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Katherine Mansfield, 1888 als Tochter des Präsidenten der Bank von Neuseeland geboren, liebte dramatische Auftritte. Mit 21 bricht sie vom provinziellen Neuseeland aus und flieht nach London, mit dem erklärten Ziel, Künstlerin zu werden. Sie saugt alles auf, was nach Moderne schmeckt, schlägt sich die aufregenden Nächte von Bloomsbury um die Ohren, hat Affären mit schönen Jünglingen und auch Frauen. „Wozu hat man einen Körper mitbekommen, wenn man ihn wie eine ganz, ganz kostbare Geige in einen Kasten einschließen muss?“, findet sie. Als sie schwanger wird, reist die Mutter an und expediert…mehr

Produktbeschreibung
Katherine Mansfield, 1888 als Tochter des Präsidenten der Bank von Neuseeland geboren, liebte dramatische Auftritte. Mit 21 bricht sie vom provinziellen Neuseeland aus und flieht nach London, mit dem erklärten Ziel, Künstlerin zu werden. Sie saugt alles auf, was nach Moderne schmeckt, schlägt sich die aufregenden Nächte von Bloomsbury um die Ohren, hat Affären mit schönen Jünglingen und auch Frauen. „Wozu hat man einen Körper mitbekommen, wenn man ihn wie eine ganz, ganz kostbare Geige in einen Kasten einschließen muss?“, findet sie. Als sie schwanger wird, reist die Mutter an und expediert sie ins bayerische Wörrishofen. Danach wird die Tochter enterbt. In Wörrishofen entsteht Mansfields vielbeachtetes Erzähldebüt „In einer deutschen Pension“, weitere Bände folgen. D.H. Lawrence und Virginia Woolf, mit der sie in einer lebenslangen spannungsreichen Freundschaft verbunden war, stellten die Zentralgestalten ihres Lebens dar. Dennoch sollte sie bis zu ihrem Tod 1923 nie über den Status einer literarischen Außenseiterin hinausgelangen. Heute sind ihre 88 Geschichten Weltliteratur: Sie gelten als bahnbrechend für die Gattung Short Story. Jetzt alle in einem Band: In einer deutschen Pension, Glückseligkeit, Das Gartenfest, Das Taubennest, Etwas Kindliches. Aus dem Englischen vollständig neu von Heiko Arntz, Ute Haffmans und Sabine Lohmann übersetzt, mit informativen Anmerkungen sowie einem Nachwort versehen und in einem kompakten Dünndruckband zusammengestellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2009

Herrenlose Handkoffer

Menschen eilen durch Straßen, gehen auf Reisen, klammern sich an brüchige Gewissheiten: Endlich liegt das Gesamtwerk Katherine Mansfields auf Deutsch vor.

Ferner kann uns ihre Lebenswelt kaum sein. Es war die Zeit der Schiffsreisen, als das weltumspannende Geflecht des Empire durch Dampfkraft immer dichter wurde und ein Brief von Wellington nach London kaum mehr sieben Wochen brauchte. Es war die Zeit, da in Neuseeland jeder, der zur besseren Gesellschaft zählen wollte, von England als "Zuhause" sprach und daher alles daransetzte, die Fahrt in die ferne Heimat, so oft es ging, zu unternehmen. Verglichen mit dem Mutterland, wo Queen Victoria als Witwe eines Weltreichs residierte, erschien den Siedlern ihre Insel am Rande des Pazifiks als letzter Außenposten aller Zivilisation, ein Ort, der nur zum Geldverdienen taugt und den man, um ihn zu ertragen, englischem Vorbild unterwerfen musste. Das Landhaus, das Wellingtons Bankdirektor für seine Familie schuf, hieß "Chesney Wold", benannt nach einem Roman von Dickens. Bildete London den Nabel der Welt, so war Literatur die Nabelschnur, mit der man lebenswichtige Verbindung hielt. In "Chesney Wold" wuchs Katherine Mansfield auf; ihr Lebenswerk jedoch war die Erprobung anderer, unvertrauter, überraschend kühner und moderner literarischer Verbindungen.

