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Im April 2009 warnte die WHO vor einem neuartigen Grippevirus und einer Pandemie mit Millionen von Toten. Die kontroversen Auskünfte der Wissenschaftler in den Medien verunsicherten die Bevölkerung zutiefst. Doch die Seuche verlief glimpflich und rund 30 Millionen Impfdosen blieben ungenutzt. Bund und Länder stritten über Millionenkosten.An diesem und anderen aktuellen Beispielen wie dem offenen Brief von 35 Staatsrechtslehrern zum Fall Nikolaus Brender oder dem Appell von Klimaforschern an den Kopenhagener Klimagipfel diskutiert Jutta Limbach, frühere Präsidentin des…mehr

Produktbeschreibung
Im April 2009 warnte die WHO vor einem neuartigen Grippevirus und einer Pandemie mit Millionen von Toten. Die kontroversen Auskünfte der Wissenschaftler in den Medien verunsicherten die Bevölkerung zutiefst. Doch die Seuche verlief glimpflich und rund 30 Millionen Impfdosen blieben ungenutzt. Bund und Länder stritten über Millionenkosten.An diesem und anderen aktuellen Beispielen wie dem offenen Brief von 35 Staatsrechtslehrern zum Fall Nikolaus Brender oder dem Appell von Klimaforschern an den Kopenhagener Klimagipfel diskutiert Jutta Limbach, frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, die Verantwortung, die mit der politischen Stellungnahme der Wissenschaftler zusammenhängt.Wie jedem Bürger in einem demokratischen Staat stehen einem Professor Rede-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu. Die Tragweite seiner politischen Meinungsäußerung ist jedoch oft weitaus größer als die eines beliebigen Bürgers. Ein Rückzug ins Private oder in den Elfenbeinturm ist für den in einer Demokratie wirkenden Wissenschaftler keine Alternative.
Autorenporträt
Die AutorinJutta Limbach, geb. 1934, em. Professorin für Rechtswissenchaften an der FU Berlin. 1989 bis 1994 Justizsenatorin des Landes Berlin, von 1994 bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Danach war sie Präsidentin des Goethe-Instituts und Mitglied des Stiftungsrates der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2011

Sachfragen entscheiden auch über die Zukunft
Schmal, aber gewichtig: Jutta Limbach zur bürgerlichen Verantwortung des Wissenschaftlers

Darf ich das denn? Der Redakteur hatte angefragt, ob es denn "rechtens" sei, um eine Rezension zu bitten. Rechtens wohl schon, aber auch angebracht oder gar glücklich? Immerhin haben Frau Limbach und ich über Jahre hinweg im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zusammen gearbeitet, Frau Limbach als die Vorsitzende. Und beispielsweise um die Befestigung der Rechtssoziologie in der Rechtswissenschaft und der Juristenausbildung haben wir uns schon in frühen Zeiten gemeinsam bemüht. Kann man angesichts dieses Miteinanders noch eine anständige Rezension abliefern?

Das Buch selbst gibt eine Antwort. Die Autorin ist eine Freundin des öffentlichen Worts und eine entschiedene Parteigängerin derer, die in den zahllosen Konstellationen vor der Frage, ob der Wissenschaftler sich nun öffentlich melden sollte oder nicht, im Zweifel für ein Ja votieren. Sie aktiviert die Verfassung als Maßstab der Garantie und der Grenzen der Wissenschaftsfreiheit. Sie gibt dieser Freiheit Raum und zeigt an Grundsätzen und an Beispielen, dass und wie diese Freiheit gefährdet ist und wie man ihr helfen kann. Sie benennt aber auch diejenigen Interessen, die von einer schrankenlosen Wissenschaftsfreiheit bedroht sind, und weist ihnen Schutzräume zu. Und sie geht in Einzelheiten. Auf das Ob öffentlicher Äußerung also richtet sich ihr kritisches Interesse regelmäßig nicht, sondern auf das Wie. Alsdann.

Das ist ein äußerlich schmales Bändchen, eine Rede, die nur in Titel und Untertitel ein wenig schwerfällig daherkommt. Seit 2005 gibt es jedes Jahr eine "Göttinger Universitätsrede", in der renommierte Autoren sich mit aktuellen Grundfragen der Wissenschaften auseinandersetzen. Der Gegenstand, dem sich diese Rede widmet, hat es in sich. Er gehört zum Lebensnerv der modernen Gesellschaften. Wissenschaft ist heute bei uns eine Macht. Sie gibt Auskunft über lebenswichtige Zusammenhänge in Gesundheit, Ökonomie und Völkerfrieden, sie entscheidet bisweilen über Einzelheiten der gesellschaftlichen Ordnung und der staatlichen Gesetze. Die Medien berichten über wissenschaftliche Ergebnisse und Ratschläge und bedienen damit die Interessen der Leser und Hörer. Wer sich gegen wissenschaftlich begründete Behauptungen stellt, muss sich warm anziehen, wer sie auf seiner Seite hat, hat schon fast gewonnen. Gegen Wissenschaft ist kein Kraut gewachsen. Die Verfassung und das Bundesverfassungsgericht betrachten sie mit Wohlwollen; gefährden kann sie sich eigentlich nur selbst.

