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Der Namensstreit mit der Republik Makedonien vor dem Hintergrund der griechischen Nachkriegsgeschichte. Die Unabhängigkeitserklärung der Sozialistischen Republik Makedonien von Jugoslawien 1991 löste im benachbarten Griechenland eine Protestwelle aus. Die angrenzende griechische Region Makedonien beanspruchte den Namen für sich. Die Makedonische Frage dominierte seitdem die Innen- und Außenpolitik Griechenlands und beeinflusste dessen Haltung in der Jugoslawien-Krise stark. Bis heute verlangt Athen von der Republik Makedonien eine Änderung ihres offiziellen Namens. Angesichts der zunehmenden…mehr

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Produktbeschreibung
Der Namensstreit mit der Republik Makedonien vor dem Hintergrund der griechischen Nachkriegsgeschichte. Die Unabhängigkeitserklärung der Sozialistischen Republik Makedonien von Jugoslawien 1991 löste im benachbarten Griechenland eine Protestwelle aus. Die angrenzende griechische Region Makedonien beanspruchte den Namen für sich. Die Makedonische Frage dominierte seitdem die Innen- und Außenpolitik Griechenlands und beeinflusste dessen Haltung in der Jugoslawien-Krise stark. Bis heute verlangt Athen von der Republik Makedonien eine Änderung ihres offiziellen Namens. Angesichts der zunehmenden makedonischen Anstrengungen, Mitglied der NATO und der EU zu werden, gewinnt der Namensstreit erneut an Brisanz. Adamantios Skordos beleuchtet die Rolle des Griechischen Bürgerkriegs in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre sowie seiner späteren geschichtspolitischen Vereinnahmungen für die Haltung der Griechen 1991. Auf breiter Quellengrundlage analysiert er, wie die Makedonische Frage die unmittelbare Bürgerkriegswahrnehmung beeinflusste, welche Stellung sie in der antikommunistisch und antislawisch geprägten Erinnerungskultur der Sieger einnahm und wie im Zuge des politischen Umbruchs von 1974 eine folgenreiche De-Makedonisierung des kollektiven Bürgerkriegsgedächtnisses erfolgte.
Autorenporträt
Adamantios Theodor Skordos, geb. 1978, Privatdozent für European Studies an der Universität Leipzig sowie wissenschaftlicher Referent am dortigen Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO). Preisträger der Research Academy Leipzig und der Südosteuropa-Gesellschaft.Veröffentlichungen u. a.: Heimliche Freunde. Die Beziehungen Österreichs zu den Diktaturen Südeuropas nach 1945: Spanien, Portugal, Griechenland (Mitautor, 2016); Leipziger Zugänge zur rechtlichen, politischen und kulturellen Verflechtungsgeschichte Ostmitteleuropas (Mithg., 2015); Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945-1992 (2012).

Hannes Siegrist, geb. 1947, emeritierter Professor für Vergleichende Kultur- und Gesellschaftsgeschichte des modernen Europa an der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkt: Geschichte der besitzenden und gebildeten Mittelklassen im internationalen Vergleich.

Stefan Troebst, geb. 1955, Osteuropahistoriker und Slavist, ist Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und stellv. Direktor des dortigen Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit diesem Buch des griechisch-österreichischen Historikers Adamantios Skordos begreift Michael Martens die außenpolitischen Ziele der Griechen vor allem in der Mazedonien-Frage etwas besser, für irrational hält er sie dennoch. Die These des Autors, der die aktuelle griechische Mazedonien-Politik wesentlich auf den griechischen Bürgerkrieg bis 1949 zurückführt, scheint Martens in diesem Buch überzeugend dargelegt. Ihr zufolge steht am Beginn der Problematik die offizielle Athener Erinnerungs- beziehungsweise Verdrängungspolitk bezüglich der deutsch-italienisch-bulgarischen Besatzung und der slawischen Beteiligung (auf Seiten der griechischen Kommunisten) am folgenden Bürgerkrieg. Die Sozialisation der aktiven griechischen Politikergeneration zu jener Zeit erhält im Hinblick auf die Mazedonien-Politik für Martens neue Bedeutung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.06.2012

