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Willkommen in Bullet Park, einer kleinen aufgeräumten Vorstadt im Umland von New York. Hier werden Ordnung und gute Nachbarschaft großgeschrieben: Eine adrette Bahnstation mit leeren Sitzbänken, Vorgärten mit kurz getrimmtem Rasen, hellweiße Häuser, zum Trocknen aufgehängte Wäsche, ein paar freundliche Cocktailpartys. Ja, Bullet Park ist der ideale neue Wohnort für Paul Hammer und seine anspruchsvolle Gattin! Was sie nicht wissen: In Bullet Park ist nichts, wie es scheint. Paul Hammer trifft auf Eliot Nailles, den netten, nachdenklichen Nachbarn, der Tabletten schluckt und seine Frau und…mehr

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Produktbeschreibung
Willkommen in Bullet Park, einer kleinen aufgeräumten Vorstadt im Umland von New York. Hier werden Ordnung und gute Nachbarschaft großgeschrieben: Eine adrette Bahnstation mit leeren Sitzbänken, Vorgärten mit kurz getrimmtem Rasen, hellweiße Häuser, zum Trocknen aufgehängte Wäsche, ein paar freundliche Cocktailpartys. Ja, Bullet Park ist der ideale neue Wohnort für Paul Hammer und seine anspruchsvolle Gattin! Was sie nicht wissen: In Bullet Park ist nichts, wie es scheint. Paul Hammer trifft auf Eliot Nailles, den netten, nachdenklichen Nachbarn, der Tabletten schluckt und seine Frau und seinen Sohn so liebt, dass er sich selbst bisweilen zu vergessen droht. Das kann nicht gut gehen ... 'Die Lichter von Bullet Park' ist einer der ganz großen Romane des 20. Jahrhunderts, eine Hymne an die amerikanische Vorstadt ebenso wie ein zeitlos zynischer Abgesang auf den viel beschworenen American Dream - in einem Atemzug zu nennen mit Richard Yates' 'Zeiten des Aufruhrs' und F. Scott Fitzgeralds 'Der große Gatsby'. Ausgebuffter als Cheever ist keiner, und wie in den viel besungenen Storys besticht er durch seinen präzisen poetischen Ton und den gnadenlos genauen Blick.
Autorenporträt
John Cheever (1912 geboren in Quincy, Massachusetts; gestorben 1982) gilt als einer der Innovatoren der amerikanischen Erzählkunst. Im flimmernden Wechsel zwischen Parodie, Satire und scheinbar treuherzig-naivem Bericht vom Tun und Lassen der Ostküstenelite hat er einen Schatz an Romanen und Stories hinterlassen, der in deutscher Sprache nie angemessen erschlossen worden ist. Thomas Gunkels Übersetzung der Wapshot-Chronik füllt eine bislang weiße Stelle auf der Karte der modernen Weltliteratur.

Thomas Gunkel, geb 1956 in Treysa, Erzieher, studierte Germanistik und Geographie und ist als Übersetzer tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

Schwermut mit Gin

"Mad Men" aus Bullet Park: In John Cheevers Roman dreht sich alles darum, betrunken genug zu sein, um das Leben nicht mehr zu spüren.

Von Verena Lueken

Dieser Roman stammt aus dem Jahr 1969, und er spielt auch etwa zu dieser Zeit. Es wird so viel darin getrunken, wie wir es seit unserer ersten Lektüre von Richard Yates' "Zeiten des Aufruhrs" (der 1961 erschien) und seit der ersten Staffel der Fernsehserie "Mad Men" vor einigen Jahren erwarten, wenn vom amerikanischen Vorstadtleben in den sechziger Jahren die Rede ist. Leere Flaschen. Schwere Köpfe. Zitternde Hände. Torkelnder Gang und schleppende Rede, das sind die Begleitumstände. "Er holte das Bier und den Whiskey." "Ich träumte, dass ich in der einen Hand ein Glas und in der anderen eine Flasche hielt." "Marietta Hammer wirkte geistesabwesend und kühl, aber vielleicht war sie auch betrunken." "Nach dem Mittagessen schenkte sich Nellie einen Whiskey ein." "Dann ging sie nach unten und schenkte sich noch einen Drink ein." "Nailles trank ziemlich viel." "Ich hole Ihnen einen Drink." "Er genehmigte sich noch einen Whiskey."

