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Wenn Mr Moonbloom kommt, um die Miete zu kassieren, bezahlen ihn die Bewohner nicht mit Geld - sie bieten ihre Geschichten feil. Edward Lewis "Wallants Mr Moonbloom" ist eine große Wiederentdeckung. Norman Moonbloom ist ein Versager. Als kleiner Angestellter seines erfolgreichen Bruders Irwin dreht er täglich in Manhattan seine Runden, um in dessen heruntergekommenen Wohnblocks ausstehende Mieten einzutreiben. Und in jedem Apartment erwartet ihn eine neue Ausrede, ein noch tragischeres Schicksal, ein weiterer Mieter, dessen Seele genauso reparaturbedürftig ist wie seine Wohnung. Da ist der…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Mr Moonbloom kommt, um die Miete zu kassieren, bezahlen ihn die Bewohner nicht mit Geld - sie bieten ihre Geschichten feil. Edward Lewis "Wallants Mr Moonbloom" ist eine große Wiederentdeckung.
Norman Moonbloom ist ein Versager. Als kleiner Angestellter seines erfolgreichen Bruders Irwin dreht er täglich in Manhattan seine Runden, um in dessen heruntergekommenen Wohnblocks ausstehende Mieten einzutreiben. Und in jedem Apartment erwartet ihn eine neue Ausrede, ein noch tragischeres Schicksal, ein weiterer Mieter, dessen Seele genauso reparaturbedürftig ist wie seine Wohnung. Da ist der 100-jährige Jude Karloff, der bis zur Besinnungslosigkeit Schnaps trinkt, hier wohnen Hipster und Beatniks wie der Jazz-Trompeter Katz oder der homosexuelle Schriftsteller Paxton - aber auch der KZ-Überlebende Lublin, der die Hölle der Lager tief seinem Herzen mit in die Neue Welt getragen hat. Alle sind Gebrochene und Getriebene der Großstadt. Unwillkürlich wird Norman zum Archivar ihrer Leiden und Sehnsüchte. Oder ist er gar ihr Erlöser? Mr Moonbloom unternimmt einen verzweifelten Versuch, ihrer aller Leben zu verbessern ...
Mr Moonbloom ist ein grandioses Kaleidoskop des urbanen Amerika und zugleich eine universelle Parabel über Würde und Menschlichkeit - ein kleines Meisterwerk der amerikanischen Erzählkunst, das es nun erstmals in deutscher Übersetzung zu entdecken gilt.
Autorenporträt
Edward Lewis Wallant wurde 1926 in New Haven, Connecticut, geboren. Nach dem Kriegsdienst studierte er in New York Gestaltung und arbeitete in der Werbung. Mit seinen Romanen zählte er rasch zu den bedeutendsten Autoren seiner Generation - neben Philip Roth, Norman Mailer und Saul Bellow. Noch vor der Veröffentlichung seines dritten Romans Mr Moonbloom, mit nur 36 Jahren, verstarb er überraschend an einem Gehirnschlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2013

Die Waschbärenaugen des Hausverwalters

Vor fünfzig Jahren erschien "Mr. Moonbloom" von Edward Lewis Wallant. Heute liest sich das Buch wie ein historischer Roman über ein Manhattan ohne Glanz und Metropolenpomp.

Am Ende: ein "seliger Ausdruck im verwüsteten Gesicht". Und Worte, die vor religiösem Pathos vibrieren: ",Es ist getan', sagte Basicelli mit heiterem Lächeln. ,Was hätte ich mehr verlangen können ...'"

Das ist doch mal ein Finale, möchte man meinen. Tatsächlich aber läuft dieser New-York-Roman, der in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts spielt, nach dreihundert Seiten darauf hinaus, dass die defekte Toilette von Herrn Basicelli repariert wird. Die Wand in seinem schäbigen Klo-Kabuff hatte sich immer bedrohlicher gewölbt, als wüchse in ihr eine monströse Geschwulst. Basicelli fühlte sich von diesem Anblick verfolgt, er litt bald an Albträumen, chronischer Toilettenangst und zementartiger Verstopfung, bis er die Krankheit zum Tode bekam: Der Tumor in der Wand bildet eine Metastase in seinem Unterleib.

