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Das Versprengte verliert seine Wahrnehmungsfähigkeit und Sprache, seine Gravitation und Orientierung. Dieses Vakuum saugt katastrophische Ereignisse an. Entgrenztheit ist offenbar kein Zustand von Dauer. Sie beschwört Kurzschlüsse und Rückstürze und Zündungen unbekannter, sprachloser Art herauf, und die verwandelnde Wiederkehr des Alten. Davon berichtet dieses Buch.
Dr. Franz Böckelmann wurde 1941 in Dresden geboren, verbrachte seine Schulzeit in Stuttgart und lebt seit 1960 in München. Freier Medienforscher, Autor zahlreicher Bücher, vielseitige publizistische Tätigkeit.
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Produktbeschreibung
Das Versprengte verliert seine Wahrnehmungsfähigkeit und Sprache, seine Gravitation und Orientierung. Dieses Vakuum saugt katastrophische Ereignisse an. Entgrenztheit ist offenbar kein Zustand von Dauer. Sie beschwört Kurzschlüsse und Rückstürze und Zündungen unbekannter, sprachloser Art herauf, und die verwandelnde Wiederkehr des Alten. Davon berichtet dieses Buch.

Dr. Franz Böckelmann wurde 1941 in Dresden geboren, verbrachte seine Schulzeit in Stuttgart und lebt seit 1960 in München. Freier Medienforscher, Autor zahlreicher Bücher, vielseitige publizistische Tätigkeit.

Letze Veröffentlichungen u.a.: Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen (Ffm. 1998, Sonderpreis "Das politische Buch" der Friedrich-Ebert-Stiftung); Deutsche Einfalt - Betrachtungen über ein unbekanntes Land (München 1999); Bertelsmann - Hinter der Fassade des Medienimperiums (mit Hersch Fischler, Ffm. 2004)

Der Ort war das Einzigartige, nicht zu rechtfertigen und nicht gegen Anderes abzuwägen: Genius loci, die Herkunft, der Name, Charakter, das Objekt des Begehrens, Gemeinschaft, Fremdheit, Freundschaft und Feindschaft, die Gründungsgeschichte, der politische Wille: so und nicht anders. Im Schleudergang des Abgleichens, Verbindens und Beschleunigens mutiert das Unvergleichliche zum Programmangebot. Frank Böckelmann

GEMEINSAM MIT ALPHEUS VERLAG BERLIN
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2008

Was sich alles selbst verwirklicht

Gerade in der äußersten Untergangsgefahr sieht der frühere Spontaneist Frank Böckelmann das Abendlandrettende wachsen.

Die Neigung, was uns religiös, geschichtlich, territorial binden könnte, für eine Privatsache zu halten könnte sich allerdings umkehren, wenn die Gewalt auf den Straßen einen bestimmten Grad überschreitet oder die Gerüchte über islamistische Expansionspläne Nahrung erhielten." In sechs etwas unscharf fokussierten Untersuchungen (Fitnesskult, Verlust städtischen Raums, Internetsex, Multikulturalismus, Globalisierung, Europäische Union) erkundet der ehemalige Spontaneist und SDS-Aktivist Frank Böckelmann die Ortlosigkeit des modernen Selbst.

Mit kulturkritischem Pessimismus solle das freilich nichts zu tun haben. Gerade in der äußersten Untergangsgefahr sieht er das Abendlandrettende auch wachsen. Angesichts von Ausländerjugendbanden und Terroristen könnte das wahrhaft Wirkliche "wieder zum Durchbruch kommen, unvorhergesehen, als plötzliche Wende, auf Altgriechisch: katá-strophé". Denn: "Nur eine Kraft, die uns überwältigt, kann uns sagen, wer wir sind."

