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Der Sonnenwächter erzählt einerseits den abenteuerlichen und verschlungenen Lebensweg von Stefan Brückmann, der in den 1920er Jahren als Sohn einer Berlinerin und eines Vaters, der zu den Roma gehört, unweit von Berlin zur Welt kommt. Andererseits schildert er das Leben im kriegszerstörten Deutschland der 1950er Jahre. Zudem ist Haldemans furioser Roman ein Schlüsselroman über den Poeten und Verleger Rainer Maria Gerhardt, einem der wohl bedeutendsten Vermittler zeitgenössischer amerikanischer Literatur und Lyrik im frühen Nachkriegsdeutschland.
Zur Handlung: Nach dem frühen Tod der Eltern
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Produktbeschreibung
Der Sonnenwächter erzählt einerseits den abenteuerlichen und verschlungenen Lebensweg von Stefan Brückmann, der in den 1920er Jahren als Sohn einer Berlinerin und eines Vaters, der zu den Roma gehört, unweit von Berlin zur Welt kommt. Andererseits schildert er das Leben im kriegszerstörten Deutschland der 1950er Jahre. Zudem ist Haldemans furioser Roman ein Schlüsselroman über den Poeten und Verleger Rainer Maria Gerhardt, einem der wohl bedeutendsten Vermittler zeitgenössischer amerikanischer Literatur und Lyrik im frühen Nachkriegsdeutschland.

Zur Handlung: Nach dem frühen Tod der Eltern wächst Stefan Brückmann bei Verwandten des Vaters auf und bereist mehrere europäische Länder, bis er verhaftet und nach Auschwitz deportiert wird. Er überlebt, wird aber nach dem Krieg erneut interniert, dieses Mal in einem amerikanischen Lager für "displaced persons". Dort lernt er Moon, einen ehemaligen GI kennen, der ihn adoptiert und mit dem er in die Vereinigten Staaten reist.
Drei Jahre später beschließt Stefan Brückmann nach Europa zurückzukehren. Sein Weg führt ihn über mehrere Stationen schließlich nach Heidelberg, wo er studiert.
Er verliebt sich in die Witwe eines begabten deutschen Lyrikers, der sich einige Zeit vorher das Leben genommen hat. Als seine Liebe nicht erwidert wird, begibt Brückmann sich auf die Suche nach seinen Wurzeln und seiner Identität.
Autorenporträt
Haldeman, Charles
Charles Haldeman, 1931 in Pickens, South Carolina, als Sohn Deutscher Auswanderer geboren, studierte Geisteswissenschaften in den USA, diente dann bei der US-Navy, bevor er in Heidelberg sein Studium fortsetzte. Mitte der 1950er Jahre reist er durch Europa und lässt sich schliesslich in Athen nieder, wo er an den American Community Schools unterrichtet. DER SONNENWÄCHTER (THE SUN`S ATTENDANT) erscheint 1963 zunächst in England. Es folgen zwei weitere Romane sowie das Drehbuch zu einem Film. Haldeman verstarb 1983.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2015