Gehirnwäsche aus dem Geist
des Nationalismus
Adamantios Skordos erklärt, was die Griechenlandkrise
mit der fatalen Geschichtspolitik des Landes zu tun hat
Was, um Himmels willen, ist los mit Europa? Ausgerechnet Griechenland und Italien, die beiden Gründermächte der europäischen Zivilisation, präsentieren sich heute als heruntergekommene Chaos-Staaten: Von ihren schauderhaften ökonomischen Folgen abgesehen, stellt diese bittere historische Pointe der Euro-Krise ja nicht nur den nationalen Stolz der Betroffenen, sondern auch das Selbstbewusstsein des Abendlands heftig in Frage.
Andererseits: Beruht dieser Befund womöglich nur auf einem Missverständnis, das allerdings gerade in Krisenzeiten von den betroffenen Ländern leidenschaftlich genährt wird? Was hat das heutige Italien mit dem alten Rom, was hat Griechenland mit dem Hellas der Antike gemein?
Dass solche Fragen alles andere als spitzfindig sind, macht der Blick auf das – historisch relativ junge – Phänomen des Nationalismus klar. In seinem berühmten Vortrag an der Sorbonne „Was ist eine Nation?“ konstatierte Ernest Renan 1882 einerseits, in der Antike habe es noch keine Nationen gegeben – und beschrieb andererseits sowohl ein gemeinsames „Erbe an Erinnerungen“ wie den gegenwärtigen „Wunsch zusammenzuleben“ und „das Erbe hochzuhalten“ als die konstitutiven Elemente heutiger Nationen.
Wird freilich Geschichte als Erinnerungskultur gesehen, lässt sie sich politisch instrumentalisieren. Das birgt erhebliche Risiken: Der Drang nach historischer Selbstvergewisserung kann nicht nur das Bemühen der nationalen Geschichtswissenschaft um Objektivität untergraben, er kann auch die politischen und gesellschaftlichen Fundamente eines Nationalstaats beschädigen. Wie sich das in Griechenland abgespielt hat, zeigt Adamantios Skordos in seiner brillanten Untersuchung über Griechenlands „Makedonische Frage“ und deren Einfluss auf die griechische Identitätsbildung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Für die Entwicklung eines überschwänglichen Nationalgefühls gab der Rückblick auf die griechische Geschichte einigen Anlass: Von 146 vor Christus an gehörte das Land zum Römischen Reich, später zum Byzantinischen Reich und noch später geriet es nach und nach unter die Herrschaft des türkischen Osmanenreichs. Erst die 1821 beginnende griechische Revolution führte zur Bildung eines eigenständigen Staates Griechenland.
Das Territorium des neuen Staats blieb dabei auf die mittleren und südlichen Teile des heutigen Griechenland beschränkt; es fehlte nicht zuletzt das seit Jahrhunderten im Schnittpunkt von slawischer, byzantinisch-osmanischer und hellenischer Kultur liegende Makedonien.
Zudem war es mit der Unabhängigkeit des neuen Staats nicht weit her, dem Europas Großmächte nicht nur eine monarchische Verfassung, sondern dazu gleich noch, in der Person des bayerischen Prinzen Otto, einen landesfremden Monarchen aufzwangen. Aus heutiger Sicht besonders bemerkenswert an dieser Maßnahme war ihre ökonomische Begründung: Schon um 1830 konnte das überschuldete Land nur durch umfangreiche Auslandskredite am Leben gehalten werden.
