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'Das Wort ist tot, und in seiner Hülle lebt, von seinem Sinn ernährt, als falsche Natur die Phrase.' Die mündliche Rede plappert, man nimmt ihr das nicht übel, der Sprechakt als live-act ist reines Geschehen; aber dass die Literatur vielfach auf dasselbe Niveau herabgestiegen ist, nimmt Dorothea Dieckmann zum Anlass, wieder an einstige Ansprüche zu erinnern: Ingeborg Bachmann und Kafka werden zu ihren Kronzeugen, wenn sie der allgemeinen Beliebigkeit des unterhaltsamen und mediengerechten Vorsichhinplauderns das Verstummen der dichterischen Stimme gegenüberstellt. 'Worte zu machen, ohne Worte…mehr

Produktbeschreibung
'Das Wort ist tot, und in seiner Hülle lebt, von seinem Sinn ernährt, als falsche Natur die Phrase.' Die mündliche Rede plappert, man nimmt ihr das nicht übel, der Sprechakt als live-act ist reines Geschehen; aber dass die Literatur vielfach auf dasselbe Niveau herabgestiegen ist, nimmt Dorothea Dieckmann zum Anlass, wieder an einstige Ansprüche zu erinnern: Ingeborg Bachmann und Kafka werden zu ihren Kronzeugen, wenn sie der allgemeinen Beliebigkeit des unterhaltsamen und mediengerechten Vorsichhinplauderns das Verstummen der dichterischen Stimme gegenüberstellt. 'Worte zu machen, ohne Worte zu machen, zu schreiben, ohne ein Sterbenswort zu sagen', das wäre die Aufgabe der Kunst: das nächtliche Dunkel zu erhellen, ohne es an den Tag zu verkaufen, vom Verborgenen zu handeln, ohne es zu verraten. Die Schnelligkeit aber, mit der der Markt nicht nur die Kunstwerke selbst in seine Zirkulation hineinholt, sondern auch die Wörter entwertet, die Sätze auf den Strich schickt, ist beängstigend und alarmierend. Dorothea Dieckmann hat mit Sprachversagen einen klugen, unerschrockenen Essay geschrieben, unerschrocken im genauen Hinsehen, unerschrocken auch im genauen Benennen. Wie kann man auf den 'wahren Sätzen' (Bachmann) beharren, wenn wir modernen interaktiven Individuen in einer Kultur leben, in der Indifferenz an die Stelle der Differenz getreten ist und der Begriff Literatur auch oft nur mehr den schalen Geschmack eines 'bedeutungsvollen' Ornaments hat?
Autorenporträt
Dorothea Dieckmann, 1957 in Freiburg/Br. geboren. Sie studierte Literatur und Philosophie und arbeitet als Essayistin und Literaturkritikerin. Für ihre Erzählungen erhielt sie 1990 den Hamburger Literaturpreis, für die Novelle "Die schwere und die leichte Liebe" (1996) den Literaturpreis der Stadt Marburg. Weitere Veröffentlichungen: "Wie Engel erscheinen" (1994) und "Belice im Männerland - Eine wahre Geschichte" (1997), "Damen & Herren" (2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2002

Abituriententreffen mit Apollo
Schreiben ist Schweigen: Mit einem Essay und einem Roman zieht Dorothea Dieckmann die Grenze zwischen Rede und Schrift

Der Essay ist eine unzeitgemäße Form: Das Ziel, das er seit Montaigne verfolgt, jedermanns Verrichtung und Erfahrung - Freundschaften, Spazierengehen, Essen, Träumen - durch Reflexion und Stil auf das Niveau einer kulturellen Leistung emporzuheben, muß scheitern, wenn es ein Bildungsbürgertum nicht mehr gibt, das das kleine Ereignis aus dem engen Alltag in die weite Tradition von Sprache und Poesie einzubetten bereit ist. Der Roman konnte statt dessen zur bevorzugten Lektüre werden, weil er dem Bedürfnis entgegenkommt, banale, vergängliche Geschehnisse in ähnlich kurzlebige, aufgeregte Erlebnisse zu verwandeln, in Seelendramen, die das Herz höher schlagen und den Kopf in Ruhe lassen.