1888 im großbürgerlichen Wohlstand der Kolonialprovinz geboren, wurde ihr bereits in jungen Jahren der Weg zur damenhaften Existenz des Müßiggangs zu eng. Lektüre, Schreiben und Musik boten einen Ausweg und gaben ihr Gelegenheit, durch Phantasie, Fiktion und künstlerischen Ausdruck insgeheim eigene Lebenswelten zu erschaffen und zu erkunden und sich darin selbst in immer neuen Rollen zu entwerfen. Vierzehnjährig schickte sie der Vater zusammen mit den beiden älteren Schwestern in ein Mädchenpensionat nach London, um sie durch Fremdsprachen und Handarbeit zu heiratsfähigen Ladys ausbilden zu lassen. Doch für Katherine wird die Metropole offenbar zum Ort gänzlich anderer Bildungserlebnisse, verarbeitet in weiteren Geschichten. Mit Freundinnen entdeckt sie hier die Lust der Seelenfreundschaft, die, wie es scheint, körperliche Lusterfüllung einschließt. Dergleichen ist in ihren Kreisen unaussprechlich. Dennoch zögert Katherine nicht, als sie nach drei Jahren ins ungeliebte Wellington zurückmuss, ihre neueren Geschichten der Sekretärin ihres Vaters zum Abtippen zu geben. Es versteht sich, dass der Inhalt allseits alarmiert. Nur gegen den Willen der Familie bricht sie mit neunzehn neuerlich und endgültig nach Europa auf. Im selben Jahr wird sie von einem Geliebten schwanger, heiratet einen Ungeliebten und verlässt ihn schon in der Hochzeitsnacht. Und das ist nur der Anfang ihres Boheme-Lebens ohne Netz: ein radikaler Selbstversuch fortwährender Selbsterfindung.

Wer sich auf Mansfields wunderbaren Erzählkosmos einlässt, tut gut daran, die Besonderheiten ihrer Lebensführung zu bedenken, die ihn vielfältig prägen. Sein Kennzeichen bildet das Unstete, Vorübergehende, oft auch das Vorläufige, das bei bürgerlicher Lebensform allenfalls auf Reisen und im Urlaub wirksam wird, bei ihr jedoch die Grundform einer Existenz ausmacht, die stets aufs Absolute zielt. Das Absolute aber lässt sich immer nur verfehlen und muss daher in ständigem Aufbruch und drängendem Verlangen nach dem Entfernten neu gesucht werden. Mansfields Figuren sitzen in Cafés, eilen durch Straßen, gehen auf Reisen, feiern, flirten oder streiten miteinander und müssen sich doch durchweg an entleerte Rituale oder brüchige Gewissheit klammern, um provisorisch Halt zu finden. Oft genügt daher die geringste Ungleichmäßigkeit, um sie aus der Bahn zu werfen und die Ordnung ihrer Welt zu Fall zu bringen. Dieser Einsturz ist das Lieblingsmotiv der Erzählerin. Mit prüfendem Blick und rätselhaftem Lächeln führt sie uns durch die Trümmer.

Dabei schreibt Mansfield keineswegs nur autobiographisch. Eher könnte man ihr Vorgehen, dem vorgeschriebenen Leben durch Fiktionen dauernd neue Perspektiven abzutrotzen, kontrabiographisch nennen. "Willst du nicht auch alle möglichen Arten des Lebens probieren? - eine einzige ist viel zu klein!", erklärt sie einmal ihrer Freundin. Zu solchen neuen Lebensweisen und -ansichten findet sie im Schreiben. Viele Geschichten, die Selbsterlebtes aufgreifen, verarbeiten es daher in umgekehrter Perspektive und probieren etwa aus, wie eine verpfuschte Affäre sich aus der Sicht des Mannes, dem die Frau entkommen ist, darstellt. Überhaupt sind Maskerade sowie Rollenprosa, das fortgesetzte Spiel mit angenommenen Identitäten also, Mansfields größte Stärke, die sie in ihrem Hang zu dramatischen Auftritten ebenso auslebt wie in ihren szenisch komponierten Texten. Dass sie beim Film zwar als Gelegenheitskomparsin arbeitet, aber niemals, wie erhofft, als große Schauspielerin reüssiert, kann einzig daran liegen, dass es zu ihrer Zeit nur Stummfilm gab. Die Sprache nämlich ist ihr Element und der Dialog ihr Elixier: Damit verarztet sie die Welt.