In Heidelberg, verloren
Eine fulminante Wiederentdeckung: „Der Sonnenwächter“ von Charles
Haldeman schilderte 1963 den KZ-Alltag und die Nachkriegsbohème
VON HELMUT BÖTTIGER
Als dieses Buch 1963 erschien, erhielt es euphorische Kritiken. Es ist kaum glaublich, dass Charles Haldeman heute vergessen ist. „The Sun’s Attendant“ wurde sofort in alle wichtigen europäischen Sprachen übersetzt – aber nicht ins Deutsche. Hier beginnt etwas Rätselhaftes, hier führen abenteuerliche Pfade zurück in eine heimliche Literaturgeschichte, zumal „Der Sonnenwächter“ über weite Strecken im Deutschland der Fünfzigerjahre spielt.
  Der US-Amerikaner Charles Haldeman stammte aus einer deutschen Familie, sein jüdischer Vater hatte in Heidelberg studiert, und diese Herkunft schien etwas Magisches auszustrahlen: Haldeman studierte in den Fünfzigerjahren ebenfalls eine Zeitlang in Heidelberg, bevor er sich 1957 in Griechenland niederließ und als Sprachlehrer durchschlug. Haldeman starb dort 1983 mit 51 Jahren. Es gibt keinerlei Hinweise auf die Entstehungsbedingungen und die persönlichen Erfahrungen, die in seinen fulminanten Debütroman eingegangen sein könnten. Wir haben nur den Text. Und dieser ist für das Jahr 1963 atemberaubend avanciert, mit einer raffiniert konstruierten, aus Bruchstücken zusammengesetzten Form, einer poetisch-assoziativen Sprache und kühnen Perspektivwechseln – ästhetisch vollkommen auf der Höhe seiner Zeit, und im damaligen Deutschland unerhört.
  Die Hauptfigur Stefan Brückmann gehört ungefähr derselben Generation an wie der Autor. Anders als dieser stammt Stefan jedoch nicht aus einer jüdischen, sondern aus einer Roma-Familie. Er ist der Sohn eines über die Lande ziehenden Roma-Angehörigen und einer Berliner Bürgerstochter, die im Alter von 19 Jahren von zu Hause durchbrennt. Das Leben des fahrenden Volks, mit dem der junge Stefan in den Dreißigerjahren durch Europa zieht, ist hier detailreich geschildert – bis hin zum Konzentrationslager, das Stefan nur durch einen puren Zufall überlebt.
  Der Alltag im KZ nimmt in diesem Roman einen größeren Raum ein. Das war im Erscheinungsjahr 1963 noch sehr ungewöhnlich und in Deutschland nahezu unvorstellbar. Und die Darstellung weist weit voraus in die Zukunft: einen Vergleich hat sie nur im „Roman eines Schicksallosen“ von Imre Kertész. Der halbwüchsige Stefan nimmt die Umgebung in Auschwitz als selbstverständlich hin, als Normalität. Er schlägt sich durch, schließt Freundschaften, und vor allem die Erlebnisse in einer dem KZ angeschlossenen, absurden Gärtnerei werfen von einem bizarren Rand her ein charakteristisches Licht auf die Lebensumstände.
  Das zart angedeutete homosexuelle Verhältnis mit dem etwas älteren Hannes, dessen Abhängigkeit von dem undurchsichtigen Funktionär Lokowandt, der ein merkwürdig privilegierter Gefangener zu sein scheint – das ist eine Konstellation, die psychisch stark aufgeladen ist und in ihrer literarischen Ausformung Elemente eines Thrillers entwickelt. Dieser Autor wird nie pathetisch. Aber durch seinen schrägen Realismus wird der Schrecken in jeder Zeile transparent.
  In diesem Roman stecken mehrere Romane, und es gehört zur der stupenden Konzeption Haldemans, dass alles miteinander verwoben ist. Stefan Brückmann erzählt in der ersten Hälfte sein Leben in Form eines Tagebuchs, das ihm von einem Freund in Paris in der Mitte der Fünfzigerjahre abgefordert wird. Nach dem KZ wurde er als „Displaced Person“ zunächst in einem amerikanischen Militärkrankenhaus gepflegt und von einem dort arbeitenden Amerikaner adoptiert. Die daran anschließenden Jahre in den USA werden in wenigen, symbolischen Szenen festgehalten, und der ältere Freund Moon ist in seiner Verzweiflung, seiner Sanftheit und Ausweglosigkeit eine Gestalt, die einiges über die existenzialistische Stimmung dieser Zeit verrät. Stefan brach danach wieder nach Europa auf und stößt als junger Lyriker in Paris auf Immanuel, der ihm nahelegt, sich über seine Biografie Rechenschaft abzulegen. In dem Tagebuch, das Stefan nun schreibt, sperrt er sich lange dagegen, er will sich nicht erinnern. Aus dieser gebrochenen Form erklärt sich die Wirkung des Textes.
  Stefan entschließt sich, nach Heidelberg weiterzureisen. Das Leben der akademischen Bohème dort bildet die zweite Hälfte dieses Romans: mit Dachkammern am Neckar, in denen aus einer diffusen intellektuellen Verlorenheit heraus diskutiert wird, mit der Sehnsucht nach Erlösung, mit abgerissenen Jungliteraten und heimatlosen Professoren, die aus der Emigration zurückgekehrt sind und auf chamäleonhafte Nazi-Kollaborateure stoßen. Man legt einen Würfel Rama-Margarine auf den Tisch und ein paar Scheiben verblichenen Aufschnitts, trinkt Steinhäger und redet sich die Köpfe heiß und leer: „Die Mädchen sehen alle wie aus dem Wasser gezogen aus, und von den jungen Männern trägt keiner eine gut sitzende Hose.“
  Was diesen Roman darüber hinaus für die engere deutsche Literaturszene zur Sensation macht, ist, dass hier nur wenig verschlüsselt eine mythische Figur der unmittelbaren Nachkriegszeit auftaucht, die dennoch real existierte: der junge Lyriker Rainer Maria Gerhardt, der in den Jahren nach 1950 Kontakt zur aktuellen US-Literatur suchte, sich mit Lyrikern wie Charles Olson und Robert Creeley befreundete und in den erschienenen Nummern seiner Zeitschrift fragmenteeine Modernität vorwegnahm, die in der Bundesrepublik erst im Laufe der Sechzigerjahre langsam an Geltung gewann. Gerhardt beging 1954 im Alter von 27 Jahren Selbstmord.
  Die Widmung in Haldemans Roman lautet nun: „Für Renate“, und damit ist Renate Gerhardt, die Ehefrau des jungen Dichters, gemeint. Das Liebesverhältnis, das Haldeman und Renate Gerhardt eine Zeitlang in Heidelberg verband, spiegelt sich im Roman in der Beziehung zwischen Stefan Brückmann und der Dichterwitwe Regina Speer. Als Uwe Pörksen 2007 bei Wallstein das Gesamtwerk Gerhardts edierte, schien es, als wisse man nun alles über diesen Dichter. Pörksen hatte umfassend recherchiert und die spärlichen Lebenszeugnisse restlos zusammengetragen. Nun aber lässt dieser Roman in den Gesprächen Regina Speers mit Stefan Brückmann über Paul Speer diesen Rainer Maria Gerhardt sehr viel plastischer werden: den Alltag seines Lebens, die psychischen und materiellen Schwierigkeiten, bis hin zur unheilvollen Rolle seiner Stiefmutter. Man kann sich vorstellen, dass Renate Gerhardt, als sie das ihr gewidmete Buch las, den Wunsch äußerte, dieser Roman möge nicht in Deutschland herauskommen.
  Aber das bildet nur einen Sonderstrang in diesem außerordentlichen Roman. Am Ende findet Stefan Brückmann in einem fast mystischen Erlebnis seine Herkunft wieder: bei der Begegnung mit halbwüchsigen Roma-Musikern und -Tänzern in einem Jazzclub. Der etwas esoterische Titel „Der Sonnenwächter“ hat mit den Erzählungen der Roma zu tun, die sich Charles Haldeman, der in den USA und Europa lange umherziehende Schriftsteller, anverwandelte. In diesem Buch tritt einem die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf ungeheuer neue Weise vor Augen, in einer mal kristallinen, mal waghalsigen, aber immer dichten und packenden Sprache. Ein Geniestreich.   
Für Deutschland, wo der Roman
damals nicht erschien,
ist dieses Buch eine Sensation
    