Mit einem Essay und zugleich mit einem Roman stellt sich in dieser Saison Dorothea Dieckmann vor. Beide Veröffentlichungen verhalten sich zueinander wie das Werk und sein Programm. Der Essay "Sprachversagen" versucht sich an einer Theorie des Schreibens, der Roman "Damen und Herren" wird zum Prüfstein, der zeigt, wie weit diese Theorie trägt. "Sprachversagen", eine Hommage an Ingeborg Bachmann, die Leitfigur schreibender Frauen, analysiert die Rede der österreichischen Schriftstellerin zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises 1972, in der sie, anders als heutige Dichter noch nicht an den öffentlichen Auftritt gewöhnt, mündliche Rede und geschriebene Sprache als unvereinbar darstellt. Bachmanns Vortrag, so Dieckmann, ziehe die "Grenze zwischen zwei Welten, die unbedingt auseinandergehalten werden müssen", zwischen dem Sprachspiel für andere (die Rede) und dem Selbstgespräch (die Schrift).

Diese Opposition enthält die aparte, der pointierten Form des Essays durchaus angemessene Wendung, daß für den Dichter Schreiben Schweigen bedeute. Es braucht die Degradierung der üblichen Kommunikationsformen, um mit um so größerer Emphase das Geheimnis des Schreibens zu verkünden: "Was das Reden verriet, soll das Schreiben bewahren." Anders als es das Publikum haben will, bedeutet Schreiben für den Autor nicht Offenbarung, sondern Verhüllung der Seele. Das Papier schützt wie eine Haut das Ich. Die Einheit von Haut und Papier, von Literatur und Scham findet schließlich ihre Inkarnation in Daphne, deren Gestalt Ingeborg Bachmann annimmt, um immer wieder aufs neue dem "Kunstgötzen Apollo" zu entfliehen, sich "in einen Baum zu verwandeln, endlich stumm".

Vom Schweigen und Verschweigen, zu dem sich der Essay bekennt, läßt der Roman "Damen und Herren" wenig ahnen. Das Abituriententreffen einer gemischten Gymnasialklasse nach zwanzig Jahren wäre kein ungeeigneter Stoff, gesellschaftliche Äußerung und privates Lebensgeheimnis durch Romanfiguren ins Bild zu setzen. Dieckmann verleugnet nicht nur die Intelligenz, die sie im Essay bewies, um das übliche Einerlei an Typen vorzustellen. Sie gibt auch die Beobachterrolle auf, indem sie sich mit einem unaufgearbeiteten Liebestraum in das Geschehen selbst verwickelt.

Das Herz der Erzählerin hat einen der ehemaligen Mitschüler nicht vergessen können, ihre neuerwachten Hoffnungen helfen, den Faden zu spinnen, an dem sich Nachrichten über belanglose Lebensläufe zum Roman zusammenfügen. An den Figuren kommen gerade so viel Eigenheiten zum Vorschein, wie sie jedermann bei einem Klassentreffen an seinen Mitschülern wird entdecken können. Der einzige Gedanke, der die Aufzeichnung dieser Begegnung leitet, ist die Feststellung, daß die Vergangenheit nicht vergangen ist. Eine der Teilnehmerinnen resümiert denn auch im Sinne der Autorin: "Wir sind uns eben treu geblieben! Und das ist doch schon mal ein tolles Ergebnis für ein Abitreffen, oder?"

Für einen Roman ist das kein "tolles Ergebnis", selbst wenn er durch die gelegentliche Erinnerung an den Selbstmord einer Klassenkameradin einen Schrecken aus der Vergangenheit zur Gegenwart des Lesers werden läßt: In einem exzentrischen Schauspiel hatte einst die Gefährdete ihren Selbstmord vor den Mitschülern vorweg zelebriert, die das "Menschenopfer" mit einem Tanz im "Dschungelrhythmus" begleiteten. Diese gesuchte Szene, die dem Schulalltag in der Erinnerung einige Dämonie beibringt, hat ihr Pendant in der Erfüllung der Liebe, die die erotische Phantasie der Ich-Erzählerin beschäftigt. Über Liebe läßt sich heute, zumal von einer Frau, nur noch im Stil Elfriede Jelineks sprechen. Der ironische Ton, in dem Dieckmann die pornographischen Liebesspiele ausmalt, ist nicht weniger unwahr als die Reden der Gesellschaft, die der Essay so heftig anklagt.

