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"Russland, das Land, das sich einmal die Errichtung einer neuen Welt vorgenommen hatte und nun in den Trümmerstücken davon allein dasteht. Russland, das Land meiner Mutter, und als sie gestorben war, bin ich hingefahren ..." Irina Liebmann stellt sich in diesem Buch eine so einfache wie herausfordernde Frage: Was ist Russland?
Siebzig Jahre lang kannte die Welt nur die Sowjetunion, ihre Politik, ihre Kultur - dort, wo einst das Zarenreich gewesen war. Nun ist die Sowjetunion verschwunden, an ihrer Stelle ist Russland erschienen, aber was ist Russland? Diese Frage führte Irina Liebmann in
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Produktbeschreibung
"Russland, das Land, das sich einmal die Errichtung einer neuen Welt vorgenommen hatte und nun in den Trümmerstücken davon allein dasteht. Russland, das Land meiner Mutter, und als sie gestorben war, bin ich hingefahren ..." Irina Liebmann stellt sich in diesem Buch eine so einfache wie herausfordernde Frage: Was ist Russland?

Siebzig Jahre lang kannte die Welt nur die Sowjetunion, ihre Politik, ihre Kultur - dort, wo einst das Zarenreich gewesen war. Nun ist die Sowjetunion verschwunden, an ihrer Stelle ist Russland erschienen, aber was ist Russland? Diese Frage führte Irina Liebmann in den letzten Jahren drei Mal zurück in das Land, in dem sie geboren wurde, das Land ihrer Mutter.Nur einer Schriftstellerin vom Format Irina Liebmanns gelingt es, sich so auf Orte einzulassen, ob die gegenwärtigen oder bereits untergegangenen, dass schon der Rhythmus ihrer Sprache, die Auswahl an Beobachtungen und Begegnungen, jene große diagnostische Kraft entfaltet, wie wir sie von den Reiseschriftstellern der Weltliteratur kennen.
Autorenporträt
Liebmann, Irina
Irina Liebmann, geboren 1943 in Moskau, studierte Sinologie in Leipzig. Seit 1975 lebt sie als freie Schriftstellerin in Ost-, später in Westberlin. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Preise, u. a. den Aspekte-Literaturpreis und den Berliner Literaturpreis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So ganz erklären kann der Rezensentin auch die Autorin nicht, was aus Mütterchen Russland wird. Nur dass die Männer weg sind, erfährt Sabine Berking aus Irina Liebmanns Erkundungen in den Kirchen, auf den Datschen und an den Küchentischen ihrer Heimat, bei Freunden, die Berking trotz mancher politischer Verirrung, manch irrtitierendem Stalin-Lob als trotzige, liebenswerte Fatalisten kennenlernt. Darüber hinaus schätzt Berking den bescheidenen ethnologischen Zugang der Autorin zu "ihren" Russen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2013

Die harte Schale der vielbeschworenen russischen Nuss

Russlands Schicksal, da können die Herren Machthaber noch so sehr ihre Muskeln spielen lassen, ruht auf weiblichen Schultern, wie Irina Liebmanns kurzweilige und lebenskluge Erzählung zeigt.

Mit dem Verstand sei Russland nicht zu begreifen und mit gewöhnlichem Maß nicht zu messen, es bleibt einem nur, daran zu glauben, schrieb 1866 Fjodor Tjutschew. Ausgerechnet aus diesem despotischen Land wehte vor einem Vierteljahrhundert der Wind des Wandels. Ohne Russland, das damals größer war und Sowjetunion hieß, sähe der Kontinent und vermutlich auch die restliche Welt heute anders aus.

1813, 1917/18, 1945 und 1989 - fast jede Zeitenschrunde in der jüngeren Geschichte hat mit den Russen zu tun. Sie haben gleich mehrfach die Welt auf den Kopf gestellt, nur ihr eigenes Land und sie selbst sind gegen einen grundlegenden Wandel scheinbar immun. Für einen kurzen Moment schien damals Europa nach Osten zu rücken. Doch was ist seit der letzten Zäsur mit uns geschehen, mit uns im Westen und den Russen im Osten? Sind wir einem falschen Glanz hinterhergelaufen, der nun seine Leuchtkraft verliert?