Anders als Adorno, den er sehr akzentuiert als Erotiker lobt, nennt Böckelmann Heidegger nicht, aber seine Bestimmungen dessen, was in Europa schiefgelaufen ist, werden deutlich von Heideggers Geschichtsphilosophie gelenkt. Unser Geschick sei es, zu Kriegern herabgekommen zu sein, die nichts als den eigenen Marktwert und ihre potentielle Kaufkraft im Sinn haben und deshalb weltflüchtig geworden sind. Wir trainieren unseren Körper, achten auf unser Gewicht, planen unsere Karriere. Entschlossen, nichts zu verpassen, horten wir Möglichkeiten und vergessen dabei, dass wahre Freiheit erst in der verantwortlichen Übernahme der Bindungen bestehen könnte, in denen wir durch Ort und Herkunft stehen. Wahlfreiheit und Selbstbestimmung sind vielmehr zum Wertersatz geworden, doch in Wahrheit hinterlassen sie uns orientierungslos, da es für bestimmte Entscheidungen keine zureichenden Gründe mehr gibt.

Das eigentliche Dasein wäre das begrenzte. Aber unsere historischen Stadtzentren geben Platz nur noch für Konsumparadiese und "finanzkapitalsymbolische Verwaltungsbauten", und bei Festen führt die Tourismuswerbung die Regie. In der Geheimnislosigkeit der virtuellen Welten, im ständigen Besprechen der Sexualität haben wir das Spiel der Verführung, den Ereignischarakter der menschlichen Begegnung hinter uns gelassen. Der multikulturalistische Mythos, so Böckelmann, macht glauben, dass die Entgrenzung ein zurückgestautes Vielfaltspotential an Kontakten und Lebensweisen freisetze, während wahrhafte interkulturelle Begegnung, geprägt von Anziehung und Abstoßung und verwandelter Selbstsicht, fast nirgends stattfindet.

Die ganze Welt wollen wir demnach in die Gleichgültigkeit unseres westlichen Individualismus und Liberalismus hineinziehen. Hinter der Politik steht die Ökonomie, zumal das internationale Finanzkapital. Böckelmanns Szenario: Zunehmend wird das Feld politischer Entscheidung vorbeugend privatisiert, und die Rationalität des Standortvorteils reduziert alle politischen Optionen auf eine abstrakte Überlebenslogik. Wie den selbstbestimmten Individuen geht es den Staaten nur mehr um Wettbewerbsfähigkeit. Sieger sind dabei immer noch die Vereinigten Staaten, der eigentliche politische Souverän Europas. Neben der "Erzählung von Auschwitz" ist es die amerikanische Politik, die ein mächtiges Europa verhindert. Zumal wenn ihr hartnäckiges Betreiben eines EU-Beitritts der Türkei Erfolg hätte, fiele Europa endgültig in die Kleinstaaterei zurück. Aber vielleicht, so Böckelmann, wird der islamische Zangengriff in den Europäern den Todesmut entfachen, aus dem Europa als politischer Ort hervorgeht, wie einst die Polis sich in der Abwehr der Perser festigte und die lateinische Christenheit in der Abwehr der asiatischen Reitervölker und vor allem ebendesselben expansiven Islams. Vielleicht aber werden sie nur sagen: "Lieber moslemisch als tot."

Die Verschwörungstheorie, internationales - immerhin nicht jüdisches - Finanzkapital treibe die Vereinigten Staaten an, Europa durch eine Integration der Türkei zu vernichten, ist etwas seltsam, aber Böckelmanns Argument könnte auch ohne sie dastehen. Nur, was taugt es? Sitzt er nicht dem Metaphorischen in der Rede vom Ort auf?

Gewiss, für wahrhafte Verständigung muss es eine Gemeinsamkeit der Sache und der Sprache geben. Aber mit meiner kurdischen Regisseursfreundin kann ich mich viel besser über Film verständigen als mit Hamburger Schulkameraden, die gar nicht ins Kino gehen. Verkehrssprache mag dabei ein deutsch-türkisches Wirrwarr sein, die filmästhetischen Termini sind klar. Und mit meiner Istanbuler elektronischen Geliebten rede ich über Dinge, die ich in der Kreuzberger Dörflichkeit schon deshalb nicht äußerte, weil sie sofort die Runde machten. Gar nicht in den Blick kommt bei Böckelmann, dass es auch ein Zuviel an Gemeinsamkeit geben kann, obwohl doch jeder Leute kennen dürfte, die schon so lange so eng zusammenleben, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben.