Dieckmann zitiert in "Damen und Herren" nur einen Stilgestus, der dem "Kunstgötzen Apollo" gezollt ist - vor dem Ingeborg Bachmann als Daphne floh -, damit er dem Roman einigen Erfolg beschere. Der Essay ist lange nach Apoll erfunden worden: Ihn schützt kein Gott. Die in Poesie verwandelte Nachdenklichkeit, die auch Dieckmann in ihrem Essay einigermaßen gelingt, wird daher kaum auf höheren Beistand hoffen dürfen.

Dorothea Dieckmann: "Sprachversagen". Literaturverlag Droschl, Graz, Wien 2002. 88 S., geb., 12,- .

Dorothea Dieckmann: "Damen & Herren". Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2002. 319 S., geb., 19,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2002

Ein Schlafwandler grüßt von Berges Spitze
Reibung, Herzklopfen, Farbe, Widerstreben: Dorothea Dieckmann will die Wahrheit des Schreibens in Schutz nehmen
Der Essay hat es schwer; schwerer vielleicht noch als die Lyrik, die bei aller Entlegenheit doch Konventionen ausgebildet hat, wie sie zu lesen sei. Das essayistische Schreiben aber scheint, wo es sich nicht auf ein ein einzelnes Stichwort wie das „Ende der Geschichte” oder den „Clash of Cultures” abziehen lässt, ortlos zu verpuffen.
Dorothea Dieckmanns Essay handelt von der wahren Sprache; und die hat nicht das Zeug zum Stichwort, das man pflücken und sich ins Knopfloch stecken könnte. Was ist das, die wahre Sprache? Definitionen fruchten nichts; und Dieckmann setzt mehrfach an, um deutlich zu machen, was sie meint. Sie beginnt mit einer Scheidung des Schreibens vom mündlichen Sprachgebrauch, den sie unter Generalverdacht stellt, gedankenlos, willfährig, exhibitionistisch zu sein. Als Kronzeugin bietet sie Ingeborg Bachmann auf, die sich damit abquält, eine Dankesrede zu halten: „...eine Stunde wie diese hat absolut nichts zu tun mit allen meinen anderen Stunden, meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe.” In der Hilflosigkeit solchen Ausdrucks schmilzt die absolute Differenz zur bloßen Behauptung zusammen. Das macht die Lektüre der Bachmann oft so peinigend: dass sie etwas will, was nicht geht, wenigstens nicht für sie.
Sprache gehört allen, selbst noch in dem, was Bachmann die „kristallinischen” Worte nennt. Wäre es nicht so, käme das gänzlich Unverständliche heraus, die Wahnbildung, die wahr ist nur in der unschuldigen Art des Symptoms, das heißt, auf gänzlich unfruchtbare Weise. Damit wäre der Dichtung, als dem Archetyp wahren Sprechens, am allerwenigsten gedient.
Schlimm ist die Phrase
Darum hilft es auch nichts, wenn Dorothea Dieckmann, in einem weiteren Anlauf, die Metapher der Prostitution bemüht und vom „Bordell der Wörter” spricht. Wörter sind zum Verkehr da, jeder kann sie haben, und diesen Tatbestand zu tadeln, heißt in untaugliches Moralisieren zu verfallen. Die Sonne der Sprache scheint über Gerechte und Ungerechte; das Faktum, dass im Sonnenlicht nicht alle eine gleich gute Figur machen, bleibt davon unberührt. Dieckmann hat ganz gewiss recht in ihrem Zorn auf die „Phrase”, das unwahre Sprechen schlechthin. Aber hier wäre der Punkt gewesen, wo sie schärfer hätte zupacken und so etwas wie einen Begriff an Beispielen hätte herausarbeiten müssen, damit ihr Unbehagen Gestalt und Brauchbarkeit gewinnt; Klarheit wäre hier ein umso höheres Verdienst gewesen, als der Widerpart sich in der Diffusität zu entziehen trachtet. Statt dessen äußert sie in einer Fußnote: „Beispiele sind immer widerwärtig”; und der Behandlung des einen, das sie dennoch liefert, merkt man an, wie sehr.