Auf fast jeder Seite stehen solche Sätze. Auf Dauer wirken sie wie Pfeiler, Türrahmen oder im Weg stehende Stühle, mit denen der Leser immer wieder zusammenprallt. Etwa so, wie das Ehepaar Wickwire, dem es auf gesellschaftlicher Ebene niemand gleichtun kann. Die beiden sind besonders engagierte Trinker, die ständig Treppen herunterfallen oder mit dem Auto im Straßengraben landen, dennoch zu jeder Party tadellos gekleidet erscheinen, wenn auch mindestens einer von ihnen hinkt oder einen Arm in einer Schlinge trägt.

So ist das Leben in Bullet Park, einem Vorort von New York, in den sich der Mittelstand zurückgezogen hat. Die Frauen bleiben zu Hause, die Männer fahren mit dem Zug zur Arbeit in die Stadt, und wenn ein Jugendlicher auf den Ort schauen würde, wie es sich der Erzähler auf den ersten Seiten vorstellt, sähe er "Legionen von partnertauschsuchenden, judenhetzerischen, trunksüchtigen geistigen Bankrottteuren" und wünschte sich, sie gingen alle zum Teufel. "Zur Hölle mit den hellen Lichtern, bei denen niemand liest, zur Hölle mit der ständigen Musik, die niemand hört, zur Hölle mit den weißen Häusern, die bis zur Dachrinne mit Hypotheken belastet sind." Es ist ein Buch also über das Leben nach dem Tod des amerikanischen Traums, der mit all den schönen Dingen auch Glück und Erfüllung versprochen hatte, ein Buch über die schier unaushaltbare Depressivität, die sich unter der Decke von auf Pump erfüllten Konsumwünschen breitmacht. Und es ist erzählt mit einer gewissen Gnadenlosigkeit, weil vor allem durch die Trägheit, die Bigotterie und die Denkfaulheit der Leute, die da trinken, alles so kommt, wie es kommt.

"Die Lichter von Bullet Park" sind mit sehr bösem Witz und irrwitzigen Wendungen in der Geschichte geschrieben, in die der Autor als Inseln trügerischer Ruhe immer wieder Vignetten gepflanzt hat, die als sehr kurze Kurzgeschichten auch für sich selbst stehen könnten. Einmal etwa warten ein paar verkaterte Männer morgens auf den Zug nach New York. Der eine liest die "Times", der andere das "Wallstreet Street Journal", und der dritte ist, nachdem der Expresszug durch den Bahnhof gebraust ist, verschwunden. Von ihm bleibt ein Schuh auf dem gegenüberliegenden Gleis. Nach ein paar Sätzen ist keine Rede mehr von ihm. Und auch die Geschichte der Ehe von Mrs. Heathcup könnte eine Short Story sein. Sie würde, nachdem Mr. Heathcup sich in einer Pause, die er vom Streichen des Wohnzimmers nahm, im Garten erschossen hatte, damit enden, dass die Nachbarn anmarschieren, um Mrs. Heatcup zu trösten: "Wir tranken etwas, und sie waren so aufmunternd, dass ich fast vergessen hätte, was passiert war."

Für seine Kurzgeschichten ist John Cheever, der von 1912 bis 1982 lebte, immer noch berühmt. Allein neun Bände hat er mit ihnen gefüllt, von denen allerdings nur eine Auswahl auch auf Deutsch vorliegt, unter anderem bei DuMont. Dieser Verlag hat sich aber im Augenblick mehr auf die Romane verlegt, "Die Lichter von Bullet Park" ist bereits der dritte, der in neuer Übersetzung dort herauskommt, und Thomas Gunkel hat einen sehr geschmeidigen Ton für diese eigentlich ungeheuerliche Geschichte gefunden, die atmosphärisch so dicht und mimetisch ist, dass man froh ist, wenn die Leute mal an die frische Luft gehen, zum Angeln zum Beispiel, auch wenn dort die Gespräche eine grausame Wendung nehmen.

