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Bollacks Studie über Jacob Bernays leistet einen wesentlichen Beitrag zur deutschen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte.Jacob Bernays (1820-1881) war ein Fremder in der deutschen akademischen Welt des 19. Jahrhunderts. Als früh im Talmud und in den klassischen Sprachen ausgebildetes Kind eines Hamburger Rabbiners erschien er vor der Revolution von 1848 wie ein Meteor an der preußischen Universität Bonn. Er studierte Klassische Philologie und Philosophie, die er historisch und kritisch zu erneuern verstand. Jedes seiner Bücher - von Aristoteles und der griechischen Antike bis zur Renaissance -…mehr

Produktbeschreibung
Bollacks Studie über Jacob Bernays leistet einen wesentlichen Beitrag zur deutschen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte.Jacob Bernays (1820-1881) war ein Fremder in der deutschen akademischen Welt des 19. Jahrhunderts. Als früh im Talmud und in den klassischen Sprachen ausgebildetes Kind eines Hamburger Rabbiners erschien er vor der Revolution von 1848 wie ein Meteor an der preußischen Universität Bonn. Er studierte Klassische Philologie und Philosophie, die er historisch und kritisch zu erneuern verstand. Jedes seiner Bücher - von Aristoteles und der griechischen Antike bis zur Renaissance - wird von der Rekonstruktion einer historischen Situation beherrscht. Jean Bollack geht dem jeweiligen historischen Sinn der Bücher von Bernays nach. Universitär und kulturell setzte Bernays sich ab und verteidigte seine Eigenart. Er blieb zeit seines Lebens ein Beobachter der kulturellen und politischen Verhältnisse und übertrug diese Haltung auf die Gegenstände seiner Studie. Er begründetebeispielsweise die Philologie neu, indem er in ihr die Voraussetzungen einer textgebundenen Kulturgeschichte erkannte. Jean Bollack hat von der Philologie ausgehend und über sie hinaus Bernays' Werk in seiner Logik rekonstruiert.
Autorenporträt
Jean Bollack (1923-2012), geb. in Straßburg in einer elsässisch-jüdischen Familie, war Philosoph und Philologe. Er studierte klassische Philologie in Basel und nach Kriegsende in Paris. Dort gründete er an der Universität Lille das Forschungszentrum für Philologie und Hermeneutik und an der MSH (Paris) ein Zentrum für die Geschichte der Interpretation. Er veröffentlichte u.a.: Paul Celan. Poetik der Fremdheit (2000).

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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.12.2009

