Bei Darnton geht es darum, sich von der Auffassung zu verabschieden, Zensur sei ein einfacher Mechanismus der Unterdrückung: auf der einen Seite der Ausdruckswille von Autoren, auf der anderen Seite purer Zwang. Diese Vorstellung ist für Darnton viel zu einfach gestrickt.
Drei staatliche Zensurapparate nimmt der renommierte amerikanische Historiker etwas näher in den Blick. Der Bogen, den er mit ihnen schlägt, reicht vom achtzehnten bis fast ans Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Den Anfang macht, wenig überraschend, die königliche Zensur im Ancien Régime, dessen Bücherwesen, von der Produktion bis zur Rezeption, Darnton schon eine Reihe von exzellenten Studien gewidmet hat. Wobei diesmal nicht der Markt klandestiner Schriften und Raubdrucke im Mittelpunkt steht, den Darnton öfter untersuchte, sondern vor allem das offizielle Bücherwesen, oder anders formuliert: jene Bücher, die mit Approbation und königlichem Privileg erscheinen sollten.
Die entsprechende Zensurstelle war die Direction de la librairie, genauer eine ihrer beiden Abteilungen, die mit der Erteilung oder Verweigerung von Druckprivilegien - für das Buch, den Buchhändler und die vor allem steuerlich begünstigte Buchhändlergilde - befasst war. Da kommen nun die Zensoren ins Spiel, meist ehrenamtlich fungierende Gutachter, an welche die eingereichten Manuskripte vom Direktor der Librairie geschickt wurden. Wer nun glaubt, dass diese Gutachter lediglich nach Stellen fahndeten, die gegen Krone, Kirche oder einzelne hochgestellte Persönlichkeiten gingen, täuscht sich.
Die "gefährlichen" Bücher wurden ja ohnehin nicht vorgelegt, und die Ablehnungen fielen mit etwa zehn Prozent der Einreichungen bescheiden aus. Sie mussten noch nicht einmal bedeuten, dass das Buch gar nicht erschien; es konnte auch ohne Approbation durchgewinkt und geduldet werden, um nicht noch mehr Geld an Druckereien im nahen Ausland abfließen zu lassen, woher die klandestinen Veröffentlichungen und Raubdrucke ins Königreich kamen.
Die positive Approbation durch die Zensoren, welche das königliche Privileg nach sich zog, war dagegen nicht bloß eine Unbedenklichkeitserklärung, sondern eine Empfehlung, was Inhalt wie Form anbelangte. Wofür die Zensoren im Vorlauf oft auch konkrete Verbesserungen anregten, mitunter die Autoren berieten, also eine Art von Lektoratsarbeit erbrachten und lobende Einschätzungen schrieben (und im Ablehnungsfall sachliche wie stilistische Mängel monierten). Das privilège du roi war, verbindliche Standards für Papier und Druck "Made in France" eingeschlossen, ein Qualitätssiegel. Darnton ist ein Meister der aus Archiven gezogenen und pointiert erzählten Fallgeschichten. Um den Verdacht nicht aufkommen zu lassen, das von ihm gezeichnete Bild der Zensorenarbeit verharmlose den Zugriff des Staates, gibt er auch Beispiele der Polizeiarbeit gegen klandestine Schriften. Da tritt die Staatsmacht schon etwas grimmiger in Erscheinung.
Das zweite Beispiel führt Darnton von den Pariser Archiven zu jenen des britischen Indian Civil Service und in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Die britischen Kolonialherren in Indien mussten damals durch eine Reihe von Erhebungen erfahren, dass sie über ihre indischen Untertanen bedrohlich wenig wussten. Zu den ergriffenen Gegenmaßnahmen gehörte die Erhebung und Klassifizierung der schnell wachsenden lokalen Buchproduktion. Zensur war da gar nicht das Ziel, sondern Wissen - und auch das wuchs rasch und führte zu einem erstaunlichen Diskurs über indigene Literatur auf dem Höhepunkt des Imperialismus.