Im Mittelpunkt des ersten Teils steht Nailles, ein Werbemann für Mundwasser, seine Frau Nellie und ihr Sohn Tony, der sich irgendwann entschließt, im Bett zu bleiben, was Anlass für eine Parade von Ärzten und Heilern bietet; der zweite Teil wird in Ich-Form von einem Mann namens Hammer erzählt, der unehelich geboren wurde und dessen Geschichte aus so traurigen Erlebnissen gemacht ist wie jenem Weihnachtsabend, an dem er versucht, mit seinem Vater ein Bier oder wenigstens mit der Mutter ein Glas Tee zu trinken, was ihm beides nicht glückt. Ist es da ein Wunder, dass wir lesen, "ich hatte mich dem Alkohol ergeben und trank unablässig weiter"? Im dritten Teil schließlich treffen sich die beiden wieder, die einander schon im ersten vorgestellt worden waren ("sie würden Hunderte von Cocktailpartys als Hammer und Nailles durchstehen müssen"), und da wird es richtig garstig.

Geschichten dieser Art haben uns andere Autoren, etwa Richard Yates in seinen großartigen Romanen, auch schon erzählt. Wenn ein Buch wie dieses also vierzig Jahre übersteht, uns lachen und traurig macht und sich immer noch flüssig weglesen lässt, spricht das für das Formvermögen des Autors. Denn Cheever erzählt uns inmitten seiner Boshaftigkeit auch, wie sich Hoffnung an ein bestimmtes Gelb knüpfen kann, wie der Regen an unterschiedlichen Orten schmeckt und was der Vater fühlt, wenn er seinem Sohn gegenübersteht und ahnt, dass sie beide die Rollen spielen, die für sie vorgesehen waren.

John Cheever: "Die Lichter von Bullet Park". Roman.

Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. Dumont Buchverlag, Köln 2011. 255 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2011