"Ich glaube nicht an die menschliche Seele", heißt es in einer Erzählung. "Ich habe nie an sie geglaubt. Ich glaube, die Menschen sind wie Handkoffer: mit allerlei Dingen vollgestopft werden sie auf die Reise geschickt, herumgestoßen, beiseite geschubst, fallen gelassen. Sie gehen verloren, werden wiedergefunden, werden im nächsten Moment halb geleert oder voller gestopft denn je, bis der letzte Gepäckträger sie schließlich auf den letzten Zug bugsiert, und dann rattern sie endgültig davon." Auch hier spricht gewiss nicht die Autorin, doch hat sie ihrer Sprechfigur eigene Ansichten in den Mund gelegt. Die unsentimentale, fast kaltschnäuzige Art, mit der hier Herzensangelegenheiten zu einer Frage der Gepäckaufsicht gemacht werden, passt jedenfalls zu ihrem Credo, das Leben als Vielfalt zu begreifen und einen Vorrat an Erfahrungen zu sammeln wie das Eichhörnchen an Nüssen.

Endlich gibt es nun Gelegenheit, das ganze Spektrum ihrer Arbeiten in voller Breite auf Deutsch zu erkunden. Viele der bekannteren Erzählungen sind längst moderne Klassiker geworden und auch bei uns in etlichen Ausgaben greifbar. Im Gesamtwerk aber, angefangen mit dem 1911 erschienenen Debütband "In einer deutschen Pension" bis zu "Das Taubennest" und "Etwas Kindliches", die ihr Lebensgefährte und Impresario John Middleton Murry nach ihrem frühen Tod 1923 herausgab, finden sich hier sämtliche je veröffentlichten Texte, an die neunzig insgesamt. Sie alle sind von Heiko Arntz, Ute Haffmans und Sabine Lohmann sehr ansprechend übersetzt worden, mit informativen Anmerkungen sowie einem Nachwort versehen und in einem kompakten Dünndruckband zusammengestellt - ein wahres Fest für alle Liebhaber von unerbittlicher Beobachtung wie auch von scharfsichtigen Seelenprotokollen.

"Deutsche beim Fleisch" heißt die Eröffnungsgeschichte aus dem Debütband, der Mansfields Erfolg seinerzeit begründete und dessen aktuelle deutsche Fassung schon vor drei Jahren separat erschien. Sie zeichnet eine satirische Vignette zwischenmenschlicher Verfehlungen, so gut wie nur durch Dialoge präsentiert und dennoch hintersinnig deutschen Dünkel gegenüber einer Zugereisten kommentierend. Das Setting ist ein Kneipp-Kurort im Bayerischen, komplett mit Kurorchester, Landluft sowie kulturell ambitioniertem Tischgespräch. Ein Hauch von "Zauberberg" durchzieht die Welt bürgerlicher Prätention, auch wenn ihre ironischen Effekte zumeist noch etwas vordergründig wirken. Bei späteren Erzählungen allerdings wie "Bliss", zu Deutsch "Glückseligkeit" und eine der meist anthologisierten, weiß man nach der Lektüre nicht mehr, ob die Zentralfigur mit Ironie bloßgestellt oder durch ihr Glücksempfinden vor dem Zusammenbrechen der heilen Welt bewahrt wird. Im irritierend Unentschiedenen liegt Mansfields große Kunst.