Ohnmächtig bleibt, was sie statt dessen zu schreiben hat: „So entsteht die aufgeblähte Metaphorik, der nur sich selbst gerechte Ausdruck, das geschwellte Bild, die Manier, ornamental überladen oder lakonisch verklemmt, der Hang zur abgegriffenen Kombination, in der die Bedeutung der Teile untergeht, ebenso das raunende Heischen nach Extravaganz... das Wort als besetzter Hohlraum, kurz als Geste.” Das ist alles nicht verkehrt (ausgenommen, typischerweise, der letzte Punkt, der es schlüssig zusammenfassen soll: eine Geste kann ja durchaus wahr sein). Aber hier wäre wohl eher ein kämpferisches als ein elegisches Naturell vonnöten.
Es erstaunt, dass eine im Österreichischen so belesene Autorin sich so intensiv mit der phrasenhaften Öffentlichkeit auseinander setzt, ohne ein einziges Mal den Namen von Karl Kraus zu erwähnen, der hier wahrlich gute Vorarbeit geleistet hat. Lieber hält sie sich an dessen Antipoden Robert Musil, der die Dummheit nicht als seine Todfeindin begreift, sondern mehr wie ein merkwürdiges Zootier ansieht, das er durch die Gitterstäbe mit einem Stock neckt und zu Reaktionen reizen will.
Doch ist ein Essay, mehr als ein Weg, eine Landschaft. Eine Landschaft muss nicht ankommen, es genügt, wenn es in ihr Orte gibt, an denen man gern verweilt. Zum Beispiel den folgenden: „Ich kann diesen in die Halsbeuge küssen – jenen auch; ich gebe beiden das gleiche und bringe sie damit unter einen, meinen Zusammenhang. Die Beliebigkeit beim Einsatz und Ersatz der Worte hat dagegen kosmische Dimensionen. So erklärt sich das kurze helle Entsetzen, wenn wir einen Namen verwechseln. Es ist nicht obszön, verschiedene Menschen auf die gleiche Weise zu umarmen, wohl aber, ein Erlebnis zweimal mit denselben Worten zu erzählen.” Man versteht an dieser Stelle auf einmal, was die Autorin geschirmt wissen will.
Und als man es schon kaum mehr erwartet hätte, weit gegen Ende, bietet sie doch noch den Prüfstein dafür an, was wahre Literatur sei: ob sie die Scham überwindet. Das ist etwas ganz Anderes als die geläufige Schamlosigkeit, die sich nicht nur als Leichtfertigkeit im Umgang mit den persönlichsten Dingen äußert, sondern von Dieckmann geradezu formal bestimmt wird, als Mangel an Widerstand nämlich, als Ergebnis ohne Arbeit mit den leeren Merkmalen des Gelingens. „Scham erhitzt, lässt warmes Blut in die Wangen steigen, und die Röte verrät eine Übertretung. Wer die Scham nicht fühlt, bleibt blass und kalt und ungerührt, denn schamloses Schreiben hat nichts einzugestehen. Die poetische Sprache zeigt die Symptome von körperlicher Energie, die sich gegen das Tabu stemmt, Reibung, Herzklopfen, Farbe, Widerstreben.”
Einer muss wachen
Hier finden auch die Bilder der Nacht und der Nacktheit, die Dieckmann zuvor aufgerufen hatte, ihre Erfüllung. Einen ganz neuen Sinn entnimmt sie dem berühmten Schluss von Kafkas „Prozess”: „Und es war, als solle die Scham ihn überleben.” Franz Kafka auch soll ihr das auf die Spitze getriebene Paradox, dass der Schreibende einsam ist und sich zugleich in bedeutsamer Weise auf das Ganze bezieht, lösen helfen, indem sie sein Fragment „Nachts” zitiert. „Und du wachst, bist einer der Wächter, findest den nächsten durch Schwenken des brennenden Holzes auf dem Reisighaufen neben dir. Warum wachst du? Einer muss wachen, heißt es. Einer muss da sein.”