Satyr der Suburbs
Wo die „Mad Men“ wohnen: Die neue Übersetzung von John Cheevers Vorstadt-Satire „Bullet Park“ ist der ideale Einstieg in das Werk des großen amerikanischen Autors
Als er 1975 den letzten Martini seines Lebens kippte und sich in eine Entzugsklinik begab, war keines seiner Bücher mehr lieferbar. Doch John Cheever, der 1958 mit seinem ersten Roman „The Wapshot Chronicle“ auf Anhieb den National Book Award gewonnen hatte, obsiegte über seine Sucht ebenso wie über die Zweifler, die ihn als einen der größten amerikanischen Erzähler des 20. Jahrhunderts bereits abgeschrieben hatten.
Und drei Jahre später war er wieder da: Sein irrwitziger Gefängnis-Roman „Falconer“, der in Fortsetzungen im amerikanischen Playboy vorabgedruckt worden war, erklomm 1978 Platz eins der Bestseller-Liste, und Cheevers vom Alkohol gezeichnetes Gesicht schaffte es auf das Cover des Magazins Newsweek. 1979 erhielt er den Pulitzer-Preis für einen Band mit ausgewählten Short Stories, und sechs Wochen vor seinem Krebstod im Jahr 1982 wurde ihm noch die Nationalmedaille der American Academy of Arts and Letters verliehen.
Ruhm und Ehre waren späte Genugtuung für die Jahre der Erfolglosigkeit und nagenden Selbstzweifel, bestimmt von Depressionen, Abstürzen und einer selbstzerstörerischen Energie, die vor allem durch seine unerlöste Bisexualität befeuert wurde. Cheever schrieb zunächst Kurzgeschichten für den New Yorker. Allmorgendlich fuhr er mit dem Aufzug ins Souterrain des Apartmenthauses, in dem er damals mit seiner Familie lebte, und legte seinen einzigen Anzug sofort wieder ab, um ihn zu schonen. Nur mit Boxershorts bekleidet, versuchte er, eine neue Geschichte „auszuschwitzen“, um die Miete bezahlen zu können. Zwanzig Jahre brauchte er für den ersten Band seiner „Wapshot“-Saga, mit dem er als Romancier debütierte und auf dem der ganze Druck der Ambition lastete, all jene zum Schweigen zu bringen, die behaupteten, ihm fehle der lange Atem des Epikers.
Umso eifersüchtiger – und zudem von heftigem Sexualneid angespitzt – sieht Cheever jüngere, produktivere Talente wie Philip Roth und John Updike an sich vorbeiziehen. Der scharfsinnige Witz und die Geschmeidigkeit des jungen Roth, den er 1957 in seinem Haus Upstate New York empfängt, strecken Cheever förmlich nieder, und als Updike ihn einmal abends zu einem Konzert abholen will, erwartet er diesen völlig nackt und völlig betrunken auf der Türschwelle. „Mit meinen Herbstrosen und meinem Winterzwielicht scheine ich wohl nicht in der ersten Liga zu spielen“, notiert erin sein Tagebuch – und lässt seine Zerknirschung wie gewohnt bei ein paar Bourbons verflimmern.
Cheever, in dessen Wesen die zerstörerischen Kräfte oft machtvoller waren als die schöpferischen, fühlt sich wie ein Häftling, „der versucht, über die falsche Route aus dem Gefängnis auszubrechen“. Den Tiefpunkt erreicht seine zunehmend beschleunigte Höllenfahrt 1969, als sein Roman „Bullet Park“ auf der Titelseite der New York Times Book Review katastrophal verrissen wird. Für den Rezensenten kam das Buch, das, so Cheever, „ein Extrakt meiner privatesten Gefühle ist“, einem literarischen Bankrott gleich. Dabei schrieb Cheever nach Fertigstellung des Romans, der erst jetzt in einer kongenialen deutschen Übersetzung vorliegt, selbstkritisch: „Als ich mit ,Bullet Park‘ zu Ende kam, verspürte ich das Bedürfnis, meine Herangehensweise an die Dinge zu überdenken, das heißt, meine Prosa tunlichst nicht mehr aus den kleinsten Einzelheiten des Lebens der gehobenen Mittelklasse zu entwickeln: Sie gehörte zu den Frauen, die für alle Autos und viele andere Geräte das weibliche Geschlecht benutzen. Volkswagen, Kühlschrank und Waschmaschine waren eine ,Sie‘, und wenn sie kaputtgingen, wurden sie als krank bezeichnet. ,Sie ist krank‘, sagte sie dann vor dem Kühlschrank. Sie sprach ungehemmt mit Ampeln und bezeichnete das Auto als durstig . . . Mit so was würde ich gern aufhören.“