Aufgenommen in den Band sind auch etliche der sogenannten unvollendeten Geschichten - doch was heißt das schon bei einer Autorin, die das Vollendete stets gleichermaßen leidenschaftlich suchte wie notwendig verfehlte? Wie die Lektüre des Gesamtwerks zeigt, liegt ihr Stil durchweg im Wandelbaren und Chamäleonhaften, in der Mimikry an immer neue und entlegenere Lebensweisen. Das mag der Grund sein, warum sie den großangelegten Bildungsroman, den sie nach dem Vorbild ihres Freundes und Rivalen D. H. Lawrence lange plante, niemals schrieb. Ihre Form war ganz und gar die Short Story, in deren Ausschnitthaftigkeit wie Flüchtigkeit sie alles Unbehagliche moderner Welterfahrung provisorisch bannte.

Im Sommer 1909 traf Mansfield neunzehnjährig und im fünften Monat schwanger in Bad Wörishofen ein. Das Gästebuch des Hotels Kreuzer zeichnete sie mit dem Namen Käthe Beauchamp-Bowden und, ohne je etwas professionell veröffentlicht zu haben, mit der Berufsangabe "Schriftstellerin". Dort erlitt sie wenig später eine Fehlgeburt, fand durch Vermittlung eines neuen polnischen Liebhabers zur Lektüre Tschechows und entwickelte aus alldem ihre eigene Erzählkunst: als Zollgepäck im Grenzverkehr von zwischenmenschlichen und ständig sich verändernden Beziehungen. Die unsteten und ungewissen Existenzen, die sie auf diese Art entwirft, leben von der Schmuggelware unerklärter Leidenschaften im Gefühlsgepäck. Sie könnten unserer Welt kaum näher sein.

TOBIAS DÖRING

Katherine Mansfield: "Sämtliche Werke". Alle Kurzgeschichten und Erzählungen. Aus dem Englischen von Heiko Arntz, Ute Haffmans, Sabine Lohmann. Anmerkungen und Nachwort von Heiko Arntz. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2009. 1040 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2009

