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Zerfallende Parteibindungen, steigende Wechselwähleranteile und erhöhte strategische Unsicherheit der Parteieliten charakterisieren die Wettbewerbssituation auf den komplexen Wählermärkten Westeuropas. Wie haben die politischen Parteien auf diese Veränderungen reagiert? Der Vergleich unterschiedlicher Reaktionsstrategien auf unterschiedliche systemische und strategische Herausforderungen steht im Mittelpunkt dieses Sammelbandes, der sich auf Fallstudien in neun westeuropäischen Parteiensystemen konzentriert und erfolgreiche wie erfolglose Versuche politischer Parteien untersucht, sich an die Veränderungen ihrer Umwelt anzupassen.…mehr

Produktbeschreibung
Zerfallende Parteibindungen, steigende Wechselwähleranteile und erhöhte strategische Unsicherheit der Parteieliten charakterisieren die Wettbewerbssituation auf den komplexen Wählermärkten Westeuropas. Wie haben die politischen Parteien auf diese Veränderungen reagiert? Der Vergleich unterschiedlicher Reaktionsstrategien auf unterschiedliche systemische und strategische Herausforderungen steht im Mittelpunkt dieses Sammelbandes, der sich auf Fallstudien in neun westeuropäischen Parteiensystemen konzentriert und erfolgreiche wie erfolglose Versuche politischer Parteien untersucht, sich an die Veränderungen ihrer Umwelt anzupassen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2000

Traditionelle Anbieter tendieren schwächer
Parteien auf den Wählermärkten Europas

Peter Mair, Wolfgang C. Müller, Fritz Plasser (Herausgeber): Parteien auf komplexen Wählermärkten. Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa. Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung Band 20. Signum-Verlag, Wien 1999. 401 Seiten, 71,- Mark.

Der von drei renommierten Parteiforschern herausgegebene Sammelband vergleicht die Parteiensysteme in neun Ländern der Europäischen Union. Im Mittelpunkt der Beiträge steht die Frage nach dem Verlust traditioneller Parteibindungen (dealignment) und der Neubildung von Parteipräferenzen (realignment). Hierzu gehören auch die Bemühungen der Parteien, neue Wählergruppen an sich zu binden. Das Gesamtergebnis dieses Vergleichs ist aber umfangreicher als die fachspezifische Fragestellung erwarten lässt: Der Band vermittelt ein anschauliches Bild der Parteiensysteme und der innenpolitischen Situation in den einzelnen Ländern. Die Beiträge berücksichtigen die Entwicklung bis ins Jahr 1999 und bleiben trotz der ausführlichen Quellen- und Literaturangaben auch für den Nichtspezialisten gut lesbar.

Das Nachlassen der parteipolitischen Bindungen ist in allen untersuchten Systemen zu beobachten und lässt sich in der Regel über Jahrzehnte zurückverfolgen. In erster Linie sind hiervon christdemokratische und sozialdemokratische Parteien betroffen, weil die Zahl der Kirchentreuen und der Arbeiter in allen westeuropäischen Gesellschaften abnimmt. Das in der Parteiforschung bekannteste Beispiel für dealignment ist die von Ruud Koole beschriebene "Entsäulung" in den Niederlanden. Hier zeichneten sich seit den sechziger Jahren deutliche Verluste der Christdemokraten CDA, ein Auf und Ab der sozialdemokratischen "Partei von der Arbeit" sowie Gewinne der beiden liberalen Parteien VVD und Demokraten '66 ab. In Belgien ist ein ähnlicher Trend zu beobachten: Die flämischen Liberalen VLD wurden 1999 stärkste Partei in Gesamtbelgien. Die belgische Parteipolitik wird aber seit 1965 von der Aufteilung in ein flämisches und ein wallonisches Parteiensystem geprägt und kann deshalb nur bedingt zum Vergleich herangezogen werden.

Das deutsche Parteiensystem war ebenfalls von einer Sonderentwicklung betroffen, nämlich von der unerwarteten Wiedervereinigung. Mit einer Ökologie- und einer Regionalpartei, als welche man die PDS durchaus bezeichnen kann, traten neue Konkurrenten für die Etablierten auf, die auch in anderen Ländern zu beobachten sind. Der Rechtspopulismus war allerdings in Deutschland bisher im Bund nicht erfolgreich. Unter dem Eindruck der 1992 einsetzenden Publizistik zur "Politikverdrossenheit" glaubte man einen dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung und der Mitgliederzahlen feststellen zu können. Der Beitrag von Susan E. Scarrow steht ein wenig unter dem Eindruck dieser Publikationen. Die Beteiligung an den Bundestagswahlen ist jedoch seit 1990 stetig angestiegen, und vom Rückgang der Mitgliederzahlen sind nicht alle Parteien gleichermaßen betroffen. Die Grünen verzeichneten sogar einen kontinuierlichen Mitgliederzuwachs. Der "Wählermarkt" in Westdeutschland zeichnet sich wie in anderen Demokratien durch abnehmende Gewerkschafts- und Kirchenbindung aus. In den neuen Bundesländern waren diese Bindungen aber 1989 nicht vorhanden, und es kam allenfalls zu einem "realignment" zugunsten der PDS.