Sicher, „Bullet Park“ ist nicht Cheevers bestes Buch – das ist wohl sein Tagebuch, das zu den bedeutendsten Zeugnissen der Literaturmoderne gehört –, und doch bündelt der allzu schematisch angelegte Roman alles, was diesen großartigen Schriftsteller auszeichnet: stilistische Brillanz, Leidenschaftlichkeit und erzählerische Kraft. Das Buch empfiehlt sich als idealer Einstieg in sein Werk für all jene, die Cheever noch nicht entdeckt haben oder, angefixt von der Fernsehserie „Mad Men“, fiebernd auf deren nächste Staffel warten. Eine Szene von so bösem Witz wie jene, da die Werber in einer Folge den Landmaschinenhersteller John Deere als Kunden gewonnen haben, könnte sich auch John Cheever ausgedacht haben: In der Agentur feiert man ausgelassen den Erfolg – unter Strömen von Alkohol und mit einer beschwingten Rundfahrt auf einem Aufsitzmäher über die Büroflure, als der kleine Rasentraktor mit seinen motorisierten Sicheln außer Kontrolle gerät. Der lässig an einen Schreibtisch gelehnten Agenturchef verliert bei dieser Party einen Fuß und seinen Job.
Wie eine Blaupause zu „Mad Men“ wirkt „Bullet Park“, dieser zweite Suburbia-Klassiker neben Richard Yates’ „Revolutionary Road“. Es gibt viele Parallelen zwischen den Zeitgenossen Cheever und Yates – die alkoholischen Exzesse, der Hang zur Selbstzerstörung und das schlechte Timing, das wie ein Fluch auf ihren Laufbahnen lag. Beide schrieben sie langsam und kamen mit ihren Büchern zu spät, galten bereits als altmodisch, bevor sie ihren Rang beweisen konnten. Im Gegensatz zu Cheever, der seinen Triumph noch erlebte, ging Yates elend zugrunde – verkannt, verbrannt und verbannt. Erst in den vergangenen Jahren wurde er literarisch rehabilitiert. Die Ironie des Schicksal wollte es, dass Cheever, als er New York den Rücken kehrte, der Nachmieter von Richard Yates wurde. Er zog in das Cottage in Westchester, das dieser bewohnt hatte, bevor sein persönlicher amerikanischer Traum genauso zerbrach, wie er es in „Revolutionary Road“ schildert.
Beide kannten sie aus eigenem Erleben die morgendlichen Heerscharen von „Commuters“, die uniformierten Berufspendler an den Provinzbahnhöfen, Männer in mittlerem Alter mit kleinen Hüten, steifen Popeline-Mänteln und leeren Gesichtern. An ihr Dasein gekettet durch Bankschulden, zerrüttete Ehen und sinnlose Jobs, waren ihre Illusionen unter die Räder der Züge geraten, die sie jeden Tag nach Manhattan pumpten. Während Richard Yates das Los der konsumistisch sedierten amerikanischen Mittelklasse jener Zeit, die an ihrem Konformismus zuschanden geht und ohne die akzeptierte Droge Alkohol keine einzige Arbeitswoche durchstehen könnte, mit der Wucht einer antiken Tragödie entfaltet, liest sich Cheevers „Bullet Park“ wie das garstige Satyrspiel, das die Götter verspottet, denen Yates huldigt. Der Roman ist das elegante, witzige und poetische Gegenstück zu „Revolutionary Road“, obgleich Cheever im Tagebuch festhält: „Es war mein eigener, früh im Leben gefaßter Entschluss, mich in die Mittelschicht einzuschleichen wie ein Spion, um mir eine günstige Angriffsposition zu verschaffen, aber hin und wieder scheine ich meine Mission vergessen und meine Maskeraden zu ernst genommen zu haben“.
Solch ein Eindringling, ein Schläfer, eine tickende Zeitbombe ist auch der Mann namens Hammer, der eines Tages in den fiktiven New Yorker Vorort Bullet Park zieht. Bullet, also Geschoss heißt das Städtchen, weil sich hier brave Familienväter schon mal im Garten erschießen, nachdem sie das Esszimmer frisch gestrichen haben. Hammer hat nichts Harmloseres im Sinn, als einen der Bewohner zu kreuzigen, ihn buchstäblich an die Kirchentür zu nageln, „als Paradebeispiel für ein Leben ohne echtes Gefühl und echten Wert“.
Seinen Nagel und also sein Opfer findet er in dem Angelfreund Nailles. Nailles ist ein typischer Bürger von Bullet Park, einen Ort, über den es heißt: „Man braucht sich nur seine Kleidung bei Brooks zu kaufen, mit dem Zug zur Arbeit zu fahren und einmal in der Woche in die Kirche zu gehen, dann fragt kein Mensch, wer man ist.“ Wie jeder hier hasst Nailles seinen Job und liebt seine mannstolle Frau Nellie, deren Monogamie sich einzig widrigen Umständen verdankt. Und er liebt seinen einzigen Sohn Tony, der jedoch aus Protest gegen die elterliche Bigotterie nicht mehr das Bett verlässt. Als eines Morgens von einem der Männer, die gleich ihm – verkatert und ihre Ginfahne hinter der Times oder dem Wallstreet Journal verbergend – am Bahnsteig warten, nach der Durchfahrt eines Zuges nur ein einzelner Schuh auf dem Gleisbett übrigbleibt, bringt Nailles es nicht länger über sich,in den täglichen Pendelzug in die Stadt zu steigen. Seine kleine Phobie bekommt er dank eines gnädigen Arztes in den Griff, der kurz darauf die Zulassung wegen der bunten Pillen verliert, deren Zauberkraft die Arbeitsfähigkeit der männlichen Siedlungsbewohner aufrecht erhält.