Er glaubte an die Geschichte
Philologie und Judentum: Jean Bollack über Jacob Bernays
„Die meisten Menschen”, schrieb Jacob Bernays 1878, „behandeln öffentliche Gelder als herrenloses Gut.” Die überraschende Aktualität dieses Diktums verdankt sich nicht einer mirakulösen Prophetengabe, sondern beruht auf der Tatsache, dass philologischer Bildung, die durch Jahrtausende geht, nichts Menschliches fremd ist, wie die Dichter immer wieder betont haben. Der Philologe Jacob Bernays war im historisch denkenden 19. Jahrhundert eine der wenigen Figuren vom Rang eines Jacob Burckhardt. Er war zeitlebens eng befreundet mit zwei späteren Literaturnobelpreisträgern: Theodor Mommsen und Paul Heyse. Der größte Philologe der Zeit nach ihm, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, war sein ihm allzeit dankbarer Schüler. Friedrich Nietzsche, der denselben akademischen Lehrer gehabt hatte wie Bernays, bewunderte ihn – und hat sich für einige seiner wichtigsten Gedanken von ihm inspirieren lassen. Sigmund Freud heiratete dessen Nichte und benutzte wohl die Katharsis-Deutung für die eigene Theorie.
Jacob Bernays wurde 1824 als zweites Kind und ältester Sohn eines hochgelehrten Hamburger Rabbiners geboren. Die Familie konzentrierte alle Mittel auf ihn, um ihm eine exzellente Bildung zu ermöglichen. Die erhielt er vor allem in Bonn, damals in den klassischen Fächern eine der besten Universitäten Europas. Promotion und Habilitation folgten rasch aufeinander, aber ordentlicher Professor konnte er nicht werden, denn, anders als Heine, ließ er sich nicht taufen, um das „Entre Billet zur abendländischen Kultur” zu erlangen. Er ging nach Breslau an ein „jüdisch-theologisches Seminar” für die Rabbinerausbildung. 1866 kehrte er nach Bonn zurück – als außerordentlicher Professor und Hauptbibliothekar der Universität. 1881 ist Bernays in Bonn gestorben. Sein Kollege Hermann Usener veranstaltete sogleich eine zweibändige Ausgabe seiner Schriften. Ein „Lebensbild in Briefen” von Michael Fraenkel erschien 1923. Nach dem Zweiten Weltkrieg befasste sich der Philosoph Karlfried Gründer immer wieder mit Bernays. 1974 kam von Hans I. Bach eine lesenswerte Biographie heraus.
Jetzt erschien in deutscher Übersetzung ein Buch von Jean Bollack – diesseits des Rheins vor allem wegen seiner Arbeiten zu Paul Celan bekannt –, das Bernays’ Werk und Leben von seinem Bekenntnis zum Judentum her interpretiert. Das hatte seinerzeit auch schon Theodor Gomperz getan, und bei Wilamowitz gibt es Bemerkungen in diese Richtung. Bollack macht nun ein Programm daraus, mit dem Bernays fast in eine Art Oppositionsrolle zur deutschen Philologenzunft gerückt wird: kein Methodeneiferer, kein Herausgeberfürst, kein Mann der großen Werke, dafür die abgründigen, kleinen Studien; beispiellos gelehrt, aber geprägt von der Eigenart, wie die bedeutenden Kollegen sehr wohl bemerkten, dass hier das Wichtige nicht bei der Hauptsache zu finden ist.
Bollack hebt nun hervor, was das Wichtige ist, und stellt es in einen überzeugenden Zusammenhang. Dabei ist von ausschlaggebender Bedeutung, dass eben Bernays zum Christentum, der „Tochterreligion”, wie er sagte, nicht überwechseln wollte und so zur Enttäuschung seiner Freunde auf die Beförderung zum Ordinarius verzichtete. Bernays blieb konfessionell Jude, obwohl er, wie Bollack auch hervorhebt, zutiefst dem Denken der Aufklärung verbunden war. Man darf mithin vermuten, dass er nicht Jude blieb, weil er unverbrüchlich an den Gott der Väter, des Alten Testaments glaubte. Aber er glaubte an die Geschichte. Dem, was in der Geschichte vernünftige Wirkung tut, wollte er treu bleiben.
Für Bernays, das ist Bollacks Gedanke, war das Judentum mit seiner Geschichte, mit seinem Verhältnis zur Schrift, folglich mit der Begabung für Philologie Gewährträger für den kosmopolitischen Gedanken, der in jeder klugen Philologie lebendig ist, und der im antiken Griechenland sich ausbreitete, als dort nach dem Ende der Klassik die Philologen sich emanzipierten und Ansehen erwarben. Das ist ein Strang. Einen anderen pointiert Bernays in einem seiner Aphorismen: „Anfang der Philologie: Als Hieronymus bei Nacht und Nebel zu den bärtigen Rabbinern schlich, um bei ihnen Hebräisch zu lernen.” Einen weiteren hat Bernays in seiner Biographie des Philologen Scaliger anschaulich gemacht. Das ist eines der schönsten Bücher, die Bernays geschrieben hat, und es sollte heute zur Pflichtlektüre jedes Autors gemacht werden, der den Verlagen mit einer Biographie kommen will.
Gerade was die griechische Geschichte betraf, geriet Bernays damit in eine Nähe und Distanz zu zeitgenössischen Meistern des Fachs zugleich. Johann Gustav Droysen hatte den Aufstieg Makedoniens und das Ende der griechischen Gemeindefreiheit als begrüßenswerten Schritt zur Herausbildung der Nation unter den Königen nach Alexander gesehen. Bernays dagegen sieht im Alexanderreich die Vorbereitung der kosmopolitischen Ökumene und in den Monarchien die staatlichen Garantien zur Überwindung von Partikularismus und ethnisch aufgeladenem Regionalismus.
Beide sind also monarchisch – und Gegner des Demosthenes mit seinem Kampf für das demokratische und selbständige Athen. Aber – tragischer Irrtum oder unglückliche Gleichzeitigkeit: Droysen will in Makedonien Preußen sehen und im einheitlich regierten Griechenland die deutsche Einheit unter dem Schirm einer machtstaatlich orientierten Monarchie. Bernays sah die deutsche Geschichte zwar auf dem Weg, ein „Weltalter” zu bestimmen – wie zuvor nur die griechische und die französische –, aber er vermeinte die deutsche Vorrangstellung gerade nicht auf Grund machtstaatlicher Dominanz als erreichbar zu sehen, sondern im Zuge einer Entwicklung der bürgerlichen Welt, in der deutsche Philosophie die Richtung angäbe. Monarchie und Philosophie sollten Nationalismus und Barbarei überwinden! Nicht nur die Gelehrtenwelt bliebe dabei geprägt durch die von den Juden bewahrte historisch orientierte Philologie, durch griechischen Geist und das Beispiel der Revolution von 1789, die von den Franzosen als Empirikern betrieben worden sei – „und große deutsche Geister systematisierten sie”, wie Bernays in dem „Weltalter-Aufsatz” gegen Ende seines Lebens schrieb.
Jean Bollacks Buch ist das Protokoll einer vergeblichen Hoffnung. Jacob Bernays sah die Entwicklung Preußens und Deutschlands nach 1871 mit Grauen. Nietzsche prägte das Wort von der Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des Deutschen Reiches und verfluchte die Hohenzollern für ihr Werk. Mommsen übersah in Bernays nie das Fremde und wünschte sich – gerade auch im Antisemitismusstreit gegen Treitschke –, die Juden möchten sich bis im Reich zur Ununterscheidbarkeit den Deutschen assimilieren. Nicht wenige folgten in den nächsten Jahrzehnten dieser Illusion, auch Jacobs brillanter Bruder Michael Bernays, der die Taufe annahm und ein berühmter Literaturprofessor wurde. JÜRGEN BUSCHE
JEAN BOLLACK: Ein Mensch zwischen zwei Welten. Der Philologe Jacob Bernays. Mit einem Vorwort von Renate Schlesier. Aus dem Französischen von TimTrzaskalik. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 156 Seiten, 24 Euro.
Ordentlicher Professor wurde er nicht – er wollte seinem jüdischen Glauben nicht abschwören
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2010