  
  
Charles Haldeman, geboren 1931 als Sohn deutscher Auswanderer in South Carolina, starb 1983 in Griechenland.
Foto: Metrolit Verlag
Zwei amerikanische Studentinnen im Heidelberg der
Fünfzigerjahre.
Foto: The LIFE Picture Collection/Getty Images
    
Charles Haldeman:
Der Sonnenwächter. Ein Diptychon. Roman. Metrolit Verlag, Berlin 2015. Aus dem Englischen von Egbert Hörmann und Uta Goridis. Mit einem Nachwort von Martin Meyer. 335 Seiten, 25 Euro. E-Book 19,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2015

Heinrich Böll trifft auf Jack Kerouac

Ein Mosaik der jungen bundesrepublikanischen Übergangsgesellschaft aus Besucherblick: Mit Charles Haldemans "Sonnenwächter" ist ein amerikanischer Debütroman von 1963 neu zu entdecken.

Das Tagesgericht kostet eine Mark zwanzig und ist gebratene Schweineleber mit Röstzwiebeln und Kartoffelbrei. Das muss man sich erst einmal leisten können. Das Tagesgespräch ist ein Artikel über "Kanzler und Kirche", der Fragen zur politischen Moral aufwirft und für kontroverse Stellungnahmen sorgt. Auch die muss man sich erst mal leisten, denn die meisten sind schon mit dem schieren Überleben völlig ausgelastet. Man schlägt sich täglich durch, bewohnt zugige Dachkammern zur Untermiete, ist ausgezehrt und abgemagert und hungert außer nach der Schweineleber fast noch mehr nach Weltanschauungskost sowie moderner Dichtkunst. So schreibt man Gedichte, gründet Zeitschriften, verschlingt "The Black Mountain Review" und übersetzt. Zur gemeinschaftlichen Lesung von "The Waste Land" versammeln sich die Lyrik-Liebhaber in Scharen, auf dem Boden hockend und die Kriechkälte mit abgewetzten Wintermänteln abwehrend. Und nach seiner Philosophievorlesung lädt der Professor noch zu sich nach Hause, um das Gespräch angeregt fortzusetzen. Wir befinden uns Mitte der fünfziger Jahre in Heidelberg, einer deutschen Universitätsstadt der Nachkriegszeit.