Mit vitalem Grimm geißelt John Cheever die „Legionen von partnertauschenden, judenhetzerischen, trunksüchtigen geistigen Bankrotteuren“ in ihren weißen Häusern, die „bis zur Dachrinne mit Hypotheken belastet sind“, die perfekten Ehepaare, von deren alkoholbedingten Unfällen Armschlingen, Verbände und Heftpflaster zeugen. „Verflucht sei ihre Scheinheiligkeit, verflucht ihre Heuchelei, verflucht ihre Kreditkarten, verflucht ihre Geringschätzung der Wildnis des menschlichen Geistes, verflucht ihre Makellosigkeit, verflucht ihre Lüsternheit. Doch vor allem seien sie verflucht, weil sie dem Leben jene Kraft und Würze, jene Farbe und Inbrunst geraubt haben, die ihm Bedeutung verleihen. Heulen und Wehklagen“, heißt es in Thomas Gunkels eleganter Übersetzung, deren Durchlässigkeit zu schätzen weiß, wer noch den hölzernen Klang der älteren deutschen Fassung im Ohr hat.
Richtig abgründig aber wird es, wenn Cheever im zweiten Teil des Romans die Seite wechselt und nicht mehr über das reglementierte Leben der Vorstadt-Puritaner, die ihre Briefkästen mit geradezu sexueller Gier nach einer Verbindung zur stürmischen Welt der Einladungen, Schecks und Liebesbriefe öffnen („es sah fast so aus, als würden sie sich die Hose aufknöpfen“) schreibt, sondern über deren Racheengel. Und damit über seine eigene Dämonie. Dieser Mann namens Hammer ist ein haltloser Alkoholiker auf der Suche nach Erlösung, die er einzig in den gelben Zimmern wildfremder Menschen findet, und der eine Frau heiratet, weil er dem Mysterium eines weißen Fadens auf ihrem Mantel verfällt. In der Schilderung dieser Kippfigur und ihres lauernden Irrsinns kommt Cheevers dunkel schillernder Glanz erst zur Geltung. „Wenn wir die Klarheit aufgeben, finden wir hin und wieder die Kraft zu breiteren Assoziationen“, schrieb er einmal.
In „Bullet Park“ hat er seine innere Zerrissenheit auf zwei antagonistische Figuren verteilt und sein Lebensthema, den Dualismus einer zügellosen Triebhaftigkeit, die mit den sozialen Normen nicht zu vereinbaren ist, satirisch variiert. Cheever gab sich als accomplished gentleman und war doch immer nur eine Handbreit vom Abgrund entfernt. Der Roman endet mit einem vergifteten Happy End, und wer ihn liest, ahnt, dass es John Cheever ernster war, als sein Hohn vermuten lässt: „Ein Mann allein ist etwas Einsames, wie ein Stein, ein Knochen, ein Stock; er ist ein Gefäß für Gilbey’s Gin, eine gebeugte Gestalt, die auf dem Rand eines Hotelbettes sitzt und schwere Seufzer ausstößt wie der Herbstwind“, heißt es in einer frühen Skizze zu diesem so aberwitzigen Roman „Bullet Park“. CHRISTOPHER SCHMIDT
JOHN CHEEVER: Die Lichter von Bullet Park. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Dumont Buchverlag, Köln 2011. 256 Seiten, 19,99 Euro.
Cheevers Roman ist das ebenso
witzige wie poetische Gegenstück
zu Yates’ „Revolutionary Road“
So richtig zu sich kommt Cheevers
Prosa erst, wenn er über
seine eigenen Dämonen schreibt
„Schließlich zieht er sich an und betritt, geplagt von Schwindelgefühl, Schwermut, Übelkeit und flüchtigen Erektionen, sein Gethsemane, seinen Montagmorgenzug um zehn Uhr achtundvierzig“, heißt es in „Bullet Park“ über einen jener Commuters der sechziger Jahre, wie sie auf unserem großen Bild zu sehen sind. Das klei-ne Bild zeigt John Cheever 1979 auf der Terrasse seines Hauses in Ossining, umgeben von den Dingen, die ihm am
wichtigsten waren:
Bücher, Hunde, Whiskey.
Fotos: Carl Mydans / Time Life Pictures / Getty Images, The New York Times / Redux / laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Ich kann nur sagen: Lesen Sie Cheever."
DIE WELT