"Fremdheit begünstigt gegenseitigen Respekt, Nähe die Respektlosigkeit." Gewiss, wenn erst einmal viele Deutsche nach Algerien fahren, wird auch da, wie bereits in Marokko, die traditionelle Gastfreundschaft verschwinden. Sollte man deshalb Algerien zu strengen Visabestimmungen raten? Je mehr Leute sich bewegen, umso weniger werden sie nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Kultur, einer Nation Interesse erregen. Was an die Stelle tritt, ist das individuelle Interesse oder Desinteresse am individuellen Interesse des anderen. Das kann der Fußball sein, die neue Sommermode oder die Senkung der Sozialleistungen. Und natürlich kann es auch das Kopftuch sein oder der Minirock. Auch für Böckelmann zeugt die Zunahme der ethnisch motivierten Übergriffe gerade nicht von Fremdheit, sondern von friedloser Angepasstheit und der Provokation des kleinen Unterschieds. Integration durch Konflikt nennen das die Soziologen.

Bei Begegnungen auf der Straße und im Streit um gemeinschaftliche Angelegenheiten können "landsmannschaftliche Bindungen" nicht mehr vorausgesetzt werden. "In der Flut der zehntausend Unterschiede gehen die wesentlichen Unterscheidungen unter." Dazu gehört offenbar nicht die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Für den moralischen Universalismus hat Böckelmann nichts übrig, im Gegenteil stimmt er den Islamisten zu, wenn sie im Toleranzprinzip den Hochmut und die Heimtücke des Westens erkennen. Auch in der Verfolgung des je unterschiedlichen Glücks sieht er nur die das Politische zerstörende Seite.

Im Übrigen interessiert er sich, darin noch ganz der alte Spontaneist, überhaupt nicht für die Institutionen, in denen ein Streit darum geführt werden könnte, was die deutsche oder europäische Gemeinschaft ausmachen soll. Dann aber ist die muslimische Bedrohung tatsächlich das, was nottut, insofern es den einzigen Unterschied herausstellt, der für das Abendland wesentlich ist: nicht der Orient zu sein. Der Rest ist das zuzeiten angenehme Gefühl, an einem Ort zu leben, wo alle die gleiche Sprache sprechen und die gleiche Kleidung tragen und die gleichen Gerichte schätzen und man sich nicht um Verständigung bemühen muss.

GUSTAV FALKE

Frank Böckelmann: "Die Welt als Ort". Erkundungen im entgrenzten Dasein. Karolinger Verlag, Wien, und Alpheus Verlag, Berlin 2007. 312 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gustav Falke setzt sich in seiner Buchkritik mit Frank Böckelmanns Untersuchung der "Ortlosigkeit des modernen Subjekts" auseinander und versucht dessen etwas "unscharf fokussierten" Einwende gegen Multikulturalismus, Entgrenzung, Globalisierung und Sex im Internet nachzuvollziehen. Des "kulturkritischen Pessimismus" könne man den Autor und ehemaligen Spontaneisten schon deshalb nicht bezichtigen, als dass er noch in seinen apokalyptischsten Szenarien einen Aspekt zur Rettung des Abendlandes erkennt, und ganz konform mit der antiken Bedeutung des Wortes, die "Katastrophe" als alles verändernde Wende begrüßt, so der Rezensent. Böckelmanns verschwörungstheoretische Mutmaßung, "internationales Finanzkapital" versuche, durch ein Vorantreiben einer Mitgliedschaft der Türkei Europa zu zerstören, findet der Rezensent zwar etwas merkwürdig. Die Vorstellung aber, dass Europa sich in der Abwehr islamischer Expansion enger zusammenschließen könnte, hat für Falke etwas durchaus Plausibles.

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