Von Jerusalem nach Athen und wieder zurück

Der Philologe Jacob Bernays, ein Verwandter von Freuds Ehefrau, eroberte sich einen Zugang zur europäischen Kultur, ohne den Weg der Konversion einzuschlagen.

Von Christoph König

Jüdische Intellektuelle, die nicht konvertierten, suchten oft, in der eigenen Kultur zu glänzen und zugleich in der deutschen Kultur Anerkennung zu erlangen. Sie konnten sich ein Doppelleben auferlegen. Die eigene Tradition sollte sich durch ihre rationalistische, emanzipatorische Kraft als der eigentliche Kern der deutschen erweisen. Eine Aufklärungskulturgeschichte schwebte ihnen vor, in der die Kultur sich im Laufe der Geschichte zusehends ihrer eigenen Vernunft stellte. Die Werte der Bibel und die der talmudischen Tradition konnten in die philosophische oder theologische, vom deutschen Idealismus geprägten Sprache der Zeit übersetzt werden.

Die Nichtassimilation verlangte nach dieser paradoxen Form der Anerkennung. Sie besaß ihre Logik in der Überzeugung, den Gott des Alten Testaments als Prinzip der Gerechtigkeit und der Vernunft zu betrachten. Isaac Bernays, der Hamburger Rabbiner, der 1812 aufgrund der von den französischen Besatzern eingeführten Gleichstellungsgesetze in München das Studium aufnehmen konnte, strebte in diesem Sinn nach einem kulturalisierten Talmud und einer judaisierten Kultur. Seinen Sohn Jacob Bernays (1824 bis 1881) unterwies er in rabbinischen Lehren, ließ Lehrer aus der Stadt kommen und schickte ihn dann auf das Johanneum, das bedeutendste Gymnasium der Stadt. Jacob war der älteste und eigentliche Sohn. Jean Bollack schreibt in seiner meisterhaften Studie über Jacob Bernays: "Er sollte diese vollkommene Akkulturation in Form einer jüdischen und klassischen Hochkultur zur Evidenz bringen, darauf hat der Vater seinen Sohn vorbereitet." (Jean Bollack, Ein Mensch zwischen zwei Welten. Der Philologe Jacob Bernays. Mit einem Vorwort von Renate Schlesier; aus dem Französischen von Tim Trzaskalik, Wallstein Verlag, Göttingen 2009).

