Produktdetails
  • Verlag: Links, Ch
  • ISBN-13: 9783861533313
  • ISBN-10: 3861533316
  • Artikelnr.: 12847824
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2005

Versagen im Dialekt

Nach ein paar Ferienwochen glauben viele Deutsche, die Schweiz gut zu kennen und tappen dennoch immer wieder in Fettnäpfchen. Sie merken es jedoch nicht und können daher keine Lehren daraus ziehen, weil Eidgenossen zwar deutsch reden, aber nie so deutsch und deutlich wie die Deutschen. Man ist hier höflicher und zurückhaltender, sagt nie etwas direkt, sondern mundartlich verbrämt. Nur wer die Schweizer genau beobachtet, etwa an der Ladenkasse, der merkt, wie sie innerlich zucken und heimlich die Faust "im Sack" (Hosentasche) ballen, wenn ein Germane allzu laut das Wort erhebt. Viele solcher kleinen und klugen Beobachtungen stecken in diesem Buch. "Als Deutscher fährt man in der Schweiz in jedem Fall am besten mit maßvoller Selbstverleugnung - so machen es die Einheimischen untereinander auch. Nicht zu laut, nicht zu schnell und jede Vehemenz vermeiden. Und auf keinen Fall das Grüßen vergessen. Dann kann daraus noch eine echte Freundschaft werden." Es gibt noch mehr solcher Ratschläge. Denn es ist nichts Großes, was die Sprachverwandten trennt, es sind meist nur Nuancen in Sitte und Betragen. Die aber sind wichtig und werden leicht übersehen von jenen, die glauben, die Schweiz sei nur ein ordentlicheres Deutschland. Die Autorin lebt in Berlin, hat aber in Basel studiert und kann daher die kleinen Unterschiede schön beschreiben. Mitunter ist das Buch sogar witzig, wenn sie etwa die kernigen und insgeheim oft so bünzligen Schweizer Männer beschreibt oder die Chronologie eines Abendessens gibt. Man lädt nur selten nach Hause ein, weil der Ordnungsfimmel soviel Arbeit macht. "Einem pingeligen Schweizer kann es den ganzen Abend verderben, wenn ein Besucher bei ihm dreckige Töpfe und Pfannen gesehen hat." Weniger witzig, ja geradezu überflüssig oder gar falsch (Personen-Freizügigkeit mit EU-Ländern) ist das Allgemeine über Land und Leute, über Kultur und Blocher, also über die Politik. Da findet man solche abstrusen Sätze wie jenen: "Die Alpen sind nicht mehr das, was sie jahrhundertelang waren." Das Buch wäre noch besser geworden, wenn sich die Autorin auf das beschränkt hätte, was sie am besten kann - die kleinen Unterschiede zwischen beiden Völkern subtil zu beschreiben.

km.

"Grüezi und Willkommen - Die Schweiz für Deutsche" von Susann Sitzler. Christoph Links Verlag, Berlin 2004, 224 Seiten. Broschiert, 15,90 Euro. ISBN 3-86153-331-6.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.02.2005

Der helvetische Kosmos
Für EU-Bürger ist es leichter geworden, in die Schweiz zu ziehen, ins Land der hohen Löhne und duftenden Almwiesen. Das haben die Deutschen mitbekommen. In Zürich zum Beispiel sind sie die größte und am schnellsten wachsende Ausländergruppe. Wird schon nicht so schwierig sein, sich hier einzuleben, denken viele Neuankömmlinge, schließlich sehen die Einheimischen ihnen ähnlich und sprechen mehr oder weniger die gleiche Sprache. Das ist ein großer Irrtum. Gerade die vermeintliche Nähe lässt uns übersehen, wie wenig wir, jenseits von Käse und Bankgeheimnis, über unsere Nachbarn wissen, und wie viel wir falsch machen, wenn wir mit ihnen zu tun haben.
Susann Sitzler, in Berlin lebende Baslerin, hilft uns, indem sie beim Wichtigsten beginnt: der Asymmetrie der deutsch-schweizerischen Beziehungen. „Sie mögen uns. Aber wir mögen sie nicht”, zitiert sie eine Landsfrau. Oder, genauer: „Die Schweizer haben einen viel tieferen Widerwillen gegen die Deutschen, als diese ahnen. Aber sie bewundern sie auch viel mehr.” Aus schweizerischer Sicht wirken die Deutschen (vor-)laut und arrogant. Das liegt zum einen am Hochdeutschen, das die Schweizer, weil sie es schlecht beherrschen, als bedrohlich empfinden. Andererseits gilt den Schweizern wenig, was uns Diktatur-Geschädigten eingebläut wurde: „Rückgrat zeigen!” und „Aufmucken!”
Der Konsensgedanke, dem sich dieses heterogene Volk, ebenfalls aus historischer Einsicht, verschrieben hat, fordert leisere Töne, die uns verzagt erscheinen können. Das Essen im Restaurant mag noch so missraten sein: Wo Deutsche lauthals protestieren, halten Schweizer lieber den Mund. Am besten fährt man in der Schweiz daher mit dem, was Sitzler „maßvolle Selbstverleugnung” nennt: „Nicht zu laut, nicht zu schnell und jede Vehemenz vermeiden.”
Doch ihr Buch ist mehr als eine verlängerte Do’s-and-Don’ts-Liste. Unterhaltsam und liebevoll führt es in den helvetischen Kosmos ein, vom Migros-Gefühl über die Waschküchen-Ordnung bis zur Hundekotaufnahmepflicht. Am Ende weiß man, warum die Schweizer anders arbeiten, grüßen, lieben, feiern. Und warum sie sich besonders gut mit Ostdeutschen verstehen. Sie teilen ein Feindbild: den „Sauschwoob” alias „Besserwessi”.
THOMAS KIRCHNER
SUSANN SITZLER: Grüezi und willkommen. Die Schweiz für Deutsche.
Ch. Links Verlag, Berlin 2004. 222 Seiten, 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Deutsche lieben die Schweiz, aber sie kennen sie nicht. Susann Sitzler, eine Exil-Schweizerin mit Wohnsitz in Berlin, erklärt die Feinheiten des schweizerischen Lebensgefühls, vom "Migros-Gefühl über die Waschküchen-Ordnung bis zur Hundekotaufnahmepflicht". Und zwar auf außerordentlich liebevolle und unterhaltsame Weise, lobt Thomas Kirchner. So erfährt man, warum die Schweizer ihre deutschen Nachbarn für zu laut und arrogant halten und selbst lieber leise Töne anschlagen. Und sich blendend mit Ostdeutschen verstehen.

© Perlentaucher Medien GmbH