Die Bevormundung Griechenlands bewirkte, dass die Sehnsucht nach einem nationalen Freiheitskampf auch im neu gegründeten Staat fortlebte. Die griechische Selbstbehauptungsideologie wurde mit wechselnden, stets mit großer emotionaler Wucht konstruierten Feindbildern unterfüttert. Daran änderte auch der Sturz Ottos I. im Jahr 1862 nichts, im Gegenteil: Der Gewinn an innenpolitischer Souveränität beflügelte alte Ansprüche auf ein Griechenland, das weit über Makedonien hinaus große Teile des Balkans, die ägäische Nordküste samt Konstantinopel und Zypern einschließen sollte.
Mit dem Ende der Balkankriege 1913 schienen zumindest Teile dieser Idee dauerhaft realisiert zu sein. Nachdem Thessalien bereits 1882 vom Osmanischen Reich an Griechenland abgetreten worden war, kamen nun noch Epirus und der südliche Teil Makedoniens dazu.
Skordos’ Untersuchung setzt mit einem kurzen Rückblick auf diese Entwicklung bis 1945 ein. Dass sie erst hier einsetzt, bedarf einer Begründung – indem Skordos sie liefert, nennt er zugleich eine der Kernthesen seines Buchs: Der in Makedonien besonders erbittert geführte griechische Bürgerkrieg, die erstmalige Entstehung eines makedonischen Staates (der späteren jugoslawischen Teilrepublik Makedonien) und vor allem die Verknüpfung der makedonischen Frage mit dem rasch eskalierenden Ost-West-Konflikt bewirken in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre eine entscheidende Zäsur. Erst die Ereignisse dieser Zeit, so Skordos, machen den von außen gesehen nahezu absurd hohen Stellenwert erklärbar, den die makedonische Frage für die politisch kulturelle Entwicklung Griechenlands über die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einnimmt.
Skordos spricht von einer „Makedonisierung“ Griechenlands. Schritt für Schritt zeigt seine Untersuchung, wie die nach dem Bürgerkrieg herrschende Klasse diese Makedonisierung nicht nur als ideologischen Rahmen für die Entwicklung antislawischer wie antikommunistischer Denk- und Handlungsmuster, sondern auch als Instrument für die Ausgrenzung und Unterdrückung ihrer politischen Gegner nutzte.
Im Zentrum des Buches steht die Ideologie-Arbeit, die jene Politik ermöglichte, mit all ihren antidemokratischen Zuspitzungen, ihrer nicht selten aggressiven Unsensibilität für gesellschaftliche Prozesse und Notwendigkeiten und schließlich ihrem vollständigen fiskalischen Versagen.
Natürlich konnte Skordos die näheren Umstände der griechischen Finanz- und Staatskatastrophe nicht voraussehen. Umso eindrucksvoller ist seine Darstellung, die plausibel macht, wie sich die Krise entwickeln konnte. Skordos schildert, was mit der „Makedonisierung“ beabsichtigt war und wie sie umgesetzt wurde. Er betrachtet die Organisationsstrukturen der staatlichen Propaganda, die Gründung und Finanzierung historischer und soziologischer „Forschungs“-Institute und, nicht zuletzt, die Rolle der überregionalen und lokalen Presse.
Verkürzend wird man bei all dem – was Skordos selbst vermeidet – von einer permanenten und umfassenden Gehirnwäsche sprechen dürfen. Gefährlicher als ihr imperialistischer, auf territoriale Erweiterung abzielender Zug war (nicht nur im Lichte des aktuellen Staats-Infarkts) ihre lähmende Wirkung auf ein ursprünglich an individueller Freiheit und Menschenrechten orientiertes politisches Bewusstsein. Das führte dazu, dass der ständige Kampf gegen „national unzuverlässige“, also gegen alle als slawen- oder gar kommunistenfreundlich betrachteten und schließlich gegen alle systemkritischen Kräfte im politischen Alltag als normal empfunden wurde.