Jean Bollack, der Gräzist, Philosoph und Übersetzer, der in Basel die große deutsche Tradition der Klassischen Philologie kennengelernt hatte und seit 1945 in Paris lebt, stammt selbst aus einer elsässischen, jüdischen Familie. Bollacks Studie ist subjektiv im Sinn der Stellungnahme eines Subjekts, das seine Gegenstände radikal zu historisieren sucht, um deren eigene Stimme freizulegen - an die sich dann anschließen lässt. In insistierender Lektüre unterzieht er das Stimmengewirr der Interpretationsgeschichte, darunter die Werke Bernays', der Kritik, um zu den Werken selbst vorzudringen. Zugunsten der Stimme der Dichter schreibt Bollack der Wissenschaftsgeschichte ein Potential zu, auf das auch Bernays auf seine Weise vertraute. Bernays erweist sich als der eigentliche Begründer der Wissenschaftsgeschichte. Bollacks Stil ist der Stimmensuche auf ungewöhnliche Weise gewachsen. Man könnte vom Stil der "erkannten Rede" sprechen, in dem die Erkenntnis des Betrachters in jene des Betrachteten eingelassen ist (analog zum narrativen Mittel der erlebten Rede), ohne dass die Unterschiede verlorengehen. Man kann die beiden Stimmen, die von Bernays und die von Bollack, klar unterscheiden, auch wenn sie zugleich sprechen. Sie gehören unterschiedlichen Zeiten an, und die Solidarität für den Einzelnen, der herauszutreten wagt und den Gegenstand beherrscht, eint sie.

Bernays erörtert 1879, am Ende seines Lebens, in der Schrift "Lucian und die Kyniker" die Abhandlung des Satirikers "Über das Lebensende des Peregrinus": Der Kyniker Peregrinus hatte sich öffentlich selbst getötet und Lukian, der urbane Schriftsteller, der im Auftrag der römischen Macht spricht, den Suizid verurteilt. Bernays interpretiert den Akt anders als Lukian: Hier habe ein Einzelner "gegen die Leiden, Torheiten und Sünden einer erstarrten, dem Untergang geweihten Zivilisation" protestiert. Peregrinus' Selbstmord gilt ihm als "Versuch, aus dem allgemeinen Schiffbruch die Freiheit des Individuums zu retten." Den Philosophen, den Intellektuellen, und letztlich den Juden erkennt er - in dem polemischen Pamphlet gegen Lukian - auf der Seite des freien Kynikers.

Bollack resümiert den politischen Sinn: "Bernays hat die Trikolore der deutschen Revolutionäre (die Trikolore seiner Jugend) im Lager Bismarcks und Treitschkes aufgestellt. Er unterbreitete den Deutschen das jüdische Ideal eines ,Philosophenvolkes'. Die Deutschen hatten mit dem nationalen Zusammenschluss aufgehört, Juden zu sein." Oder anders: mit der gesamten Kultur verwachsen zu sein. Hier, im Indikativ erkannter Rede, spricht Bollack mit Bernays.