Dort herrscht eine Atmosphäre aus Wirtschaftswunderseligkeit und Alltagsmisere, intellektueller Aufbruchsstimmung und provinzieller Nabelschau, nachholender Hoffnung auf Weltverbindungen und ernüchternder Erfahrung unveränderter Begrenztheit. Vermittelt wird uns dieses eigentümliche Milieu in einem Erzählkaleidoskop aus kurzen Passagen, teilweise satirisch zugespitzt, teilweise pathetisch aufgeladen, einige in Brief- oder Berichtsform, andere aus überhöhter Perspektive dargeboten - eine dichte Folge prägnanter Skizzen, zuweilen nur einen knappen Absatz lang, zuweilen ein paar Seiten, durchsetzt von reinen Dialogpassagen sowie fiebrigen Traumprotokollen und mit wunderlichen Zwischenüberschriften versehen, wie "Speläologie", "Kamakura" oder "Die unüberschreitbaren Grenzen des menschlichen Körpers sind einfach nur schrecklich". Alles reichlich rätselvoll. Und doch entsteht bei der Lektüre solch ein Sog, dass man diesen Roman, sofern man überhaupt so weit gekommen ist, ab jetzt kaum mehr aus der Hand legt.

Es handelt sich bei "Der Sonnenwächter" um die späte Wieder- oder, genauer gesagt, Neuentdeckung eines amerikanischen Debütromans, der 1963 zuerst in London erschien, ein Jahr später in New York und seinerzeit ein wohlwollendes, zum Teil euphorisches Kritikerecho auslöste, bei uns jedoch ganz unbeachtet blieb. Er erzählt das bewegte Leben eines Waisenkinds der Weltgeschichte, Jahrgang 1929, Sohn eines Zigeuners und einer Berlinerin, der, von den Nazis deportiert, Auschwitz überlebt, nach dem Krieg von einem amerikanischen Wohltäter erst adoptiert und dann missbraucht wird, anschließend nach Paris und Heidelberg gelangt, sich dort in Affären verstrickt und die Selbstsuche fortsetzt. Sein Autor, Charles Haldeman (1931 bis 1983), war Sohn eines deutschen Vaters und verbrachte nach dem Weltkrieg einige Semester in Heidelberg, bevor er sich 1957 in Griechenland niederließ. Dort fand er, neben einer Anstellung als Lehrer, bald zum Schreiben und verfasste drei Romane sowie ein paar Drehbücher. Nachdem sein Debüt schon in den sechziger Jahren in etliche europäische Sprachen übersetzt wurde, lädt jetzt der Metrolit Verlag zur späten deutschen Erstlektüre ein.

Der Eindruck reicht von Faszination bis Entnervtheit. Fesselnd ist der zweite Teil, der eine Collage deutscher Nachkriegswirklichkeit entwirft und einen bizarren Reigen an Figuren aufbietet: Kriegsheimkehrer, Schicksalsversehrte, Lagertraumatisierte, Korpsstudenten, Austauschstudenten, Amerikaner, Fräuleins mit grünlackierten Fingernägeln, Funktionsträger mit Entnazifizierungsschein, Studienräte, die dem Alkohol verfallen, Zimmerwirtinnen, die morgens Muckefuck servieren - alle so knapp wie scharf gezeichnet. Der erste Teil dagegen enthält Aufzeichnungen, in denen die Hauptfigur ihr früheres jahrelanges Wanderleben - als Zigeunerkind, Halbarier, Lagerinsasse, Flüchtling, Adoptivsohn, Liebhaber, Lyriker und ständiger Selbstsucher - in tagebuchartigen Einträgen festhält.

Das ist oftmals leider schwer erträglich. Denn statt der Fokussierung auf einen zentralen Ort, der in sein soziales Spektrum aufgefächert wird, bietet diese erste Hälfte ein heftiges Schauplatz- und Geschichtengewimmel, episodisch ausgebreitet, aber zahnlos, und statt pointierter Prosa eine faule Mischung aus expressionistisch aufgeladenen Passagen ("Auf den Zehenspitzen ihrer knochenschwachen Erinnerung ist sie in identischen Garnrollen verloren, der fünfte abgespulte Schwan der zweiten Reihe"), pubertärer Gefühligkeit ("Monatelang existierten unsere Körper nur als ambulante Hohlräume voller Echos und vernehmbar pulsierendem Blut, als die Streckbänke kurzer Tage, auf denen sie zerbrachen"), sentenziösem Geschwurbel ("die Freiheit eines Kindes ist etwas anderes: selbstverständlich, zerbrechlich, ausgeübt und nicht innerlich wahrgenommen"), KZ-Kitsch ("ein intaktes Refugium, ein Modell des Universums"), vielen Stilblüten und angestrengter Selbstreflexion (Beispiele hierfür seien erlassen).