Und solche Selbstgefährdung liegt nicht ferne. Man kann ihre Erscheinungsformen in dem Büchlein nachlesen und an der eigenen Erfahrung überprüfen. Max Webers Trennung von Wissenschaft und Politik, seine Unterscheidung in Priester und Lehrer, sein Urteil, Politik gehöre nicht in den Hörsaal, sind, jedenfalls in den "staatsnahen Disziplinen" (Thomas Oppermann), von vorgestern. Professoren wenden sich an Öffentlichkeit und Politik und vergessen dabei ihre Titel nicht; denn die Titel sind argumentative Streithelfer. Die Auseinandersetzung um den Klimawandel oder um die Finanzkrise, um Dioxin und Schweinegrippe, um Ursachen und Auswege angesichts von Lagen, die uns Angst machen, wird in vorderster Front von Wissenschaftlern in ihrer Rolle als Wissenschaftler getragen und kontrovers ausgefochten - und die Leute bleiben ratlos zurück. Manchmal werden aus Gutachtern Mietmäuler, auf deren Ergebnisse man getrost wetten kann. Die Zahl der Komitees und Beratergremien von der Ethik in den Lebenswissenschaften oder der Strafverteidigung über den Verbraucherschutz bis hin zur Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung nimmt zu und trifft auf steigenden Bedarf in Gesellschaft und Staat. Darüber wird hier berichtet und diskutiert: über die Rollen, die Wissenschaftler heute spielen, über politische Loyalität, Tagespolitik im Hörsaal, professorales Politisieren, über kontroverse Expertisen und am Ende über wissenschaftliche Verantwortung in der Demokratie.

Die Entwicklung der Chancen von Wissenschaft in unserem Leben, in Gesellschaft und Staat ist rasant und sieht bedrohlich aus, ist aber nicht schon deshalb auch Teufelswerk. Dass die Wissenschaft, bis ins Intime hinein, unser Leitstern ist, wird so bleiben; wir haben keinen besseren. Dass wir durch gute und gut kommunizierte Wissenschaft klüger werden, dass wir in vielen Lagen besser zurechtkommen, halte ich für sicher. Dass gar, wie Jutta Limbach vorträgt, in unübersichtlichen Zeiten wie unseren der Wissenschaftler unter der Verantwortung stehen kann, seinen Sachverstand auch für politische Entscheidungen zur Verfügung zu stellen, ist gut begründet. Und dass Staat und Gesellschaft schon deshalb Autonomie und Eigensinn der Wissenschaft stützen und schonen sollten, beruht auf einer stabilen Erfahrung aus den Zeiten, da wir uns um "Berufsverbote" für Wissenschaftler gestritten haben.

Nicht im Ob der Wissenschaftsfreiheit also liegen in unseren Tagen die offenen Fragen, sondern im Wie ihrer Nutzung. Und die Antworten werden nicht deshalb einfacher, weil sie zuvörderst von den Wissenschaften und den Wissenschaftlern kommen müssen; aber es gibt sie. Frau Limbach fordert, auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts, Genauigkeit und Reflexivität, Distanz zur politischen Rede und Gemeinsinn. Ich füge hinzu, dass Wissenschaftler, wenn sie sich öffentlich zu Wort melden, von der Achtung zehren, die ihrer Profession von der Öffentlichkeit entgegengebracht wird. Diese Achtung ist erarbeitet, und sie lässt sich verspielen. Wissenschaftler tragen im öffentlichen Diskurs nicht nur zur Entscheidung von Sachfragen bei, sondern auch zur Entscheidung über die Zukunft ihrer Wissenschaft, der Chance, als Wissenschaftler gehört und ernst genommen zu werden.

WINFRIED HASSEMER

Jutta Limbach: "Der Wissenschaftler als Bürger und Beamter". Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik.

Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 30 S., br., 9,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als ehemaliger Kollege im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Jutta Limbach als Vorsitzender zweifelt Winfried Hassemer ein wenig daran, ob er der Richtige für die Rezension ihrer "Göttinger Rede" zur Frage des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik ist, macht sich dann aber dann doch ans Werk. Gewichtige Fragen werden hier gestellt, nämlich inwieweit sich Wissenschaftler in der Politik zu Wort melden sollten, sie Teil der politischen Auseinandersetzung werden dürfen, stellt der Rezensent fest. Die Trennung von Politik und Wissenschaft, wie sie Max Weber proklamierte, ist jedenfalls längst überholt, so Hassemer. Eingehend würden der Einfluss und die Aufgaben der Wissenschaft auf soziale und politische Fragen dargelegt und die Argumente, die die Autorin für die politische Verantwortung von Wissenschaftlern anführt, seien überzeugend belegt, lobt er. Die Frage des "Ob" ist in den Augen des Rezensenten also hinlänglich geklärt, für das "Wie" findet er in diesem schmalen Bändchen komplexe und aktuelle Beispiele.

© Perlentaucher Medien GmbH
'Der Gegenstand, dem sich diese Rede widmet, hat es in sich. Er gehört zum Lebensnerv der modernen Gesellschaften.'(Winfried Hassemer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2011)