Ganz zittrig ist der Wunsch nach Glück
Sehr scharf, sehr hellhörig, sehr wach: Alle Kurzgeschichten und Erzählungen von Katherine Mansfield zum ersten Mal auf Deutsch beieinander
Man kann irgendeine Geschichte von Katherine Mansfield nehmen: „Flitterwochen” zum Beispiel, zwei Stunden im Leben eines jungen Paares, Engländer vermutlich, an der Côte d’Azur. Fanny und George verlassen das Geschäft eines Spitzenhändlers, besteigen eine Droschke, fahren durch ein Städtchen und am Meer entlang bis zu einem großen Hotel, auf dessen Terrasse sie Tee trinken und Schokoladen-Éclairs verzehren. Drei Musiker treten auf, dann gehen die beiden. Es geschieht fast nichts auf diesen acht Seiten, und doch sind sie voller Spannung.
Ja, ärger noch, mit jedem Absatz wächst im Leser die Beklommenheit, und während er weiterliest, um von ihr befreit zu werden, weiß er doch, dass es für die Verliebten kein glückliches Ende geben wird, im Gegenteil, auch wenn die beiden am Schluss in ihrem Zimmer verschwinden. Und auch nach der Lektüre lässt ihn das Gefühl der Enge, des unausweichlich heraufziehenden Unglücks nicht los, und während er ihm noch nachsinnt, so hat er schon begonnen, die Welt mit den Augen und Ohren der Erzählerin zu betrachten, sehr scharf, sehr hellhörig, sehr wach und stets bereit, jede Unstimmigkeit schon wahrzunehmen, bevor sie überhaupt eingetreten ist.
Man kann irgendeinen Satz von Katherine Mansfield nehmen, den ersten in der Erzählung „Flitterwochen” zum Beispiel: „Und als sie aus dem Geschäft des Spitzenhändlers kamen, wartete dort unter der Platane bereits ein Kutscher mit seinem Wagen, mit ihrem Wagen, wie sie es nannten.” Was steckt nicht alles schon in diesem kleinen Nachsatz? Nicht nur eine Anmaßung, sondern auch ein romantisches Programm, das nur widerlegt werden kann, ein Bekenntnis zum Gefühl, das böse werden muss. „Welches Glück”, fährt die Erzählung fort, „oder war es etwa kein Glück? Fanny drückte den Arm ihres Mannes. Ständig passierten ihnen solche Dinge, seit sie – im Ausland waren. Fand er nicht auch?” Welche Gemeinheit in diesem Gedankenstrich steckt: So lang ist er, dass er nicht nur offenbart, wie beschränkt es in der Heimat zugehen muss, in die man freudig zurückkehren wird, sondern auch, wie zittrig dieser Wunsch nach Glück ist, wie unsicher und von vornherein schon zur Niederlage bereit.
In den vergangenen Jahrzehnten war Katherine Mansfield auf dem deutschen Buchmarkt stets präsent, zumeist mit ihren frühesten Erzählungen, die als Buch unter dem Titel „In einer deutschen Pension” im Jahr 1911 erschienen waren, oft aber auch mit den Stücken aus den Bänden „Glückseligkeit” (1920) und „Das Gartenfest” (1922) – die bald in den Antiquariaten verschwanden. Nie jedoch wurde ihr hierzulande die Aufmerksamkeit zuteil, die ihr, neben Virginia Woolf, neben Dorothy Richardson, als Schriftstellerin der englischsprachigen literarischen Moderne gebührt, und bei weitem nicht nur aus literaturgeschichtlichen Gründen: Denn wo sonst noch gäbe es einen so klaren Blick, eine so völlig über alle Lügen und Betrügereien des bürgerlichen Ichs aufgeklärte Wahrnehmung?
Und eine, die nie böse, nie feindselig, nie gemein wird, sondern still, diskret und mit einer zuweilen schon unglaublichen Genauigkeit festhält, wie das Klischee und der Kitsch, die Eigenliebe und die Hoffnung, der Verrat und die Selbstsucht zu den prächtigsten Individualitäten verleimt werden. Sehr erfreulich ist es daher, wenn das Haus Zweitausendeins nun, auf der Grundlage einiger Trümmern des untergegangenen Haffmans Verlags, eine Ausgabe sämtlicher Werke veröffentlicht, neu übersetzt und neu herausgegeben.
Katherine Mansfields Metier ist die Erzählung. Die meisten ihrer Stücke sind nur ein paar Seiten lang. Das kann nicht anders sein, denn Katherine Mansfield unterhält ein distanziertes Verhältnis zu ihren Charakteren. „Was ich sagen will”, fragt Fanny in „Flitterwochen” den ihr frisch angetrauten Mann: „Es kommt so häufig vor, dass Menschen, selbst wenn sie sich lieben, sich nicht – sich nicht – es ist schwer auszudrücken – sich gar nicht richtig kennen. Sie scheinen es auch nicht zu wollen. Und das finde ich schrecklich. Sie missverstehen einander in den wichtigsten Angelegenheiten.” Da lacht der Mann, der überhaupt zu allerlei Grobheiten neigt, und will ihr putziges Näschen loben, und Katherine Mansfield schreibt es so hin, weil es nicht die Menschen sind, die sie interessieren, sondern die Konstellationen.
