf, die wichtigsten Unterlagen von FHO über die UdSSR bei sich zu behalten. 1945 ließ er sie in 50 Stahlkisten nach Bayern schaffen und vergraben. So rasch wie möglich suchte er Kontakt zu den Amerikanern und empfahl sich ihnen als vermeintlich bester Kenner der UdSSR. Es habe wohl kaum jemand anderen gegeben, urteilt Müller, der das Problem der "Anschlussverwendung" so konsequent ins Auge gefasst hat wie Gehlen. Er sah, dass die Amerikaner nach der sowjetischen Besetzung Ost- und Mitteldeutschlands mit Stalin in Konflikt geraten und Informationen über die Rote Armee benötigen würden. Mit dem Material seiner 50 Kisten konnte er beweisen, dass er allein die Informationen hatte, die die US-Army jetzt brauchte.

Diese Vorgeschichte im Leben des BND-Präsidenten ist die eigentliche Geschichte des Reinhard Gehlen. Er blieb der Generalstäbler mit Aufklärungserfahrung, der er war. Seit dem Herbst 1945 lieferte er den Amerikanern Sachhinweise und strategische Analysen zu den sowjetischen Streitkräften. 1947 kam er nach Pullach und baute im Auftrag der US-Army die "Organisation Gehlen" als Informationsdienst auf. Er zog Kameraden aus dem Oberkommando des Heeres und der Waffen-SS an sich und sorgte dafür, dass die amerikanischen Militärs ebendies billigten. Sie taten es, um Gehlens "Organisation" auch nach der Gründung der Bundesrepublik als Hilfstruppe im Kalten Krieg einsetzen zu können.

Mit Geschick und Beharrlichkeit erreichte Gehlen sein Ziel, den Nachrichtendienst unter die Obhut der Bundesregierung zu bringen. Von früh an suchte er den Kontakt zum Chef des Kanzleramts, Hans Globke, und gewann über ihn auch Zugang zu Konrad Adenauer. Es gelang ihm jedoch nicht, direkt dem Bundeskanzler unterstellt zu werden. Geltungsbedürftig, wie er war, hatte er gehofft, als hoher Beamter im Regierungsapparat zum Nachrichtenchef unmittelbar hinter der Führungsriege aufzusteigen, ganz so, wie es seinerzeit im Generalstab des Heeres gewesen war. Aber es hakte bei der Beschaffung von Nachrichten. Wie schon FHO die russischen Pläne gegen Stalingrad nicht erkannt hatte, wurde Pullach vom Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR überrascht. Als 1956 der BND entstand, folgte auf dem Fuß eine falsche Einschätzung zur Entstalinisierung in der Sowjetunion. Vom geplanten Mauerbau erfuhr der Geheimdienst erst zwei Tage vorher, am 11. August 1961. Im November 1961 wurde Gehlens enger Mitarbeiter und Protegé, der ehemalige SS-Obersturmführer Heinz Felfe, als Sowjetagent enttarnt. Adenauer ließ Gehlen fallen. Der Kanzler ging noch weiter auf Distanz, als in der "Spiegel-Affäre" seit Oktober 1962 klarwurde, dass ein prominenter BND-Mitarbeiter daran beteiligt gewesen war, dem Hamburger Magazin Informationen über das Nato-Manöver "Fallex 62" zuzuspielen. Dennoch blieb Gehlen im Amt. Er zehrte von seinem Ruf als bester Kenner des Ostens und Meisterspion. Erst 1968 nahm er aus Altersgründen den Abschied.

Müller erklärt das widersprüchliche Phänomen von persönlichem Erfolg und beruflicher Schwäche damit, dass Gehlen eigentlich nur zwei Obsessionen hatte und keine politische Sensibilität besaß. Ihm ging es immer zuerst um sein persönliches Fortkommen. Hinzu kam sein Antikommunismus, der sich nach dem Ende des Krieges weiter vertiefte. Deshalb fehlte es ihm an Verständnis für das Auf und Ab der Spannungs- und Entspannungsphasen im Kalten Krieg schon während der fünfziger Jahre. Die Ostpolitik seit 1966/69 lehnte er vollends ab. Den BND baute er, biographisch konsequent, mit Personal aus der Zeit des Kriegs gegen die Sowjetunion auf, darüber hinaus betrieb er Vetternwirtschaft. Zeitweilig beschäftigte der BND 16 Verwandte des Präsidenten. Im Ruhestand versuchte er publizistisch zu reüssieren, aber selbst "Der Dienst", seine Memoiren von 1971, brachte keinen dauerhaften Erfolg, weil zu viel geschönt oder schlicht falsch dargestellt war. Als er 1979 starb, blieb nicht mehr als das Bild eines älteren Herrn mit getönter Brille, gesichtslos. Den Mann hinter der Maske sichtbar gemacht zu haben ist das Verdienst dieses Buchs.

Rolf-Dieter Müller: Reinhard Gehlen. Geheimdienstchef im Hintergrund der Bonner Republik.

2 Bände.

Ch. Links Verlag, Berlin 2017. 1376 S., geb., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Anselm Doering-Manteuffel dankt Rolf-Dieter Müller für seine Bemühungen, dem gesichtslosen Reinhard Gehlen ein Antlitz zu verleihen. Als einer der Leiter der Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968 scheint ihm Müller an der richtigen Stelle und Quelle, um Gehlens Lebensgeschichte zu schreiben. Für den Rezensenten entsteht die Geschichte eines Soldaten und Vetternwirtschafters. Gehlens eigentliche Geschichte, stellt er fest, ist seine Vorgeschichte als politisch unsensibler Nazi-Generalstäbler mit Aufklärungserfahrung und Karrieredrang.

© Perlentaucher Medien GmbH