Bernays schrieb sich 1844 an der Universität Bonn ein, die mit Berlin zu den angesehensten Preußens gehörte, und wählte dort die Leitdisziplinen: Philologie, griechische Philosophie, Geschichtswissenschaft. Damit formulierte er seinen Anspruch. Bernays, der Lieblingsschüler Friedrich Ritschls (Ritschl sorgte später für die Karriere Nietzsches), sollte selbst große Schüler haben: Vor allen Hermann Diels, den Herausgeber der Schriften der Vorsokratiker; den jungen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, aber auch Historiker wie Heinrich von Treitschke, unter dessen Antisemitismus er dann litt; selbst der Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Paul Heyse hörte bei ihm. Mit Heyse verband den Privatdozenten eine in völliger Freimütigkeit gelebte Liebe. Da Jacob Bernays darauf verzichtete, zum Christentum zu konvertieren, blieb ihm die Ernennung zum ordentlichen Professor versagt. Lange lehrte er in Breslau. Wie der liberale Theodor Mommsen war er dort im Exil. Er brachte im "Jüdisch-theologischen Seminar" den angehenden Rabbinern den Humanismus bei. Zuletzt sorgte Hermann Usener, der 1885 Bernays' "Abhandlungen" edierte, für den Umschlag: Bernays wurde zum außerordentlichen Professor und zum Hauptbibliothekar an der Bonner Universitätsbibliothek berufen.

Bernays bewahrte seinen Stolz. Der Stolz war jüdisch, denn Bernays stellte sein Judentum aus, war doch die Universität für ihn der Ort der Vernunft, und diese Vernunft jüdisch. Als Fremder war er in dieser Institution zuhause. Von Bernays' Stolz spricht Wilamowitz in einem Brief an den Wiener Gräzisten Theodor Gomperz. Er gibt im Jahr 1881, als Nekrolog, ein geistiges Porträt und lobt ihn, um die Divergenz mitzubetonen. Wilamowitz, die Koryphäe, war bereit, ihn zu den Seinen, den Großen im Fach zu zählen, trotz allem: "Bernays persönliche eitelkeit (die ja seit Antisthenes zu dem Kynikertribonion gehört) scheint aber nur oberflächlichem blicke kleinheit; sie ist es nur in einzelheiten; im grunde ist sie der ausfluß des zuges, in dem seine eigenart und seine größe wurzelt, seinem racenstolze. er war der adelsstolzeste mensch, vielleicht im ganzen jahrhundert, der ächtblütige sohn des auserwählten volkes." Indem Bernays von Tradition sprach, befreite er sich schon; von der Emanzipation gab er nichts auf. Wilamowitz setzte zu Recht fort: "von den dogmen seiner religion war er so frei wie spinoza, aber er übte selbst die äußerlichste Satzung so peinlich wie etwa ein Neupythagoreer ,um die continuität der cultur nicht zu unterbrechen'. davon sprach er unter 4 augen merkwürdig frei. Bernays brauchte keinen tempel aufzubauen; für ihn war er nimmer zerstört." Die Achtung, die hier zum Ausdruck kommt, vergisst die Gegnerschaft nicht.

Bollack charakterisiert Wilamowitz als preußischen Junker auf dem philologischen Lehrstuhl, dessen Macht damit begründet war; ihm stand alles offen: "Mit der Bezeichnung Jude benennt er klar verständlich die Aristokratie einer Kultur, mit der er nichts zu schaffen hat." Doch die Verhältnisse, die Bollack in seinem großen, auf Augenhöhe geführten Gespräch mit Bernays und Wilamowitz bewusst zutage treten lässt, sind methodisch äußerst kompliziert. Denn er weiß: Der Pragmatismus des konservativen Wilamowitz erlaubt diesem unter Umständen mehr zu erkennen, als es der Philologe unter den Aufklärern, der Voltairianer, vermag, der stets prüft, was würdig sei, Kultur genannt zu werden. Die Frage lautet: Welche Rolle spielen Wertvorstellungen in der philologischen Praxis?

