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Das Auswärtige Amt und seine Diplomaten in der jungen Bundesrepublik: über Traditionen, Anpassung und Umdenken.Als das Auswärtige Amt 1951 offiziell wiedergegründet wurde, stand es nicht nur dem Namen nach, sondern auch institutionell und personell in der Tradition des alten Außenministeriums der Berliner Wilhelmstraße. Wie keine andere Behörde repräsentierte das Amt Kontinuitätslinien, die aus dem Kaiserreich über die NS-Zeit bis in die Bundesrepublik reichten. Dennoch entwickelte sich ein Auswärtiger Dienst, der bald für eine neue deutsche Diplomatie stand und sich einer Außenpolitik…mehr

Produktbeschreibung
Das Auswärtige Amt und seine Diplomaten in der jungen Bundesrepublik: über Traditionen, Anpassung und Umdenken.Als das Auswärtige Amt 1951 offiziell wiedergegründet wurde, stand es nicht nur dem Namen nach, sondern auch institutionell und personell in der Tradition des alten Außenministeriums der Berliner Wilhelmstraße. Wie keine andere Behörde repräsentierte das Amt Kontinuitätslinien, die aus dem Kaiserreich über die NS-Zeit bis in die Bundesrepublik reichten. Dennoch entwickelte sich ein Auswärtiger Dienst, der bald für eine neue deutsche Diplomatie stand und sich einer Außenpolitik verpflichtete, die konsequent mit der Vergangenheit brach.Andrea Wiegeshoff fragt, wie der Aufbau eines neuen Amts überhaupt gelingen konnte und nimmt dabei besonders die Diplomaten der jungen Bundesrepublik in den Blick. Die Autorin spürt anhand von 30 ausgewählten Akteuren des Diplomatischen Dienstes den Wandlungs- und Anpassungsprozessen im Bonner Amt der 50er und 60er Jahre nach. Sie erzählt keine Erfolgsgeschichte, sondern legt ambivalente und komplexe, individuelle wie institutionelle Entwicklungen frei, beschreibt das Zusammenspiel von aufrichtigem Umdenken, opportunistischer Anpassung und dem unbeeindruckten Festhalten an traditionellen Annahmen und Gewohnheiten. Es wurde umgelernt im Bonner Amt, allerdings nur »etwas«.
Autorenporträt
Andrea Wiegeshoff, geb. 1979, studierte Geschichte in Marburg und Paris. Sie arbeitete als Koordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amtes. Seit 2012 ist sie Referentin für den deutschen Wissenschaftsrat.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine neue Richtung in der Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit politischer Entscheider im Nachkriegsdeutschland weist diese Untersuchung der Historikerin Andrea Wiegeshoff laut Manfred Görtemaker. Der Rezensent attestiert der Autorin sowohl die richtigen Fragen zu stellen, als auch überzeugende Erklärungen dafür anzubieten, wie die ideelle Neuorientierung im Auswärtigen Amt nach '45 vonstatten ging. Dass Wiegeshoff weder die SS- und NSDAP-Belastung der Diplomatenschaft bestreitet noch die Traditionen im AA, sondern nüchtern und differenziert anhand einzelner Diplomatenbiografien den Wandel nachvollzieht, erscheint Görtemaker als der richtige Weg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2013

Umgedacht und angepasst
"Neuer" Auswärtiger Dienst: Wilhelmstraßen-Männer als Adenauer-Diplomaten

Zahlreiche Historikerkommissionen sind gegenwärtig damit befasst, das Erbe des Nationalsozialismus in den Ministerien und ihren nachgeordneten Einrichtungen in der Bundesrepublik zu untersuchen. Eine "Stunde Null", so lässt sich das Ergebnis schon jetzt resümieren, gab es auch in den zentralen Bereichen des Regierungshandelns nicht. Umso wichtiger erscheint die Frage, weshalb sich die Bundesrepublik ungeachtet der historischen Belastungen zu einem florierenden Gemeinwesen entwickeln konnte, dessen demokratische Grundhaltung zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage stand.

Andrea Wiegeshoff, die als Koordinatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der "Unabhängigen Historikerkommission zur Geschichte des Auswärtigen Amtes" maßgeblich bei der Herausgabe des Bandes "Das Amt und die Vergangenheit" mitwirkte, hat dazu jetzt einen erhellenden Beitrag geliefert. Ebenso differenziert wie nüchtern beschreibt sie den "Lernprozess", den die Angehörigen des AA nach 1945 durchmachten und der zum Aufbau eines neuen Auswärtigen Dienstes führte, der fest in das demokratische Institutionen-Gefüge der Bundesrepublik eingebunden ist. Grundlage der Untersuchung sind die Biographien von 30 Diplomaten, die von der Wiedergründung des Amts 1951 bis 1969 als Botschafter oder Staatssekretäre tätig waren. Im Mittelpunkt stehen nicht Strukturen, sondern Menschen: handelnde Personen, die sich nach 1945 in veränderter Umgebung neu zu orientieren suchten. An ihrem Beispiel lässt sich zeigen, wie die subjektiven und kollektiven Lernprozesse im Amt verliefen und wie sich damit auf individueller Ebene der Übergang zu einem demokratisch kontrollierten und multilateral-kooperativ ausgerichteten Auswärtigen Dienst vollzog.