Mit diesen Fragen macht sich die Berliner Autorin Irina Liebmann auf, die harte Schale der vielbeschworenen russischen Seele zu knacken. Wo man dies am besten tut, weiß die 1943 in Moskau als Tochter eines deutschjüdischen Kommunisten und einer aus Sibirien stammenden Mutter geborene Liebmann: an Küchentischen, auf Datschen, in der Provinz und in den Gotteshäusern.

Sie übt sich in Bescheidenheit. Um Russland zu beschreiben, braucht es einen Genius. Und weil es davon so wenige gibt, stochern wir scheinbar im Dunkeln. Dabei ist die in Ost-Berlin aufgewachsene Schriftstellerin eine passable Ethnologin, sie kennt die Russen und spricht ihre Sprache. Schließlich war sie einst selbst ein sowjetisches Kind, das heute im gewaltigen Moskau, wohin sie zuerst reist, ziemlich fremdelt. Sie mietet sich bei einer älteren Dame ein, die zur Aufbesserung der Rente nachts Garagen am anderen Ende der Stadt bewacht. Ihre Kinder und die Enkeltochter leben in Deutschland, täglich telefoniert sie mit ihnen. Und betet. Es ist die Zeit vor den Maifeierlichkeiten. Vom 1. bis zum 8. Mai, dem bis heute mit martialischen Militärparaden gefeierten Tag des Sieges, ist Moskau ausgestorben. Der Tag der Arbeit ist zur leeren Feiertagshülse mutiert.

Immerhin können die Werktätigen dann endlich auf die Datscha, um Gemüse und Obst zu pflanzen. Im Fernsehen wechseln sich laute, vulgäre Werbespots mit patriotischen Filmen und grotesken Sendungen mit den inzwischen greisen Stars aus Sowjetzeiten ab. Die Buchläden sind voll, auch Zeitungen aller politischen Couleur gibt es, doch der erschreckende Grundton ist ein Loblied auf Stalin und Wutausbrüche über die Demokraten. Der Verlust des Imperiums nagt schmerzhaft an der russischen Seele.

Ob es früher geordneter war oder heute bunter und interessanter ist, dieser Streit geht durch die Familien. Am Elend des Volkes, dem neuen und vermutlich auch dem alten, seien, so die Gastgeberin, allein die Juden schuld, und Liebmann verschweigt tunlichst ihre Herkunft angesichts von so viel politischem Irr- und Aberglauben. Die Russen scheinen ebenso gast- wie fremdenfeindlich, an den Straßenrändern kauern die einstigen sowjetischen Brüder aus Mittelasien, die heute als Tagelöhner und ungebetene Illegale ihr Leben in der Metropole fristen. Wohnhäuser rotten vor sich hin. Als Abschiedsgeschenk vom Sozialismus konnten die Sowjetbürger ihre Wohnungen für wenige Rubel kaufen. Jetzt fehlt das Kapital und wohl auch der Gemeinsinn zur Instandhaltung.

Moskau im Mai, Estradenkonzerte und Kriegsfilme, blätternde Fassaden und Schlaglöcher, eine "Landschaft der Traurigkeit", in der man nicht mehr weiß, was Russland ist und was Sowjetunion war. Endlich geht es heim in die deutsche Puppenstube, zu den Berliner Latte-macchiato-Trinkern. Der Nagel in der Wand, an dem die mitgebrachte Billigkopie der Kasaner Mutter Gottes hängen soll, setzt die deutsche Elektrik außer Kraft. Wenn das kein Zeichen ist!

Kasan ist eine andere Geschichte. Stadt der Russen, Stadt der Tataren, Stadt der vielen Religionen, Stadt an der Wolga, dem russischsten aller russischen Flüsse. Es ist die Zeit vor Weihnachten, es ist bitter kalt, und doch strahlt Kasan im Vergleich zu Moskau so etwas wie Fortschritt und Toleranz aus. Ein hypermodernes, anonymes Hotel mit einer kompletten Glaswand zwischen dem Gast und der minus zwanzig Grad kalten Luft draußen, eine Stadt mit jungen Studenten an der zweitältesten Universität des Landes, Tolstoi und Lenin haben hier Bücher gewälzt. Eine Stadt voller Kirchen und Moscheen auf Hügeln und Autostaus vor den einzigen beiden Brücken über die Wolga. Eine Reisebekanntschaft will eine Wohnung für ihren Sohn kaufen, in der scheinbar boomenden Millionenstadt, die dann doch wieder leer und weit ist und voller Geschichten, über die Ikone und einen kleinen Boris, der später Präsident Jelzin wurde.