Zur Beantwortung der Frage, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg die Parteien auf die Auflösung ihrer Stammwählerschaft reagierten, leistet vor allem das von Paul D. Webb beschriebene britische Beispiel der Labour Party einen wesentlichen Beitrag. Keine europäische Partei hat mit vergleichbarer Konsequenz (und mit vergleichbarem Erfolg) ihre politischen Strukturen und Zielvorstellungen reformiert. Die von den Parteiführern Kinnock, Smith und Blair durchgesetzten Änderungen betrafen das Verhältnis zu den Gewerkschaften, das individuelle Abstimmungsrecht der Mitglieder bei der Wahl des Leaders und der Nominierung der Parlamentskandidaten, die programmatische Neuorientierung zur politischen Mitte (New Labour) sowie der Aufbau eines modernen Wahlkampf- und Medienmanagements. Ein wichtiges Ergebnis der Organisationsreform war die gleichberechtigte Mitwirkung der indirekten Labour-Mitglieder in Gewerkschaften und parteiverbundenen Organisationen. Die Partei besitzt damit eine Mitgliederbasis von mehr als vier Millionen und hat die in der Welt größte Organisationsdichte unter den demokratischen Parteien.

Für vergleichbare, aber stecken gebliebene Reformversuche bietet der Band eine Reihe von Beispielen. Vielleicht ist es nicht ganz fair, aber aktuell, in diesem Zusammenhang auf den Beitrag über Österreich näher einzugehen, zumal er von den beiden Herausgebern W. C. Müller (Wien) und F. Plasser (Innsbruck) sowie von Peter A. Ulram aus Wien verfasst wurde. Das dealignment äußerte sich in Österreich im Wähler- und Mitgliederschwund der lange Zeit gemeinsam regierenden SPÖ und ÖVP. Nutznießer dieser Entwicklung war seit 1986 Haiders FPÖ, die bei der Nationalratswahl vom Oktober 1999 mehr Stimmen als die ÖVP erreichte. Wie die drei Autoren zeigen, versuchten sowohl die Sozialdemokraten als auch die Volkspartei, dem durch organisatorische Reformen entgegenzutreten: Die SPÖ gestattete zum Beispiel seit 1993 so genannte Themeninitiativen als Parallelorganisationen zu den Ortsverbänden, wollte die parteiinterne Kommunikation durch das Internet verbessern und führte eine Geschlechterquote von 40 Prozent für Parteiämter und Kandidaten ein. Die ÖVP bemühte sich um die Modernisierung ihrer Parteizentrale und stützte sich auf externe Berater. Beide Parteien nahmen in ihre Satzungen die Vorwahlen für Nationalratskandidaten auf. Alle diese Reformvorhaben hatten jedoch wenig Erfolg: Die Themeninitiativen stießen auf den Widerstand der etablierten SPÖ-Organisation. In der ÖVP behinderten die Landesverbände sowie die im Wirtschafts- und Bauernbund vertretenen Interessen die Öffnung der Partei für neue Wählergruppen. Vorwahlen fanden 1994 nur vereinzelt statt. Vor der Nationalratswahl 1999 verzichteten beide Parteien stillschweigend auf dieses Instrument der innerparteilichen Demokratie.

Nach der abschließenden Bewertung der drei Bearbeiter bilden die Mitglieder und Stammwähler von SPÖ und ÖVP eine "Klientelgruppe von etablierten Interessen", die immer weniger der "verfügbaren" Wählerschaft entspricht. Die FPÖ dagegen erwies sich gerade aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche als flexibel. Unter Haider führte sie eine zweistufige Mitgliedschaft ein und förderte die Neubesetzung von Parteiämtern durch Frauen und jüngere Mitglieder. "Die Freiheitlichen" haben demnach die "aus dem Rückgang der Wählerbindungen resultierenden Chancen maximal genutzt."

Der vorliegende Band behandelt die Parteienfinanzierung nur am Rande. Über die Spenden und die Mitgliedsbeiträge sind deshalb aus den Beiträgen kaum Details zu entnehmen. Deutlich erkennbar wird jedoch, dass viele Parteien auf das dealignment von Wählern und Mitgliedern mit dem Wunsch nach erweiterter staatlicher Finanzierung reagierten. In Großbritannien erhalten bisher nur die Oppositionsfraktionen des Parlaments eine begrenzte staatliche Unterstützung. Die neue Labour-Regierung ließ aber durch das Neill-Komitee die Möglichkeiten einer weitergehenden öffentlichen Parteienfinanzierung prüfen. In Frankreich werden Parteien staatlich gefördert, sobald sie mehr als fünfzig Kandidaten zur Parlamentswahl aufstellen. In den Niederlanden fließen die Subventionen überwiegend an die Parteistiftungen, während gleichzeitig die Fraktionsfinanzierung ausgebaut wird. Die in Deutschland beachtete Unterscheidung zwischen Partei- und Fraktionsfinanzierung ist in anderen Systemen nicht üblich. In Dänemark führte das nach der Darstellung von Lars Bille 1996 zu einer Staatsfinanzierung der beiden größten Parteien zu 65 und 51 Prozent.

KARLHEINZ NICLAUSS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Auch für Nichtspezialisten gut lesbar" nennt Karlheinz Niclauss diesen Band, der die Parteiensysteme und ihre Probleme in neuen europäischen Ländern vergleicht. Auch die Aktualität der Texte lobt er - Entwicklungen bis ins Jahr 1999 werden berücksichtigt. Im weiteren referiert der Rezensent den Band sehr wohlwollend und stellt fest, dass es in allen Ländern eine große Tendenz gibt: den Abfall von Stammwählerschaften bei sozial- und christdemokratischen Parteien (dealignment) und die Entstehung neuer oder reformierter Parteien für neue Wählergruppen (realignment). Die Beiträge zeigten dies mit den jeweiligen nationalen Abweichungen an Beispielen wie den Niederlanden, Österreich, Belgien oder Deutschland. Als besonders wichtigen Text hebt Niclauss hier den Text von Paul D. Webb hervor, der am Beispiel der britischen Labour Party zeige, wie sich eine traditionelle Partei neu formiert.

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