Zwar zeigte dieser ein paar blinde Flecken, die mit hochkulturellen Voreinstellungen zu tun hatten, aber im Ganzen wurde er von den britischen wie indischen Bibliothekaren mit beeindruckendem intellektuellem und literarischem Engagement geführt, wie Darnton zeigt. Bloß blieb es nicht dabei, denn mit dem immer deutlicher werdenden indischen Nationalismus floss dieses Wissen dann doch in Repressionsmaßnahmen gegen "aufrührerische" Literatur ein. Wobei die Kolonialherren darauf bedacht waren, diesen Verfolgungen die Form von Urteilen zu geben, die in ordentlichen Gerichtsverfahren gefällt wurden.
Kaum deshalb, weil die Inder über deren Zweck zu täuschen waren, diagnostiziert Darnton, sondern um vor sich selbst den Widerspruch zwischen liberalen Prinzipien, auf deren zivilisatorischen Stellenwert sie pochten, und imperialistischen Imperativen möglichst zu verbergen. Gerichtsverhandlungen, in denen es darum ging, ob eine Erzählung oder ein Gedicht Motive von Hindu-Mythen mit Hintersinn verwende, nämlich für Attacken auf die Briten, wurden dadurch tendenziell zu Debatten à la Literaturseminar zwischen Verteidigern und Anklägern - in denen der Richter dann dafür sorgte, dass vieldeutiger Sinn nicht das letzte Wort blieb, sondern Eindeutigkeit und erwartbare Gefängnisstrafen.
Darntons drittes Beispiel schließlich ist der Zensurapparat des kommunistischen Ostdeutschlands in den siebziger und achtziger Jahren (Honecker wurde 1971 Generalsekretär des ZK der SED). Auch hier stützt er sich auf eigene, gleich nach dem Fall der Mauer und in den frühen neunziger Jahren angestellte Nachforschungen. Mit den inzwischen erschienenen Studien zur DDR-Zensur, deren Autoren wesentlich mehr Zeit für die Sichtung der Quellen aufwenden konnten als der amerikanische Gast am Berliner Wissenschaftskolleg, konkurriert Darnton nicht. Aber er gibt eine gute Beschreibung, wie in der DDR Literatur geplant und auf Parteilinie gebracht wurde - im langen Instanzenweg von der Diskussion in den beaufsichtigten Verlagen, dann in der "Hauptverwaltung Verlage und Buchhandlung", die ihre Entscheidungen wiederum vor der Kulturabteilung des ZK zu verantworten hatte, und in letzter Instanz von Politbüro und Honecker.
Worauf Darnton hinauswill, ist auch hier: Zensur war kein einfacher Durchgriff auf Texte, sondern effektives Ergebnis eines Systems, das auf viele Instanzen und Akteure verteilt war. Effektiv war es, weil es dafür sorgte, dass der bedeutendste Teil der Zensurarbeit letztlich im Kopf des Autors stattfand, ob nun schon in den ersten Anläufen zum Text oder erst in den Verhandlungen über nahegelegte oder geforderte Änderungen.
Die Verlagslektoren und selbst die Mitarbeiter der "Hauptverwaltung" konnten sich dabei sogar als Ermöglicher guter, dabei linientreuer sozialistischer Literatur verstehen. Zumindest so lange, wie sie nicht die direkt gegenüber den Autoren angewendete Strategie von Zuckerbrot und Peitsche bedienten, die immer als Machtmittel im Hintergrund stand - und die Darnton auch mit gebührendem Nachdruck ins Bild holt.
Drei staatliche Regime also, um auf Literatur Einfluss zu nehmen. So verschieden, trotz vieler Parallelen, dass man sie gar nicht leicht unter einen Hut bringt. Aber diesen Hut namens "Zensur", unter den alles passt - abgesehen von der immer präsenten staatlichen Durchgriffsmacht -, möchte Darnton auch gar nicht finden. Sein Punkt ist, dass nicht auf der Hand liegt, wie Zensur arbeitet. Deshalb muss man sich ihre Regime näher ansehen. Die Auswahl seiner drei Beispielfälle mag man mehr oder minder aufschlussreich finden, lehrreich sind sie jedenfalls und führen dabei einmal mehr vor, dass Darnton nicht nur ein Mann der Archivfunde ist, sondern auch ein exzellenter Erzähler.
Robert Darnton: "Die Zensoren". Wie staatliche Kontrolle die Literatur beeinflusst hat. Vom vorrevolutionären Frankreich bis zur DDR.
Aus dem Englischen von Enrico Heinemann. Siedler Verlag, München 2016. 368 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].
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