Basicelli ist der unglücklichste all der unglücklichen Mieter, die Norman Moonbloom verwaltet. Als verbummelter Langzeitstudent stand Moonbloom irgendwann vor dem Nichts und wurde zum Diener seines wohlhabenden Bruders Irwin, der in Manhattan ein paar heruntergekommene Mietshäuser besitzt und ihn als Verwalter von "Moonbloom Immobilien" einsetzte. Die ersten hundert Seiten beschreiben nichts anderes als Normans strapaziöse Gänge von Wohnung zu Wohnung. Er hat die unangenehme Aufgabe, die wöchentliche Miete persönlich einzutreiben.

Endlose Klagen über den Zustand der Wohnungen muss er sich anhören: Decken hängen gefährlich durch, Stromkabel liegen blank, Scheiben wurden eingeschlagen, Heizungen und Flurbeleuchtungen sind ausgefallen, Treppengeländer abgebrochen. In einem der Häuser leckt das Dach, so dass die Ratten (im Gegensatz zu den Menschen) bereits verschwinden. Neben solchen speziellen Beschwerden laden die Mieter bei Norman ihre Frustration ab. Das Geld geben sie nur zögerlich, umso freizügiger präsentieren sie die Details ihres Lebens, wie Wung, der Sohn chinesischer Einwanderer, der seine Integration durch zahllose sexuelle Kontakte voranzutreiben versucht, von denen er in glühenden Details erzählt. Warum nur denken alle, Norman sei die richtige Adresse für Lebensbeichten? "Es ist etwas masochistisch Einladendes in Ihren Waschbärenaugen", antwortet ihm einer der Mieter.

Norman, der Hauswanderer, war einmal ein sensibler Junge, aus dem ein verträumter Jugendlicher und schließlich ein weichherziger Mann wurde. Er hat jüdische Theologie, byzantinische Kunst und Kieferorthopädie studiert - und nach achtundzwanzig Semestern ein Diplom in Resignation erworben. Er würde gänzlich in einsamer Grübelei und Tagträumen versacken, zwänge ihn der ungeliebte Verwalterjob nicht fortwährend zu Grenzüberschreitungen und Konfrontationen: "Wade Johnson öffnete seine Tür und grinste gefährlich; sein hartes, fleischiges, gut aussehendes Gesicht war gierig nach Entrüstung."

Das Mietshaus ist ein Käfig voller Narren und Genarrter: zerstrittene Ehepaare, Kranke, Süchtige, Liebende, erfolglose Schriftsteller der Beat-Generation, Jazzer, die ihre Wohnungsnachbarn mit Boheme und Blasmusik auf die Palme bringen. Norman fühlt sich "verirrt in einem Wald menschlichen Lebens". Dass der Leser darin nicht die Orientierung verliert, verdankt sich Edward Lewis Wallants Kunst des plastischen Porträts. All diese hundert Nebenfiguren sind stark individualisiert und detailfreudig geschildert, so dass eine faszinierende Menagerie von Charakteren entsteht.

Wallant würde heute womöglich in einem Atemzug mit Saul Bellow und Philip Roth genannt, wenn er nicht 1962, gerade sechsunddreißig Jahre alt, von einem Aneurysma aus dem Leben gerissen worden wäre. Ein Jahr nach seinem Tod, vor genau fünfzig Jahren, erschien "Mr. Moonbloom" als dritter seiner vier Romane, und man liest das Buch heute wie einen historischen Roman über ein Manhattan ohne Glanz und Metropolenpomp - ein schäbiger Hafen für zumeist jüdische Gestrandete, darunter viele Flüchtlinge aus Europa und Holocaust-Überlebende, die auf ihrem Erinnerungsgepäck sitzen.