Der Himmel ist hoch, und Moskau ist weit. Zurück in Moskau, spazieren wir mit der Autorin durch den Kindervergnügungspark Sakolniki, ein Relikt aus kommunistischen Tagen. Dass die Sowjetunion vielleicht nichts als eine Kinderveranstaltung war, klingt bei aller Ironie angesichts von zwanzig Millionen Opfern dann doch etwas bizarr.

Also noch ein Schritt nach Russland, diesmal im Sommer. Das Volk ist auf der Datscha, einst eine fürstliche Gabe - das Wort Datscha kommt von geben - für treue Dienerschaft. Aus den adligen und bürgerlichen Tschechowschen Datschnikis, den Sommergästen, sind mehr oder weniger postproletarische Gärtner und Häuslebauer geworden, man werkelt und baut um und an. Die Datscha ist ein Mehrgenerationenprojekt für die Großfamilie, über Gesellschaftssysteme und Ideologien hinweg. Kleine Häuschen, die dem Sturm der Geschichte trotzen. Die Liebmannsche Freundin baut das vom Vater in kommunistischer Zeit bewusst bescheiden gehaltene Domizil aus, auch in Russland muss man ans Alter denken. Und wenn die Verwandtschaft auf dem Grundstück auch noch was bauen will, na dann, um des lieben Familienfriedens willen, der ist heilig.

Ob das, was die Russen über sich sagen, stimmt, sei dahingestellt. Sie reden von sich im "Wir", auch wenn dieses Wir nie etwas entschieden hat. Darum könnte man sie beneiden, sie haben angeblich keine Angst, weder vor Atomstrahlung noch vor Gift im Fleisch, sie haben eben Schlimmeres erlebt. Sie sagen immer die Wahrheit, auch die unangenehme, sie nehmen es, wie es kommt, sie haben nie eine Wahl gehabt. Die Liebmannschen Russen sind trotzige, liebenswerte Fatalisten, an die man gern glaubt, auch wenn man sie nicht ganz versteht. Wir Deutschen wollen immer was begradigen, verbessern, dafür mag man uns wohl eher nicht, während die Russen am wackligen Küchentisch die Unwetter der Geschichte aussitzen und Tee trinken. Wie bei Tschechow gibt es heute wieder Neureiche, deren Datschen Palästen gleichen. Tja, wenn da mal nicht wieder die Roten kommen. Russland verändert sich immer, und es verändert sich scheinbar nie. Es gibt Kreditkarten und Internet, doch wie das Land nach dem Putsch von 1993 erst ins Chaos und dann in eine neue Despotie schlitterte, kann irgendwie keiner erklären.

Eines aber kann man aus dieser kurzweiligen und lebensklugen Reiseerzählung herauslesen: Russland, da können die Herren Machthaber noch so sehr ihre Muskelpakete spielen lassen, ist nicht nur im grammatikalischen Sinne weiblich. Sein Schicksal ruht auf weiblichen Schultern, die Männer sind einfach weg, allenfalls Statisten am Küchentisch oder auf Parkbänken schlafende Alkoholiker, die schwarzen Robben gleichen.

Wieder in Berlin, wird es ihr fehlen, dieses ins Ungewisse stürmende Russland und seine Sprache mit den komischen Buchstaben und den Ansagen in der Metro, die seit Jahrzehnten unverändert sind: "Verehrte Fahrgäste! Machen Sie Plätze frei für Behinderte, alte Leute und hilflose Fahrgäste!" In der Metro weiß man immerhin, was die nächste Haltestelle ist.

SABINE BERKING

Irina Liebmann: "Drei Schritte nach Russland". Erzählung.

Berlin Verlag, Berlin 2013. 200 S., geb., 16,99 [Euro].

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"Fast schreibt sie ein wenig atemlos. In Andeutungen, kurzen Sätzen, Seufzern, Dialogen, traumgleichen Assoziationen. Das ist ihr Kunstgriff.", Die Welt, Gabriele von Arnim, 10.04.2013