Seine "unterscheidende Methode" hat Bernays früh entwickelt. Sie setzte eine immense Belesenheit der Bibel, der Antike und der Moderne sowie eine Sprachenbeherrschung voraus, die ihresgleichen unter den Zeitgenossen kaum fand. Bernays trachtete danach, in den überlieferten Werken, in denen von verlorenen Werken die Rede ist, Verlorenes zu rekonstruieren, indem er es von der Transformation in der Überlieferung reinigte. Fragen wie: Hat Empedokles diesen Satz geschrieben? zählte man zu dieser "höheren Kritik". Die heraklitischen Studien (1848, 1869) sind voller Beispiele dafür; auch die Neuinterpretation der Katharsis-Stelle des Aristoteles (die ihn berühmt machte) gehört hierher. Wenn auch die Hypothesen sich oft nicht bewahrheitet haben, so bleiben sie doch für die Methode des Lesens virulent. Der Vorzug textbasierter Überlieferungskritik hat zur Kehrseite, die Stimmen, die er in der Überlieferung hört, nicht selbst wieder als Stellungnahmen zu früherem Textmaterial, als Kommentare, zu lesen. Bernays verstand sich auf die Lektüre von Lektüren. Weniger sah er, dass auch schon die Ausgangswerke Lektüren waren. Solche philologische Lektüre war damals kaum denkbar. Erst recht nicht, wenn man sich wie Bernays nicht der Poesie oder den Tragikern zuwandte, sondern der Prosa. Sie war dem Historiker näher. Das hatte Folgen für die Art der Vernunft, die Bernays in der Überlieferung verfolgte. Der Kommentar, als der sich das Werk konstituiert, ist hingegen eine gedankliche Bewegung, in der die Vernunft praktisch und konkret wirkt; wer diese Bewegung studiert, verzichtet darauf, einen überzeitlichen Gehalt zu identifizieren, auch nicht in den Klassikern. Überzeitlich ist das Verfahren, und diese Überzeitlichkeit zeigt sich nur in der Historisierung, insofern sie die jeweilige Äußerung als Engführung und Kontrolle, als Modifikation einer Situation rekonstruiert. Hier würde sich ein Zugang zur poetischen Sprache eröffnen. Hier liegt der Hauptunterschied zwischen Bernays und Bollack.

In jeder philologischen Praxis äußert sich eine allgemeine Epistemologie der Philologie. Ihre Erkenntnisweise ist im Grunde von zwei Gegensätzen geprägt. Man kann diese Gegensätze als Fragen formulieren: Wie hält es der Philologe in seiner Wissenschaft mit den eigenen normativen Vorstellungen? Und: In welchem Verhältnis steht das historische Interesse der Philologen zu dem ästhetischen Charakter der Gegenstände? Im Werk von Jacob Bernays verbinden sich die beiden Fragen zu einer Antwort. In der Geschichte (und nicht in der Kunst) zeige sich die allgemeine Vernunft des Menschen, wenn es dem Einzelnen - wie etwa Peregrinus - gelingt, sich gegen die Macht zu stellen. Bernays sammelt die Zeugnisse von Philosophen. Freiheit und Vernunft als Werte werden historisch aufgesucht. Der Philologe aktualisiert mehr, als dass er historisierte oder die Vernunft in actu aufsuchte. Damit überwiegt die Methode gegenüber dem Besonderen. Dennoch besitzt Bernays' geschichtstheoretische und unterscheidende Methode die kognitiven Vorzüge eines Modells. Ungewöhnlich in historisch denkender Zeit.

Für die Tradition einer griechisch-christlichen Geschichte, einschließlich der Idee einer besonderen Nähe der Deutschen zu den Griechen, bergen die Hypothesen von Jacob Bernays Sprengstoff bis heute. Es scheint, als wollte Benedikt XVI. mit seiner Begründung des Christentums in der griechischen Philosophie (unter Ausschluss der jüdischen Denktraditionen) gerade Bernays widersprechen. Denn Bernays führte die griechischen Intellektuellen, mit denen er sich beschäftigte, in die orientalische Vorgeschichte ein. Seine Bücher "Theophrastos' Schrift über Frömmigkeit" (1866), "Aristoteles' Politik" (1872) und "Phokion und seine neueren Beurtheiler" (1881) bilden eine Linie. Sie zeigen, wie sich das Griechische und das Jüdische amalgamierten, als gebe es im vierten Jahrhundert keine Juden und Griechen mehr, sondern nur mehr Juden-Griechen, auf deren Standpunkte sich alles Spätere, Rom und auch das Christentum, beziehen musste. Bollack schreibt: "Zusammen machten sie die Tradition aus, eine doppelte Erbschaft; ihnen gegenüber waren die anderen Nationen im Rahmen einer virtuell universalen Gesellschaft Außenstehende, Dritte, die sich fortan im Bezug auf diese Tradition zu bestimmen hatten." In dieser Logik waren die Christen schlechte Erben, die ungerechterweise mit der Tradition gebrochen hätten.