Was an dem Buch vor allem besticht, ist die Tatsache, dass es das Ausmaß der Belastung der nationalsozialistischen Diplomatenschaft an keiner Stelle bestreitet, darüber hinaus aber auf die langfristigen Traditionen und Prägungen im AA verweist, die sich in der Bundesrepublik mit neuen Erfahrungen und Bedingungen mischten. So spielten ehemalige Wilhelmstraßen-Diplomaten im AA von Anfang an eine führende Rolle. Als Faustregel galt: Je höher die Dienstränge, desto größer der Anteil alter Diplomaten. Nicht weniger als 64,3 Prozent der exponierten Positionen im AA waren zwischen 1949 und 1955 mit Wilhelmstraßen-Männern besetzt. Mehr als ein Drittel der Diplomaten im höheren Dienst des AA waren zudem ehemalige NSDAP-Mitglieder. Ihre absolute Zahl stieg im Zuge des allgemeinen Personalaufwuchses von ursprünglich 58 auf mindestens 325 im Jahr 1954 an. Nicht wenige von ihnen besaßen überdies eine SS-Vergangenheit. Schon 1951 wurde deshalb ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, der sich mit der Personalpolitik des Amts befasste.

Diese Entwicklung war jedoch kein Spezifikum des AA. Der Rückgriff auf altes Personal kennzeichnete den Aufbau aller Bundesbehörden. Er war politisch gewollt. Sogar das Grundgesetz enthielt in Artikel 131 die Verpflichtung, ehemaligen Angehörigen des öffentlichen Dienstes die berufliche Wiedereingliederung zu ermöglichen. Bemerkenswert an der Untersuchung ist indessen der Befund, dass zumindest im Auswärtigen Dienst die NS-Vergangenheit für das Handeln der betreffenden Personen offenbar keine entscheidende Rolle spielte.

Abgesehen davon, dass die Prägungen und Dispositionen der Diplomaten häufig weiter zurückreichten als in die Zeit des Nationalsozialismus, erwiesen sich das Trauma der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der Untergang der nationalsozialistischen Diktatur in aller Regel als heilsamer Schock. Eine verbreitete Desillusionierung und die Diskreditierung alter Werte und Vorstellungen bereiteten den Boden für eine Lernbereitschaft, die zu einer weitreichenden politischen Neuorientierung führte. Daraus resultierte nicht nur eine Annäherung an die angloamerikanische Welt, sondern auch die vorbehaltlose Bejahung der Bundesrepublik sowie ihrer Demokratisierung und Verwestlichung.

Im ständigen Kontakt mit ausländischen Kollegen, eingebunden in multilaterale Institutionen und in den eigenen Handlungsmöglichkeiten eng begrenzt durch den Rahmen des Ost-West-Konflikts, vollzogen die deutschen Diplomaten eine ideelle Umorientierung, nach der für sie an der Notwendigkeit der Westbindung der Bundesrepublik kein Zweifel bestand. Sie passten sich also den neuen Bedingungen an - und zwar gleichgültig, ob sie aus der alten Wilhelmstraße kamen oder neu in das Bonner AA eingetreten waren. Der Antikommunismus wirkte dabei nur als "Türöffner" zum Westen. Denn auch die tief sitzenden antiwestlichen, antiliberalen Ressentiments, die vor 1945 in Deutschland so mächtig gewesen waren, wichen zunehmend einem westlichen Demokratieverständnis, das letztlich zu einer Abkehr von traditionellen Selbstbildern einer eigenen "deutschen Rolle" beitrug.

Die neuen politischen Rahmenbedingungen bewirkten also eine "pragmatische Neujustierung", die dazu verhalf, den Weg an der Seite des Westens zu finden. Andrea Wiegeshoff zeichnet diesen Weg überzeugend nach. Allerdings macht ihr Buch ebenfalls deutlich, dass der Anpassungsprozess keineswegs bruchlos verlief. Aufrichtiges Umdenken und opportunistische Anpassung gingen häufig mit dem Festhalten an traditionellen Annahmen und Gewohnheiten einher. Wie hätte es anders sein sollen? Die Bundesrepublik war keine Neugründung auf grüner Wiese, sondern ein Neuanlauf, der vielfältige historische Wurzeln besaß. Gerade diese vielschichtige Betrachtungsweise ist es aber, die dieses Buch so lesenswert macht. Auch wenn es, bedingt durch die Systematik des Aufbaus, einige Redundanzen aufweist, stellt es nicht nur die richtigen Fragen, sondern bietet auch Antworten und Erklärungen, die der Diskussion über die nationalsozialistische Vergangenheit politischer Entscheidungsträger in der Nachkriegszeit eine neue Richtung weisen.

MANFRED GÖRTEMAKER.

Andrea Wiegeshoff: "Wir müssen alle etwas umlernen". Zur Internationalisierung des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland 1945/51-1969. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 477 S., 42,- [Euro].

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»ein erhellender Beitrag« (Manfred Görtemaker, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.2013)