Natürlich fällt das zuerst auf die Hauptfigur zurück und mag ihrer Charakteristik dienlich sein. Aber es bleibt doch am Autor hängen, der ihr Stimme und Kontur gibt, aber herzlich wenig Überzeugungskraft. Überdies will er sein sperriges, fortwährend nach Tiefsinn strebendes, letztlich jedoch ziemlich ungereimtes Erzählwerk auch noch auf ein Symbolsystem astronomischer Begrifflichkeiten bringen (das irgendwie auch den seltsamen Titel erklärt - wie genau, bleibt unklar) und obendrein als Bildwerk präsentieren (ein "Diptychon" mit zwei "Paneelen" und einem "Scharnier"). Das aber ist des Guten entschieden zu viel und vor allem viel zu bemüht.

Was von diesem Romanfindling aus fernen Zeiten daher einzig in Erinnerung bleibt, ist sein Mosaik der jungen bundesrepublikanischen Übergangsgesellschaft, die der Erzähler ruhelos durchstreift und wie in Schnappschüssen festhält. Das liest sich streckenweise so, als sei der frühe Heinrich Böll zusammen mit Jack Kerouac durch Heidelberg gefahren. Kennern der deutschen Literatur jener Zeit mag zusätzlich noch von Interesse sein, dass diese Passagen sich zum Teil als Schlüsselroman lesen und historisches Personal auftreten lassen. Vor allem geht es um die unglückliche Lebensgeschichte des Lyrikers, Übersetzers und Verlegers Rainer Maria Gerhardt, Entdecker und Vermittler der amerikanischen Avantgarde, der sich mit 27 Jahren das Leben nahm. Andersch hat ihm 1954 einen Nachruf, Enzensberger in "Verteidigung der Wölfe" ein Gedicht gewidmet. Haldeman, der sich mit seiner Witwe anfreundete, zeichnet aus ihrer Sicht ein durchaus bewegendes Porträt dieses Genies, das an der Stumpfheit seiner Zeit zerbricht - Spiegelfigur zugleich des Romanautors.

Alles in allem gewiss eine Entdeckung. Im Unterschied zu "Stoner" aber (an den die stärkeren Erzählstrecken entfernt erinnern) keine, die man lesen muss.

TOBIAS DÖRING

Charles Haldeman:

"Der Sonnenwächter". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann und Uta Goridis, mit einem Nachwort von Martin Meyer. Metrolit, Berlin 2015. 336 S., geb., 25,- [Euro].

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"In diesem Buch tritt einem die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf ungeheure Weise vor Augen, in einer mal kristallinen, mal waghalsigen, aber immer dichten und packenden Sprache. Ein Geniestreich." Süddeutsche Zeitung Platz 2 der SWR-Bestenliste im Juli/August 2015 "Das liest sich [...] so, als sei der frühe Heinrich Böll zusammen mit Jack Kerouac durch Heidelberg gefahren." Frankfurter Allgemeine Zeitung "Eine literarische Entdeckung für Deutschland ist Der Sonnenwächter von Charles Haldeman." BuchMarkt "Das Buch passte in seiner Entstehungszeit in kein Schema, spielte es doch mit den zeitgenössischen Formen des Fragments, der offenen Fragen. [...] Jetzt ist es eine Wiederentdeckung." Deutschlandradio Kultur "Man liest den Roman wie ein Dokument, das unerwartet aus der Vergangenheit zu uns herüberragt, und der Leser selber wird zu einem Zeitreisenden in eine uns seltsam ambivalent und fern scheinende Nachkriegsmoderne." WDR 3 "Der Text trifft dich mit einer Wucht, wie ich es selten erlebt habe." FluxFM "Der Sonnenwächter ist mehr als ein neuer Roman, es ist Literatur in Vollendung." Times Literary Supplement "Sehr stark und mächtig. [...] das hat mich wirklich fasziniert." Gerwig Epkes auf SWR 2 "Wie wichtig und literarisch gelungen!" RBB Radio Eins "Wie eine Blüte öffnet sich dieser Roman bei jeder Lektüre ein bisschen weiter, wird von Mal zu Mal schöner und prächtiger. Und ja, man liest die vielen eindrucksvollen Stellen dieses aus Seelensplittern zusammengepuzzelten Textes mehrmals, weil man sich einfach nicht von ihnen trennen mag." Maik Brüggemeyer, Rolling Stone "Der Sonnenwächter ist ein grandios komponiertes Puzzle" Jürgen Lentes, Kreuzer…mehr