Nicht einmal Exzesse stießen auf ernsthaften politischen Widerstand: So wurde die Todesstrafe wegen „Hochverrat“ einem jeden „Kommunisten“ angedroht sowie jedem, „der die Abtrennung griechischer Gebiete bezweckt“. Erst 1993, als die Todesstrafe ganz abgeschafft wurde, hatte sich diese Drohung erledigt.
Angesichts solcher Umstände erscheint denn auch die mit dem Putsch 1967 eingeleitete Militärdiktatur der Obristen weniger als Bruch denn als zwangsläufiges Resultat einer nachhaltigen Beschädigung rechtsstaatlicher Strukturen. „Hinter der Fassade der königlichen parlamentarischen Demokratie“, so Skordos, „agierte ein äußerst repressiver Staatsapparat.“ Er agierte an der Verfassung vorbei, durch Sonderdekrete und „Notgesetze“. Ganz folgerichtig bezeichneten bereits die Zeitgenossen jener Jahre dieses wild wuchernde, immer neue Giftblüten treibende Normensystem als „Parasyntagma“ (Nebenverfassung), die in einem „Parakratos“ (Neben- oder Parallelstaat) herrschte. Nachdem die Verfassung lahmgelegt war, breitete sich ein Geflecht aus entweder rechtsradikalen oder einfach nur an Einzelinteressen orientierten Organisationen und Netzwerken aus.
Dass und wie die Makedonisierung das politische System Griechenlands auch über das Ende der Obristenherrschaft hinaus dauerhaft beschädigen konnte, zeigt Skordos am Ende seiner Untersuchung: Statt sich mit der verheerenden Wirkung der Verknüpfung von nationaler Identitäts-Propaganda und antidemokratischer Praxis auseinanderzusetzen, wurde das Thema später tabuisiert, dabei taten sich auch und gerade die sozialistischen Regierungen hervor. Und für die Kommunisten war der unerschütterliche, also de facto undifferenzierte griechische Patriotismus in der makedonischen Frage der Preis für ihre Legalisierung und Wiedereingliederung ins politische System.
Kein Wunder daher, dass nach dem Zerfall Jugoslawiens die Gründung eines unabhängigen, nicht-griechischen Staats namens Mazedonien im Jahr 1991 die griechische Öffentlichkeit sozusagen kalt erwischte. Die Schockstarre ist noch immer nicht gelöst; so verhindert ein griechisches Veto aus dem Jahr 2008 bis heute die Aufnahme der von Griechenland beharrlich sogenannten Republik Skopje in die Nato. Von außen darf man diese diplomatische Affäre gewiss nur noch komisch finden; doch selbst als Satyrspiel führt sie die enorme Bedeutung von Erinnerungskultur und Geschichtspolitik als Instrumenten zur Steuerung oder auch Zerstörung realer politischer Strukturen drastisch vor Augen.
Gründlicher und spannender als Skordos dies anhand der Makedonischen Frage getan hat, lässt sich die fatale Verschränkung von Geschichte und Politik kaum nachweisen. Weit über die Disziplingrenzen der griechischen Geschichte hinaus darf sein Buch als Standardwerk bezeichnet – und vor allem: gelesen – werden.
RAINER STEPHAN
ADAMANTIOS SKORDOS: Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945-1992. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 440 Seiten, 39,30 Euro.
Der Autor Rainer Stephan war fast dreißig Jahre lang Redakteur bei der SZ.
Prinz Otto wurde den Griechen
als König vor die Nase gesetzt,
weil das Land überschuldet war.
Nicht einmal gesetzgeberische
Exzesse stießen auf ernstlichen
politischen Widerstand.
Griechenland war so erpicht auf Territorien, die ihm nicht mehr gehörten, dass man übersah, was sich in Athen zusammenbraute. Zeichnung: Hurzlmeier
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2012