"Cheever erweist sich in diesem, seinem vorletzten Roman von Neuem als ein genialer Erzähler."
DIE ZEIT

"Der DuMont Verlag bemüht sich nun schon seit einigen jahren dankenswerterweise, mit Cheever einen hierzulande kaum bekannten Autor zu etablieren, den Jonathan Franzen immerhin zu einem seiner Lehrmeister erklärt hat (...) ein verstörendes Buch mit einer dpppelten Wendung (möge es viele Leser geben)."
SPIEGEL ONLINE

"Wenn ein Buch wie dieses vierzig Jahre übersteht, uns lachen und traurig macht und sich immer noch flüssig weglesen lässt, spricht das für das Formvermögen des Autors (...)Thomas Gunkel hat einen sehr geschmeidigen Ton für diese eigentlich ungeheuerliche Geschichte gefunden, atmosphärisch so dicht und mimetisch."
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

"Einen derart komischen und funkelnden Romanbeginn wird man in diesem Bücherfrühling nicht sobald finden."
FALTER

"Cheever ist ein wunderbar boshafter doch keineswegs hämischer Menschenbetrachter und schreibt mit so rücksichtslos verzweifeltem Witz über die Schwächen und Tücken seiner Protagonisten, dass man erleichtert lacht ob dieser kuriosen anderen."
DEUTSCHLANDRADIO KULTUR

"Der Roman bündelt alles, was diesen großartigen Schriftsteller auszeichnet: stilistische Brillanz, Leidenschaftlichkeit und erzählerische Kraft. Eine kongeniale deutsche Übersetzung des Romans."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

"Ein seltsamer Roman, in dem in kleinen Details die Brüchigkeit des Lebens in Suburbia vorgeführt wird ( ...) in neuer, sehr prägnanter Übersetzung."
KÖLNER STADTANZEIGER

"An skurrilem Humor überbietet Cheever alle, (...) Was einen für diesen Roman - sieht man von dessen sprachlicher und erzählerischer Bravour einmal ab - ganz besonders einnimmt, ist der Umstand, dass Cheever seine Figuren nicht einfach nur bloßstellt."
LITERATUREN

"Eine meisterliche, bizarr-böse Abrechnung mit der amerikanischen Traum-Verlogenheit."
STERN

"Erzählungen vom Glauben an das Glück und vom Scheitern an den Randzonen der Städte."
FRANKFURTER RUNDSCHAU

"John Cheever schildert mit großer erzählerischer Wucht das verlogen-neurotische Vorstadtleben."
GALA

"Erbarmungslos hell und schneidend scharf, poetisch und intellektuell brillant."
RHEINISCHE POST

"Cheever war ein brillanter, weil unglaublich eleganter Erzähler, voller kleiner, schillernder Ideen, und einer geschmeidig angepassten Sprache."
JUNGE WELT

"Neben den spannenden Wendungen ist es vor allem der Stil von Cheever in dieser neu übersetzten Fassung des Klassikers aus dem Jahr 1969: Er schafft einen Erzählton, der so harmlos und beiläufig klingt und doch absolut mitreißend ist. Ein echter Genuss!"
KÖLNER EXPRESS

"Cheevers Blick ist detailgesättigt und erbarmungslos sezierend - besser kann man kaum unterhalten."
HESSISCHE ALLGEMEINE

"Erbarmungslos hell und schneidend scharf, poetisch und intellektuell brillant."
BERLINER ZEITUNG

"Dieser Roman wird Unruhe stiften, im Kopf des Lesers und in der Welt, die er entwirft."
DER TAGESSPIEGEL

"Was man denkt, wenn man Bullet Park
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader hat John Cheevers Roman "Die Lichter von Bullet Park" von 1969 mit Enttäuschung gelesen, denn sie sieht ihn trotz sehr gelungener Passagen insgesamt an seinen eigenen "Dämonen" scheitern. Im ersten Teil wird das Leben des durchschnittlichen Nailles geschildert, der mit Frau und Sohn ein "unauffälliges Leben" führt, das im Lauf des Romans einen langsamen aber steten Niedergang erfährt. Der zweite Teil widmet sich dem unter unglücklichen Verhältnissen aufgewachsenen Hammer, dessen Lebensplan - aus für Schader nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen - die "Kreuzigung" eines "braven Familienvaters" beinhaltet. An der Wurzel der Existenz seiner Protagonisten liegt die Depression, die, wie die Rezensentin weiß, auch den Autor - neben Alkoholsucht, Eheproblemen und einer ängstlich versteckten Bisexualität - fest im Griff hatte. Und wenn Hammer schließlich seine Kreuzigungspläne auf Tony verlegt, findet sie das genauso unplausibel wie deren überraschende Vereitelung. Das Thema Depression hat Cheever weder in seinem Roman, noch im eigenen Leben meistern können, stellt sie bedauernd fest, obwohl der "Rang" des Autors für sie außer Frage steht.

© Perlentaucher Medien GmbH