Und wenn sie, wie in den Geschichten aus einer „deutschen Pension”, als Ich-Erzählerin auftritt, hinter der die Erzählerin selbst zu erkennen ist, dann schließt sie sich im Bild der Gruppe ein: Denn was sie eigentlich in Erfahrung bringen möchte, ist der Anteil des Gesellschaftlichen am Charakter, die Idee, die aus einem Menschen etwas vermeintlich Einzigartiges macht. Auch deswegen erinnern ihre Geschichten immer wieder an Robert Musils „Mann und ohne Eigenschaften” – in der dialogischen, gleichsam jonglierenden Form, im unspektakulär Anekdotischen, in der Durchsichtigkeit der Figuren wie in dem wiederkehrenden Verfahren, dass sich die Geschichte gleichsam von ihren Personen zurückzieht, sie sich selbst überlässt, wenn die geistigen Belange erschöpft sind.
Von ihren ersten, hierzulande bekanntesten Erzählungen, vom Band „In einer deutschen Pension”, nahm Katherine Mansfield in späteren Jahren Abstand – sie starb schon 1923, im Alter von vierunddreißig Jahren –, fand die Stücke unreif, von übertriebener Bitterkeit, ja, sogar zynisch. Im Ersten Weltkrieg verhinderte sie eine Neuausgabe des Buches, um aus der Feindschaft der Engländer gegen die Deutschen nicht auch noch persönliches Kapital zu schlagen. Dabei lassen sich ihre Vorbehalte – wie, zum Beispiel, „kann eine Frau erwarten, ihren Mann zu halten, wenn sie nach drei Jahren noch nicht einmal seine Leibspeise kennt?” – noch immer mit argem Vergnügen lesen.
Als Neunzehnjährige, 1909, hatte Katherine Mansfield diese Geschichten geschrieben, nachdem sie aus ihrer Heimat Neuseeland nach Europa gereist war, um Künstlerin zu werden und in Wörishofen gelandet war, wo sie ein halbes Jahr lang blieb, an Kneipps Kuren teilnahm und eine Fehlgeburt erlitt. Doch sind alle Fähigkeiten schon da, die sie später, in ihrer ruhigeren Stücken, zu einer so großartigen Schriftstellerin machen: vor allem die Klarsicht einer Beobachterin, die, immer von außen, immer von unten schräg hinaufblickend, die kleinsten Abweichungen von Anspruch und Figur wahrnimmt – um sie dann nicht der Lächerlichkeit, sondern einem kleinen, intellektuell höchst fruchtbaren Erschrecken anheimzugeben. THOMAS STEINFELD
KATHERINE MANSFIELD: Sämtliche Werke. Alle Kurzgeschichten und Erzählungen. Aus dem Englischen von Heiko Arntz, Ute Haffmans und Sabine Lohmann. Herausgegeben von Heiko Arntz. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt 2009. 1050 Seiten, 29,90 Euro.
So viel Scharfsinn, so viel Unruhe und der Traum von einem anderen Zustand: Katherine Mansfield, um 1920 / Wörishofen, Bayern, um 1910, Werbeplakat, Entwurf von F. Rehm. Fotos: Topical Press Agency/Getty Images, doc-stock
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Thomas Steinfeld freut sich, dass der Verlag Zweitausendeins Katherine Mansfields Gesamtwerk in neuer Übersetzung herausgibt, denn er meint, dass der 1888 in Neuseeland geborenen und 1923 mit nur 34 Jahren gestorbenen Schriftstellerin hierzulande nicht die ihr gebührende Beachtung geschenkt wird. Am Beispiel der Erzählung "Flitterwochen" streicht der Rezensent heraus, wie präzise die Autorin beobachtet und wie feinfühlig sie die Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und Realität der Figuren schildert. Mit einem einzigen Gedankenstrich beispielsweise gelinge es  Mansfield, das ganze "zittrige" Verlangen nach Glück und die Ahnung eines Scheiterns zu markieren, schwärmt der Rezensent. Dass die Autorin das ohne jegliche Bosheit oder Gemeinheit, sondern vielmehr aus einem scharfsinnigen Interesse heraus tut, ist Steinfeld ungemein sympathisch, und er stellt fest, dass es Mansfield bei ihren Geschichten ohnehin weniger um die Individuen als um den Menschen als gesellschaftliches Wesen geht.

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