330 vor und 1949 nach Christus
Die Ursprünge des Streits zwischen Griechenland und Mazedonien

Im Jahr 1991 wurden Griechen in aller Welt von einer rätselhaften Krankheit erfasst: der Mazedonien-Hysterie. Mit einer für Außenstehende unverständlichen Aggressivität beharrten sie darauf, dass Mazedonien, der südlichste aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorgegangene Staat, nicht Mazedonien heißen dürfe. Dieser Name gebühre nämlich allein den Griechen beziehungsweise der gleichnamigen Provinz im Norden Griechenlands.

Binnen Monaten kam es zu einer völligen "Makedonisierung" der griechischen Öffentlichkeit. Die staatliche Fluglinie Olympic Airways gründete ein Tochterunternehmen namens Macedonian Airlines, mit dem sogenannten Stern von Vergina als Logo, einem Symbol der antiken Makedonier. Armbinden mit diesem Stern wurden zum Verkaufsschlager. Die Flughäfen von Kavala und Thessaloniki wurden in "Alexander der Große" und "Makedonien" umbenannt. Ein Hafen an der thrakischen Küste hieß fortan "Philipp der Zweite". Die griechische Post gab Makedonien-Sondermarken heraus. Hunderttausende demonstrierten in Athen und Thessaloniki unter der Losung "Makedonien ist griechisch" gegen den Namen des Nachbarstaates. Staatspräsident Karamanlis - Tränen in den Augen, mit zittriger Stimme, ein Schluchzen unterdrückend - sagte: "Sie müssen endlich einsehen, dass es nur ein Makedonien gibt. Und dieses Makedonien ist griechisch."

Gelöst ist der "Namensstreit" bis heute nicht. Griechenland verhindert unter Verweis darauf jegliche Annäherung Mazedoniens an Nato und EU, den Spott und das Unverständnis seiner westlichen Partner in Kauf nehmend. Wie kommt es, dass ein Mitgliedstaat der EU eine derart irrationale Politik verfolgt? Oder ist die Haltung der Griechen am Ende gar nicht so irrational, wie es allen anderen scheint?

Der österreichische Historiker Adamantios Skordos, dessen Name die griechischen Wurzeln verrät, hat ein wichtiges Werk zum "Namensstreit" vorgelegt. Wer sich für griechische Außenpolitik interessiert, sollte es lesen. Wer es gelesen hat, dürfte die Athener Position im Namensstreit zwar immer noch für irrational halten, wird aber wenigstens verstehen, woher die Irrationalität kommt. Skordos' überzeugend belegte These lautet, dass die "Makedonien-Hysterie" der Griechen nur vor dem Hintergrund des griechischen Bürgerkriegs verstanden werden kann, der sich an die deutsch-italienisch-bulgarische Besatzung des Landes anschloss und 1949 mit der Niederlage der Linken endete. Die im "Namensstreit" griechischerseits vorgebrachte Berufung auf Alexander den Großen lenkt laut Skordos vom Kern des "Namensstreits" ab. Es geht nämlich nicht um 330 vor, sondern um 1949 nach Christus.

Um seine These zu belegen, wirft der Autor einen Blick auf den griechischen Bürgerkrieg und vor allem auf die offizielle Athener Erinnerungspolitik daran. Die ist zwar von einigen Brüchen gekennzeichnet, weist aber eine Konstante auf: Ein wesentlicher Aspekt des Bürgerkrieges, die maßgebliche Beteiligung slawischer (manche würden sagen: mazedonischer) Kämpfer auf Seiten der griechischen Kommunisten wird verzerrt oder gar nicht dargestellt. Es ist tatsächlich erstaunlich, wie wenig viele Griechen darüber wissen. Eine über Jahrzehnte betriebene, selektive Gedenkpolitik hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Skordos spricht von einem gesellschaftlichen Erinnerungsfoto, das so lange retuschiert wurde, bis es nationalkonform war.

Als in Griechenland "Linke" gegen "Rechte" kämpften, spielten auf Seiten der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) Slawophone - griechische Bürger, deren Muttersprache ein slawischer Dialekt ist (ob es sich um "Bulgarisch", "Mazedonisch" oder nur einen Dialekt handelt, ist ein gesonderter Streitfall) - eine wichtige Rolle. Wie viele Slawen damals in Nordgriechenland lebten, ist umstritten. In einem Bericht des griechischen Außenministeriums ist noch 1965 die Rede von bis zu 150 000 "Slawophonen". Fest steht, dass auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges die meisten der etwa 26 000 Kämpfer in den Reihen der Kommunisten slawophone Griechen waren - beziehungsweise mazedonische Slawen oder slawische Mazedonier, je nach Sichtweise.