Hinter jeder Tür öffnet sich eine kleine Schmierentheaterbühne; bisweilen wird auch "experimentelles Theater" geboten und das Publikum in Gestalt Normans "in die Aufführung einbezogen". So gibt es "Zores" bei den Lublins: Norman wird zum "Schiedsrichter" erkoren, als Onkel Hirsch, ein veritabler Plagegeist, mit seinem Koffer und der Absicht eintrifft, sich für den Rest seines Lebens bei den Verwandten einzuquartieren. An solchen Stellen entwickelt der Roman Züge einer jüdischen Comedy, mit theatralischen Gebärden und jiddischen Redewendungen. Der uralte Karloff begrüßt Norman mit dem Ruf "Gej in die Erd!" - der Hundertjährige ist dabei, seine unverwüstliche Gesundheit doch noch mittels Alkohol zu ruinieren. Mit seinen hängenden Hautfalten sieht er aus wie eine urzeitliche Schreckgestalt, die sich aus dem Schlamm emporarbeitet. Seine verwahrloste Wohnung ist ein Kakerlakenzoo, dekoriert mit "Klumpen nicht identifizierbarer Essensreste".

Der Name der Hauptfigur verweist auf James Joyce und den legendären Leopold Bloom. Joyce liebte das lautmalerisches Spiel mit dem Namen, zerlegte ihn nach allen Regeln der Kunst - und ungeachtet seines gepflegt konventionellen Erzähltons folgt ihm Wallant, wenn er beschreibt, wie Moonbloom verzweifelt im Büro sitzt und auf die Glasscheibe starrt, wo er in Spiegelschrift seinen Namenszug lesen kann, dessen Buchstaben langsam abblättern: aus "Moonbloom" wird "Moonbloon" wird "Moonbloor" - ein schönes Sinnbild seiner psychischen Fragmentierung. Ein Zwischenkapitel ist der "Irrfelsen"-Episode des "Ulysses" nachgebildet - eine Choreographie von Straßenszenen: die Mieter in der Außenwelt, unterwegs zur U-Bahn oder einem Büro, wobei sie sich über den Weg laufen und rasche, beiläufige Dialoge führen.

Am Ende hat Moonbloom zwei Begegnungen, die ihn aus der Bahn werfen: mit dem Tod und der Liebe. In einer der Wohnungen stirbt ein Kind - der Anblick der zugedeckten Leiche im Aufzug reißt ihm die Seele auf. Und dann verführt ihn eine der Hausbewohnerinnen in der Hoffnung auf Mietminderung. Sie lebt zusammen mit ihrem senilen Vater, der während des Liebesspiels apathisch durchs Zimmer schlurft. Das klingt ernüchternd, aber in Norman setzt die späte Entjungferung einen Schub an Lebensenergie und Menschenfreundlichkeit frei. Hier ist der Roman ein Kind der Sechziger: Es geht darum, zu lieben und die Welt zu verändern - und der Witz besteht darin, dass die überschaubare Mietshaus-Welt voller Probleme ist, die mit Hilfe eines Klempners und Elektrikers gelöst werden können. Voller Hochgefühl unternimmt Norman seine Weltverbesserungstour durch die Wohnungen. Bis er bei Herrn Basicelli den entscheidenden Hammerschlag gegen den Tumor in der Wand führt. Was dann passiert, ist ein Höhepunkt literarischer Ekel-Kunst - aber Norman brüllt: "Alles wird gut!"

WOLFGANG SCHNEIDER

Edward Lewis Wallant: "Mr. Moonbloom".

Roman.

Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Berlin Verlag, Berlin 2012. 317 S., geb., 22,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Edward Lewis Wallant hat weniger mit Philip Roth, Saul Bellow oder Norman Mailer zu tun, denen das Vorwort ihn zuordnet, als mit den "formalen Experimenten der Moderne" eines Joyce beispielsweise, findet Tilman Urbach. In seinem Roman "Mr. Moonbloom", der erst posthum erschien, beschreibt Wallant das Leben des zutiefst resignierten und melancholischen Immobilienverwalters Norman, der sich mit allerlei Mietern herumschlagen muss, die ihn wegen des desolaten Zustands ihrer Wohnungen angehen, fasst Urbach zusammen. Es geht Wallant um die Vielstimmigkeit dieser Menschen, die ihren eigenen Blick auf ihren Mikrokosmos ihrer jeweiligen Vergangenheit verdanken, erklärt der Rezensent, der sich nur gewünscht hätte, dass der Autor stringent an seinem Projekt festhält. Am Ende des Romans, verrät Urbach, mausert sich Norman plötzlich zum Tatmenschen. Diese skurril-optimistische Brechung hätte sich Wallant sparen können, findet er.

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