Dem Politiker, Feldherrn und Schriftsteller Phokion, dem Gegenspieler des "demokratischen" Demosthenes, ist das letzte Buch gewidmet. Bernays verteidigt einen Griechen, der gegen die politische Entwicklung in Griechenland stritt, um jener griechisch-jüdischen Tradition gerecht zu werden. Die Polis ersteht vor dem Auge des Betrachters als ein von Machtkämpfen geprägtes Gemeinwesen, in welchem dem Einzelnen keine moralische Freiheit zugebilligt werde. Alexander der Große wird als Befreier angesehen, denn in der Polis hatten die Philosophen keinen Ort. Dahinter steht das Modell des aufgeklärten Herrschers, der Philosophen um sich versammelt (und vor der Menge schützt), weil sie ihn beraten können. Die Macht ist offen für eine Rationalität, die so in einem der Macht fremden Raum entwickelt wird. Mit der Lage der Philosophen verallgemeinerte Bernays die jüdische Erfahrung, dass die vernünftige dynastische Macht Schutz gewährt vor der irrationalen Gewalt des Volkes.

Bernays folgte an dieser Stelle der Geschichtstheorie Droysens, der unter den Völkern des Orients die Juden privilegiert hatte: "Sie verkörpern den Geist gegen die Natur." Droysen sah die Geschichte sich fortentwickeln von ethnisch bestimmten kleinen Räumen zu einem universalen, abstrakten Rahmen, der die persönliche Freiheit des Individuums gewährleistet. Für Bernays musste "Jerusalem", das für die moralische Vervollkommnung des Individuums stand, den Weg über "Athen" nehmen, wo die philosophischen Systeme auf der Grundlage jener moralischen Vollkommenheit, die das Alte Testament vertritt, geschaffen wurden. In der Symbiose von Griechen und Juden zeigten sich Spannungen. Die griechischen Philosophen sprachen aus einer Unerfülltheit heraus; ihre Negation speiste sich aus einer Gerechtigkeitsregel, die in der Bibel bereits erfüllt war. Die Aufgabe der griechischen Philosophen hätte darin bestanden, nach dem universalen Prinzip des Gottes Israels zu streben und der Unerfülltheit eine Art Wissensgerechtigkeit widerfahren zu lassen. "Bernays konnte sich sagen, dass man Jude sein musste, um zu verstehen, wie man griechische Studien zu betreiben hatte, ohne den Vorteil einer Negativität zu verlieren, die ihnen ursprünglich innewohnte."

Die jüdische Tradition gibt zum einen die Norm und, zum anderen, dem Gräzisten die Distanz, um den intellektuellen Kampf zu verstehen, der sich in der Geschichte aus der Nichterfüllung einer Norm ergab. Harsch waren die Reaktionen unter den gelehrten Zeitgenossen. In der "Historischen Zeitschrift" wurde Bernays, wie ein zweiter Phokion, als ortloser Geselle hingestellt, antinational, mit Vorliebe für die Franzosen: "Er war ein Fremder, womöglich ein Vaterlandsverräter." Er wurde ein lange Zeit Vergessener.

Christoph König lehrt Neuere und neueste deutsche Literatur in Osnabrück.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit großer Kenntnis stellt uns Rezensent Jürgen Busche den Philologen Jacob Bernays vor, der für ihn den Rang eines Jacob Burckhardt beanspruchen darf. Die vorliegende Biografie des Celan-Spezialisten Jean Bollack unterscheidet sich laut Busche von biografischen Versuchen bei Theodor Gomperz und Ulrich von Wilamowitz durch die nunmehr programmatische Lesart von Bernays Leben von dessen Bekenntnis zum Judentum her. Dass Bernays so "fast in eine Art Oppositionsrolle" zu seinen deutschen Fachkollegen gerückt wird, dass Bollack ihn nicht als "Methodeneiferer" und "Herausgeberfürst", sondern als Mann der abgründigen, kleinen Studien zeigt, scheint Busche zu goutieren. Was Bernays politische Hoffnungen betreffend Preußen und Deutschland nach 1871 angeht, so wird das Buch für den Rezensenten zum Protokoll einer vergeblichen Hoffnung.

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