Um die slawische Bevölkerung Nordwestgriechenlands für den Partisanenkrieg gegen die Deutschen zu rekrutieren und eine bessere Ausgangsposition für den innergriechischen Machtkampf nach deren Abzug zu haben, hatte die KKE sogar eigene Kampfeinheiten mit slawophonen Griechen gegründet: Die "Slavjano-Makedonski Narodno Osloboditelen Front", zu Deutsch "slawisch-makedonische Volksbefreiungsfront". Die Abhängigkeit der Kommunisten von den Slawophonen hatte allerdings ihren Preis. Gegen Ende des Bürgerkrieges versprach die KKE dem "mazedonischen Volk" in Nordgriechenland für den Fall eines kommunistischen Sieges die "nationale Rekonstituierung", ja sogar die "Konstituierung Makedoniens als vereinte, unabhängige und gleichberechtigte Teilrepublik innerhalb einer volksdemokratischen Föderation der Balkanvölker." Dies wurde von den Rechten, aber auch von vielen griechischen Kommunisten als Bereitschaft der KKE verstanden, "den Slawen" griechisches Territorium abzutreten.

Jahrzehntelang hing dieser "nationale Verrat" der KKE an. Bedroht war der 1912 im ersten Balkankrieg von Griechenland erkämpfte Teil der historischen Region Makedonien zeitweilig tatsächlich. Im April 1945 sagte der jugoslawische Diktator Tito während eines Besuchs in Moskau, zwar erhebe sein Land "vorläufig" keine territorialen Ansprüche gegen Athen, werde sich aber einer Vereinigung der "Makedonier Griechenlands mit ihren Landsleuten in Jugoslawien" nicht widersetzen. Wenige Monate später forderte Tito dann offen die Vereinigung "aller Makedonier in ihrem Land". Vor der Pariser Friedenskonferenz von 1946 verlangte Belgrad sogar offiziell die Lostrennung "Ägäis-Makedoniens" von Griechenland und seinen Anschluss an Jugoslawien, da das "makedonische Volk" endlich "vom griechischen Joch" befreit werden müsse. Die Athener Zeitung "Kathimerini" schrieb von einer "Kriegserklärung von 200 Millionen Slawen" an Griechenland und brachte damit auf den Punkt, was viele Griechen dachten.

Doch die griechische Linke verlor den Krieg, und die Sieger erhoben ihre Sichtweise der Ereignisse zur staatlichen Erinnerungspolitik. Sie stilisierten den Bürgerkrieg zum "slawokommunistischen Banditenkrieg" um. Neue Fest- und Trauertage wurden eingeführt, deren wichtigster der "Jahrestag des Sieges über die kommunistischen Banditen" war. Schulklassen wurden in patriotischen Ausflügen an Schauplätze vermeintlicher oder echter "slawischer" Verbrechen geführt. Die Armee gab hetzerische Spielfilme in Auftrag, um das antislawische Bewusstsein der Bevölkerung zu festigen.

Öffentliche Reuebekenntnisse "bekehrter" Kommunisten taten ein Übriges. Zwar kam es zu einer Zäsur, als Andreas Papandreou 1981 seine Sozialisten an die Macht führte und die Linken die Kontrolle über die Erinnerungspolitik übernahmen. Das "Projekt der antislawischen Sinnstiftung" (Skordos) war schon nach der türkischen Besatzung Zyperns von einem stärker auf die Türkei fokussierten Feindbild abgelöst worden. Die im Norden des eigenen Landes siedelnden Slawen standen aber weiter im Verdacht, eine fünfte Kolonne ausländischer Mächte zu sein. Wer sich vor Augen führt, dass die heute maßgebliche Generation griechischer Politiker, etwa Ministerpräsident Samaras, in dieser Zeit sozialisiert wurde, wird sich über Athens Mazedonien-Politik weniger wundern.

MICHAEL MARTENS

Adamantios Skordos: Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945-1992. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 439 S., 39,90 [Euro].

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