Kafka jedoch, das sollte man abschließend festhalten, beweist nichts, für niemanden. Noch wo er vom Wachen spricht, eignet seiner Prosa etwas Traumhaftes. Allein steht er auf einer Höhe, die man nur schlafwandelnd erreicht, während die wachen Kraxler unterwegs abstürzen. Das schließt leider die Bachmann ein, die sich dazu verstiegen hat zu erklären, das Leben habe nur eine schlechte Sprache. Man soll das Leben nicht verleumden, Kafka hat es nie getan. Es gibt nicht, wie die Bachmann und mit ihr Dorothea Dieckmann meinen, ein „Utopia der Sprache”; nur die Sprache gibt es.
„Sprachversagen” nennt die Autorin ihr Buch, und meint damit Entsagung und Scheitern zugleich. Sie scheint damit einer allzu herben, einer möglicherweise tödlichen Askese das Wort zu reden. Doch darf man irgendwem zum Schweigen raten? Im Schweigen fallen die Lebenden mit den Toten ununterscheidbar zusammen.
Der Text ist bei Droschl als 46. Nummer der Reihe „Essay” erschienen; und man muss es begrüßen, dass der Verlag diesem heimatlosen Genre einen solch systematischen Ort verschafft hat - wenngleich der Preis von 12 Euro für das unscheinbare Bändchen manchen abschrecken dürfte.
BURKHARD MÜLLER
DOROTHEA DIECKMANN: Sprachversagen. Literaturverlag Droschl, Graz 2002, 88 S., 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Beatrix Langner bespricht nicht nur den neuen Roman von Dorothea Dieckmann, sondern untersucht ihn anhand der Kriterien, die Dieckmann in ihrem gleichfalls neu erschienenen Essay "Sprachversagen" für die Literatur aufstellt.
In Dorothea Dieckmanns Roman ist es der Körper, der spricht, schreibt die Rezensentin Beatrix Langner. Dieckmann inszeniere ein Klassentreffen - nach zwanzig Jahren - als "tiefschwarzes Kammerspiel", in dem sich die Identitätsfrage zwischen dem eigenen Körper und dem Blick des Anderen stelle. Wie mit "blitzender Polaroidtechnik" sei dieser "fotorealistische Roman" geschrieben, eine Art literarischer "cinéma vérité". Die Welt jenseits der sichtbaren Körperhülle dagegen - Vergangenheit und deren Reflexion - ist laut Rezensentin "als Abwesenheit" mitgeschrieben. Diese Spannung zwischen dem Außen und dem Innen, so die Rezensentin, realisiert sich in der Artikulation des Verborgenen in der Körpersprache. Doch diese Erzählkunst stehen für die Rezensentin im Gegensatz zu den literaturtheoretischen und -ästhetischen Überlegungen, die Dieckmann in ihrem Essay "Sprachversagen" anstellt. Hier bezeichne Dieckmann die "phraseologische" Literatur als "Pseudoliteratur". Dieckmann wolle das Unsagbare vor den Übergriffen der mediangesellschaftlichen Schamlosigkeit schützen, für Langner eine Art "Literaturreligiosität". Doch irgendetwas schmeckt der Rezensentin nicht an diesem Essay: Dieckmanns Argumentation stehe "schon deshalb auf verlorenem Posten, weil dieses Schweigen selbst eine Metapher ist und den symbolischen Formen angehört, also keine kritische Kategorie ist". Aha. Langners Fazit: Dieckmanns Roman, der "kritisch mit vorgefundenem Sprachmaterial umgeht" und den die Autorin als Umsetzung ihrer Theorie sieht, hebt genau diese "aus den Angeln".

© Perlentaucher Medien GmbH
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